- Lexikon
- Geschichte
- 7 Von der Reformation bis zum Absolutismus
- 7.7 Aufgeklärter Absolutismus
- 7.7.1 Die Aufklärung
- Die europäische Aufklärung: Das Zeitalter der Vernunft
Als europäische Geistesströmung prägte die Aufklärung vor allem in Deutschland, Frankreich und England das 18. Jahrhundert. Sie stand unter dem Eindruck der vorausgegangenen naturwissenschaftlichen Umwälzungen (GALILEI, KEPLER, NEWTON, HUYGENS, LAPLACE) und erschütterte das bis dahin vorherrschende scholastische Welt- und Denkbild einer auf Gott gegründeten natürlichen Ordnung. Durch ihre Kritik der traditionellen, meist religiös bedingten Vorurteile wollten die Aufklärer die menschliche Vernunft aus der Abhängigkeit von Kirche und Staat befreien. Den langen Schatten des Mittelalters, die ihrer Ansicht nach das Denken verdunkelten, hielten sie das Licht einer sich selbst bestimmenden Vernunft und die Ideale von geistiger Freiheit, Gleichheit, Bildung und Toleranz entgegen.
Das aufklärerische Denken beruft sich zur Begründung seiner Erkenntnisse auf Methoden der Naturwissenschaften. Beobachtung, Erfahrung und methodisches Vorgehen sollen den Erkenntnissen Allgemeingültigkeit sichern und sie ebenso allgemein überprüfbar machen. Mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit wandten sich die Aufklärer an eine gebildete Öffentlichkeit, die zwar noch zahlenmäßig klein, aber äußerst aktiv war. Ihren Kern bildete das sogenannte „neue Bürgertum“, das in Preußen hauptsächlich Beamte, Professoren, Offiziere und fortschrittliche Adlige umfasste.
Die Grundsätze der Aufklärung prägten das Selbstverständnis der bürgerlichen Kultur und ersetzten in weiten Teilen Deutschlands die fehlende politische Mitbestimmung. In Büchern, Zeitschriften, Diskussionsrunden (z.B. den berühmten Salons von HENRIETTE HERTZ und RAHEL VARNHAGEN), sowie in Lese- und Geheimgesellschaften (Logen) wurde die Verbreitung aufklärerischer Gedanken vorangetrieben.
Zu den Hochburgen der Aufklärung zählten die Akademie- und Universitätsstädte – im Falle Preußens: Berlin, Halle, Frankfurt/Oder und Königsberg. Ein wichtiges Sprachrohr der Aufklärung war die „Berlinische Monatszeitschrift“, in deren Dezember-Ausgabe von 1783 der Königsberger Philosoph IMMANUEL KANT seinen berühmten Artikel zur „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ veröffentlichte.
KANT beginnt seinen Aufsatz mit folgenden Worten:
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern ... des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“
Im Weiteren schränkt KANT die Freiheit der Vernunft allerdings auf ihren öffentlichen Gebrauch ein, „den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht“. Als Privatperson, d.h. für KANT als Staatsbürger und in seinem Beruf, sei der Einzelne jedoch zu Gehorsam verpflichtet. Auf diese Weise weicht er dem Dilemma aus, das der von FRIEDRICH II. vertretene aufgeklärte Absolutismus hervorruft. Der preußische König hatte die Parole ausgegeben: „Räsoniert soviel ihr wollt, aber gehorcht“. Weil KANT die Freiheit des Denkens als Befreiung von religiöser Bevormundung versteht, kann er dem Ausspruch FRIEDRICHS II. nicht nur zustimmen, sondern das Zeitalter der Aufklärung sogar als Jahrhundert FRIEDRICHS bezeichnen.
Doch KANT war nicht der einzige, der eine öffentliche Antwort auf die Frage „Was ist Aufklärung?“ gab. Noch vor ihm hatte sich die herausragende Gestalt der jüdischen Aufklärung (Haskala), MOSES MENDELSSOHN, in derselben Zeitschrift geäußert. Für MENDELSSOHN stellt die Aufklärung den theoretischen Teil der Bildung des Menschen dar, während die praktische Seite Kultur genannt wird. Um die wesentlichen Bestimmungen des Menschen, unabhängig von seinen praktischen Fähigkeiten, zur Geltung zu bringen, bedarf es der Aufklärung. Die Aufgabe des Staates besteht laut MENDELSSOHN deshalb darin, die Rechte und Pflichten eines jeden Bürgers mit seiner Bestimmung als Mensch vereinbar zu machen:
„Ich setze allezeit die Bestimmung des Menschen als Maß und Ziel aller unserer Bestrebungen und Bemühungen.“
Die Frage nach der Aufklärung, die der Berliner Pfarrer JOHANN FRIEDRICH ZÖLLNER in einem Artikel gegen die Zivilehe eher am Rande aufgeworfen hatte, rief gegen Ende dieser Epoche ein sehr großes Echo hervor. In der „Deutschen Monatsschrift“ listete ein anonymer Verfasser allein für den Zeitraum von 1785 bis 1789 zwanzig Titel zu diesem Thema auf. Außer MENDELSSOHN und KANT stellten weitere bedeutende Persönlichkeiten in unterschiedlicher Form ihren Standpunkt dar. Dazu gehörten:
GOTTHOLD EPHRAIM LESSING, dessen Theaterstück „Nathan der Weise“ für die religiöse Toleranz eintritt;
der Dichter CHRISTOPH MARTIN WIELAND, Herausgeber des „Teutschen Merkur“;
der Theologe ANDREAS RIEM, dessen Protestschrift „Über Aufklärung“ den nach dem Tod FRIEDRICHS II. erlassenen Zensurbestimmungen zum Opfer fiel. RIEM wurde aus Preußen ausgewiesen.
Wenngleich die Frage danach, was Aufklärung bedeutet, erst gegen Ende des 18. Jh. diskutiert wurde, reichten ihre Ideen bis in das 17. Jh. zurück.
In England schuf die „Glorreiche Revolution“ von 1688 die Voraussetzungen für ein aufgeklärtes Denken.
Zu den wichtigsten Vertretern der englischen Aufklärung (enlightenment) gehörte JOHN LOCKE (1632–1704). Im Anschluss an die englische Revolution veröffentlichte LOCKE eine Reihe von Schriften zu den zentralen Themenbereichen der Aufklärung: Toleranz, Regierungsform, menschlicher Verstand und Erziehung. Er sprach sich für unveräußerliche Menschenrechte, die politische Mitbestimmung aller Bürger und die Idee der Gewaltenteilung aus. Als Empirist war er der Überzeugung, dass die Erfahrung Quelle aller Erkenntnisse ist, und wies daher die rationalistische Behauptung eingeborener Ideen entschieden zurück.
Noch radikaler als LOCKE fasste der schottische Philosoph DAVID HUME (1711–1776) den Empirismus als Erfahrungslehre auf. Seiner Ansicht ist der Mensch bei seiner Geburt ein leeres Blatt, das erst durch die Erfahrung beschrieben wird. Weil aber die Erfahrung aus der Verknüpfung von Sinneseindrücken im menschlichen Geist entspringt, gibt sie keine Gewähr für eine objektive Welterkenntnis (HUMES Skeptizismus).
Auch in die Religion fanden aufklärerische Ideen Eingang. In England erteilte der Deismus dem Glauben an Wunder und göttliche Offenbarungen eine Absage. Denn dieser Theorie zufolge hat Gott die Welt nach der Erschaffung ihren eigenen Entwicklungsgesetzen überlassen, die sich kausal, durch Ursache und Wirkung, erkennen lassen.
Dieser Ansicht hingen auch die französischen Enzyklopädisten D'ALEMBERT und DIDEROT an. Ihre Enzyklopädie, die von 1751 bis 1772 in 35 Bänden erschien, sollte das gesamte Wissen der Zeit auf verständliche Weise aufbereiten und der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Zu den wichtigsten Vertretern der Aufklärung in Frankreich (les lumières) zählt JEAN-JACQUES ROUSSEAU (1712–78). Dem französischen Absolutismus, der seinen Herrschaftsanspruch aus der göttlichen Ordnung herleitet, hält er das Vertragsmodell entgegen. Die politische Herrschaft gründet für ROUSSEAU auf einem impliziten Gesellschaftsvertrag (Contrat social). Erfüllt die Regierung ihre Aufgaben nicht, können die Regierten ihr Treue und Gehorsam aufkündigen. In seinem Erziehungsroman „Émile“ setzt sich ROUSSEAU für eine von gesellschaftlichen Zwängen und Rangunterschieden befreite Erziehung ein:
„Mein Schüler ... erhält seinen Unterricht von der Natur und nicht von den Menschen ... In der natürlichen Ordnung sind alle Menschen gleich; ihre gemeinsame Berufung ist: Mensch zu sein. Wer dafür gut erzogen ist, kann jeden Beruf nicht schlecht versehen.“
An diesem Zitat lässt sich auch der Leitgedanke ROUSSEAUS – „Zurück zur Natur“ – ablesen. Seiner Ansicht nach ist der Mensch von Natur aus gut, wird aber durch gesellschaftliche Einflüsse verdorben. Indem ROUSSEAU die Freiheit und Gleichheit der Menschen in der Natur verankert, setzt er sich vom aufklärerischen Vernunftideal ab.
Der französische Baron und Schriftsteller MONTESQUIEU erlangte durch seine Schrift „Der Geist der Gesetze“ (1748) große Bedeutung. Diese Schrift macht gegen die absolutistische Herrschaft das Prinzip der Gewaltenteilung geltend. Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung sollen nicht mehr in einer Hand liegen, sondern unabhängig voneinander sein, um die Bürger vor staatlicher Willkür zu schützen.
Durch seinen Kampf gegen den religiösen Fanatismus der Kirche, für die Gleichstellung aller Menschen und die damit verbundene Befreiung der Bauern aus der Leibeigenschaft machte sich VOLTAIRE (1694–1778) zum Wortführer der Aufklärung nicht nur Frankreichs. Denn als Freund FRIEDRICHS II. prägte er das Profil des aufgeklärten Absolutismus in Preußen.
Die kritische Philosophie von IMMANUEL KANT beschließt die Epoche der Aufklärung. In drei Kritiken:
Kritik der reinen Vernunft (1781),
Kritik der praktischen Vernunft (1788),
Kritik der Urteilskraft (1790)
untersucht KANT die Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis, der Freiheit und des Schönen.
Seine Erkenntnisphilosophie begrenzt das objektive Wissen auf den Bereich der Erfahrung. Die Erfahrung gründet im Erkenntnisvermögen des Subjekts, seiner raum-zeitlich bedingten Anschauung und seinen Verstandesbegriffen. Alles, was die Erfahrung übersteigt, weil ihm nichts in der Anschauung entspricht, kann zwar gedacht, nicht aber erkannt werden. Das gilt insbesondere für die Ideen von Gott, Freiheit und der Unsterblichkeit der Seele.
In der „Kritik der praktischen Vernunft“ stellt KANT seine Moralphilosophie vor. Auch wenn sich die Freiheit des Menschen nicht objektiv erkennen lässt, kann er seinen Willen doch unabhängig von Instinkten, Neigungen und Bedürfnissen bestimmen. In dieser freien Willensbestimmung gibt sich der Mensch aus Vernunft selbst das Gesetz des Handelns vor (Autonomie). Der Grundsatz der freien, vernünftigen Willensbestimmung wird von KANT als kategorischer Imperativ bezeichnet:
„Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“
Die „Kritik der Urteilskraft“ markiert bereits den Übergang zur Philosophie des Deutschen Idealismus und zur Romantik. Das Naturschöne erweist sich darin als freies Spiel von Einbildungskraft und Verstand, das zwar keine Erkenntnis hervorbringt, aber doch das Gefühl vermittelt, dass die Natur dem Erkenntnisvermögen des Menschen entspricht. Die schöne Kunst ist das Werk des Genies, des Günstlings der Natur. Denn Kunstwerke wirken laut KANT nur als schön, wenn sie wie die Naturschönheiten (Blumen, Kristalle) an keinen Zweck und keine Absicht denken lassen.
Der Skeptizismus HUMES und die kritischen Werke KANTS weisen den Vernunft-Optimismus der Aufklärung in seine Schranken. Während sich die Französische Revolution von 1789 die aufklärerischen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf ihre Fahnen schreibt, werden in Preußen unter FRIEDRICH WILHELM II. die Zensurbestimmungen verschärft. Das 1788 erlassene Zensuredikt wandte sich gegen alle Veröffentlichungen, die
„die Grundwahrheiten der Schrift (also der Bibel) zu untergraben ... und auf unverschämte Weise unter dem Namen der Aufklärung zahllose und allgemeine Irrtümer“
verbreiteten.
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