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- 4.1 Griechenland
- 4.1.1 Die griechische Frühzeit
- Heinrich Schliemann
HEINRICH SCHLIEMANN wurde als Sohn eines mittellosen Predigers am 1. Januar 1822 in Neubuckow in Mecklenburg geboren. Seine Mutter starb früh; der Vater musste aufgrund von starkem Alkoholkonsum die Pastorenstelle wechseln. HEINRICH SCHLIEMANN konnte bald die Schule nicht weiter besuchen, weil der Vater das Geld dafür nicht mehr aufbringen konnte. Dennoch war er ein eifriger Leser von HOMER – die Mythen um die Stadt Troja und den Krieg um die schöne Helena übten eine starke Faszination auf den phantasiebegabten HEINRICH aus. Der Vater inspirierte ihn dabei durch Lesungen und Diskussionen. In den Lebenserinnerungen des knapp 8-Jährigen heißt es:
„Als der Vater mir Jerrers „Weltgeschichte für Kinder“ schenkte und ich eine Abbildung des brennenden Troja fand mit seinen ungeheuren Mauern, da rief ich: „Vater, Jerrer muß Troja gesehen haben, er hätte es ja sonst nicht abbilden können. Wenn solche Mauern einmal gewesen sind, können sie nicht ganz vernichtet sein, sondern sind wohl unter dem Staub und Schutt von Jahrhunderten verborgen.“ Wir kamen überein, daß ich dereinst Troja ausgraben wollte.“
SCHLIEMANN war überzeugt von der geschichtlichen Wirklichkeit der Dichtung HOMERS. Der früh gefasste Entschluss, die Stätten der Ilias auszugraben, befähigte ihn zu ungeheurer Zähigkeit und Ausdauer. Er überwand Not und Elend der Kinderjahre und gelangte zu großem Vermögen, ehe er sich seinen Kindheitstraum verwirklichen konnte.
1836 begann er zunächst eine Lehre als Kaufmann in Fürstenberg, Hamburg und Amsterdam. Seinen Aufstieg im Amsterdamer Handelskontor verdankte er unter anderem seinen umfassenden Sprachkenntnissen. Mithilfe einer selbst erdachten Methode gelang es ihm, sich innerhalb weniger Monate eine bisher unbekannte Sprache anzueignen und sie beinahe perfekt zu beherrschen. So lernte er 1842 Holländisch, Englisch und Französisch, im Jahr darauf Spanisch, Italienisch und Portugiesisch. Im Lauf seines Lebens eignete er sich auf diese Weise insgesamt 12 Sprachen an, darunter Latein und Altgriechisch.
SCHLIEMANN reiste 1842 für zwei Jahre nach Amerika und gründete dort eine Goldgräberbank. Nach der Tätigkeit in verschiedenen Handelshäusern eröffnete er 1847 ein eigenes Kontor in St. Petersburg. Das Vermögen, das er sich dort erwarb, ermöglichte ihm ab 1858 zahlreiche Bildungsreisen in Europa, Ägypten, Indien, China, Japan und Mittelamerika. 1866 nahm er in Paris ein Studium auf (Sprachen, Literatur und Philosophie), das er 1869 mit der Promotion in Rostock beendete. 1868 unternahm SCHLIEMANN die erste zielgerichtete Reise nach Griechenland. Manche Wissenschaftler behaupten, SCHLIEMANN habe sich erst zu diesem Zeitpunkt entschieden, Troja auszugraben.
Mit 48 Jahren ließ sich SCHLIEMANN in Athen nieder und verwirklichte seine Idee, die griechische Frühgeschichte zu erforschen. Unter ausschließlicher Verwendung privater Geldmittel begann er 1870 mit den Ausgrabungen in Kleinasien, zunächst in Troja (1870, 1871/73, 1878/79, 1882), später auch in Mykene (1876), in Orchomenos (1880/81, 1886) und Tiryns (1884/85).
Bei den ersten Grabungen orientierte er sich an den Schilderungen der Ilias und förderte die Mauern einer zerstörten Stadt und andere beeindruckende Ruinen zutage. 1873 fand er in einer Lehmziegelmauer versteckt den sogenannten „Schatz des Priamos“, der zahllose Einzelteile, darunter zwei berühmte goldene Diademe, weiteren Schmuck und andere Gegenstände aus Gold, Silber und Kupfer umfasste. SCHLIEMANN machte diesen Fund „dem deutschen Volke“ zum Geschenk und überführte ihn 1881 in das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte er als Beutegut in die Sowjetunion und ist heute im Puschkin-Museum in Moskau zu besichtigen.
Heute sind Wissenschaftler der Meinung, der Schatz sei weitaus älter und nicht Priamos zuzuschreiben. Auch ob es sich bei dem von SCHLIEMANN ausgegrabenen Troja um das Troja zur Zeit Homers handelt, gilt unter Wissenschaftlern als umstritten.
Kurze Zeit nach dem Fund in Troja machte SCHLIEMANN sich auf die Suche nach Mykene, der Stadt des Homerischen Helden Agamemnon. Dabei orientierte er sich an einem Reisehandbuch über Griechenland, das Pausanias etwa 170 n. Chr. verfasst hatte.
1876 legte er Schachtgräber mit enormen Grabbeigaben frei, die der Burg von Mykene zugehörten. Hier fand er auch das „Grab des Agamemnon“ mit dessen Totenmaske.
Die Funde brachten SCHLIEMANN in den Blick der Weltöffentlichkeit. Besondere Berühmtheit erlangte das Foto seiner Frau SOPHIE SCHLIEMANN, einer gebürtigen Griechin, die mit dem goldenen Stirnreif des trojanischen Schmuckes posierte. Aber auch die archäologische Fachwelt, die ihn bis dahin als Dilettanten abtat, wurde nun auf ihn aufmerksam.
Wissenschaftlich unterstützt wurde SCHLIEMANN ab 1881 hauptsächlich von seinem Assistenten und späteren technischen Leiter WILHELM DÖRPFELD (1863–1940), aber auch von seinem Freund und Förderer RUDOLF VIRCHOW (1821–1902), mit dem er später auch gemeinsame Reisen unternahm.
HEINRICH SCHLIEMANN starb 68-jährig am 26. Dezember 1890 in Neapel.
Schliemanns Verdienste liegen nicht nur darin, bedeutende Stätten des Altertums ausgegraben und damit zur Popularisierung der antiken Welt beigetragen zu haben. Er hat der Archäologie als Wissenschaft zu neuem Ansehen verholfen und sie zugleich mithilfe seiner neuen Methoden modernisiert.
Diese Methoden bezogen sich zum einen auf die Vorbereitung der Grabungen: systematische Auswertung der literarischen Quellen (wie HOMER und PAUSANIAS), topografische Erkundung (Vermessung und Beschreibung von Ort und Lage), Befragung von Einheimischen, Untersuchungen von Proben. Zusammen mit DÖRPFELD entwickelte er für die Grabungen die stratigrafische Methode (Stratigrafie = Schichtenkunde), nach der die Schichten der Erde nach ihrer zeitlichen Entstehungsfolge geordnet und zur Altersbestimmung der Funde herangezogen werden. Über diese Methode gab es zwar schon Veröffentlichungen, dennoch war sie weithin unbekannt.
Zum anderen bezogen sich SCHLIEMANNS neue Methoden auf den Umgang mit den Grabungsfunden selbst, auf das Archivieren nach wissenschaftlichen Maßstäben: sämtliche Ausgrabungsarbeiten dokumentierte er sorgfältig und gewissenhaft. Dabei kam auch die bis dahin nicht übliche Fotografie zum Einsatz. Dass auch als „unwichtig“ oder „wertlos“ eingestufte Keramikteile ebenso zu behandeln seien, musste er gegenüber seinen Mitarbeitern erst durchsetzen.
Trotz aller Verdienste bleibt SCHLIEMANN bis heute einer gewissen Kritik ausgesetzt: Obwohl er für seine Zeit ungewöhnlich sorgfältig mit den Funden umging, hat er bei seinen Ausgrabungsprojekten vieles unwiederbringlich zerstört. Dieser Vorwurf ist berechtigt – selbst wenn man dabei eine gewisse Unerfahrenheit in archäologischen Großprojekten sowie die Dimension der Grabungsunternehmungen (zeitweise waren etwa 200 Mitarbeiter beschäftigt) in Rechnung stellt.
Das Schliemann-Museum im Elternhaus des Archäologen in Ankershagen wurde nach Sanierung 1998 wiedereröffnet.
La chine et le Japon au temps présent (1867, dt.: Reise durch China und Japan im Jahre 1865)
Mykenae. Bericht über meine Forschungen und Entdeckungen in Mykene und Tiryns (1878)
Orchomenos (1881)
Troja. Ergebnisse meiner neuesten Ausgrabungen (Leipzig 1884)
Selbstbiographie (1892 herausgegeben)
Briefwechsel, herausgegeben von Ernst Meyer, 2 Bände (1953)
Abenteuer meines Lebens, herausgegeben von H. A. Scholl (1990)
Bericht über die Ausgrabungen in Troja in den Jahren 1871 bis 1873, herausgegeben von M. Korfmann (1990)
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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