BERTHA VON SUTTNER wurde am 9. Juni 1843 als BERTHA SOPHIA FELICITA GRÄFIN VON KINSKY VON CHINIC UND TETTAU in Prag geboren. Ihr Vater war der Feldmarschall-Leutnant und Kämmerer FRANZ JOSEPH GRAF KINSKY VON CHINIC UND TETTAU, der allerdings kurz vor ihrer Geburt 75-jährig starb. BERTHAS Mutter war SOPHIA WILHELMINE VON KÖRNER, eine Verwandte des Freiheitsdichters THEODOR KÖRNER.
Die Mutter zog mit BERTHA und ihrem sechs Jahre älteren Bruder, nach Brünn (heute Brno, Tschechische Republik), der Landgraf zu Fürstenberg wurde Vormund der Kinder. In Böhmen erhielten die Kinder eine standesgemäße Ausbildung, BERTHA erhielt Unterricht in Fremdsprachen (u.a. Französisch, Englisch, Italienisch, Russisch), Literatur und Musik, schrieb sechzehnjährig erstmals Prosa.
Mit 18 Jahren war sie kurzzeitig mit einem jüngeren Bruder HEINRICH HEINES, mit GUSTAV HEINE liiert, löste die Verbindung mit dem Fünfzigjährigen jedoch schon nach einiger Zeit.
1867–1868 hielt sich BERTHA in Paris, später auch in Mailand, auf , um Gesang zu studieren. Sie verlobte sich 1872 mit dem Prinzen ADOLF SAYN-WITTGENSTEIN-HOHENSTEIN in Wiesbaden, der aber kurz nach der Verlobung starb.
Die Familie war inzwischen verarmt, sodass BERTHA VON KINSKY sich ihr Geld durch Arbeit verdienen musste. 1873 erhielt sie eine Anstellung als Gesellschafterin und Erzieherin im Palais des Freiherrn KARL VON SUTTNER und dessen Frau KAROLINE in der Canovagasse in Wien, u.a. wegen der „vollkommenen Beherrschung des Französischen, Englischen und Italienischen“, wie sie in ihren Erinnerungen schrieb. Hier lernte sie den sieben Jahre jüngeren ARTHUR GUNDACCAR VON SUTTNER (1850–1902) kennen. Die Liebesbeziehung zu diesem jüngsten Sohn der Familie wurde im Haus nicht geduldet. ARTHURS Mutter legte der jungen Frau 1876 deshalb nahe, sich bei einem Herren in Paris zu bewerben, der per Inserat eine Sekretärin suchte:
„Reicher, kultivierter, älterer Gentleman, wohnhaft in Paris, sucht eine Dame, ebenfalls fortgeschrittenen Alters, gewandt in Fremdsprachen, als Sekretärin und Haushälterin.“
Die erst 33-jährige BERTHA nahm die Stellung als Sekretärin und Hausdame des Industriellen ALFRED NOBEL (1833–1896), dem Erfinder des Dynamits, an. NOBEL musste jedoch nach Skandinavien reisen und BERTHA kehrte, den Rufen ARTHURS folgend, nach Wien zurück.
ARTHUR VON SUTTNER heiratete BERTHA am 12. Juni 1876 heimlich in einer Wiener Vorstadtkirche, der Pfarrkirche St. Ägyd in Wien-Gumpendorf.
Danach reisten sie in den Kaukasus zu EKATERINA DADIANI von Mingrelien, wo sie fast zehn Jahre am Hof der Fürstin lebten. Die SUTTNER und EKATERINA DADIANI hatten sich 1864 in Bad Homburg kennen und schätzen gelernt.
Zum Broterwerb unterrichtete das Ehepaar SUTTNER in Tiflis Musik und Sprachen und BERTHA VON SUTTNER begann für österreichische Zeitungen Artikel zu schreiben. Während des Türkisch-Russischen Krieges begann ihr konsequentes Umdenken über die Rolle des Krieges in der menschlichen Gesellschaft und ihr Engagement als Pazifistin. Auch ARTHUR VON SUTTNER, ebenfalls Pazifist, verdiente sein Geld mit der Schriftstellerei , allerdings litt das Paar lange Zeit unter finanziellen Schwierigkeiten.
In Tiflis schrieb SUTTNER „ Es Löwos“, eine poetische Beschreibung ihres Zusammenlebens mit ARTHUR, und vier Romane, u.a. erschien „Hanna“ als Fortsetzungsroman in der Gartenlaube, und das erste bedeutende Buch „Inventarium einer Seele“ (1883), in dem sie bereits die Unsinnigkeit von Kriegen thematisierte.
1885, nachdem Frau DADIANI gestorben war, kehrte das Ehepaar nach Wien zurück, versöhnte sich mit dem Baron VON SUTTNER und lebte im elterlichen Schloss Harmannsdorf im Waldviertel in Niederösterreich. Bei einem Aufenthalt in Paris 1886 traf BERTHA VON SUTTNER ALFRED NOBEL wieder; der seither ihr pazifistisches Engagement finanziell unterstützte. 1887 nahm SUTTNER Verbindung zur damals einzigen Friedensorganisation der Welt auf, der Londoner „International Arbitration and Peace Association“.
1889 erschien SUTTNERS „Maschinenalter. Zukunftsvorlesungen über unsere Zeit“, unter dem Pseudonym „Jemand“. Darin zeichnete sie bereits eine Vision, die kurze Zeit später Wirklichkeit werden sollte:
„Alle Staaten zerstampft, alle Arbeit eingestellt, alle häuslichen Herde umgeworfen, nur ein Schrei des Schmerzes von Grenze zu Grenze – Jedes Dorf eine Brandstätte, jede Stadt ein Trümmerhaufen, jedes Feld ein Leichenfeld, und noch immer tobt der Kampf: unter den Meereswellen schießen die Torpedoboote, um mächtige Dampfer in den Grund zu ziehen; in die Wolken steigen bewaffnete und bemannte Luftschiffe einer zweiten äronautischen Truppe entgegen, und aus tausend Meter Höhe schneien verstümmelte Krieger als blutende Flocken herab.....“.
„Maschinenalter“ war zugleich eine politisch-philosophische Schrift gegen den Nationalismus, der die Autorin bekannt machte und ihr soviel Geld einbrachte, dass sie ihren Antikriegsroman „Die Waffen nieder!“, der zuvor von mehreren Verlagen abgelehnt worden war, in einer Kleinauflage herausbringen konnte. Das Buch musste bis 1896 in 14 Auflagen nachgedruckt werden, bis 1914 waren 210 000 Stück verkauft, es erschienen in kurzer Zeit Übersetzungen in andere Sprachen. Der Tendenzroman „Die Waffen nieder!“ war das damals wichtigste Antikriegsbuch. Erst der Roman „Im Westen nichts Neues“ von ERICH MARIA REMARQUE würde einen ähnlichen Erfolg als Antikriegswerk haben. Die Autorin bekannte:
„Ich hatte das Buch geschrieben, um der Friedensbewegung, von deren beginnender Organisation ich erfahren hatte, einen Dienst zu leisten in meiner Art.“
Heldin des Romans ist die Gräfin Martha Dotzky, die gegen den Krieg eintritt, nachdem ihr Mann im Österreichisch-Italienischen Krieg von 1859 fällt. Als ihre zweite große Liebe, Baron Friedrich Tilling, ein Offizier in österreichischen Diensten, zugleich ein entschiedener Pazifist, in der Schlacht von Königgrätz vermisst wird, begibt sich Martha auf die Suche nach ihm und erlebt alptraumhafte Szenen in den Feldlazaretten. Ihr Mann ist zwar nur leicht verletzt und bereits daheim, beider Abscheu gegen den Krieg wird jedoch nur größer. Bis ein dritter Krieg ausbricht, der Deutsch-Französische Krieg (1870/71). Ihren Mann, einen vermeintlich preußischen Spion, erschießen die österreichischen Landsleute standrechtlich. Das Fazit der Heldin ist auch ein Resumee der Autorin:
„Ich habe es zu spät erkannt, daß der Schlachteneifer nichts Übermenschliches, sondern – Untermenschliches ist; keine mystische Offenbarung sondern eine Reminiszenz aus dem Reich der Tierheit – ein Wiedererwachen der Bestialität.“
Der russische Dichter LEO TOLSTOI zeigte sich sehr begeistert von der Lektüre und verglich „Die Waffen nieder“ mit HARRIETT BEECHER STOWES „Uncle Tom's Cabin“ (dt.: „Onkel Toms Hütte“):
„Ich schätze Ihr Werk sehr und denke, daß die Publikation Ihres Romans ein glückliches Vorzeichen ist. Die Abschaffung der Sklaverei wurde durch das berühmte Buch einer Frau, Mme. Beecher-Stowe, vorbereitet; Gott gebe es, daß die Abschaffung des Krieges durch das Ihre bewirkt wird!“ (Brief vom 22. 10. 1891).
Der Name BERTHA VON SUTTNERS verband sich für die Öffentlichkeit von nun an mit der pazifistischen Bewegung. BARTOLOMÄUS VON CARNERI schrieb in der „Neuen Freien Presse“ in Wien:
„Niemals ist dem Militarismus in so drastischer Weise dargetan worden, wieviel Elend er um sich verbreitet und wie schön das von ihm mißachtete Leben sein kann. [..] Die Abrüstung wäre der Anbruch einer besseren Zeit. Die das erkennen, zählen heute schon nach Millionen ... Heil dem Fürsten, der im richtigen Augenblicke sich ein Herz faßt und die weiße Fahne ergreift! Je ritterlicher er ist, desto leichter wird er es wagen, wenn ein edles Weib sie ihm entgegenbringt“ (BARTOLOMÄUS VON CARNERI, 15.3.1890).
Ihre Gegner taten den Roman als Werk „rührseliger Albernheit“ und „minderliterarisch“ ab, verunglimpften die Autorin als „Friedensfurie“, „Friedensbertha“ und – wegen ihres Engagements für die Rechte ihrer jüdischen Mitbürger – „Judenbertha“.
Die SUTTNER – das belegen ihre Werke bis heute eindrucksvoll – war jedoch nicht nur eine Pazifistin und – vielleicht – mittelmäßige Romanautorin, sondern eine Visionärin besonderen Schlages. Sie sah früher als viele ihrer Zeitgenossen eine neue Art von Kriegen als Massenvernichtungskriege voraus. Sie erkannte, dass in einem kommenden Krieg Giftgas und Dum-Dum-Geschosse zum Einsatz kämen, dass der Beschuss von Stellungen aus der Luft erfolgen und somit eine weitere neue Form – der Luftkrieg – „erfunden“ würde.
„Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde“
Es war zu jener Zeit sehr ungewöhnlich, dass Frauen sich so stark engagierten. Politische Betätigung war den Frauen geradezu verboten, zumindest durften sie keinerlei politischer Partei angehören. Auch das Wahlrecht blieb ihnen lange verwehrt. 1891 gründete SUTTNER deshalb die gemeinnützige „Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde“ (seit 1964 „Suttner-Gesellschaft“) und 1892 die „Deutsche Friedensgesellschaft“. Sie wurde zur begehrten Rednerin auf internationalen Friedenskongressen. Auf dem dritten Weltfriedenskongress in Rom wurde sie zur Vizepräsidentin des Internationalen Friedensbüros gewählt. 1892 gründete sie mit ALFRED HERMANN FRIED (1864 -1921) „Die Waffen nieder! Monatsschrift zur Förderung der Friedensidee“.
1896 starb ALFRED NOBEL. Noch kurz vor seinem Tod schrieb er an die SUTTNER:
„Ich bin entzückt zu sehen, daß die Friedensbewegung an Boden gewinnt, dank der Bildung der Massen und dank besonders der Kämpfer gegen Vorurteil und Finsternis, unter denen Sie einen hohen Rang einnehmen. Das sind Ihre Adelstitel.“
Der von ihm gestiftete „Friedensnobelpreis“ ging auf Anregung BERTHA VON SUTTNERS zurück, wie NOBEL in einem Brief vom 7. Januar 1893 erwähnte:
„Liebe Freundin! Möge das neue Jahr für Sie und für den edlen Feldzug, den Sie so kraftvoll gegen die Unwissenheit und menschliche Verwilderung führen, günstig sein. Ich möchte einen Teil meines Vernögens dazu verwenden, einen Preis zu stiften, der alle fünf Jahre verteilt werden soll (nehmen wir an sechsmal, denn wenn es in dreißig Jahren nicht gelungen ist, das gegenwärtige System zu reformieren, wird man notgedrungen in die Barbarei zurückfallen.). Dieser Preis würde demjenigen oder derjenigen zuerkannt werden, die Europa veranlaßten, den größten Schritt zur allgemeinen Befriedung zu tun. Ich spreche nicht von Abrüstung, die nur sehr langsam vorankommen kann, ich spreche nicht einmal von einem für alle Nationen verbindlichen Schiedsspruch. Aber man wird bald zu diesem Ergebnis kommen müssen (und man kann dorthin gelangen), wenn alle Staaten sich verpflichten, sich geschlossen gegen den ersten Angreifer zu wenden, dann werden alle Kriege unmöglich werden. Und man erreichte, daß selbst der streitsüchtigste Staat sich an einen Schiedshof wenden oder sich ruhig verhalten muß. Wenn der Dreibund an Stelle von drei Staaten alle Staaten umfaßte, wäre der Friede für Jahrhunderte gesichert.“
NOBEL verfocht 1893 bereits die Idee von der Schaffung einer Weltorganisation, wie sie in den zwanziger Jahren mit dem Völkerbund, erfolgreicher jedoch erst nach 1945 mit der Gründung der Vereinten Nationen verwirklicht wurde. Auch BERTHA VON SUTTNER sah bereits zu jener Zeit die Notwendigkeit einer solchen weltumspannenden Organisation ein. Bereits auf dem Berner Friedenskongress von 1892 sie gemeinsam mit anderen den sogenannten „Capper-Moneta-Suttner-Antrag“ (Text 1) eingebracht, in dem ein „Europäischer Staatenbund“ angemahnt wurde.
1899 nahm sie als einzige Frau an der von Zar NIKOLAUS II. initiierten „Ersten Haager Friedenskonferenz“ in Den Haag teil. Im selben Jahr erschien ihr Roman „Schach der Qual. Ein Phantasiestück“, in dem die Personen die Grausamkeiten, die im Namen der Menschheit geschehen, anprangern: den Krieg, die Folter, koloniale Unterdrückung, Sklaverei und die Rechtlosigkeit der Frau.
Am 10. Dezember 1902 starb SUTTNERS Mann. Der Verlust des Geliebten hielt sie jedoch nicht davon ab, weiter gegen den Krieg zu agitieren. 1904 reiste sie zum Weltfriedenskongress nach Boston und betrat erstmals amerikanischen Boden. Sie besuchte über sechzig Städte und hielt Vorträge über die gefährliche Situation in Europa. BERTHA VON SUTTNER erhielt 1905 als erste Frau der Welt den Friedensnobelpreis.
Eine zwölfbändige Gesamtausgabe ihrer Schriften erschien 1906.
Vom 15. Juni bis 18. Oktober 1907 nahm SUTTNER an der von US-Präsident THEODORE ROOSEVELT initiierten Zweiten Haager Friedenskonferenz teil, die die Erwartungen der engagierten Pazifistin jedoch nicht erfüllte.
1911 – angesichts der Entdeckung des radioaktiven Radiums – beschwor sie in „Der Menschheit Hochgedanken“ die Gefahr eines nahenden Atomkrieges herauf:
„Damit ist eine Machtfülle in unsere Hand gegeben, für die uns noch das Fassungsvermögen fehlt. Ein Kraftquantum ist uns zur Verfügung gestellt, das alle Arbeitswirkung verhundertfachen, vertausendfachen, verhunderttausendfachen kann. [...] Der Radiumkondensator ist erfunden. Mit von Wolkenhöhen herabgesandten Radiumstrahlenbündeln in ein paar Minuten feindliche Flotten und Heere zu vernichten, feindliche Städte zu zertrümmern, ist Kinderspiel. Gegenseitig. Achtundvierzig Stunden nach der sogenannten 'Eröffnung der Feindseligkeiten' könnten beide kriegsführende Parteien einander besiegen und im feindlichen Lande kein Gebäude und kein Lebewesen zurückgelassen haben.“
1912 reiste SUTTNER ein zweites Mal in die USA, inzwischen fast 70 Jahre alt, um vor einem bevorstehenden Krieg in Europa und möglicherweise in der Welt zu warnen. Danach trat sie in Paris Prag, Dresden, Berlin, Breslau und Den Haag auf. 1914 war SUTTNER mit den Vorbereitungen eines Friedenskongresses beschäftigt, der in Wien stattfinden sollte. Ahnungsvoll deutete sie das Heraufziehen eines neuen Krieges, der furchtbarer sein würde als alle bisherigen Kriege. Am 12. Mai 1914 schrieb sie noch hoffnungsvoll:
„Gegen den Übermilitarismus, der jetzt die Atmosphäre erfüllt, ist nicht anzukämpfen. Die einzigen, - weil sie auch eine Macht sind - auf die man hoffen kann, daß sie den Massenkrieg abwenden, sind die Sozialdemokraten“.
Doch die Sozialdemokraten erfüllten diese Hoffnung nicht. ARNOLD ZWEIG begegnete der entschiedenen Pazifistin kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Wien. Er beschrieb diese Episode in seinem Erinnerungsbuch „Die Welt von gestern“:
„Sie kam ganz erregt auf mich zu. ,Die Menschen begreifen nicht, was vorgeht', schrie sie ganz laut auf der Straße, so still, so gütig gelassen sie sonst sprach, ...‚sie haben wieder einmal alles versteckt und geheimgehalten. Warum tut ihr nichts, ihr jungen Leute. Euch geht es vor allem an! Wehrt Euch doch, schließt Euch zusammen! Laßt nicht immer alles ein paar alte Frauen tun, auf die niemand hört. Es steht schlimmer als je, die Maschine ist doch schon im Gang!'“
Am 21. Juni 1914, noch mitten in den Vorbereitungen für den Friedenskongress und sieben Tage vor dem Attentat von Sarajewo, starb BERTHA VON SUTTNER in Wien. Sie wurde im Urnenhain von Gotha bestattet.
SUTTNERS Werke sind (Auswahl):
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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