Die Zeit der ungleichen Verträge

Im Jahre 1842 erlitt China im Opiumkrieg eine Niederlage gegen Großbritannien. In diesem Krieg ging es Großbritannien allerdings weniger um die Legalisierung der Opiumimporte aus Indien. Wesentlich wichtiger war den Briten die Öffnung des Riesenlandes für den westlichen Handel und für christliche Missionare.

Zwischen 1842 und 1860 wurden deshalb China von europäischen Mächten eine Reihe von Verträgen aufgezwungen. Diese Verträge räumten den europäischen Mächten umfangreiche Privilegien ein, ohne dass sie dafür irgendwelche Gegenleistungen erbringen mussten. Zu diesen Privilegien gehörten u. a.:

  • ein außergewöhnlich niedriger Einfuhrzoll für alle ausländischen Waren, der auch noch von einer durch Ausländer geprägten Behörde kontrolliert wurde,
  • das Recht für Europäer, sich in zahlreichen chinesischen Städten uneingeschränkt niederzulassen und Geschäfte zu tätigen,
  • die Einrichtung sogenannter offener Häfen (treaty ports) mit günstigen Zöllen und Steuern und
  • die freie Missionstätigkeit christlicher Missionare im ganzen Reich.

Die Abkommen wurden von chinesischen Publizisten später auch als „ungleiche Verträge“ bezeichnet; waren sie doch der chinesischen Regierung z. T. mit blanker Erpressung aufgezwungen worden. Sie bedeuteten für China, dass der riesige Markt des Landes von Ausländern beherrscht wurde.

Politische Unabhängigkeit

China konnte dennoch seine politische Unabhängigkeit erhalten. Bis 1895 stand kein größeres Gebiet des Reichs unter kolonialer Herrschaft. Lediglich in Shanghai, dem größten und wirtschaftlich bedeutendsten der offenen Häfen, und in Hongkong übten Europäer die direkte Kontrolle aus.
Die Öffnung des Marktes erfasste aber nicht alle Gebiete des Riesenreiches gleichermaßen. Vielmehr gab es einen deutlichen Unterschied zwischen

  • den unter westlichem Einfluss stehenden Küstenregionen („blaues“ China) und
  • dem chinesischen Binnenland („gelbes“ China).

Im Landesinneren gab es keine Schwemme westlicher Waren, und der Handel mit ihnen befand sich in den Händen einheimischer Kaufmannsorganisationen.
Die einzige größere Gruppe von Ausländern, die sich im Landesinneren bewegte, waren christliche Missionare.

Die Epochenwende von 1895

Ab 1895 veränderte sich die gekennzeichnete Situation im Lande grundlegend:
China hatte 1895 den Krieg gegen Japan um die Herrschaft über Korea verloren. Dadurch hatte auch das internationale Ansehen des Landes gelitten, was erhebliche Folgen hatte.
Das durch seinen Sieg über China zur Großmacht aufgestiegene Japan besetzte die Provinz Taiwan und diktierte China unglaublich hohe Kriegsentschädigungen. Da die Kassen leer waren, konnten diese nur über den internationalen Finanzmarkt finanziert werden. Anleihe folgte auf Anleihe und immer zu für China äußerst ungünstigen Bedingungen.
Durch die wachsende Verschuldung geriet China in immer stärkere wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von den Europäern.
Nach 1895 kamen noch weitere Gebietsabtretungen dazu, z. B.:

  • Das Territorium des von den Briten beherrschten Honkong wurde um die „New Territories“ bedeutend erweitert.
  • In Nordchina eroberte ein Marineverband des Deutschen Reiches den Hafen von Tsingtau mit den umliegenden Gebieten.

Das chinesische Kernland mit seinen reichen Provinzen blieb jedoch von fremder Herrschaft noch verschont.
Wichtiger als die Gebietsabtretungen war allerdings die nun folgende wirtschaftliche Durchdringung Chinas durch die Westmächte. So war es den Ausländern nun auch erlaubt, in den „offenen Häfen“ Betriebe zu errichten und ganze Industrien anzusiedeln.
Außerdem wurden weite Teile des Landes durch mit ausländischem Kapital finanzierte Eisenbahntrassen erschlossen. Nun konnten westliche Waren und Güter bis in die entlegendsten Winkel des Riesenreiches gelangen.
Alles in allem markierte das Jahr der Niederlage im Chinesisch-Japanischen Krieg für China eine wichtige Wende in seiner Entwicklung.

Entstehung der Boxerbewegung

Im Sommer 1898 kam es in Nordchina aufgrund von Flut- und Dürrekatastrophen unter der bäuerlichen Bevölkerung zu Unruhen. Verschärft wurden die Spannungen noch durch das aggressive Vorgehen christlicher Missionare. Diese hatten sich zwar schon früher ständig in die inneren Angelegenheiten der chinesischen Dorfgemeinschaften eingemischt. Die Anwesenheit europäischer Truppen, in diesem Fall die Besetzung Tsingtaus und seines Hinterlandes durch Truppen des Deutschen Reiches, ermutigte die Missionare jedoch zu noch willkürlicheren Vorgehensweisen.
Teile der chinesische Bevölkerung sahen enge Verbindungen zwischen den Naturkatastrophen und der zunehmenden Einmischung der Ausländer. Um sich dagegen zu wehren, wurden im Land die Traditionen des magisch beeinflussten Faustkampfes wiederbelebt. Mit den Ritualen des Faustkampfes sollten die bösen Mächte gebannt und die eigene Unverwundbarkeit gestärkt werden.
In einigen Regionen Chinas sammelten sich bald junge Faustkämpfer zu einer Bewegung für die Unterstützung des Kaisers und die Vertreibung der Ausländer.
Die Bewegung wurde in China „yi hetuan“ bezeichnet. Ausländern sprachen von den Boxern.
Ab 1899 verbreiteten sich solche Boxergruppen über ganz Nordchina, und es kam zu Übergriffen gegen Ausländer. Anfang 1900 wurde ein britischer Missionar als erster Fremder von Boxern getötet. Daraufhin verlangten die Großmächte vom Kaiserhof in Peking die Unterdrückung der Boxerbewegung.
Im Mai 1900 unterbrachen Boxer die Eisenbahnlinie zwischen Peking und der Küste. Damit waren die Ausländer in Peking isoliert. Die europäischen Gesandtschaften in der Stadt wurden belagert, und der deutsche Gesandte KLEMENS VON KETTELER ermordet. Der Kaiserhof unterstützte nach langem Zögern die aufständischen Boxer und erklärte schließlich den in China engagierten Großmächten den Krieg.
Diese stellten gegen den Boxeraufstand ein internationales Expeditionskorps auf. Dieses Korps bestand aus Soldaten aller europäischen Großmächte sowie der USA und Japans. Den Oberbefehl über die Truppe erhielt Generalfeldmarschall ALFRED VON WALDERSEE, ehemaliger Chef des preußischen Großen Generalstabs.
Am 14. August 1900 befreite die Expeditionsarmee die ca. 1000 in Peking eingeschlossenen Ausländer. Danach wurde die Stadt in großem Stil geplündert und verwüstet.
Während der Kämpfe, der kaiserliche Hof war aus der Stadt geflohen, waren 229 Ausländer getötet worden. China wurde deshalb zu umfangreichen Wiedergutmachungen gezwungen, die im sogenannten Boxerprotokoll festgeschrieben wurden. Die schwerwiegendste Forderung war die auf 39 Jahre verteilte „Boxerentschädigung“. Sie umfasste die für die damaligen Verhältnisse unglaubliche Summe von 67,5 Millionen Pfund Sterling. Die Entschädigung wurde nach einem Schlüssel unter den acht beteiligten Großmächten aufgeteilt. Für die Entschädigungszahlungen musste die chinesische Regierung zwischen 1901 und 1910 die Hälfte ihres Staatshaushaltes aufwenden, was zu drastischen Steuererhöhungen führte.
Aber noch weitere Sühnemaßnahmen waren festgelegt worden:

  • Dem getöteten deutschen Gesandten, Freiherr VON KETTELER, musste ein Gedenkstein errichtet werden.
  • Außerdem musste eine Sühnegesandschaft nach Deutschland entsandt werden.
  • Die Rädelsführer des Aufstands mussten verfolgt und bestraft,
  • der Zugang zum Gesandtschaftsviertel verboten und
  • die Besetzung bestimmter Gebiete zwischen Peking und dem Meer durch ausländische Kräfte legalisiert werden.

China hatte damit den Tiefpunkt seiner internationalen Stellung erreicht und seine staatliche Souveränität faktisch verloren:
In Nordchina war jede staatliche Autorität zusammengebrochen. Die Kernprovinzen blieben zwar immer noch von ausländischer Herrschaft verschont. Die Gesandten der Großmächte bildeten aber in Peking den sogenannten„diplomatic body“. Dabei handelte es sich um eine Art Kontrollrat, von dessen Entscheidungen die chinesische Regierung fortan abhängig war.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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