Der 13. August 1961

Zäsur Mitte der 50er Jahre

Im ersten Jahrzehnt nach dem zweiten Weltkrieg wurde es allgemein für möglich gehalten, dass Deutschland noch eine Chance für eine Wiedervereinigung haben würde. Seit der Einbeziehung der beiden deutschen Staaten in die jeweiligen Militärpakte, die NATO und den Warschauer Vertrag im Jahre 1955, war die Chance aber nicht mehr gegeben. Die Entscheidung über den militärischen Status der beiden deutschen Staaten schloss den Prozess der Spaltung Deutschlands ab. Es kam zu einem Konsens der vier Mächte, es langfristig bei der Spaltung zu belassen.
Diese Entscheidung zog – wegen der Schwäche der DDR – den Mauerbau nach sich. Als integrierender Bestandteil des wirtschaftlich wenig entwickelten Ostblocks konnte die DDR unmöglich dem Wettbewerb mit dem Westen bei offener Grenze in Berlin standhalten. Die Abwanderung von Facharbeitern, Wissenschaftlern und Ingenieuren schwächte den kleinen deutschen Staat noch mehr. Zeitweilig konnten die Abwanderungsverluste durch Längerarbeit von Rentnern und die Einbeziehung von Müttern mit Kleinkindern in den Arbeitsprozess aufgehalten werden. Allerdings zeichnete sich Ende der 50er Jahre die Gefahr des völligen „Ausblutens“ der DDR ab. Dies aber berührte in elementarer Weise die Sicherheitsinteressen der UdSSR. Sie war über die erneute Berlin-Krise sehr beunruhigt.

Das Berlin-Ultimatum

Am 27. November 1958 übermittelte die Sowjetunion den drei Westmächten, der Bundesrepublik und der DDR eine Note zum Berlin-Problem, das Berlin-Ultimatum. Darin wurde festgestellt:

  • Berlin sei zu einem gefährlichen Knoten der Gegensätze zwischen den Großmächten (den Alliierten im vergangenen Kriege) geworden. Seine Rolle in den Beziehungen der Mächte könne mit einer glimmenden Zündschnur verglichen werden, die zu einem Pulverfass gelegt worden ist.
  • Die sich daraus ergebenden Zwischenfälle könnten in einer Atmosphäre der erhitzten Leidenschaften, des Argwohns und der gegenseitigen Befürchtungen einen Brand hervorrufen, den zu löschen schwierig sein wird.
  • Was die USA, Großbritannien und Frankreich anginge, hätten sie den Weg des grobschlächtigen Missbrauchs ihrer Besatzungsrechte in Berlin beschritten, indem sie den vierseitigen Status Berlins für ihre Zwecke benutzen – für die Schädigung der Sowjetunion, der DDR und der anderen sozialistischen Länder. Die Aufrechterhaltung des Besatzungsregimes in Westberlin diene dazu, sich in die inneren Angelegenheiten der DDR einzumischen.
  • In diesem Zusammenhang setze die UdSSR die USA davon in Kenntnis, dass sich die UdSSR nicht mehr an die Alliiertenabkommen von 1944/45 über Berlin gebunden fühle. Sie werde mit der DDR zu gegebener Zeit in Verhandlungen eintreten, um ihr aus diesen Veränderungen sich ergebende Rechte zu übertragen.
  • Die Frage Westberlin könne durch Umwandlung in eine selbständige politische Einheit –eine Freie Stadt –gelöst werden. Die Sowjetunion erkläre sich bereit, mit den Westmächten über diese Fragen zu verhandeln, wofür sie die Frist von sechs Monaten setze (weshalb die Note als Ultimatum in die Geschichte einging).

Vergebliche Verhandlungen

Der Westen reagierte auf das Ultimatum zunächst ablehnend und nervös. Der NATO-Rat sprach eine „Garantie für Berlin“ aus. Eine Gipfelkonferenz zur Frage eines deutschen Friedensvertrages wurde gänzlich abgelehnt. Die internationale Konstellation ließ es jedoch nicht zu, bloß Nein zu sagen. Die Westmächte teilten der UdSSR im Februar 1959 mit, dass sie mit der baldigen Einberufung einer Außenministerkonferenz nach Genf unter Beteiligung beider deutscher Staaten einverstanden seien.
Die Bundesregierung erklärte, dass sie ihren Außenminister HEINRICH VON BRENTANO nicht nach Genf schicken werde. Die Interessen der Bundesrepublik in Genf nehme Botschafter WILHELM GREWE wahr. Bonn unterstrich damit sein Desinteresse an den Verhandlungen. Im Unterschied dazu demonstrierte die DDR ihr großes Interesse an der Konferenz, indem sie verlauten ließ, dass sie an der „Sechsmächtekonferenz“ hochrangig vertreten sein werde: mit Außenminister DR. LOTHAR BOLZ, Staatssekretär OTTO WINZER und DR. HEINRICH TOEPLITZ, dem Vorsitzenden des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten der Volkskammer.
Die Außenministerkonferenz begann am 11. Mai 1959 im Genfer Palais der Nationen. Die vier Mächte hatten an einem runden Tisch Platz genommen. Die Vertreter der beiden deutschen Staaten saßen an zwei Extra-Tischen, den sogenannten Katzentischen. In der ersten Verhandlungsrunde ging es um die Frage eines Friedensvertrages. Vom 20. Juni bis 13. Juli wurden die Verhandlungen unterbrochen. In der zweiten Runde konzentrierte sich das Konferenzgeschehen auf die Berlin-Problematik. Am 5. August ging die Konferenz ohne Einigung zu Ende. Die gleichberechtigte Teilnahme an der Konferenz wertete die DDR als „De-facto-Anerkennung“. Andererseits wurde die sowjetische Seite veranlasst, über den Zeitplan für eine Berlin-Regelung nachzudenken und letztlich das Ultimatum zu korrigieren. Dafür erkannten die Westmächte an, dass die Abrüstungsverhandlungen fortgesetzt werden müssen.
Die USA luden NIKITA S. CHRUSCHTSCHOW zu einem Besuch ein. Dieser Besuch trug zur Entspannung bei. Kurzzeitig wurde vom „Geist vom Camp David“ gesprochen. Es schien so, als sei das Eis des Kalten Krieges gebrochen. Jedoch kam es im Mai 1960 nicht zur Gipfelkonferenz in Paris, weil die USA ein U-2-Aufklärungsflugzeug in den sowjetischen Luftraum geschickt hatten, das abgeschossen wurde, und sie eine dafür geforderte Entschuldigung ablehnten.
Nachdem JOHN F. KENNEDY neuer Präsident der USA geworden war, wurde ab 1961 eine Modifikation der amerikanischen Berlin-Politik vorgenommen. KENNEDY beanspruchte den amerikanischen Einfluss nur noch für Westberlin und gab zu erkennen, dass ihm an Verhandlungen gelegen war.
Anfang Juni 1961 kam es in Wien zwischen CHRUSCHTSCHOW und KENNEDY zu Gesprächen, die jedoch wegen der Gegensätzlichkeit der Standpunkte zu keiner Einigung führten. Damit wurden die Weichen auf einen „heißen Sommer“ 1961 gestellt.

Der „heiße Sommer“ 1961

Die Situation in der DDR näherte sich einem Zustand der Destabilisierung. War 1960 die Zahl der Republikflüchtigen auf 199 188 angestiegen, so erhöhte sich die Zahl 1961 weiter. Es gab schon Orte, in denen kein Arzt mehr zur Verfügung stand. Ein Chaos drohte. Dem wollten die UdSSR und die DDR erst mit einer Sperrung des Luftraums begegnen, was bedeutet hätte, den gesamten Luftverkehr Westberlins über Berlin-Schönfeld zu lenken. Auf diese Weise sollte das „Ausbluten“ gestoppt werden.
Es war die Zeit, in der der Staats- und Parteichef WALTER ULBRICHT davon sprach, dass niemand die Absicht habe, eine Mauer zu errichten.
Der Plan einer Sperre des Luftraums hätte die Rechte der Westmächte elementar verletzt, die für diesen Fall ernsthafte Gegenmaßnahmen vorsahen. In einem bis heute geheimen Schriftstück mit dem Codewort „Live Oak“ sind diese festgehalten. FRANZ JOSEF STRAUSS teilte in seinen Memoiren mit, dass im Falle der Luftsperre eine amerikanische Atombombe auf ein sowjetisches Militärobjekt in der DDR geworfen worden wäre. Diese Information gelangte auch zu östlichen Geheimdiensten.
KENNEDY bot aber auch eine Kompromisslösung an. Am 25. Juli 1961 verkündete er in einer Rundfunk- und Fernsehansprache mit den „Three essentials“ seine Bedingungen für eine friedliche Konfliktregulierung in Berlin:

„1. die Freiheit der Bevölkerung von West-Berlin, ihr eigenes politisches System zu wählen.

2. die Anwesenheit westlicher Truppen, solange sie von der Bevölkerung gewünscht und benötigt werden.

3. den ungehinderten Zugang zur Stadt vom Westen auf der durch sowjetzonales Gebiet führenden Autobahn sowie auf den Luft- und Wasserwegen.“

Die Abriegelung der Grenze am 13. August

Erst am 27. Juli 1961 fiel in Moskau die Entscheidung, auf die Luftsperre zu verzichten und in Berlin eine Abriegelung unter Berücksichtigung und Einhaltung der „Three essentials“ vorzunehmen. Die Abriegelung erfolgte anfangs mit Stacheldrahtverhauen. Noch hätte für den Westen die Chance bestanden, eine andere Verhandlungslösung anzustreben. Es gab hier jedoch unterschiedliche Auffassungen. KENNEDY und KONRAD ADENAUER kamen auf keinen gemeinsamen Nenner.
Ende Oktober entstand in der Friedrichstraße eine brenzlige Situation, weil ein US-Beamter sich weigerte, den Volkspolizisten seinen Pass zu zeigen. Der nach Berlin beorderte GENERAL LUCIUS D. CLAY ließ am 25. Oktober General-Patton-Panzer auffahren. Die Russen stellten für sechzehn Stunden ihre Panzer den amerikanischen Panzern gegenüber. Glücklicherweise passierte nichts, aber die Zwischenfälle an der innerstädtischen Grenze hörten nicht auf.
Aus dem Stacheldraht wurde eine Mauer, die am Ende zu einem gigantischen Sicherungssystem (dem sogenannten „antifaschistischen Schutzwall“) ausuferte. Die Mauer hatte eine Gesamtlänge von 155 km, davon verliefen 37 km durch Wohngebiete. 106 km verfügten über Betonplattenwände mit Rohrauflage, 66,5 km bestanden aus Metallgitterzäunen. Ferner: 105,5 km Kraftfahrzeugsperrgräben, 127,5 km Kontakt- beziehungsweise Signalzäune, 302 Beobachtungstürme, 20 Bunker und 259 Hundelaufanlagen.
5075 Menschen glückte die Flucht nach Westberlin. 3245 Menschen wurden bei Fluchtversuchen festgenommen. 119 wurden dabei durch Schusswaffen verletzt. Achtzig Menschen starben bei Fluchtversuchen in Berlin.

Zur Bewertung

Der 13. August 1961 ist das Resultat eines historischen Kompromisses zwischen den USA und der Sowjetunion. Beide Mächte hatten kein Interesse, wegen Berlin in einen großen Konflikt verwickelt zu werden.
CHRUSCHTSCHOW hatte dem deutschen Botschafter HANS KROLL gesagt:

„Es gab nur zwei Arten von Gegenmaßnahmen: die Lufttransportsperre oder die Mauer. Die erstgenannte hätte uns in einen ernsten Konflikt mit den Vereinigten Staaten gebracht, der möglicherweise zum Krieg geführt hätte.“

Verlierer dieses historischen Kompromisses waren ULBRICHT und ADENAUER, die ihre Illusionen von einem Gesamt-Deutschland (wenn auch mit unterschiedlichen Vorstellungen) aufgeben mussten. ULBRICHTs Hoffnungen auf ein sozialistisches Gesamtdeutschland waren schon am 17. Juni 1953 in weite Ferne gerückt. Mit dem Mauerbau geriet seine Vorstellung, die rote Fahne auch am Rhein aufzupflanzen, endgültig in die Defensive. ADENAUER, der sich dem Ziel, die DDR werde der Bundesrepublik wie ein reifer Apfel in den Schoß fallen, schon sehr nahe wähnte, musste erkennen, dass 1961 daran keine andere Macht ein Interesse hatte und die DDR-Gesellschaft durchaus noch Überlebens-Kräfte zu mobilisieren vermochte. Das Ende der Ära ADENAUER war außerdem absehbar Bei den Wahlen im September verlor die CDU die absolute Mehrheit.
Der 13. August 1961 entschied die weitere Entwicklung der DDR in mehrfacher Hinsicht – und keineswegs ausschließlich zum Negativen. Der eigentliche Höhepunkt, die weltweite völkerrechtliche Anerkennung der DDR, folgte erst ein Jahrzehnt nach dem Mauerbau.
Nach dem 13. August 1961 bestand das Entwicklungsproblem der DDR darin, entweder die gewonnene Atempause für politische und ökonomische Reformen zu nutzen oder die autoritären Strukturen zu belassen.
ULBRICHT selbst machte noch in hohem Alter einen Wandel durch, indem er sich an die Spitze einer Reform von oben stellte. Der hoffnungsvolle Reformaufbruch in der ersten Hälfte der 60er Jahre fand seine Krönung leider nicht in einem demokratischen Sozialismus. Die Hoffnung vieler junger Bürger der DDR, es werde 1968 zu einem Berlin-Prager Frühling kommen, erfüllte sich nicht.
Die SED stellte sich gegen die Reformer von Prag. So wurde die Mauer zu einem Herrschaftsbestandteil einer vom Souverän, dem Volk, immer mehr abhebenden Bürokratie. Diese verhinderte selbst nach Helsinki ein akzeptables Reisegesetz, das alle Bürger gleich behandelte, in Kraft zu setzen. Es entstand eine Situation, die die Mauer zu einem untauglichen Bauwerk mit vorrangig unterdrückenden Funktionen werden ließ, das beseitigt werden musste.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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