Zeugnisse der Gegenwart – Quellen der Zukunft

Quellen sind die Basis für die historische Forschung. Sie müssen aufgefunden und kritisch interpretiert werden. Quellen können definiert werden als Zeugnisse jeglicher Art, aus denen Historiker Erkenntnisse über die Vergangenheit gewinnen können.
Zu ihnen gehören zum einen schriftliche Hinterlassenschaften und zum anderen nicht schriftliche wie Bauwerke, Kunst, Gebrauchsgegenstände. Sogar Abfälle oder Bodengegebenheiten, aus denen man Rückschlüsse auf die Lebensweise der Menschen, auf Umweltbedingungen oder -veränderungen in einer Zeit ziehen kann, können solche Hinterlassenschaften sein.

Zeugnisse der Gegenwart – Quellen der Zukunft

Was wir in der heutigen Zeit unternehmen, wird einmal Geschichte sein. Insofern besitzen beispielsweise in unserer Zeit entstehende Bauwerke, angelegte Gräber, in Umlauf befindliche Geldscheine und Münzen für künftige Generationen die Bedeutung von Quellen, und zwar als Sachüberreste.

Solche Quellen wie Akten, Urkunden, Briefe und dergleichen sind schriftliche Überreste. Dazu gehören im besonderen auch gegenwärtig entstehende Annalen (zeitgenössische Geschichtsberichte; Jahrbücher mit allgemeiner chronologischer Darstellung oder Berichten über spezielle Bereiche der Zeitgeschichte) sowie Chroniken und Biografien, die mit der Absicht angefertigt werden, die Mit- und Nachwelt über historische Ereignisse und Abläufe zu unterrichten.

Wegen der Bedeutung dieser Zeugnisse als historische Quellen für die Zukunft ist es geboten, mit ihnen sorgfältig umzugehen. Achtloser Umgang mit ihnen oder gar mutwillige Zerstörung oder Vernichtung erschweren die künftige Erforschung der Geschehnisse in unserer Zeit. Unter Umständen macht man sich sogar strafbar, wenn man Quellen unbedacht oder vorsätzlich zerstört oder unbrauchbar macht.
So können Behörden oder Betriebe nicht nach Gutdünken mit ihren Akten oder anderen schriftlichen Zeugnissen ihrer Tätigkeit verfahren, sondern dieses Schriftgut muss nach entsprechenden gesetzlichen Vorschriften geordnet aufbewahrt, archiviert, werden.

Archiv

Der Begriff Archiv hat eine mehrfache Bedeutung:

  • Archiv bezeichnet zum einen die systematisch geordnete Sammlung von Schriftstücken (Urkunden, Akten, Briefen, Nachlässen, Daten- und Tonträgern u. a.) sowie auch von Filmen und Fotos;
  • Archiv kann auch den Aufbewahrungsort oder -raum meinen, in dem das Archivgut aufgehoben wird;
  • schließlich kann ein Archiv auch eine Behörde sein, welche die Archivalien, das Archivgut, verwaltet.

Je nach dem Ursprung und dem Besitzer der Archivalien wird zwischen Staats-, Stadt-, Kloster-, Wirtschafts-, Familien-, Firmen- oder Privatarchiven sowie zwischen denen von Parteien, Organisationen und Vereinen unterschieden.

Bekannte Archive, die für die wissenschaftliche Forschung große Bedeutung haben, sind beispielsweise:

das Bundesarchiv (Koblenz), das als zentrales Archiv der Bundesrepublik Deutschland zuständig ist für das Archivgut von Verfassungsorganen, Behörden, Gerichten, Streitkräften, bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie der deutschen Verwaltung der westlichen Besatzungszonen zwischen 1945 und 1949;

das Goethe-Schiller-Archiv in Weimar mit seiner Zentralbibliothek der deutschen Klassik, das neben dem Archiv des Philosophen FRIEDRICH NIETZSCHE eine der wichtigsten literaturwissenschaftlichen Forschungsstätten in Deutschland ist;

die Shoah Foundation (engl. Survivors of the Shoah Visual History Foundation: Stiftung für die Visuelle Dokumentation der Überlebenden des Holocaust) in Los Angeles (USA); eine vom amerikanischen Filmproduzenten und -regisseur STEVEN SPIELBERG 1994 ins Leben gerufene Stiftung, die die Aufgabe hat, Erinnerungen von Überlebenden des Holocaust und Augenzeugenberichte von Zeitzeugen, Befreiern und Rettern zu dokumentieren. Mittlerweile wurden dort im multimedialen Bereich mehr als 50 000 Zeugenberichte auf über 200 000 Videobändern gesammelt, womit dieses Archiv weltweit das größte seiner Art ist.

Die Art und Weise der Benutzung von Archiven wird durch Archivordnungen der jeweiligen Eigentümer geregelt. In der Regel ist die Einsicht in neuere Archivalien durch Sperrfristen (zwischen 50 und 30 Jahren) aus Sicherheitsgründen und durch Vorschriften des Personen- und Datenschutzes eingeschränkt.

Allerdings gibt es auch Ausnahmen. So ist das Archivgut der ehemaligen DDR im Prinzip jedermann zugänglich, während für die Bestände der Altbundesländer die erwähnten Beschränkungen gelten. Das wirkt sich erschwerend auf die Erforschung der deutschen Geschichte in der Zeit der Zweistaatlichkeit aus und leistet manchen Vereinseitigungen in den Darstellungen Vorschub.

Vernichtung von Quellen

Abgesehen von Kriegseinwirkungen erfolgt besonders in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche, oft auch unberechtigt und aus sehr unterschiedlichen Motiven – gleichsam in einer Art Bilderstürmerei – die Vernichtung von Quellen, vor allem von Sachzeugnissen. So wurde beispielsweise das Berliner Stadtschloss, das trotz weitgehender Zerstörung im Zweiten Weltkrieg hätte wieder aufgebaut werden können, zu DDR-Zeiten gesprengt. Heute soll der an dieser Stelle errichtete „Palast der Republik“ – nunmehr ein DDR-historisches Bauwerk – dem Neubau des Stadtschlosses weichen.

Zu den erst in unmittelbarer Geschichte erfolgten „Erinnerungstilgungen“ gehören auch die Umbenennungen von Straßen, Schulen oder anderen öffentlichen Gebäuden; die Schleifung von Gebäuden oder Denkmälern; das Entfernen oder gar Zerstören von Kunstwerken, die „Entsorgung“ von Literatur aus Bibliotheken – so vielfach geschehen in den neuen Bundesländern. Nicht selten werden auch in Kriegs- und Nachkriegszeiten sowie bei gesellschaftlichen Umbrüchen wertvolle Archive zerstört, verschleppt oder ausgeraubt.

Im persönlichen Bereich sollte jeder entscheiden, welche Schriftstücke, Aufzeichnungen und Niederschriften, Bilddokumente oder auch Sachgegenstände entweder vernichtet oder in einem persönlichen oder Familienarchiv verwahrt bzw. einem Archiv zur Aufbewahrung für die Nachwelt übereignet werden sollen.

Quellen der Zeitgeschichte

Für die Erforschung und Darstellung der Neuesten Geschichte oder Zeitgeschichte besitzen solche Quellen wie Ton-, Foto- und Filmdokumente sowie Interviews mit Zeitzeugen, aber auch Biografien und Autobiografien einen bedeutenden Stellenwert. Auch künstlerische Darstellungen der jüngsten Vergangenheit können als wertvolle Quellen betrachtet werden.

Den meisten der genannten Quellen begegnet man täglich – über Berichterstattungen und Kommentare im Fernsehen, im Radio, in der Tagespresse oder in Magazinen zu aktuellen oder nur kurz zurückliegenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Ereignissen sowie über Personen der Zeitgeschichte. Es gibt heute eine kaum noch zu überblickende „Erinnerungsliteratur“, die ebenfalls eine nicht geringe Bedeutung als Quelle der Zeitgeschichte besitzt.

Zeitgeschichte
Zeitgeschichte meint die Geschichte oder Geschehnisse der eigenen, unmittelbar vergangenen Zeit und jenen Bereich der Geschichtswissenschaft, der sie erforscht. Der deutsche Historiker HANS ROTHFELS (1891–1976), der entscheidende Verdienste für die Anerkennung der Zeitgeschichte als Disziplin der Geschichtswissenschaft hatte, definierte den Begriff Zeitgeschichte als die „Geschichte der Mitlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung“.

Als geschichtswissenschaftliche Disziplin erforscht sie die jüngste Phase der Neuzeit. Entgegen früheren Auffassungen neigt man heute in Deutschland dazu, den Beginn der Zeitgeschichte mit der Mitte des 20. Jahrhunderts (Ende des Zweiten Weltkriegs, Kalter Krieg, Entkolonialisierung) anzusetzen. In Frankreich und England umfasst der Begriff Zeitgeschichte andere Zeiträume.

Vor der sich jetzt durchsetzenden neuen Periodisierung der Zeitgeschichte beschäftigte sich die deutsche Zeitgeschichtsforschung von ihren Anfangsjahren nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die Siebziger Jahre hinein hauptsächlich mit der Geschichte des Nationalsozialismus und dessen Vorgeschichte in der Zeit der Weimarer Republik. Erst danach begann man, sich mit der Geschichte der BRD, der DDR und des Kalten Krieges auseinanderzusetzen. Heute tritt die Geschichte der Welt nach der Auflösung der Blöcke und die des wiedervereinten Deutschland hinzu.

Zeitzeugenbefragung

Die Bedeutsamkeit der Aussagen von Zeitzeugen und der anderen bereits genannten Quellen für die zeitgeschichtliche Forschung ergibt sich vor allem durch den Umstand, dass der Zugang zum Aktenmaterial (aus Gründen der Geheimhaltung) oder die Erlangung von Hintergrundinformationen oft nicht möglich ist. Außerdem finden manche Ereignisse und Entwicklungen keinen schriftlichen Niederschlag mehr, was nicht zuletzt durch die Entwicklung der modernen Massenkommunikationsmittel verursacht wird.

Mit den Methoden der Befragung von Zeitzeugen durch Interviews und der kritischen Auswertung autobiografischer Zeugnisse (Tagebücher, Erinnerungen usw.) befasst sich die Oral History, (engl.: dem Wortsinn nach „erzählte Geschichte“). Mit dieser Forschungsmethodik der modernen Geschichtswissenschaft werden zusätzliche historische Quellen erschlossen. Im Prinzip schon früher üblich, dient sie heute der notwendigen Ergänzung herkömmlicher Methoden der geschichtswissenschaftlichen Forschung, besonders zur Untersuchung zeit- und sozialgeschichtlicher Sachverhalte, der Geschichte des Alltags sowie auch schriftloser Kulturen.

Kritische Sicht auf die Quellen

Um wirklichen Erkenntnisgewinn aus dem Umgang mit zeitgeschichtlichen Quellen zu erlangen, bedarf es einer kritischen Quellensicht (Quellenkritik) auf sie. Das schließt im Besonderen ein:

  • die Beachtung des sozialen und politischen Standortes der Autoren,
  • die vergleichende Betrachtung mehrerer Darstellungen zur gleichen Sache,
  • das Aufspüren der Wandlungen in der Sicht auf Ereignisse,
  • die Berücksichtigung des unterschiedlichen Grades von Subjektivität bei der Wiedergabe von Sachverhalten oder Entwicklungen, was in Kunstwerken zumeist noch stärker ausgeprägt ist als in Berichten oder Erinnerungen,
  • die kritische Betrachtung auch amtlicher Verlautbarungen oder der Meinungsäußerungen von Politikern bzw. der Verlautbarungen von Parteien und Organisationen.

Das alles ist unerlässlich, um der Gefahr der Meinungsmanipulierung zu begegnen, die in unserer Zeit durch die modernen Mittel der Massenkommunikation sehr viel größer ist als früher.

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