Bruderzwist in Indien – Die Teilung des Subkontinents

Indien als britische Kolonie

Als der Zweite Weltkrieg 1945 zu Ende ging, war Indien noch immer eine britische Kolonie.
Zunächst übte seit dem 18. Jahrhundert eine britische Handelsgesellschaft, die East India Company (Ostindiengesellschaft), faktisch die koloniale Herrschaft über Teile des Landes aus. Seit einem großen indischen Aufstand von 1857 übernahm dann mehr und mehr der britische Staat die Kontrolle über das Land.
Indien wurde dann 1877 als neu gegründetes Kaiserreiches auch offiziell der britischen Krone unterstellt. Die britische Königin VICTORIA wurde zur Kaiserin von Indien. Im Auftrag der britischen Regierung übte fortan eine britischer Vizekönig die Regierungsgewalt über die Kronkolonie aus, die ob ihrer Reichtümer auch als „Perle in der Krone der britischen Königin“ bezeichnet wurde.
Allerdings gab es auch unter den Briten in Indien einheimische Herrscher und Funktionsträger mit begrenzten Selbstverwaltungsrechten. Diese Form der kolonialen Herrschaft dauerte mit einigen Wandlungen bis zur indischen Unabhängigkeit im Jahre 1947 an.

Der indische Nationalismus und die religiöse Zerrissenheit

Die koloniale Fremdherrschaft war für die Inder oftmals sehr bedrückend und demütigend, weshalb sich auch der Widerstand gegen die britische Herrschaft formierte. Dieser Widerstand erfasste dabei immer seltener nur einzelne Regionen. Er verbreitete sich zunehmend über das ganze Land und trug zu dessen Einigung unter der Flagge des indischen Nationalismus bei. Dabei forderten die Inder zunächst die Selbstbestimmung unter der britischen Krone. Später jedoch wurde die völlige staatliche Unabhängigkeit Indiens gefordert.
Um diesen Bestrebungen der Inder Ausdruck zu verleihen, wurde 1885 der Indische Nationalkongress (Indian National Congress, kurz INC) gegründet. Diese, manchmal auch nur Kongress genannte Organisation wurde zunächst überwiegend von den Hindus der städtischen Oberschicht getragen. Auch einige Muslime, die in Indien die zweitgrößte Religionsgruppe stellten, arbeiteten von Anfang an in der Organisation mit.
Erst später, unter dem Einfluss des beliebten und verehrten MAHATMA GHANDI, der Verfechter des gewaltfreien Widerstands war, erreichte der INC eine breite Basis unter den hinduistische Bevölkerungsschichten.
Zwischen Muslimen und Hindus gab es aber nach wie vor Spannungen und Konflikte. Deshalb gründeten 1906 die indischen Muslime eine eigene Organisation, die Muslimliga (All-India Muslim League). Die Konkurrenz zwischen den beiden Unabhängigkeitsorganisationen verstärkte sich im Laufe der Zeit. Vor allem ausgelöst durch die Regionalwahlen von 1937 kam es zum endgültigen politischen Zerwürfnis zwischen beiden Organisationen:
Der Kongress hatte die Wahlen in den meisten Provinzen mit hinduistischer Bevölkerungsmehrheit haushoch gewonnen. Bei der anschließenden Bildung von Provinzregierungen wurde die Muslimliga deshalb nicht berücksichtigt. Andererseits war der überwältigende Sieg des Kongresses auch möglich geworden, weil sich Muslime auf den Wählerlisten des Nationalkongresses zur Wahl stellen konnten.

Die Unabhängigkeit steht auf der Tagesordnung

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es in Indien zwei Hauptwidersprüche:

Erstens der koloniale Widerspruch: Die britische Kolonialmacht sah sich mit sehr massiven Forderungen breitester Kreise der indischen Bevölkerung nach Selbstbestimmung und nationaler Unabhängigkeit konfrontiert.

Zweitens der politische Gegensatz der Religionen: Die indische Bevölkerung war in unterschiedliche religiöse Gruppen zersplittert, wobei insbesondere die die Mehrheit bildenden Hindus und die muslimische Minderheit politisch tief zerstritten waren.

Beide Probleme hingen eng miteinander zusammen: Wenn sich ein unabhängiges Indien selbst regieren sollte, musste auch klar sein, wie das in der Praxis vor sich gehen sollte und wie dafür die religiösen Gegensätze politisch ausgeglichen werden konnten. Mit solchen und ähnlichen Argumenten versuchten auch die Briten, die Unabhängigkeit der Kolonie hinauszuzögern.
Dennoch stand 1945 die indische Unabhängigkeit unmittelbar auf der Tagesordnung; nicht allein nur wegen der sich seit Jahren verstärkenden Forderungen der verschiedenen politischen Kräfte in Indien, sondern vor allem, weil nach Kriegsende die Forderung nach Unabhängigkeit auch internationales Gewicht erhielt.
Großbritannien selbst hatte in der Atlantikcharta von 1941 für die zukünftige Weltordnung dem Selbstbestimmungsrecht der Nationen zugestimmt. Zwar betonte der britische Premierminister CHURCHILL danach ausdrücklich, dass das nicht für Indien zutreffen solle. Das änderte allerdings nichts an der auch durch die Gründung der UNO geförderten internationalen Tendenz, die nationale Unabhängigkeit für die noch von den alten europäischen Kolonialmächten beherrschten Völker endlich durchzusetzen.
So musste sich 1945 schließlich auch Großbritannien mit der indischen Unabhängigkeit abfinden.
Für die Übertragung der Macht an die Inder, der die britische Regierung im August 1945 grundsätzlich zugestimmt hatte, gab es auf indischer Seite keine einheitlichen Vorstellungen.

Unterschiedliche Konzepte für die Unabhängigkeit

Der von den Hindus dominierte Kongress trat anfänglich für ein einheitliches Indien ein, das den gesamten Subkontinent umfasste. Besonders sein Führer MAHATMA GANDHI betonte die grundsätzliche Möglichkeit des friedlichen Zusammenlebens von Menschen mit unterschiedlicher Religion.
Wie kein anderer hatte er nämlich erkannt, dass durch die Existenz der vielen religiösen Gruppen in Indien in jeder Provinz religiösen Mehrheiten auch religiöse Minderheiten gegenüberstehen mussten. Solche Verhältnisse werden als Diaspora bezeichnet.
Da GANDHI wusste, dass es in Indien viele solcher Diasporen mit jeweils wechselnden Mehrheiten bzw. Minderheiten geben würde. Deshalb setzte er auf Toleranz und Gewaltfreiheit als Grundprinzipien des Zusammenlebens in einem einheitlichen unabhängigen Indien.

Entgegen dem Konzept des Kongresses hatte die Muslimliga unter ihrem Vorsitzenden MOHAMMED JINNAH schon nach den verlorenen Provinzwahlen von 1937 die alte Zwei-Nationen-Theorie wieder aufgegriffen. Die Theorie besagte, dass Hindus und Muslime zwei grundsätzlich verschiedenen Nationen angehörten und deshalb zwangsläufig in zwei Staaten leben mussten. Von den Briten wurde diese Theorie befürwortet. Sie erhofften sich von ihr eine Schwächung des mächtigen INC und die Spaltung der nationalen Unabhängigkeitsbewegung.
Der Name für den neuen muslimischen Staat sollte nach den Vorstellungen der Muslimliga Pakistan sein. Dieser Name setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der damaligen indischen Provinzen zusammen, in denen mehrheitlich Muslime lebten: P(andschab), A(fghanen-Provinz), K(aschmir), S(ind). Hinzu kommt der Auslaut von (Belutschis)tan.
Die britische Kolonialmacht selbst hatte kein Konzept. Deshalb überließ sie den Gang der Ereignisse den zerstrittenen politisch-religiösen Gruppierungen Indiens und ihren Führern. Ihre Versuche, die verschiedenen Seiten an einen gemeinsamen Verhandlungstisch zu bringen, liefen deshalb auch ins Leere. Selbst die Bildung einer einheitlichen Interimsregierung scheiterte so am Widerstand von JINNAH. Dieser beharrte weiter auf seiner Theorie der zwei Nationen. Er betonte, dass die Voraussetzungen für die einvernehmliche Lösung der vielen Probleme erst nach der Schaffung zweier unabhängiger souveräner Staaten gegeben seien.
Die Auseinandersetzungen zwischen Kongress und Muslimliga blieben nicht ohne Wirkung auf die Bevölkerung: Bei neuerlichen Regionalwahlen im Jahr 1946 wählten nunmehr, anders als noch 1937, die Muslime die Muslimliga und die Hindus den Kongress.
Vor dem Hintergrund dieser Polarisierung der Bevölkerung war nicht mehr auszuschließen, dass die Auseinandersetzungen in einigen Regionen Indiens bürgerkriegsähnlichen Charakter annahmen. Deshalb rückte auch die große Mehrheit des Kongresses schließlich vom Ziel der staatlichen Einheit Indiens ab.

Unabhängigkeit in zwei Nationen

In dieser sich zuspitzenden Situation entsandte die britische Regierung einen neuen und zugleich den letzten britischen Vizekönig nach Indien. Dessen vorrangige Aufgabe bestand darin, die Unabhängigkeit zügig zu vollziehen und den Indern die Macht zu übertragen .
Am 14. August 1947 entließ der Vizekönig in Karachi Pakistan in die staatliche Unabhängigkeit, am folgenden Tag, dem 15. August 1947, in Neu Dehli auch Indien.

Ein blutiger Bruderzwist

Die Doppelstaatlichkeit auf dem Subkontinent löste längst nicht alle Probleme. Schon vor der Unabhängigkeit hatten sich politischen Gegensätze zwischen den verschiedenen Religionsgruppen nicht selten in blutigen Auseinandersetzungen entladen.
In Kalkutta kam es beispielsweise im August 1946 zu Ausschreitungen der Muslime gegen die Hindubevölkerung. In deren Gefolge wurden über 4 000 Menschen umgebracht und Zehntausende flohen aus der Stadt. Da durch solche Ereignisse die Spannungen zwischen den religiösen Gruppen immer weiter aufgeladen worden waren, gab es auch nach der Teilung 1947 in mehreren Provinzen gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen ihnen. Insbesondere im nördlichen Kaschmir, wo mit den Hindus, den Muslimen und den Sikhs keine der drei großen Religionsgruppen in der Mehrheit war, kam es zu blutigen Kämpfen und Ausschreitungen.
Viele in der Diaspora lebende Menschen verließen deshalb ihre Heimatregionen, um religiösen Repressalien auszuweichen. Im Rahmen dieses Bevölkerungsaustausches gab es in den beiden Staaten mindestens 12 Mio. Flüchtlinge. Aber auch auf der Flucht gab es keine Sicherheit. So wurden teilweise ganze Flüchtlingszüge ausgelöscht. Insgesamt wird die Zahl der Getöteten in dieser Zeit auf mindestens 1 Mio. Menschen geschätzt.
Die Folgen dieser schon mit der Gründung beider Staaten angelegten Konflikte wirken bis in die Gegenwart fort. Auch heute noch kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen den inzwischen Atomwaffen besitzenden Staaten Pakistan und Indien. Und insbesondere in der Provinz Kaschmir brechen immer wieder neue blutige Auseinandersetzungen zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Religionen auf, die zum Krieg zwischen den beiden Staaten zu eskalieren drohen.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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