Das Barock in Europa

Lebensweise, Baukunst und Musik im Barock

Die Stilrichtung des Barock entwickelte sich am Ende des 16. Jahrhunderts in Italien. Kritiker nannten den Stil abwertend „barock“, weil er die ausgewogenen Regeln der römischen und griechischen Architektur missachtete. Goldschmiede gebrauchten das portugiesische Wort „barocco“ für eine unregelmäßig geformte Perle. Vor allem die katholische Kirche zeigte mit prunkvollen Bauten in der neuen Stilrichtung ihre nach den Glaubenskriegen wiedergewonnene Stärke. Künstler und Architekten schmückten Kirchen und Schlösser, aber auch bürgerliche Stadthäuser mit Gemälden und Stuckverzierungen. Ihre Gebäude waren lichtdurchflutet; die Decken wurden durch kunstvolle Fresken (Wandmalerein) zu grenzenlos scheinenden Himmelszelten ausgestaltet. Die Grundrisse der Barockbauten werden von Ellipse, Oval, Kreis und Raute bestimmt. Alle Details ordnen sich der Funktion des Gesamtbaus unter.
Die Fürsten wollten es in ihren Residenzen dem Vorbild LUDWIGs XIV. gleichtun. Dem europäischen Adel schien der Regierungsstil und die höfische Lebensweise in Frankreich erstrebenswert: die Höflichkeit (das Verhalten am Hofe), die aufwendige und teure Art sich zu kleiden und bestimmte Verhaltensweisen wurden nachgeahmt.
Der Kavalier oder Ehrenmann in Deutschland, der Gentleman in England bestachen durch ein Gehabe mit großen Posen: schreiten statt gehen, die Oper musste lang, der Roman dick, die Orgel riesig und das Menü mit vielen Gängen sein. Französisch galt als Modesprache des europäischen Adels.
Den Repräsentationswillen der Könige, Fürsten und Grafen unterstützte der neue Baustil. In Rom hatte sich eine Gegenbewegung zu den Protestanten entwickelt, die sich gegen den Reliquienkult und gegen Heiligenbilder und Statuen in den Kirchen wandten. Kirchenbauten des Baumeisters BERNINI (1598–1680) zeichneten sich im Gegensatz zu den schlicht gestalteten Gotteshäusern der Reformierten durch Prunk und Kostbarkeiten aus. Garten- und Parkanlagen, Stadtpaläste und Schlösser, Kirchen und Klöster im barocken Stil dienten vorrangig der Selbstdarstellung der kleinen und großen Herrscher. Durch die Stiltreue zu Frankreich und Italien sollte die Zugehörigkeit zu den Reichen Europas betont werden.

Rokoko

Später wurde der Barock zum Rokoko weiterentwickelt. Der Begriff des Barock wurde später auch auf

  • Dichtung,
  • Theater und
  • Malerei,
  • Bildhauerkunst,
  • Musik und
  • Tanz

jener Zeit übertragen. Bedeutendster Komponist der Barockzeit war JOHANN SEBASTIAN BACH in Leipzig. Er schrieb

  • Fugen (Fuge: streng aufgebautes mehrstimmiges Musikstück),
  • Toccaten (frei gestaltetes Musikstück für Tasteninstrumente) und
  • Präludien (Vorspiel) für sein Hauptinstrument, die Orgel. Auf ihr wurden
  • Kantaten (lat.: singet! Musikstück mit Singstimmen und Chor) ,
  • Messen (Musikwerk für Gesangstimmen und Orchester für den Hauptgottesdienst),
  • Choräle (Kirchenlied/-gesang) und
  • Passionen (musikalische Darstellung der Leidensgeschichte Cristi)

vor allem in kirchlichen Gottesdiensten gespielt. BACH schuf darüber hinaus, wie auch sein Zeitgenosse GEORG FRIEDRICH HÄNDEL, weltliche Musik für Violine, Cembalo, Klavier und Flöte.

Österreich und Süddeutschland

Bayern und Österreich galten als Zentren des Barockstils, aber auch der Zwinger in Dresden ist ein imposantes Beispiel. Der hohe Adel und die reichen geistlichen Orden in Österreich übertrafen in ihrer Bautätigkeit sogar den Kaiser als Bauherren. Anfänglich kamen die Baumeister und Künstler aus Italien, seit der Wende zum 18. Jh. überwogen einheimische Fachleute, die das Kaiserschloss Schönbrunn und die Karlskirche in Wien (J. B. FISCHER V. ERLACH); das Schloss Belvedere (L. V. HILDEBRAND) sowie prachtvolle Klöster an der Donau und in St. Florian bei Linz (J. PRANDAUER) errichteten. Wien wurde neben Paris zum bedeutendsten Mittelpunkt der Künste in ganz Europa. Man erlebte berühmte Schauspieler, Sänger und Musikanten in der Stadt bei ihren Aufführungen. Komponisten schufen zahlreiche Werke für die Kaiser oder für kunstliebende Adlige des Landes. Die musikalische Tradition von Wien wurde gegen Ende des 18. Jh. von den Komponisten HAYDN, MOZART und BEETHOVEN zu ihrer höchsten Vollendung gebracht.
Abb.: Würzburg (in: UG rot, S. 91 unten rechts); Bach, Händel (Haydn, Mozart und Beethoven)

Zeitalter des Barock und die Literatur

Das Zeitalter des Barock war für die Menschen vor allem eine Zeit
religiöser und gesellschaftlicher Umbrüche, der Zerrissenheit und des unermesslichen Leids. Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) und wiederkehrende Pestepidemien hatten in Deutschland, vor allem im Norden, ganze Landstriche verwüstet und entvölkert. Der Süden litt unter den Folgen der Türkenkriege (1683 zweite Belagerung Wiens). Marodierende Söldnertruppen zogen durch die Lande und mordeten, brandschatzten und plünderten. Im Krieg hatten sich die Staaten der protestantischen Union und der katholischen Liga gegenübergestanden.
Glaubenskämpfe verunsicherten die Menschen: Protestanten und Calvinisten bekämpften einander und beide gemeinsam den Katholizismus, der im Zuge der Gegenreformation wieder an Boden gewonnen hatte. Nicht nur Kriegsleid und das Erlebnis massenhaften Sterbens drückte die Menschen, sondern auch große soziale Ungerechtigkeit. Der kostspielige Repräsentationsstil deutscher absolutistischer Fürsten war dem Gepränge des französischen Königshofes unter LOUIS XIV abgeschaut. Die triumphalen, mächtigen Schlossbauten dieser Epoche und die glänzende Hofhaltung finanzierten die Landesherren zum großen Teil, indem sie der Bevölkerung horrende Steuern abpressten und die Gesinde- und
Leibeigenschaftsordnung verschärften
. Die neuzeitliche Umgestaltung der Welt durch wissenschaftliche und geografische Entdeckungen, durch die Herausbildung neuer ökonomischer Strukturen vermittelte den Menschen das Gefühl, aus den gewohnten religiösen und ständischen Bindungen herauszufallen und zum Spielball religiöser und politischer Mächte und des Schicksals zu werden. Doch gerade das Bewusstsein der Vergänglichkeit alles Irdischen und der Sinnlosigkeit allen Bemühens, das Wissen um die Wechselhaftigkeit des menschlichen Glücks und die Allgegenwart des Todes hielt auch das Bedürfnis wach, dankbar für jeden in Zufriedenheit verbrachten Tag zu sein, das Leben im Diesseits nach Kräften zu genießen und sich den ganz alltäglichen Sinnesfreuden hinzugeben. Aus diesen Gegensätzlichkeiten und Spannungen speisen sich die Motive und Topoi (feste Bilder und Symbole) der barocken Kunst, sowohl in bildnerischen Darstellungen als auch in der Literatur und insbesondere in der Lyrik. Das Streben der Menschen nach

  • Glanz,
  • Anerkennung und
  • irdischen Gütern

wird in der Malerei häufig in der Gestalt einer Frau symbolisiert, angelehnt an die mittelalterliche Vorstellung von der Frau Welt. Nicht selten ist es eine üppige nackte Schöne, die in einen Spiegel schaut und Sinnesfreuden und Genuss verkörpert. Doch ähnlich wie in den mittelalterlichen Totentanzdarstellungen ist der Tod allgegenwärtig, unabhängig von persönlichem Stand und Reichtum, und beobachtet das eitle Treiben. Mitunter erscheint er im Bild direkt

  • in der Gestalt des Sensenmannes oder
  • eines halbverwesten Leichnams.
  • In Stillleben ist er symbolisiert in Emblemen, die Vergänglichkeit bedeuten:
    • düsteres Ambiente,
    • Totenschädel,
    • modernde, verwesende Früchte und Pflanzen,
    • Tiere der Nacht wie Eulen und Fledermäuse,
    • verlöschende Kerzen,
    • die rinnende Sanduhr.

Barockdichtung

Die Barockdichtung ist vor allem gekennzeichnet durch das Vanitas-Motiv. Der Begriff Vanitas stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Vergeblichkeit, Nichtigkeit, leeres Gerede. In seiner ursprünglichen Ausformung ist das Motiv im Alten Testament zu finden:

„Vanitas Vanitatum, et omnia vanitas“
(lat.: „Eitelkeit der Eitelkeiten, und alles ist Eitelkeit“),

so lautet das Zitat aus Prediger Salomo 1,2 und 12,8. In der
lutherschen Übersetzung ist zu lesen:

„Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles
ganz eitel.“

Für gewöhnlich wird zitiert: „Alles ist eitel.“ Dass dieses Motiv in der Kunst des Barock, insbesondere in der Lyrik, zu solcher Geltung gelangte, hat unmittelbar mit der Grundstimmung jener Epoche zu tun.

Sanduhr

Die Sanduhr ist das deutlichste Sinnbild der unaufhaltsam verfließenden Zeit und des unwiderruflich herannahenden Endes.

Eine Sanduhr

THEODOR KORNFELD

Die Zeit vergehet
Und bald enstehet
Der Rechnungstag
Von aller Sach;

Der Sand versindet
Uns damit windet
Wir wollen fort
Zum andern Orth
Gen fromm/ und kom.
Gott uns leite

Und bereite!
Miss' alle Stunde woll
und richte deine Sachen;
Das du in letzter Stund kanst gute

Rechnung machen.

memento mori

Seit dem späten Mittelalter und gerade in jenem höchst unsicheren Jahrhundert des Dreißigjährigen Krieges war das „memento mori“ (Gedenke des Todes) geradezu ein Teil des Selbstverständnisses des Menschen. Alles, was dem Menschen widerfahre, sei das Werk Gottes, so lehrte es der Glaube. Trost und Heil erwarte den Menschen nach einem mühseligen Leben erst im Jenseits. Also galt es, wohlvorbereitet die Stunde des Todes zu erwarten, vor allem indem man ein demütiges, tugendhaftes und gottgefälliges Leben führte, stets eingedenk der
Nichtigkeit menschlichen Strebens.

Das Vanitas-Motiv in direkter Anlehnung an den Prediger Salomo aus dem Alten Testament und in dennoch ganz eigenständiger
Anverwandlung der Diktion ist in ANDREAS GRYPHIUS' Sonett „Es ist alles eitel“ von 1643 zu finden. GRYPHIUS (1616–1664) bereicherte die biblische Vorlage gleichsam um selbst Empfundenes, denn er hatte sehr früh am eigenen Leib die Not von Krieg und Krankheit erfahren.

Es ist alles eitel

ANDREAS GRYPHIUS
1643

Du sihst, wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.
Was diser heute baut, reist jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn, wird eine Wisen seyn
Auf der ein Schäfers-Kind wird spilen mit den Herden:

Was itzund prächtig blüht, sol bald zertreten werden.
Was itzt so pocht und trotzt ist Morgen Asch und Bein
Nichts ist/ das ewig sei/ kein Ertz, kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück uns an/ bald donnern die
Beschwerden.

Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spil der Zeit/ der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles diß, was wir für köstlich achten/

Als schlechte Nichtigkeit/ als Schatten/ Staub und Wind;
Als eine Wissen Blum, die man nicht wider find't.
Noch will was Ewig ist kein einig Mensch betrachten!

Die Eindringlichkeit dieser Dichtung rührt im Wesentlichen von dem antithetischen Aufbau der ersten beiden Strophen, der das
geschäftige, blühende Leben mit dem Prinzip der allgemeinen
Vergänglichkeit kontrastiert, und der kräftigen Bildsprache her: Dem Bauen folgt das Einreißen, auf Blühen das Zertreten, dem Lachen des Glücks folgen donnernde Beschwerden. Dem allmächtigen Spiel der Zeit ist alles und jeder unterworfen, so lautet die Grundaussage des Gedichts. Gryphius benutzt dafür die Topoi von Asche und Bein, von Schatten, Staub und Wind, von Nichtigkeit und Vergehen. Jedoch das Köstliche, so sagt GRYPHIUS am Ende, ist für uns gerade das, was vergänglich ist, denn „was ewig ist“ will „kein einig Mensch betrachten“.
Eine ähnlich pessimistische Grundstimmung ist in den Gedichten von CHRISTIAN HOFMAN VON HOFMANNSWALDAU (1616–1679) anzutreffen, der häufig die Vergänglichkeit von Jugend und Schönheit („... denn Kindheit und Jugend ist eitel“ – Prediger 11.9) und die Unbeständigkeit der Liebe beklagt. Ins Allgemeine gewendet und auf den Zustand der Welt bezogen sind diese Klagen in seinen „Die Welt“ betitelten Gedichten.

Die Welt (II)
CHRISTIAN HOFMAN VON HOFMANNSWALDAU
1679

Was ist die Welt und ihr berühmtes Gläntzen?
Was ist die Welt und ihre gantze Pracht?
Ein schnöder Schein in kurtzgefasten Gräntzen /
Ein schneller Blitz bey schwartzgewölckter Nacht.
Ein bundtes Feld / da Kummerdisteln grünen;
Ein schön Spital / so voller Kranckheit steckt.
Ein Sclavenhauß / da alle Menschen dienen /
Ein faules Grab / so Alabaster deckt.
Das ist der Grund / darauff wir Menschen bauen /
Und was das Fleisch für einen Abgott hält.
Komm Seele / komm / und lerne weiter schauen /
Als sich erstreckt der Zirckel dieser Welt.
Streich ab von dir derselben kurtzes Prangen /
Halt ihre Lust vor eine schwere Last.
So wirstu leicht in diesen Port gelangen /
Da Ewigkeit und Schönheit sich umbfast.

Das Gedicht führt die Kurzlebigkeit des Glücks vor Augen und die
Vergänglichkeit, der alles Irdische schon in seinem Entstehen anheim gegeben ist. Der schöne Schein trügt, so HOFMANNSWALDAU, denn Kummer, Mühsal, Krankheit und letztlich das Grab sind allen Menschen vorherbestimmt und aufflackerndes Glück und materieller Glanz sind nur ein Abgott, ein falscher Gott.
Die Vanitas-Klagen in der Barocklyrik sind von der Haltung eines
christlichen Stoizismus geprägt und vermitteln, dass das Glück den Menschen nicht im Diesseits bestimmt ist, sondern dass sich die Seele über die engen Grenzen des irdischen Lebens erheben soll, sei es im Glauben an die Erlösung im Jenseits oder als Eingedenken, Teil des universellen Werdens und Vergehens zu sein. So soll der Mensch sich ohne zu hadern in sein von Gott vorbestimmtes Schicksal fügen.

Was sind wir Menschen doch
ANDREAS GRYPHIUS
1643

Was sind wir Menschen doch! ein Wonhauß grimmer Schmertzen? Ein Baal des falschen Glücks / ein Irrliecht dieser Zeit / Ein Schauplatz aller Angst / und Widerwertigkeit / Ein bald verschmelzter Schnee / und abgebrante Kertzen / Diß Leben fleucht darvon wie ein Geschwätz und Schertzen. Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes kleid / Und in das Todten Buch der grossen Sterbligkeit Längst eingeschrieben sind; find uns auß Sinn' und Hertzen: Gleich wie ein eitel Traum leicht auß der acht hinfält / Und wie ein Strom verfleust / den keine Macht auffhelt; So muß auch unser Nahm / Lob / Ehr und Ruhm verschwinden. Was itzund Athem holt; fält unversehns dahin; Was nach uns kompt / wird auch der Todt ins Grab hinzihn / So werden wir verjagt gleich wie ein Rauch von Winden.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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