Ob LAOZI je gelebt hat, wird kaum noch zu beweisen sein. Ihm wird die Autorschaft des Buches „Dao De Jing“ (Tao Te King), deutsch etwa
zugeschrieben. Er gilt heute als der „Vater des Daoismus“.
Nach neueren Forschungen sollen in der Figur LAOZI drei unterschiedliche Gestalten verschmelzen:
Kindheit und Jugend: LAOZI soll im 6. Jh., nach anderen Quellen 604 v.Chr. in einem Dorf der Provinz Henan als Sohn einer vornehmen Familie geboren worden sein. Sein Familienname lautete LI, sein Ehrenname war PO-YANG, nach seinem Tod erhielt er die Benennung TAU.
SIMA QIAN berichtet dagegen:
„Laotse wurde im Königreich Chu geboren, im Kreis Ku, in der Gemeinde Li, im Dorf Qu Ren. Sein Sippenname war Li, sein Vorname Er, sein persönlicher Name Dan.“
Nach neueren Untersuchungen soll er im 4. Jh. v. Chr. gelebt haben. Er hatte, den Legenden zufolge, zeitweise die Stellung eines Geschichtsschreibers und Archivars in der damaligen Zhou-Hauptstadt Luoyang inne.
518 v. Chr. sollen LAOZI und KONFUZIUS einander begegnet sein, der anlässlich einer Bildungsreise mit zwei Prinzen-Schülern in Luoyang weilte. SIMA QIAN berichtet, dass LAOZI zum Zeitpunkt ihrer ersten Begegnung bereits ein Greis gewesen sei, als KONFUZIUS jung war.
In Luoyang soll der berühmte Philosophenstreit stattgefunden haben. Beide Philosophen kritisierten den sittlichen Verfall in China. Während KONFUZIUS als Ausweg aus dem beginnenden Chaos der „Streitenden Reiche“ auf Rückbesinnung auf die klassischen Tugenden setzte, orientierte LAOZI auf Ausbildung der vollkommenen Tugend, auf individuelle Selbstbesinnung und allgemeine Menschenliebe.
In verschiedenen chinesischen Schriften wird die Begegnung der beiden Philosophen beschrieben. Daoistische Interpreten des Zusammentreffens ließen KONFUZIUS so beeindruckt von der Gestalt und der Weisheit des „alten Meisters“ sein, dass sie LAOZI mit einem auf Wind und Wolken zum Himmel auffahrenden Drachen verglichen:
„Ich habe diesmal wirklich einen Drachen gesehen. Wenn der Drache sich zusammenzieht, so hat er körperliche Gestalt; dehnt er sich aus, so wird er zum Luftgebilde; er fährt durch die Wolken und lebt von der lichten und dunklen Urkraft. Sprachlos stand ich mit offenem Mund daneben. Wie hätte ich es da anfangen sollen, den Lao-Tse zurechtzuweisen?“ (DJUANG-DSE)
Später soll sich LAOZI in die Einsiedelei zurückgezogen haben und 517 (nach anderen Meinungen im 6. oder im 4. Jh.) in seiner Heimat gestorben sein. Eine berühmte Legende erzählt, wie er, unzufrieden mit den Zuständen in China, auf einem Büffel reitend, das Land verließ und nach Westen ging. Als er am Xiangu-Pass übernachtete, bat ihn der Torwächter GUAN YIN, seine Ideen aufzuschreiben. Daraufhin schrieb LAOZI das 5000 Zeichen umfassende „Dao De Jing“ nieder. Dann ging er und wurde nicht mehr gesehen. Sein
„Streben war, sich selbst zu verbergen und ohne Namen zu bleiben“,
schreibt SIMA QIAN.
BERTOLT BRECHT regte diese Legende zu seinem Gedicht „Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“ an.
Sowohl KONFUZIUS und seine Schüler als auch LAOZI und seine Schüler gingen davon aus, dass die Welt von zwei Prinzipien beherrscht wird: dem männlichen (Yang) und dem weiblichen (Yin) Prinzip.
„Wer da sagt Schön
schafft zugleich Unschön
Wer da sagt Gut
schafft zugleich Ungut
Sein bedingt Nichtsein
Schwer ergänzt Leicht
Lang bemisst Kurz
Hoch erzeugt Niedrig
Laut bestimmt Leise.“ (LAOZI: „Dao De Jing“)
Yin und Yang sind:
Yang | Yin |
Licht hell aufsteigend aktiv bewegend ausdehnend fest innovativ kreativ ausgebend weiß Nordpol Berg gerader Weg lineare Zeit | Schatten dunkel absteigend passiv still zusammenziehend weich traditionell rezeptiv erhaltend schwarz Südpol Tal gewundener Weg zyklische Zeit |
Das Symbol beschreibt die Balance von Yin und Yang. Es gibt keinen Stillstand, es wird niemals nur ein reiner Zustand erreicht. Beide Prinzipien bedingen einander.
„Ein(mal) Yin, ein(mal) Yang, - das nennt man das Dao“ (FIEDELER 1995).
Aus den Schriften
„des konfuzianischen Naturphilosophen Tung Chung Shu (2. Jahrhundert vor Christus) ... geht hervor, daß der Himmel Yin und Yang besitzt, so auch der Mensch und somit ihr Tao eins ist“ (CAROLA PETERS).
In China herrschte die Meinung vor, alle Religionen seien gut für den Menschen, weil sie die Menschen lehren, Gutes zu tun. Aus diesen Ideen, deren Ursprünge weit in das sogenannte „Goldene Zeitalter“ zurückreichen und wohl über 5000 Jahre alt sind, entstanden die altchinesischen Philosophien. Sie sind, im Gegensatz zu den abendländischen (europäischen) Richtungen,
Die chinesische Philosophie ging von dem Grundsatz aus, dass das Reich der Gerechtigkeit und Harmonie („Goldenes Zeitalter“) am Beginn der Welt existierte und dass es das Streben jedes Einzelnen sein müsse, dieses Reich wieder zu erschaffen. Die Wege dahin sind sehr unterschiedlich.
Der Daoismus ist eine „Naturphilosophie“. Nicht der Mensch ist das Maß aller Dinge. Der Daoismus geht vielmehr von der Vorstellung aus, dass der Mensch Teil der schöpferischen Natur sei, dass er sich dessen jedoch bewusst sein müsse, um die Harmonie zu erreichen. Sowie der Mensch aus der Natur heraustrete, versuche er, sie zu beherrschen. Er versuche, Dingen einen Namen zu geben,
„Das Namenlose ist der Ursprung des Himmels und der Erde / Das Namhafte ist die Mutter aller Dinge“,
um sie zu besitzen:
„Darum: Was ist, dient zum Besitz. Was nicht ist, dient zum Werk.“
Mit dem Verlassen des „Goldenen Zeitalters“ hat der Mensch sich der Natur entfremdet. Bestreben des Daoismus ist es, sich wieder bewusst zu machen, Teil dieser Natur zu sein.
Der Daoismus definiert Natur allumfassend: Für ihn gehört der Kosmos ebenso dazu wie jegliche Lebensformen auf der Erde. Himmel und Erde bilden eine Einheit. Das göttliche Element, die Natur, kennt kein Gut und kein Böse:
„ Himmel und Erde sind nicht gütig. (in einer anderen Übersetzung: „Himmel und Erde sind gleichgültig“) ... Der Himmel ist ewig und die Erde dauernd.“
Gut und Böse sind menschliche Maße:
„ Kein Begehren - kein Tadel“.
Nur die Selbstlosigkeit bewahrt den Menschen vor menschlichen Schwächen und Fehlern.
„Viele Worte sind schnell erschöpft
besser ist, das Innere zu bewahren.“
Andere zu verändern oder auch nur zu beeinflussen, gehört deshalb nicht zu den Zielen des Daoismus.
Das Dao De Jing soll nach Meinung neuerer Forschung das Werk verschiedener Autoren sein. Manche meinen, es sei bereits vor dem sechsten Jahrhundert als mündliche Tradition überliefert worden.
„ Dao“ oder „Tao“ wird von RICHARD WILHELM (1873–1930) als „Sinn“ übersetzt:
„Der Sinn, der sich aussprechen läßt,
ist nicht der ewige Sinn.“
BODO KIRCHNER dagegen übersetzt dasselbe Wort mit „Weg“:
„Der Weg, der beschrieben werden kann
ist nicht der ewige Weg.“
„Dao“ kann also
heißen, in der sich die Welt bewegt.
„Das Tao des Himmels vollendet die Männlichkeit
und
das Tao der Erde vollendet die Weiblichkeit.“
„De“ heißt so viel wie
Das „Jing“ heißt Buch. „Dao De Jing“ ist also
Dabei beschreibt es, wie der Mensch in der Welt leben soll. Es beinhaltet die Vorstellungen des Menschen von sich und seiner Welt und zeigt uns die Pole des Lebens.
„Die Welt wird durch Nicht-Eingreifen regiert.
Sie kann nicht durch Eingreifen regiert werden.“
Der Weise verficht deshalb das Prinzip des „Wu wie“, das Nichtstun, das Wirken ohne zu streiten:
„Vom Lernen profitiert man täglich,
im Dao verliert man täglich,
verliert und verliert bis Nichthandeln gelingt.“
(„Dao De Jing“, Abschnitt 48)
LAOZI in Europa ist mit seinem „Dao De Jing“ ab dem 18. Jahrhundert einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Seinen höchsten Einfluss erreichte das Buch jedoch im 20. jahrhundert zwischen den beiden Weltkriegen.
1870 erschien die erste Übersetzung durch VICTOR VON STRAUSS („Lao-Tse's Tao Te King“) bei FRIEDRICH FLEISCHER in Leipzig. Die bedeutendste Übersetzung stammt jedoch von RICHARD WILHELM.
WILHELM, der anlässlich einer Ostasienmission 1899–1920 mit kleineren Unterbrechungen in der deutschen Kolonie in Qingdao (Tsingtau) arbeitete, war von 1922 bis 1924 als wissenschaftlicher Berater in der deutschen Gesandtschaft in Peking tätig und lehrte an der Pekinger Universität. Mit der Übersetzung des „I Ging: das Buch der Wandlungen“ („Yi Jing“, 1924) und des „Tao te king: das Buch des Alten vom Sinn und Leben“ („Dao De Jing“, 1911) wurde er in Deutschland zum „geistigen Mittler zwischen China und Europa“. In der deutschsprachigen Literatur ist es HERMANN HESSE, der daoistische Gedanken in seinem Werk verarbeitete. WILHELM und HESSE kannten einander. HESSE hatte voller Bewunderung WILHELMS Übersetzungen gelesen. WILHELM bedankte sich bei HESSE für dessen lobende Rezensionen, HESSE gestand WILHELM:
„Wenn ich die paar großen, nachwirkenden geistigen Erlebnisse beichten sollte, die mir geworden sind, so wäre es Nietzsche, Indien (Bhagavad Gita und Upanishaden), Ihr Chinawerk (das „Yi Jing“ und das „Dao De Jing“, die WILHELM übersetzte) und etwa noch die Berührung mit den Anregungen Freuds und Jungs.“
Nach WILHELMS Tod schrieb HESSE in einem Nachruf:
„Nichts ... ist mir im Laufe von beinahe 20 Jahren wichtiger und teurer geworden als Wilhelms deutsche Ausgabe der chinesischen Klassiker, sie haben mir und vielen eine Welt erschlossen, ohne die wir nicht mehr leben möchten.“
LAOZI wurde HESSE für lange Zeit zur wichtigsten Offenbarung: 1921 gestand er:
„Er ist für mich seit vielen Jahren das Weiseste und Tröstlichste, was ich kenne, das Wort Tao bedeutet für mich den Inbegriff jeder Weisheit“ (aus: Briefe).
1905 wurde HESSE allerdings durch JULIUS GRILLs Übersetzung „Lao-tszes Buch vom höchsten Wesen und vom höchsten Gut“ mit LAOZI und dem „Dao De Jing“ bekannt.
Auf die Frage einer Leserin nach seinem „Guru“ schrieb er:
„Ich habe nie einen andern gehabt als das, was ich mir aus der Beschäftigung mit den Indern und noch mehr den Chinesen ansammelte.“ (aus: Briefe).
Bereits der „Demian“ (1919) enthält daoistische Motive wie das „Yin und yang“. Auch in „Siddharta“ (1922) ist ein starker Einfluss des Daoismus nachweisbar. 1922 beschrieb er sein Buch als ein Werk, das „von Brahman und Buddha ausgeht und bei Tao endet“. Und an anderer Stelle heißt es:
„Mein Heiliger ist indisch gekleidet, seine Weisheit steht aber näher bei Lao Tse als bei Gotama. ... Der Schluss des ‚Siddharta' ist beinahe mehr taoistisch als indisch.“
Mit dem „Siddharta“ hätte er sich sogar vom indischen Denken befreit, bekannte HESSE. „König Yus Untergang“ (1929) stellt die Bearbeitung eines chinesischen Stoffes dar. In „Narziß und Goldmund“ (1930) repräsentiert
In seinem Roman „Das Glasperlenspiel“ (1943) verarbeitete er taoistische und konfuzianistische Vorstellungen.
ISABELLE ROBINET wies darauf hin, dass der Daoismus zwei Tendenzen aufweise:
Als Staatsreligion war der Daoismus, im Gegensatz zum Konfuzianismus, wohl eher nicht geeignet, zeigte er doch auf, dass der Fürst das Prinzip des Nicht-Handelns verfolgen sollte.
LÜ SIMIAN (1884„1957) schrieb:
„Der Zweck des ganzen Buches Laozi läßt sich in zwei Sätzen zusammenfassen. Der erste lautet: Den Staat hauptsächlich durch Nicht-Handeln (*wuwei*) zu regieren; der zweite: Wenn man seine Gegner besiegen will, soll man sich selber niedrig und schwach geben, sonst gar nichts.“
Andererseits hebt gerade der Daoismus auf Reduktion der Bedürfnisse ab, sogar auf den Verzicht auf Bedürfnisse:
„Kein Begehren - kein Tadel“.
In diesem Sinne konnte er als Herrschaftsmittel der Fürsten und Kaiser taugen:
„Von der Gefahr der Klugheit
Die von jeher dem rechten Weg folgten
lehrten dem Volk keine Klugheit
sie wollten, dass es einfach bleibe
Wenn das Volk zuviel Klugheit anhäuft
ist es schwer zu regieren
Förderung der Klugheit
führt zur Unordnung im Reich
Förderung der Einfachheit
führt zur Ordnung im Reich
Diese beiden Möglichkeiten gibt es
sie zu verstehen ist tiefe Tugend
Die tiefe Tugend ist klar und weit
in der Aufhebung der Gegensätze
führt sie zum großen Einklang.“
Der Daoismus ist Grundlage für fernöstliche Kultur, so
Bereits der Kaiser XIAOZONG der südlichen Song-Dynastie (1163–1189) sagte einmal:
„Der Buddhismus ist für den Geist zuständig, der Taoismus für den Körper und der Konfuzianismus für die Gesellschaft“.
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