- Lexikon
- Geschichte
- 7 Von der Reformation bis zum Absolutismus
- 7.5 Der Dreißigjährige Krieg 1618-1648
- 7.5.1 Konfessionelle Gegensätze
- Der folgenschwere Fenstersturz zu Prag
Es war kein Unglücksfall und auch kein zufälliges Ereignis, was sich im Mai 1618 auf der Prager Burg, dem Hradschin, abspielte:
Nach erregtem Wortwechsel wirft eine Gruppe erboster böhmischer Adliger zwei Statthalter des verhassten habsburgischen Kaisers in Wien und ihren Schreiber in hohem Bogen aus dem Südwestfenster des Grünen Zimmers im Prager Hradschin. Alle drei überlebten zwar den Sturz aus etwa 17 m Höhe, da sie im Burggraben weich auf Misthaufen landeten. Dennoch hatte der Prager Fenstersturz gewichtige Folgen: Er war Auslöser militärischer Auseinandersetzungen zwischen den böhmischen Ständen und dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, aus denen schließlich der Dreißigjährige Krieg hervorging, an dem die Mächte halb Europas beteiligt waren.
Im Deutschen Reich gab es nach der Reformation wie in nahezu ganz Europa sich zuspitzende Rivalitäten zwischen protestantischen und katholischen Fürsten. Diese hatten sich nach 1608 zu zwei verfeindeten Lagern, der Union und der Liga, zusammengeschlossen.
In Böhmen gab es ein zusätzliches Problem, das den Religionskonflikt noch verschärfte: Der römisch-deutsche Kaiser RUDOLPH II., der auch Landesherr und König von Böhmen war, war katholisch. Die böhmischen Stände waren dagegen evangelisch.
RUDOLPH II. hatte den böhmischen Ständen 1609 im sogenannten Böhmischen Majestätsbrief die freie Ausübung der Religion, den Verzicht auf gewaltsame Bekehrungsversuche und die Wiedereröffnung der Universität zugesichert. Wenige Monate später starb er jedoch in geistiger Umnachtung. Zunächst wurde sein Bruder zum neuen römisch-deutschen Kaiser gewählt und nach diesem 1617 der streng katholische Habsburger FERDINAND II.
Dieser weigerte sich, den im Majestätsbrief von RUDOLPH II. den böhmischen Ständen zugebilligten Religionsfrieden zu respektieren. Die bald einsetzenden Gewaltmaßnahmen des Kaisers gegen ihren Glauben, z. B. die Schließung der protestantischen Kirchen in zwei Orten an der schlesischen und sächsischen Grenze, riefen den Widerstand der Protestanten hervor. Als der Kaiser deren Beschwerden als unbegründet zurückwies und nicht von ihm genehmigte Versammlungen der böhmischen Stände verbot, zogen die erbosten Vertreter der Stände auf die Prager Burg. Die protestanten- und ständefeindliche Haltung des Kaisers eskalierte zum Fenstersturz.
Insofern war der Prager Fenstersturz Höhepunkt eines jahrhundertealten Kampfes um mehr monarchische oder mehr ständische Herrschaft im Königreich Böhmen. Schon 200 Jahre früher, am 30. Juli 1419, hatte dieser Streit zu einem Fenstersturz geführt. Auch der hatte das Signal für den Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzungen gegeben, für die Hussitenkriege.
Nach dem Prager Fenstersturz bemühten sich die böhmischen Stände um den Beistand der protestantischen Fürstenvereinigung des Reiches, der Union. Sie erklärten Kaiser FERDINAND II. im August 1619 als König von Böhmen für abgesetzt. Zum neuen König von Böhmen wählten sie den Führer der Union, den pfälzischen Kurfürsten FRIEDRICH V. Seine Krönung erfolgte bereits im November 1619 im Veitsdom auf dem Hradschin. Nachhaltige Hilfe erhielten die Böhmen von der Union gegen den Kaiser jedoch nicht.
FERDINAND II. dagegen erhielt die Unterstützung der in der Liga verbündeten katholischen Fürsten und darüber hinaus des katholischen Spanien. Unter der Führung von Graf VON TILLY fiel das Heer der Liga in Böhmen ein. In der Schlacht am Weißen Berg in unmittelbarer Nähe von Prag wurden die Aufständischen im November 1620 geschlagen. Nach dem Sieg der Kaiserlichen floh Kurfürst FRIEDRICH V. in die Niederlande, 27 Anführer des böhmischen Aufstands wurden hingerichtet, und ihre Güter wurden eingezogen. In Böhmen wurde der Katholizismus wiederhergestellt.
Zum Dank für die Unterstützung gegen die Böhmen übertrug der Kaiser außerdem dem Herzog von Bayern die Kurfürstenwürde in der Pfalz, die bisher der geflohene FRIEDRICH V. inne hatte.
Der Krieg verlagerte sich damit für weitere fast drei Jahre bis 1623 auf den Boden des Reichsgebiets:
Truppen der Union versuchten vergeblich die Rückeroberung Böhmens und kämpften mit wechselndem Erfolg in Hessen und in Südwestdeutschland gegen die Kaiserlichen der Liga um Religion und Macht. Zunächst behielt aber die Liga die Oberhand in der Auseinandersetzung. Im August 1623 besiegte TILLY die Söldnertruppen der protestantischen Union entscheidend.
Der Kaiser versuchte fortan, die militärischen Erfolge zur Festigung seiner Macht im Reich und zur Gegenreformation in Norddeutschland zu nutzen. Er verfügte u. a., protestantische Besitzungen, Kirchengüter und Klöster in katholische umzuwandeln.
Das rief nun auch ausländische Mächte, zunächst Dänemark und Schweden, auf den Plan. Die Truppen dieser Mächte verheerten gemeinsam mit den Söldnerheeren der deutschen Fürsten im Dreißigjährigen Krieg bis 1648 das Land.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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