Wannseekonferenz

Die Wannseekonferenz im Januar 1942

Für den 20. Januar 1942 lud der hohe nationalsozialistische Funktionär REINHARD HEYDRICH Staatssekretäre aus den wichtigsten deutschen Reichsministerien zu einer Konferenz in eine Villa am Berliner Wannsee ein. Das Treffen ging als Wannseekonferenz in die Geschichte ein.
REINHARD HEYDRICH war Leiter einer Behörde, die sich Reichssicherheitshauptamt (RSHA) nannte. Unter ihrem Dach wurden 1939 drei schon vorher bestehende Institutionen zusammengefasst.
Der Sicherheitsdienst (SD), 1931 ursprünglich zum Schutz der nationalsozialistischen Parteiprominenz eingerichtet, fungierte ab 1933 als eine Art Nachrichtendienst und Überwachungsapparat der NSDAP, um Feinde der nationalsozialistischen Bewegung aufzuspüren, zu kontrollieren und zu verhaften. Daneben war die Organisation ein Sammelbecken einiger aufstrebender nationalsozialistischer Intellektueller und daher an der Ausarbeitung zentraler nationalsozialistischer Ziele beteiligt.
Als zweite Institution war unter dem Dach des RSHA die Gestapo, die geheime Staatspolizei, ursprünglich Nachrichtendienst des Staates, die auf dieser Ebene ähnliche Tätigkeiten wie der SD verrichtete. Mit der Zeit wurde die Gestapo aber mehr und mehr unter die Kontrolle der Nationalsozialisten gestellt.
Mit der Gestapo arbeiteten schon seit 1936 die mehr und mehr unter die zentrale Kontrolle der Nationalsozialisten gestellten Kriminalpolizeien der deutschen Länder zusammen. Auch sie wurden 1939 dem RSHA unterstellt.
Durch diese Machtfülle, die sich aus der Verquickung dieser Institutionen von Partei und Staat ergab, wurde das RSHA ab 1939 die zentrale Behörde zur Überwachung der Bürger, zur Verfolgung und Deportation von Juden und Polen im „Dritten Reich“. Ab 1941 organisierte sie die Vernichtung der europäischen Juden und anderer vom Nationalsozialismus diffamierter Menschen.
Auf der Wannseekonferenz wurde die Durchführung dieser Vernichtung besprochen und geplant. Das Treffen gewann seine besondere Bedeutung durch die Teilnahme der Staatssekretäre der wichtigsten deutschen Reichsministerien. Diese wurden damit einerseits über das Ausmaß der bereits eingeleiteten und weiterhin geplanten Vernichtung unterrichtet und andererseits in die Planungen mit einbezogen.
Ohne Beteiligung dieser Ministerialbürokratie und der ihr untergeordneten Stellen nämlich hielt man die Durchführung dieses systematischen Massenmords an allen in Europa lebenden Juden, deren Zahl HEYDRICH im Laufe des Treffens mit 11 Millionen angab, nicht für möglich.
Denn eine solch große Anzahl von Menschen musste nicht nur in den unter der Kontrolle Deutschlands stehenden Länder erst einmal ausfindig gemacht und erfasst werden. Sie mussten zudem gesammelt und abtransportiert sowie ihr Hab und Gut danach verwaltet werden. So bürokratisch und kühl sich das liest, so bürokratisch, kühl und dienstbeflissen gingen dann auch tatsächlich viele Beschäftigte unterschiedlichster Dienststellen zu Werke.
Die meisten der am 20. Januar 1942 am Wannsee versammelten Staatssekretäre musste man nicht erst groß bitten. Aus Berichten über dieses Treffen wissen wir, dass sie sich rege mit eigenen Vorschlägen an der Erörterung des Themas beteiligten. Das ging so weit, dass Vorschläge zu Einzelheiten wie die der Verbesserung von Methoden zur Tötung einer solch großen Zahl von Menschen gemacht wurden.
Insgesamt markierte die Wannseekonferenz durch die Verzahnung verschiedener Institutionen der Partei und des Staates eine wichtige Etappe auf dem Weg zu dem, was die Nationalsozialisten „Endlösung der Judenfrage“ nannten.

Der Weg zur Judenvernichtung

Die sogenannte „Judenfrage“ war in der nationalsozialistischen Weltanschauung von zentraler Bedeutung. Nach der menschenverachtenden Rassenideologie der Nationalsozialisten und ihrer Anhänger waren die Juden die verachteten Todfeinde der sogenannten arischen Herrenrasse und mithin der zu ihr gezählten Deutschen.
Diese Judenfeindschaft, die man nach einem im 19. Jh. geprägten Begriff auch als Antisemitismus bezeichnet, führte schon seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 zu fortgesetzten Diskriminierungen und zur gesellschaftlichen Ausgrenzung der Juden.

Chronologie des Verbrechens gegen die Juden in Deutschland bis zum Beginn des Krieges
1933 
1. AprilEintägiger Boykott jüdischer Geschäfte in Deutschland. Die Aktion richtete sich auch gegen jüdische Ärzte und Rechtsanwälte sowie gegen den Besuch von Schulen und Universitäten durch Juden.
7. AprilZulassungsbeschränkung für jüdische Studenten an Hochschulen; „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“; Entlassung von Juden aus dem Staatsdienst.
22. SeptemberAusschluss der Juden aus dem gesamten Kulturleben (Literatur, Musik, bildende Künste, Funk Theater, Presse)
1935 
21. MaiWehrgesetz: „arische Abstammung“ Voraussetzung zum Wehrdienst. Im Sommer nehmen die Schilder mit der Aufschrift „Juden unerwünscht“ an Ortseingängen an Geschäften und Restaurants zu.
15. SeptemberVerkündung der ,Nürnberger Gesetze' auf dem Nürnberger Parteitag der NSDAP: Den Juden wurden zu Staatsangehörigen zweiter Klasse.
14. NovemberVerordnung zum ,Reichsbürgergesetz': Aberkennung des Wahlrechts und der öffentlichen Ämter für Juden; „Verordnung zum Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“: Ehen zwischen Juden und Nichtjuden waren künftig verboten, außerehelicher Geschlechtsverkehr sollte als „Rassenschande“ bestraft werden; als Juden galten Personen mit mindestens drei jüdischen Großelternteilen oder solche, die der jüdischen Religion angehörten. Juden konnten nur Staatsangehörige sein, nicht aber Reichsbürger.
1938 
1. AprilDie neue Promotionsordnung setzt an Universitäten und Hochschulen den ,Ariernachweis' für alle Doktoranden voraus.
26. AprilVerordnung über die Anmeldepflicht aller jüdischen Vermögen über 5000 RM. Rechtsgeschäfte von Juden mit „Ariern“ unterliegen einer besonderen Genehmigungspflicht.
25. JuniJüdische Ärzte in Deutschland dürfen nur noch jüdische Patienten behandeln.
23. JuliEinführung einer Kennkarte für Juden ab 1. Januar 1939. Die Karte trug ein großes ,J' als besonderes Kennzeichen ab dem 15. Lebensjahr.
17. AugustIn Deutschlandmüssen jüdische Männer den zusätzlichen Vornamen „Israel“, jüdische Frauen den Vornamen „Sara“ tragen.
9.-10. November

Nach der Ermordung des deutschen Gesandtschaftsrats in Paris durch den 17-Jährigen HERSCHEL GRYNSZPAN fand in Deutschland und Österreich ein Judenpogrom statt; etwa 30 000 Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt. Zur Wiederherstellung des Straßenbildes und der zerstörten jüdischen Geschäfte und Gebäude mussten die Juden deutscher Staatsangehörigkeit eine ,Sühneleistung' von 1 Milliarde RM erbringen. Bereits im Oktober wurden 17 000 Juden polnischer Herkunft, die Polen nicht aufnehmen wollte, ins Niemandsland abgeschoben, darunter die Eltern von HERSCHEL GRYNSPAN.

3. DezemberSchaffung eines „Judenbanns“ in Berlin. Juden durften die Innenstadt und das Regierungsviertel nicht mehr betreten.
Chronologie des Verbrechens gegen die Juden in Deutschland und Europa seit Kriegsbeginn
1939 
1. SeptemberÜber die Juden in Deutschland wird eine Ausgangssperre verhängt ab 20:00 Uhr dürfen sie ihre Wohnungen nicht mehr verlassen.
1940 
12. AprilErklärung von HANS FRANK, verantwortlich für die Besatzungspolitik in Polen, dass Krakau bis November „judenfrei“ sein muss.
Ab 1940 Errichtung des jüdischen Gettos in Warschau, 1941 wurde es durch eine Mauer Bild) abgeriegelt. Alle Juden wurden später in Vernichtungslager deportiert oder verhungerten im Getto oder starben beim Aufstand 1943 gegen die Besatzer.
1941 
10. JanuarDie deutsche Besatzungsmacht lässt alle Juden in den Niederlanden registrieren.
23. JuniIn den besetzen Gebieten der Sowjetunion begannen die Mordaktionen der SS-Einsatzgruppen mit täglicher Berichterstattung.
1. Juli bis 31. AugustDie Einsatzgruppe D, Wehrmachtseinheiten und rumänische Sondertruppen ermordeten in Bessarabien (Rumänien)150 000 bis 160 000 Juden.

19. September

Die in Deutschland
lebenden Juden müssen vom 6. Lebensjahr an in der Öffentlichkeit den Judenstern tragen. Die Anordnung wurde in den folgenden Jahren auf die besetzten Gebiete ausgedehnt.

Mit diesem Judenstern knüpften die NS-Behörden an die mittelalterliche Kennzeichnungspflicht für Juden an, wobei als Zeichen absichtlich das nationale und religiöse Symbol des Judentums, das Hexagramm des Davidsterns, gewählt wurde.

14. OktoberBeginn der systematischen Deportation aus dem „Altreich“; zunächst solltet 50 000 Personen aus den größeren Städten „nach dem Osten“ deportiert werden. Ende November gelangten die ersten Juden in das „Altersgetto“ oder „Vorzugslager“ Theresienstadt.
1942 
20. JanuarKonferenz unter Vorsitz HEYDRICHS, Chef der Sicherheitspolizei und des SD, zur Koordinierung der „Endlösung“ der Judenfrage in Europa (Wannseekonferenz). Es ging in der Konferenz um die Ermordung der europäischen Juden und um das Schicksal der deutschen „Mischehen“ und „Halbjuden“, die sterilisiert oder in Gettos abgeschoben werden sollten, wurde auf die Zeit nach dem Krieg verschoben.
Bis zur Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 1945 kamen etwa 6 Millionen jüdischer Bürger aus Deutschland, den besetzten Gebieten und den Ländern der mit Deutschland verbündeten Staaten wie Ungarn, Rumänien und der Slowakei durch Massenerschießungen, Hungerpolitik, Vernichtung durch Arbeit, mithilfe von Gaswagen in den Vernichtungslagern um. (Ca. 50 % der ermordeten Juden wurden im Gas erstickt.)

Auswanderung und Vertreibung der Juden aus Deutschland

Im Laufe der Zeit wurde immer deutlicher, dass die Juden aus Deutschland endgültig und für immer verschwinden sollten. Deutschland, so sagte man, sollte „judenfrei“ werden.
Anfänglich dachte man das „Problem“ durch die freiwillige oder erzwungene Auswanderung und Vertreibung aller deutschen Juden zu „lösen“

Ab 1938 und besonders nach der Besetzung Polens 1939 gab es dann aber erste große Deportationen der Juden aus dem Deutschen Reich nach Osten, indem die Juden eines bestimmten Gebietes gesammelt und verschleppt wurden. Dabei existierten zunächst verschiedene Vorstellungen einer Neuansiedlung der Juden. So dachte man zum Beispiel daran, alle Juden in einem sogenannten „Reservat“ bei der polnischen Stadt Lublin einzupferchen. Dieser Plan erwies sich jedoch ebenso als undurchführbar wie eine ernsthaft verfolgte Vorstellung, alle Juden auf die südostafrikanische Insel Madagaskar zu deportieren.
Beteiligt an verschiedenen Planungen und Maßnahmen in diesem Zusammenhang war auch ADOLF EICHMANN, der zu der Zeit im RSHA das Referat für Juden und „Evakuierung“ leitete. Er führte auf der Wannseekonferenz Protokoll und machte nach seiner Verhaftung in dem 1961 gegen ihn durchgeführten Prozess in Jerusalem umfangreiche Aussagen über das Treffen im Januar 1942.

Die „Endlösung der Judenfrage“

Gab es schon vorher auch im Zusammenhang solcher „Probleme“ der Neuansiedlung immer wieder Überlegungen, alle Juden „einfach“ zu ermorden, so wurde dieser Weg dann ab 1941 beschritten. Unter dem Eindruck des zunächst erfolgreichen Krieges gegen die Sowjetunion, die von Deutschland am 22. Juni 1942 unter dem Decknamen „Unternehmen Barbarossa“ angegriffen wurde, fiel die endgültige Entscheidung. Dieser Krieg sollte nicht nur als ein normaler, sondern zudem als ein Vernichtungskrieg besonders gegen Bolschewisten, also gegen sowjetische Kommunisten, und gegen Juden geführt werden. Die Deutschen waren das „Herrenvolk“, während die „slawischen Rassen“ als minderwertig betrachtet wurden. Hintergrund war die Gewinnung von „Lebensraum“ im Osten.

Im Juli 1941 wurde daher REINHARD HEYDRICH vom damals noch für die „Judenpolitik“ zuständigen HERMANN GÖRING beauftragt, die „Gesamtlösung der Judenfrage“ vorzubereiten. Allerdings war das kein Befehl von oben, sondern entsprach den Vorstellungen von HEYDRICH und vielen anderen. Diese Vorbereitungen sollten laut Auftrag zur „Endlösung der Judenfrage“ führen, womit die völlige Vernichtung der Juden gemeint war. Die Wannseekonferenz war dann eine unmittelbare Folge dieses „Auftrages“ aus dem Juli 1941.

Die Tötungsmaschinerie läuft an

Der systematische Mord an den Juden begann 1941 zunächst mit der Bildung sogenannter Einsatzgruppen. Das waren bewegliche Einheiten, deren Auftrag allein in der Tötung von Menschen bestand, die man als Gegner ansah. Die Einsatzgruppen zogen durch Städte und Dörfer und ermordeten Bolschewisten, Sinti und Roma sowie Juden. Diese Einsatzgruppen waren während des ganzen Krieges im Einsatz.

Allerdings wurde schnell klar, dass durch solche Erschießungen niemals alle Juden würden getötet werden können. Daher setzte man zunächst sogenannte Gaswagen ein, die man sich als eine Art Lieferwagen vorstellen muss. Die zur Tötung bestimmten Menschen wurden in den Transportraum geladen. Nachdem man den Motor des Wagens angelassen hatte, wurde mit einem Schlauch Gas in den Transportraum eingeführt, wodurch die Menschen grausam erstickten.
Aber auch die Tötung durch diese Gaswagen ging den Nationalsozialisten zu langsam. Daher ging man dazu über, Konzentrationslager als Orte der bürokratisch geplanten und industriell betriebenen massenhaften Ermordung der Juden zu nutzen. Solche Lager erhielten daher auch den Namen Vernichtungslager. In ihnen wurden die Juden aus allen Deutschlands und den damals beherrschten Teilen Europas herbeigeschafft und dann meistens durch Gas ermordet.
In einigen Lagern wurden vorher noch die besonders kräftigen und arbeitsfähigen Menschen aussortiert. Das geschah zum Beispiel in Auschwitz, wo direkt nach Ankunft der Züge auf einer Rampe von Ärzten und Aufsehern entschieden wurde, wer sofort getötet und wer zur Sklavenarbeit herangezogen werden sollte. Einer dieser berüchtigten Ärzte war JOSEF MENGELE.

Die Wannseekonferenz stand am Beginn dieser Art der Tötung der Juden. Auf ihr wurden unerlässliche Voraussetzungen erörtert. Denn für diese Art der geplanten und kaltblütigen Ermordung der Juden bedurfte es eines bürokratischen Apparates. Diese Mischung aus kühler bürokratischer Planung und industriell durchgeführter massenhafter Vernichtung eines ganzes Volkes ist bis heute einmalig in der Geschichte der Menschheit.
Die Vernichtung der europäischen Juden durch Massenmord, die man auch als Holocaust bezeichnet, forderte auf diese Weise mindestens 6 Millionen Tote. Nach einem neuhebräischen Wort bezeichnet man diesen Völkermord auch als Shoa.
In Israel, das nach dieser Tragödie gegründet wurde, bleiben die Opfer bis heute unvergessen. In der für die Opfer errichteten Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem fand man eine Antwort auf diesen Massenmord, in dem die kalt planenden Täter ihre Opfer häufig nur noch als Sachen betrachteten. Der Name Yad Vashem (wörtlich: „Denkmal und Name“) geht auf einen Satz des Propheten JESAJA zurück:

„Ihnen allen errichte ich in meinem Haus und in meinen Mauern ein Denkmal, ich gebe ihnen einen Namen, der mehr wert ist als Söhne und Töchter: Einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der niemals getilgt wird.“

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