- Lexikon
- Geschichte
- 3 Frühe Hochkulturen
- 3.2 Ägypten
- 3.2.4 Die Religion der Ägypter
- Totengericht und Totenbuch
Die Vorstellung von einem Jenseitsgericht, in dem das irdische Verhalten der Toten „gewogen“ und über die Art ihrer Existenz im Jenseits entschieden wurde, begegnet schon in Schriften aus den Anfängen des Alten Reiches.
Die Ägypter stellten sich das Leben im Jenseits als ewige Fortsetzung ihres biologischen und sozialen Lebens vor. Allerdings konnte diese Existenz im Jenseits auf unterschiedliche Weise erfolgen:
In den „Gefilden der Seligen“ erfolgte sie unter besseren Umständen als im irdischen Leben, während sie sich unter dramatisch schlechteren Umständen vollzog, fand sie im Jenseits in einer Art „Hölle“ statt. Letzteres galt es unbedingt zu vermeiden.
Es gab für die Ägypter mehrere Voraussetzungen für eine angenehme Jenseitsexistenz:
Die oberste Autorität im Totenreich war den Ägyptern der Gott Osiris. Er saß nach ihren Vorstellungen beim Totengericht mit den Herrschaftsinsignien des Pharaos auf dem Thron und führte als Richter den Prozess. Als Beisitzerinnen amtierten Isis, die Gattin von Osiris, und deren Schwester Nephtys. Diesem Gericht assistierten noch insgesamt 42 weitere Götter.
Als Vollzieherin der möglichen Höllenstrafe war die „Große Fresserin“ anwesend. Diese monströse Göttin mit
repräsentierte ewigen Tod und dauerhafte Vernichtung.
Der Gott Thot mit dem Kopf eines Ibis führte das schriftliche Protokoll der Verhandlung und notierte das Urteil.
Der schakalköpfige Sohn der Nephtys war als Totengott Anubis der Gerichtsdiener, während der falkenköpfige Sohn von Osiris, der Gott Horus, das Urteil des Gerichts verkündete.
Im Mittelpunkt des Prozesses vor Osiris stand die Prüfung der Seele des Toten (ägypt.: Ba):
Dabei musste die als menschenköpfiger Vogel dargestellte Seele des Toten beim Wiegen des Herzens des Verstorbenen zuschauen. Denn nicht das Gehirn, sondern das Herz galt im alten Ägypten als Sitz des menschlichen Verstandes und des Gedächtnisses. Im Herzen waren alle guten und bösen Taten gespeichert.
Anubis legte das Herz des Toten in die eine Schale einer großen Balkenwaage. In der gegenüberliegenden Schale lag eine Straußenfeder. Sie symbolisierte die Gerechtigkeit und die Weltordnung.
Der Tote musste nun, vor der Waage stehend, mit einem „negativen Sündenbekenntnis“ seiner Seele den Totenrichtern versichern, keines von zahlreichen möglichen Delikten gegen die Götter, den Staat oder gegen die Mitmenschen begangen zu haben.
Blieb die Waage bei der Verneinung der Missetaten im Gleichgewicht, war die Probe bestanden. Neigte sich jedoch die Schale mit dem Herzen, dann verfiel der Tote der „Großen Fresserin“ und damit der ewigen Verdammnis.
Totenbücher...
Hilfen für die Wahrheitsfindung vor dem Totengericht und damit Passierscheine in die Ewigkeit waren nach Vorstellung der Ägypter die sogenannten Totenbücher:
Inhaltlich waren die Totenbücher in erster Linie
Register von Delikten bzw. Vergehen, die im „negativen Sündenbekenntnis“ vor Osiris zu bestreiten waren. Hierzu zählten u. a.
Der Tote musste vor Gericht die aufgelisteten Vergehen vortragen und bei jedem versichern, es nicht begangen zu haben.
Totenbücher sind uns auf Papyrusrollen überliefert. Die in ihnen aufgezählten Vergehen sind eine besonders reiche Quelle für die Erforschung der Geschichte des Alten Ägypten. In ihnen spiegeln sich zum einen all jene großen und kleinen Probleme wider, die in der Gesellschaft vorhanden waren und bekämpft werden mussten. Andererseits deuten sie darauf hin, dass die ägyptische Religion ein wichtiges Instrument war, dem normgerechten Verhalten der Menschen einen größeren Respekt zu verschaffen.
Texte als Hilfsmittel für das Weiterleben im Jenseits gab es in Ägypten seit den Königsbestattungen im Alten Reich. In allein den Pharaonen vorbehaltenen Pyramidentexten fand vor allem das Streben der Könige nach Aufstieg in den Himmel seinen Niederschlag.
Im Mittleren Reich fanden Texte, die als Wegweiser ins Jenseits dienten, eine stärkere Verbreitung: Vor allem hohe Beamte der Pharaonen waren es, die sich das Privileg sicherten, ihre Särge mit derartigen hilfreichen Texten für den Übergang ins Jenseits auszustatten.
Im Neuen Reich waren dann die Totenbücher auch nicht mehr allein das Privileg der Oberschicht, um sich ein erfülltes Weiterleben im Jenseits zu sichern. Vielmehr entwickelte sich eine „Demokratisierung des Jenseits“, die praktisch allen Bevölkerungsgruppen den Weg dorthin öffnete und die Führung eines Totenbuchs erforderlich machte.
Inhalt und Form der Totenbücher waren nicht durch feste Regeln kanonisiert. Länge und Ausstattung mit Texten und Bildern konnten sich deshalb in Abhängigkeit von Wohlstand und sozialem Status der Auftraggeber sehr stark unterscheiden. Deshalb entwickelten sich die Totenbücher bald zu einer begehrten Handelsware.
Gute, reich bebilderte Varianten von in der Hauptstadt Theben bevorzugten „Standardbüchern“ besitzen bei Höhen zwischen 30 und 45 cm in aufgerolltem Zustand eine Länge von 4,5 bis 6 Metern.
Reiche Ägypter konnten es sich leisten, sehr inhaltsreiche und nach individuellen Vorstellungen prächtig gestaltete „Rollen“ in Auftrag zu geben.
Nach Meinung der Ägypter war die erhoffte Wirkung des Totenbuches umso größer desto ausführlicher und genauer sein Inhalt war. Die optimale Sicherheit für einen gefahrlosen Übergang in die „Gefilde der Seeligen“ war nur durch möglichst ausführliche Texte zu erreichen.
Ärmere Bevölkerungsschichten mussten sich deshalb mit für sie erschwinglichen kürzeren Standardexemplaren begnügen, die in spezialisierten Schreibwerkstätten auf Vorrat gefertigt wurden.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
Ein Angebot von