- Lexikon
- Geschichte
- 7 Von der Reformation bis zum Absolutismus
- 7.7 Aufgeklärter Absolutismus
- 7.7.2 Der Absolutismus in Preußen
- Korruption und Spionage am Hofe des „Soldatenkönigs“
Seinen Gegnern erschien Preußen von jeher als ein Land der Unfreiheit. Was seine Freunde Tugend, Tüchtigkeit, unbestechlichen Dienst am Staat nannten, war für sie die präzise Maschinerie, die nicht eine Spur von Lässigkeit erlaubt und in ihrer Vollendung ohne jede Menschlichkeit ist.
GOTTHOLD EPHRAIM LESSING, zur Zeit des „Soldatenkönigs“ Sekretär des preußischen Generals TAUENTZIEN, schrieb in einem Brief an seinen Freund, den in Berlin lebenden Schriftsteller FRIEDRICH NICOLAI, die vielgerühmte berlinische Freiheit, zu reden und zu schreiben, beschränke sich nur darauf,
„gegen die Religion soviel Sottisen (Stichelein, freche Bemerkungen) zu Markte zu bringen, als man will; lassen Sie einen in Berlin auftreten, der für die Rechte der Untertanen, der gegen Aussaugung und Despotismus seine Stimme erheben wollte, wie es jetzt sogar in Frankreich und Dänemark geschieht: und Sie werden bald die Erfahrung haben, welches Land bis auf den heutigen Tag das sklavischste Land von Europa ist“.
Bei genauerem Hinsehen waren in Preußens Alltag viele „menschliche, ja fast schon allzumenschliche Züge“ zu entdecken. Zum Beispiel die Käuflichkeit und Bestechlichkeit höchster preußischer Beamter.
Preußens Beamte wären zu allen Zeiten unbestechlich gewesen und hätten immer nur ihre Pflicht dem Staat im Auge gehabt, gilt als Mythos, der in der ganzen Welt verbreitet wurde. Für die Zeit des Soldatenkönigs traf das keineswegs zu. An seinem Hof waren alle käuflich, auch und ganz besonders der Erste Minister, FRIEDRICH WILHELM V. GRUMBKOW, der Vertraute des Königs. Mit einunddreißig Jahren war er General und mit fünfunddreißig Minister geworden. Regelmäßig ließ er sich vom französischen Hof Bestechungsgelder zahlen. Als der Österreicher und zugleich kaiserlicher Gesandte GRAF VON SECKENDORFF, das und dazu auch die Höhe der Summe herausfand, überredete er KAISER KARL VI., die Bestechungsbeträge aus Versailles zu überbieten.
GRUMBKOW und durch ihn der preußische König sollte für Wien eingenommen, GRUMBKOW direkt für Wien angestellt werden. Und tatsächlich ließ GRUMBKOW sich von Wien kaufen. Gegen Geld lieferte er dem GRAFEN SECKENDORFF diplomatische Korrespondenzen seines Königs aus und unterrichtete ihn, wie SECKENDORFF es wollte, über alle Vorgänge des königlichen Familienlebens. Dies geschah nun nicht etwa nur bei gelegentlichen Unterhaltungen, sondern ganz ausdrücklich, sehr oft in schriftlicher Form, wozu eine Art Code entwickelt wurde, in dem der König als „Jupiter“ und die Königin als „Olympia“ figurierten.
Was Preußens Erster Minister damals tat, würde man heute als Agententätigkeit bezeichnen. Vor allem würde man es auch bestrafen. Im 18. Jh. am Hofe des Soldatenkönigs, nahm man es hin. Diese Art von Diplomatie und Spionage war damals nichts durchaus Ungewöhnliches. GRUMBKOW trieb es nur besonders schlimm, weil er besonders abgefeimt war; „sein ganzer Charakter ist ein Gewebe von Lastern“, schrieb FRIEDRICHS Schwester PRINZESSIN WILHELMINE. Der sächsische Gesandte meldete:
„Er ist ein Gemisch von Bosheit, Verleumdungssucht, Niedertracht, Lüge und Unverschämtheit.“
Aber bestochen waren sämtliche preußischen Minister. Sie alle ließen sich von fremden Mächten Jahresrenten zahlen. Auch viele kleinere Beamte und Angestellte bei Hofe waren bestochen. GRAF SECKENDORFF bezahlte zum Beispiel auch den königlichen Schlosskastellan, mit dem FRIEDRICH WILHELM oft über seine Pläne und Sorgen sprach. Auch Madame RAMEN, die vertrauteste Kammerfrau der Königin, war von SECKENDORFF gekauft. Sogar der preußische Gesandte in London, REICHENBACH, wurde von Österreich bezahlt.
Dass seine Minister und viele Hofbeamte von anderen Regierungen Geld nahmen, wusste der König übrigens. Wenn ihm ein Bericht eines Ministers zu parteilich, zu sehr gekauft erschien, schrieb er quer darüber: „Ihr liebt die Guineen zu sehr!“ (Guinee = englische Goldmünze) Weiter ging seine Entrüstung nicht. Offenbar war er überzeugt, sich von seinen Ministern ohnehin nicht beeinflussen zu lassen. Da sie von fremden Mächten bezahlt wurden, erlaubte er es sich, ihre Gehälter sehr kurz zu halten.
Was der König sicherlich nicht wusste war, dass auch sein ältester Sohn, Kronprinz FRIEDRICH, vom Wiener Hof Geld nahm, und gar nicht so wenig. Zunächst waren es nur sogenannte Kredite, die SECKENDORFF ihm gewährte.
Aber dann kam der alte PRINZ EUGEN VON SAVOYEN, der ruhmreiche Feldherr, der in Österreich zeitweise auch Staatskanzler, Kriegs- und Außenminister war auf den Gedanken, FRIEDRICH „eine Pension auszuwerfen“. Nicht aus reiner Freundlichkeit, sondern um den Prinzen für Wien und die Wiener Politik günstig zu stimmen.
In diesem Fall deckte sich die Wiener Politik mit den Plänen FRIEDRICH WILHELMS. Das heißt, König FRIEDRICH WILHELM meinte, es seien seine Pläne; in Wirklichkeit waren es die Pläne des PRINZEN EUGEN, die SECKENDORFF dem Preußenkönig geschickt eingeredet hatte. Es ging um die Verbindung des preußischen Kronprinzen mit PRINZESSIN ELISABETH CHRISTINE VON BRAUNSCHWEIG-BEVERN.
FRIEDRICH WILHELM war mit der Heirat einverstanden, während die Königin eine Verbindung mit England anstrebte. FRIEDRICH WILHELM aber fürchtete einen zu starken englischen Einfluss. Auch Wien war gegen eine solche Verbindung zwischen Preußen und England. Es befürchtete ebenfalls eine Verstärkung des englischen Einflusses auf die innerdeutsche Politik, zumal Großbritannien seit 1714 in Personalunion mit Hannover verbunden war. Deswegen setzte Wien alles daran, die Pläne der preußischen Königin, die sogar eine preußisch-englische Doppelhochzeit vorsahen, zu vereiteln und durch eigene zu ersetzen.
Dem PRINZEN EUGEN kam es darauf an, den künftigen König von Preußen mit einer Prinzessin aus einem den Habsburgern gefügigen Fürstenhaus verheiratet zu wissen. Und die zu der Zeit fünfzehn Jahre alte ELISABETH VON BRAUNSCHWEIG-BEVERN, eine Nichte der Kaiserin, schien ihm dafür geeignet. Innerhalb der preußischen Königsfamilie kam es zu heftigen Szenen, über die man in Wien genauestens unterrichtet wurde. Der neunzehnjährige FRIEDRICH erklärte sich unter dem Zureden des Vaters schließlich mit der Heirat einverstanden.
Nach seinem Fluchtversuch ein Jahr zuvor, der für seinen Freund KATTE mit einem Todesurteil und für ihn selber mit einer kurzen Festungshaft und dann mit der Stellung eines Rats in Küstrin geendet hatte, war FRIEDRICH entschlossen, sich seinem Vater gefügiger zu zeigen. Doch lag darin viel Verstellung. Auch bei der Zusage zu dieser Heirat. Denn an Minister GRUMBKOW schrieb er ganz anders:
„Ich werde sie niemals nehmen ... Mag kommen, was will, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich bin für ein Vergehen, dessen Bedeutung man übertrieben hat, genug gestraft worden und will mich nicht dazu verpflichten, auch noch ein Unglück für künftige Zeiten auf mich zu nehmen. Für mich gibt es nur einen Ausweg, ein Pistolenschuss kann mich von meinen Leiden und vom Leben befreien. Ich glaube, der liebe Gott würde mich dafür nicht verdammen, sondern Erbarmen mit mir haben und mir zum Entgelt für ein elendes Leben die Seligkeit gewähren. So weit kann die Verzweiflung einen jungen Menschen hinreißen, dessen Blut noch nicht so abgekühlt ist wie das eines Siebzigjährigen.“
GRUMBKOW teilte das natürlich sofort dem österreichischen Gesandten mit, der seinerseits Wien von diesem alarmierenden Brief in Kenntnis setzte. PRINZ EUGEN fürchtete, es könne im letzten Augenblick noch alles schief gehen. Da kam er auf den Einfall, FRIEDRICH die Freude am Leben zurückzugeben, indem man ihn erst einmal mit Geld versorgte.
Geld konnte FRIEDRICH gut brauchen. Er hatte nämlich, was man in Wien sehr genau wusste, nicht beträchtliche Schulden. Schon als Fünfzehnjähriger stand er bei einem Berliner Bankier mit siebentausend Talern in der Schuld. Diese beachtliche Summe hatte der junge FRIEDRICH vor allem für Bücher verbraucht. Insgeheim besaß er damals in Berlin eine Bibliothek von nahezu viertausend Bänden. Aber auch für teure Zivilkleidung hatte er eine Menge ausgegeben. Er zog sie heimlich an, weil er die Uniform, den „Sterbekittel“, wie er sie nannte, hasste. Jene siebentausend Taler Schulden waren zwar inzwischen beglichen worden – der König, dem die Sache bekannt geworden war, hatte sie bezahlt, zum Teil aus dem Erlös der Bibliothek, die er verkaufte; aber FRIEDRICH hatte längst neue gemacht. GRAF SECKENDORFF vermutete richtig, als er dem Prinzen schrieb:
„Da ich befürchte, daß man während des Aufenthalt in Küstrin nicht umhin konnte, etliche Schulden zu machen, wird es durchaus notwendig sein, dieselben zu zahlen, bevor der König von ihrer Existenz erfährt ...“
Wien bot dem jungen FRIEDRICH eine Jahrespension von 2500 Dukaten. FRIEDRICH nahm den Vorschlag an. Doch musste man vorsichtig sein, denn viele Leute in der Umgebung des Kronprinzen spionierten für den König. Natürlich sollte FRIEDRICH WILHELM nicht wissen, dass sein ältester Sohn von Wien bezahlt wurde. Deswegen schlug SECKENDORFF dem Kronprinzen vor, mit dem Geld aus Wien nicht alle Schulden auf einmal zu begleichen, sondern „Monat für Monat einen Teil derselben“. Seinen Freunden und Gläubigem sollte FRIEDRICH erzählen, er habe von seinem Gehalt Ersparnisse zurückgelegt. So ließ sich das „Heiratsgeschäft“ für beide Seiten gut an. Übrigens erhielt auch FRIEDRICHS Schwester WILHELMINE Geldgeschenke aus Wien, damit sie ihren Bruder entsprechend beeinflusse. FRIEDRICH schrieb nichts mehr von Selbstmord und auch nichts mehr gegen seine Zukünftige. Statt dessen brachte er sein Entzücken über die „Bücher“ zum Ausdruck, die SECKENDORFF ihm geschickt; er sei so begeistert, dass er sie „wieder und wieder lesen“ möchte. Gemeint waren keineswegs Bücher, sondern die Dukaten. Als FRIEDRICH schrieb: „Ich sende lhnen in einem Kuvert das Lied, um das Sie mich baten“, meinte er damit die von SECKENDORFF geforderte Quittung? Während er versprach, dem Kaiser stets seine „Anhänglichkeit und hohe Verehrung“ zu bezeigen, gab er zugleich unumwunden zu, schon wieder „auf dem trockenen“ zu sitzen.
PRINZ EUGEN konnte also mit der Angelegenheit zufrieden sein. Alles lief wie geplant. Aber dann sah PRINZ EUGEN sich plötzlich veranlasst, seine Pläne ganz und gar auf den Kopf zu stellen. Aufgrund einer neuen europäischen Konstellation, bei der Österreich sich England näherte, war man in Wien gerade an dem interessiert, was man lange Jahre mit soviel Aufwand vereitelt hatte: an einer Verbindung FRIEDRICHS mit einer englischen Prinzessin. PRINZ EUGEN versprach Preußens Erstem Minister ein Gut im Wert von vierzigtausend Talern, falls es ihm gelänge, seinen König umzustimmen. GRUMBKOW hielt das für unmöglich und wollte mit der Sache nichts mehr zu tun haben.
Aber der Prinz gab nicht auf. Noch am Tage vor FRIEDRICHS Hochzeit zwang er den GRAFEN SECKENDORFF, zum König zu gehen, um ihm den grotesken Vorschlag zu unterbreiten, nicht FRIEDRICH und ELISABETH CHRISTINE heiraten zu lassen, sondern da ja nun schon sämtliche Hochzeitsgäste und Familienmitglieder versammelt waren – an ihrer Stelle FRIEDRICHS Schwester CHARLOTTE und ELISABETH CHRISTINES Bruder KARL, die allerdings schon so gut wie verlobt waren. FRIEDRICH WILHELM ging darauf nicht ein. Am nächsten Tag, dem 12. Juni 1733, schlossen der 21jährige Kronprinz von Preußen und die 17 Jahre alte Prinzessin ELISABETH CHRISTINE VON BRAUNSCHWEIG-BEVERN die Ehe, die ohne alles Glück blieb.
Auch den Österreichern hat diese Ehe nichts eingebracht. Denn da FRIEDRICH seine Frau überhaupt nicht beachtete, ja gar nicht mit ihr lebte – sie hat nicht ein einziges Mal Schloss Sanssouci betreten dürfen –, hatte sie auch keinerlei Einfluss auf seine Politik. So ist die Rechnung des PRINZEN EUGEN nicht aufgegangen. Doch hat EUGEN FRIEDRICHS Kriege gegen Österreich nicht mehr erlebt. Er war schon fast siebzig Jahre alt, als die von ihm erst angeregte, dann bekämpfte, aber gewissermaßen bezahlte Ehe zustande kam.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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