Entwicklung des Eisenbahnwesens

Großbritannien – Mutterland der Eisenbahn

Nach dem Sieg über NAPOLEON hatte sich Großbritannien zur Weltmacht entwickelt. Zugleich war Großbritannien aber auch seit den großen technischen Erfindungen ausgangs des 18. Jahrhunderts die erste und zugleich die führende Industrienation in der Welt.
Zu den vielen bahnbrechenden Erfindungen, die in Großbritannien gemacht wurden, gehörten neben der Dampfmaschine, der Spinnmaschine und dem mechanischen Webstuhl auch die erste Schieneneisenbahn.
Voraussetzung für das Aufkommen der Eisenbahn war zunächst, dass die von JAMES WATT erfundene Dampfmaschine auf Räder gestellt wurde. Das geschah 1802 durch den Briten TREVITHICK. Eine weitere Voraussetzung war der Bau eines Fahrweges. Nach etlichen Experimenten setzten sich dabei Metallschienen durch. 1820 wurden von BIRKINSHAW die ersten gewalzten Metallschienen entwickelt.
Die erste, von GEORGE STEPHENSON konstruierte Lokomotive namens „Locomotion“ brachte es auf der ersten 1825 eröffneten britischen Bahnstrecke lediglich auf 15 km/h. Bereits 5 Jahre später erreicht die wieder von STEPHENSON konstruierte „Rocket“, die mit einem speziellen Röhrenkessel mit Feuerkasten darunter ausgestattet war, bereits eine Spitzengeschwindigkeit von 50 km/h. Mit ihrer Jungfernfahrt auf der neu eröffneten Strecke Liverpool-Manchester begann 1830 das Zeitalter der Eisenbahn.

Eisenbahn und Industrialisierung

Das entstehende Eisenbahnnetz Großbritanniens revolutionierte nicht nur das gesamte Verkehrswesen, sondern förderte auch die Industrialisierung nachhaltig:

Die Eisenbahn stellte ein Transportmittel dar, das mit bis dahin nicht gekannter Geschwindigkeit den Personen- und Gütertransport sowie die Nachrichtenübermittlung beschleunigte.

Durch die Eisenbahn konnten große Mengen lebensnotwendiger Güter, Rohstoffe für die Industrie und die Erzeugnisse der industriellen Massenproduktion, über weite Strecken sicher transportiert und ausgetauscht werden. Damit schuf die Eisenbahn Voraussetzungen für die Entstehung von großen einheitlichen Märkten.

Der Transport per Eisenbahn war nicht nur schneller und sicherer als der mit den bisherigen Verkehrsmitteln. Er war auch kostengünstiger, weil u. a. deutlich weniger Arbeitskräfte benötigt wurden. Diese Einsparungen beim Transport konnten für die Industrialisierung verwendet werden, wodurch sich wiederum die Produktivität der gesamten Wirtschaft erhöhte.

Nicht zuletzt begünstigte der Eisenbahnbau auch die Entwicklung von Großbetrieben, in den die Eisenbahntechnik, Schienen, Lokomotiven, Waggons usw., in den benötigten großen Mengen und rationell hergestellt werden konnten.

Die gekennzeichnete Bedeutung war maßgeblich dafür, dass die Eisenbahn von Großbritannien aus bald ihren Siegeszug in ganz Europa und in Übersee begann.

Deutschland zieht nach

Im politisch zersplitterten Deutschland begann das Eisenbahnzeitalter erst im Jahre 1835 mit der Jungfernfahrt des „Adlers“ auf der Eisenbahnstrecke Nürnberg-Fürth, mit englischer Lokomotive und englischem Lokführer.

Der Eisenbahn standen in den Staaten des Deutschen Bundes zunächst viele Kritiker mit z. T. unsinnigen Gegenargumenten gegenüber:
Die meisten Landesfürsten lehnten Schienenstränge sofort ab, wenn sie über ihre Landesgrenzen hinaus reichten. Fuhrleute protestierten gegen den Bahnbau, weil sie die Konkurrenz der Eisenbahn fürchteten und um ihre Arbeit bangten. Ärzte wiederum sahen durch die Rauchentwicklung und die hohen Geschwindigkeiten Gesundheitsschäden auf die Bevölkerung zukommen und warnten deshalb vor der Eisenbahn.
Einer derjenigen, der sich mit ganzer Kraft für den Aufbau eines bundesweiten Eisenbahnnetzes einsetzte, war seit 1832 der schwäbische Politiker und Ökonom FRIEDRICH LIST. Dieser hatte sich schon vorher für die Beseitigung der Zölle zwischen den deutschen Bundesstaaten eingesetzt, die er als Hindernis für den wirtschaftlichen Aufschwung betrachtete.
Jetzt sah er die außerordentliche Bedeutung des Baus eines Eisenbahnnetzes für die nationale Einigung Deutschlands und für den Aufschwung einer modernen Industrie voraus. LIST forderte, den Ausbau eines weitgespannten Eisenbahnnetzes als Gemeinschaftsaufgabe der deutschen Staaten zu betrachten und entsprechend planvoll vorzugehen.
Nach dem Bau der kurzen Eisenbahnstrecke Nürnberg-Fürth wurde durch LISTs persönliches Eintreten ab 1837 die längere Strecke zwischen Dresden und Leipzig in Angriff genommen. Alle anderen Bahnprojekte, die meist von privater Hand finanziert wurden, liefen jedoch meist planlos und unabgestimmt mit benachbarten Projekten ab.
Dennoch wuchs das deutsche Streckennetz stürmisch. Im Jahre 1840 hatten die Schienenstränge bereits eine Länge von knapp 550 km erreicht. Zehn Jahre später waren es schon rund 6000 km; und im Jahre 1870 rollten auf 20 000 km Schienenwegen Eisenbahnen durchs Land.
Der Ausbau des Schienennetzes wurde vor allem dann auch planvoller betrieben, als der preußische Generalstab die Bedeutung der Eisenbahn für die Kriegführung erkannte. So konnten im Deutschen Krieg von 1866 und im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 wesentlich schneller Truppen und Kriegsmaterial bewegt werden.

Mit dem Bau der Eisenbahn begann auch in Deutschland die industrielle Revolution. Im Jahre 1841 hatte in Berlin die von AUGUST BORSIG gegründete Maschinenfabrik mit Eisengießerei die Lokomotivenproduktion begonnen. Wenige Jahre später wurden auch in Chemnitz von den Gebrüdern Hartmann Lokomotiven hergestellt. Borsig entwickelte sich bald zur größten europäischen Lokomotivfabrik.
Der Lokomotivenbau gab seinerseits wieder Anstöße für den Aufschwung der Eisen- und Stahlindustrie und nicht zuletzt für den Kohle- und Eisenerzbergbau.
Vor allem in der Eisen- und Stahlindustrie entstanden Großunternehmen, wie Krupp, Klöckner, Mannesmann im Ruhrgebiet oder Borsig in Berlin, die bald Weltruf erlangten.

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