Deutsche Kolonialpolitik in Afrika – Hereroaufstand

Der Wettlauf um Afrika

In den 70er-Jahren des 19. Jh. setzte in den europäischen Staaten ein Umschwug in der öffentlichen Meinung in der Bewertung eigener kolonialer Besitzungen ein. Durch eine neue Welle des Nationalismus wurden die Regierungen unter Druck gesetzt, Kolonien zu erwerben, um dadurch Absatzmärkte für die heimische Industrie zu gewinnen und strategische Vorteile gegenüber anderen Staaten zu erlangen.
Ab Mitte der 80er-Jahre begann der „Wettlauf um Afrika“ (scramble for Africa), wie die britische Tageszeitung „Times“ in ihrer Ausgabe am 14. September 1884 es erstmals formulierte. Dabei handelte es sich weniger um eine bewaffnete Auseinandersetzung als vielmehr um ein strategisches und diplomatisches Ringen um Einflusssphären.
Ende des 19. Jh. war die Aufteilung des afrikanischen Kontinents vollendet. Die Bedeutung dieses schwerwiegenden Einschnitts für die afrikanischen Gesellschaften kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Über 100 Millionen Afrikaner und mehr als 16 Millionen Quadratkilometer afrikanischen Bodens gelangten in nur etwas mehr als zwei Jahrzehnten unter europäische Herrschaft. Einzig Äthopien und Liberia blieben von der Kolonialisierung verschont.

Deutsche Kolonialpolitik in Afrika

Auch in Deutschland kam es nach der Reichsgründung, getragen von einer Woge nationaler Begeisterung, zu Bemühungen, Kolonialbesitz zu erwerben. In den ersten Jahren wurden diese Bestrebungen vor allem von Kaufleuten unternommen. So waren es hauptsächlich geschäftlich begründete Unternehmungen von Kaufleuten aus den Hansestädten, die noch völlig unkoordiniert verliefen. Erst mit der Gründung der „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ am 28. März 1884 breitete sich immer mehr ein systematischer Kolonialisierungsgeist aus. Die Gesellschaft machte es sich zur Aufgabe, Kapital zu beschaffen, geeignetes Kolonialgebiet zu erwerben und die deutsche Auswanderung gezielt dorthin zu lenken. Einer ihrer wichtigsten Männer war der Kaufmann CARL PETERS.
In den ersten Jahren lehnte BISMARCK eine offizielle Beteiligung der deutschen Politik an den Kolonialisierungsbestrebungen strikt ab. Er wollte sich mit dem Erreichten zufriedengeben und strebte zunächst eine innere Stabilisierung des Deutschen Reichs an. Mit dieser bewussten Zurückhaltung wollte er auch die anderen europäischen Mächte nicht unnötig provozieren.
Erst ab 1884 wurden die von Kaufleuten gegründeten deutschen Niederlassungen in Afrika unter den Schutz des Reiches gestellt. Dies bedeutete aber noch keine staatlich betriebene Kolonialisierung. BISMARCK blieb weiterhin zurückhaltend in seiner Politik. Er stellte lediglich Schutzbriefe aus, um auf diese Weise private Investitionen durch eine Schutzgarantie des Reiches zu beschirmen. Allerdings galt dies nur, wenn die privaten Investitionen erfolgreich waren.
Erst ab 1890 begann unter der geänderten deutschen Außenpolitik mit dem Streben nach Weltmacht auch eine neue Kolonialpolitik. Verlangten doch die Weltmachtträume auch nach großen deutschen Kolonien in Übersee.

Die Kongokonferenz 1884/85

Die Westafrikakonferenz tagte vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 unter dem Vorsitz des Reichskanzlers OTTO VON BISMARCK in Berlin. Dreizehn europäische Staaten sowie die USA und das Osmanische Reich waren vertreten. Offiziell waren die Vertreter zusammengekommen, um den freien Zugang für Handel und Mission in Afrika für alle Nationen festzulegen. Erreicht wurden Abkommen über die freie Schifffahrt auf Niger und Kongo, die Schaffung einer Freihandelszone im Kongo und die Erklärung der Missionsfreiheit.
Gleichzeitig legte die Konferenz aber Kriterien für die völkerrechtliche Anerkennung von Kolonialbesitz fest. Damit wurde ein Wettlauf um die noch nicht besetzten Gebiete und um die endgültige Abgrenzung des bisherigen Besitzstandes ausgelöst, an dem sich auch das Deutsche Reich beteiligte.

Deutsche Kolonialbesitzungen in Afrika

Den Beginn deutscher Kolonialerwerbungen bezeichnet die Schutzerklärung des Reiches über die Erwerbungen des Bremer Tabakwarenhändlers FRANZ ADOLF EDUARD LÜDERITZ in Südwestafrika am 24. April 1884. LÜDERITZ hatte ein Gebiet von 580 000 km² mit etwa 200 000 Einwohnern erworben. Es erstreckte sich vom portugiesischen Kunene bis zum kapholländischen Oranje unter Ausschluss der britischen Walfischbai. 1890 kam durch den deutsch-britischen Kolonialausgleich mit dem Helgoland-Sansibar-Vertrag noch der sogenannte Caprivi-Zipfel hinzu. Dadurch wurde die Kolonie im äußersten Nordosten mit dem Fluss Sambesi verbunden. Das Schutzgebiet umfasste nun mit Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, seine endgültigen Grenzen.
Nach Deutsch-Südwest gelangten Togo und Kamerun unter den Schutz des Reiches. Bereits in den 70er-Jahren hatten sich hanseatische Handelshäuser an der Küste Westafrikas neben britischen Firmen eine führende Position erobert. Am 14. Juli 1884 stellte das Reich das Gebiet am Kamerun-Fluss unter seinen Schutz. Bereits am 5. und 6. Juli hatte der vom Reich bestellte Sonderbeauftragte GUSTAV NACHTIGALL das Togo-Gebiet unter kaiserlichen Schutz gestellt.
In Ostafrika schuf CARL PETERS im Auftrag der „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ handstreichartig die Grundlage für die spätere Kolonie Deutsch-Ostafrika. In nur wenigen Wochen konnte er gegen geringfügige Geschenke und wertlose Versprechen mit den örtlichen Herrschern „Verträge“ abschließen und so ein Gebiet von insgesamt 140 000 km² erwerben. Bereits am 27. Februar 1885 erhielt er den kaiserlichen Schutzbrief.
Im Helgoland-Sansibar-Vertrag vom 1. Juli 1890 wurde der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft gegen eine Zahlung von vier Millionen Mark an den Sultan von Sansibar die Festlandsküste überlassen. Die Inseln Sansibar und Pemba wurden zum britischen Protektorat erklärt. Im Gegenzug trat Großbritannien Helgoland an das Deutsche Reich ab.
Damit waren die kolonialen Erwerbungen des Deutschen Reiches in Afrika beendet. Im Gegensatz zu Frankreich oder Großbritannien besaß Deutschland keine zusammenhängenden Kolonialgebiete. Dieser strategische Nachteil machte sich dann deutlich im Ersten Weltkrieg bemerkbar, als die einzelnen, isolierten deutschen Kolonien nicht lange verteidigt werden konnten.

Der Hereroaufstand 1904

Am 12. Januar 1904 brach der Hereroaufstand aus. Auslöser waren Gewalt und eine ungeschickte Politik durch die deutschen Kolonialherren. Die Herero wurden von ihrem Oberhäuptling SAMUEL MAHARERO angeführt.
Im Oktober schlossen sich die Namastämme unter ihrem Oberhäuptling HENDRIK WITBOOI dem Aufstand der Herero an. Bereits im August waren die Herero in der Schlacht am Waterberg entscheidend geschlagen und in die wasserlose Kalahari-Wüste abgedrängt worden.

Es begann ein wahrer Vernichtungsfeldzug gegen die Herero auf der Grundlage der Befehle des Oberbefehlshabers der deutschen Schutztruppe, Generalleutnant LOTHAR VON TROTHA. Diese Befehle wurden von Berlin zwar widerrufen, aber im Ergebnis führte die Vernichtungsstrategie TROTHAS und die anschließende Behandlung der Gefangenen dazu, dass von insgesamt 80 000 Hereros 75–80 % und von ungefähr 20 000 Nama über die Hälfte umkamen.
Auslöser des Aufstands war einmal das Verhalten der deutschen Kaufleute, die mit ihrem Wucher und dem gewaltsamen Eintreiben von Schulden Empörung unter der einheimischen Bevölkerung auslösten. Zum anderen war es der ungewohnte Branntwein, der die Hereros verdarb und ihre althergebrachten Formen des Zusammenlebens zerstörte.
Hauptursache für den Aufstand waren:

  • zunehmender Landverlust für die Herero durch deutsche Siedler,
  • die deutsche Politik der Eingeborenenreservate,
  • der Wucher von europäischen Händlern,
  • zunehmende Verschuldung,
  • Fälle von nicht geahndeten Vergewaltigungen an Hererofrauen,
  • zunehmende Misshandlungen von Herero,
  • Morddrohungen gegen SAMUEL MAHARERO.

Besonderer Anlass waren aber die zahlreichen, durch die Kolonialregierung ungesühnten Vergewaltigungen von Hererofrauen durch Weiße. Zahlreiche Männer, die ihre Frauen und Töchter beschützen wollten, wurden erschossen. Bei solchen Vergewaltigungen brach dann auch der Aufstand aus und war nicht mehr zu bremsen.
Der Hereroaufstand und die fast völlige Vernichtung der Bevölkerung des Stammes war die dunkelste Stunde der deutschen Kolonialpolitik in Afrika.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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