Zusammenarbeit zwischen Tourismusregionen im Ostseeraum

Der Ostseeraum

Der Ostseeraum ist heute einer von 13 europäischen Kooperationsräumen, für die Entwicklungsprogramme aufgestellt worden sind. Zu diesem Ostsee-Kooperationsraum gehören nicht nur die Anrainer der Ostsee, sondern auch Staaten, Gebiete, Städte, die sich im Hinterland der Ostsee befinden. Zu ihnen gehören Norwegen, das russländische Karelien, Murmansk und Weißrussland (Belarus). Die Bundesrepublik Deutschland ist durch Initiativen und Projekte der nördlich gelegenen Bundesländer Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Berlin und Brandenburg am Ostsee-Kooperationsraum beteiligt.

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit hat im Ostseeraum eine lange Geschichte mit Höhen (z. B. Hanse vom 12.–16. Jh., Fährverbindung Rostock-Gedser seit 1903) und Tiefen (z. B. Schwedischer Krieg 1630–1635, Zweiter Weltkrieg 1939–1945). Erst seit dem Ende der West-Ost-Konfrontation 1989–1991 kann dieser Teilraum in Europa wieder grenzüberschreitend und transnational entwickelt werden. Das trifft auch auf den Tourismus zu, dessen Entwicklung entsprechend der Abgrenzung des Ostsee-Kooperationsraums keinesfalls nur auf die Küste und die küstennahen Gebiete der Ostsee beschränkt ist.

Der Tourismus im Ostseeraum steht vor einer besonderen Herausforderung. Die früher in das sozialistische Staatensystem eingebundenen Länder, wie Polen, Estland, Lettland, Litauen oder Russland müssen auf dem europäischen und weltweiten Tourismusmarkt erst einen sicheren Platz finden und diesen behaupten. Gleichzeitig bekamen die Tourismusregionen in den bisherigen EU-Staaten (Dänemark, Deutschland, Finnland, Schweden) damit neue Konkurrenten. Der Ostseeraum insgesamt kann aber noch eigene Akzente auf dem Tourismusmarkt setzen und den Wettbewerb zu den anderen europäischen Kooperationsräumen (z. B. Mittelmeerraum, Nordseeraum) offensiv aufnehmen.

Für diesen Wettbewerb können die vorhandenen einzigartigen Naturraumpotenziale und Kulturraumpotenziale des Ostseeraums aus gesamteuropäischer Sicht noch besser genutzt werden. Dazu gehört der durch die letzte Eiszeit angelegte und danach überprägte landschaftliche Formenschatz an den Küsten, auf den Inseln und in den binnenländischen Seenplatten und Waldhügellandschaften ebenso wie die historischen Dorfanlagen, die mittelalterlichen, durch die Hanse geprägten Städte und die später entstandenen Seebäder sowie deren weitere Entwicklung. Besonders hervorgehoben werden können die vielen unter Schutz gestellten Nationalparke, Naturparke und Biosphärenreservate bzw. in das UNESCO-Weltnaturerbe aufgenommenen Landschaften, z. B. der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft, die Kurische Nehrung in Russland und Litauen, der Nationalpark Bialowieza/Belovezhskaya Pushcha in Polen und Weißrussland oder die Schärenküste Schwedens sowie die Anerkennung mehrerer Siedlungen als UNESCO-Weltkulturerbe, z. B. die Hansestädte Wismar/Stralsund (Bild 2), die Altstadt von Tallinn, die Altstadt von Warschau, das historische Zentrum von Sankt Petersburg oder die Hansestadt Visby in Schweden.

Die Altstadt von Stralsund wurde zusammen mit der von Wismar zum Weltkulturerbe erklärt.

Die Altstadt von Stralsund wurde zusammen mit der von Wismar zum Weltkulturerbe erklärt.

Das Ziel der Entwicklung des Tourismus im Ostseeraum ist es, ihn auf ein hohes Niveau des Natur- und Kulturtourismus zu heben und dabei die besonderen touristischen Gebietstypen (z. B. Küstenräume, Inseln, Seen-, Wald- und Hügellandschaften im Binnenland, Städte und Dörfer) in ein Gesamtkonzept einzubinden. Das spezifische touristische Profil soll – im Unterschied z. B. zum Mittelmeerraum – „sanfter“ und „grüner“ sein. Sanfter Tourismus ist Bestandteil nachhaltiger Entwicklung („sustainable development“), die eine Organisation der Gesellschaft erfordert, die u.a. nicht auf Kosten der Natur stattfindet.

In konkreten Projekten sollen nationale, regionale und lokale Behörden, Planungsverbände, Institutionen aus mindestens zwei oder mehreren EU-Ländern zur Entwicklung des Raumes und seines Tourismus, aber auch der Wirtschaft, der Verkehrsinfrastruktur, der Städte und der ländlichen Regionen zusammenarbeiten. Sie erhalten bis zu 75 % der Kosten durch die EU erstattet.

Zusammenarbeit von vier ländlichen Regionen im Ostseeraum

Ein transnationales Projekt zur Entwicklung des Tourismus betreiben vier ländliche Regionen aus vier Ostseeanliegerstaaten, die sich jeweils im Binnenland befinden. Seit 1999 arbeiten die Regionen Mecklenburgische Seenplatte aus Deutschland, Östergötland aus Schweden, Suwalki aus Polen und Cesis aus Lettland als Partnerregionen sehr erfolgreich zusammen. Sie werden von der Universität der Freien und Hansestadt Hamburg wissenschaftlich unterstützt.
Den Rahmen für diese transnationale Zusammenarbeit bilden

  • das gemeinsame Raumentwicklungskonzept des Ostseeraumes bis 2010 und darüber hinaus, in dem die Anliegerstaaten im Jahr 1994 die Visionen und Strategien für die Entwicklung ihres Kooperationsraums festgelegt haben sowie
  • Förderprogramme der EU für den Ostseeraum zur Verwirklichung dieses Konzeptes in konkreten Projekten. Sie heißen z. B. INTERREG II und INTEREG III.

Gemeinsames Ziel ist es, in den vier ländlichen Regionen aus unterschiedlichen Ländern neue Wege bei der touristischen Nutzung ihrer jeweiligen herausragenden Natur- und Kulturraumpotenziale zu gehen und einen Tourismus zu entwickeln, der als hochwertiger Tourismus (High Quality Tourism) bezeichnet werden kann. Hierfür wollen die Partnerregionen Erfahrungen auszutauschen und die Ergebnisse des Erfahrungsaustauschs in konkreten Aktionen in der eigenen Region zukunftsweisend („nachhaltige Entwicklung“) umzusetzen.

Unter „hochwertigem Tourismus mit nachhaltigen Wirkungen“ wird ein Tourismus verstanden, der sich an den gegebenen touristischen Potenzialen der einzigartigen Natur- und Kulturräume orientiert und vornehmlich die Wertvorstellungen und Interessen der dort lebenden Bevölkerung zum Maßstab nimmt.
Die Hochwertigkeit der Potenziale und ihrer Nutzung hat einen objektiven Wertmaßstab, der sich in Unterschutzstellungen (Nationalparke, Naturparke, Biosphärenreservate, Weltkulturerbe) ausdrückt. Und sie hat subjektive Bewertungsmaßstäbe, die zwischen den unterschiedlichen Akteuren im Tourismus, wie Bewohner, Tourist, Unternehmer, Politiker u.a., erheblich schwanken können.
Im Sinne der nachhaltigen Entwicklung, die eine langfristige Erhaltung und Pflege der Natur- und Kulturpotenziale erfordert und ihre Beeinträchtigung oder gar Zerstörung ausschließt, sind die lokalen bzw. regionalen Akteure gefordert, die Werteskala von Schutz der Natur- und Kulturräume und ihrer touristischen Nutzung klar zu bestimmen. Sie haben Regeln und Limits für Touristen mit dem Ziel des Schutzes von Natur und Kultur zu setzen und nehmen auf touristische Anbieter (Hotels, Freizeitanlagen, Bootsausleihen u.a.) mit dem Ziel Einfluss, die Unverwechselbarkeit der Regionen zu erhalten bzw. Monotonie und Austauschbarkeit abzuwehren.
Die vier Partnerregionen werden somit nicht jede touristische Nachfrage und nicht jeden touristischen Markttrend bedienen. Sie haben aber die Chance, sich gemeinsam und in Konkurrenz zueinander auf dem umkämpften Tourismusmarkt, auf dem die Produkte oft austauschbar sind, klar zu positionieren.

Den Projekthintergrund bilden die in den ländlichen Partnerregionen vorhandenen ähnlichen Voraussetzungen und die zu bewältigenden ähnlichen, z. T. brisanten Probleme.
Zu den Voraussetzungen gehören sowohl die einzigartigen eiszeitlich geprägten binnenländischen Wald-Seen-Landschaften mit hohen Anteilen von Großschutzgebieten, wie die Feldberger Seenlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern, der Omberg-Nationalpark in Östergötland, der Wigry-Nationalpark in der Suwalki-Region und der Gauja-Nationalpark in der Cesis-Region als auch hoch bewertete Kulturraumpotenziale (denkmalgeschützte Guts-, Schloss-, Dorf- oder Stadtanlagen u.a.). Sie dürfen durch den sich entwickelnden Tourismus nicht gefährdet werden. Der Tourismus stellt vielmehr auch eine Chance zu ihrer Erhaltung dar.

Die geografische Lage und die Erreichbarkeit der Partnerregionen ist für ihre touristische Entwicklung von besonderer Bedeutung. Es zeigt sich zwar ein Nachteil gegenüber den stärker gefragten Küstenregionen, aber ihre relative Nähe zu einem oder mehreren Ballungsräumen, den Quellgebieten für touristische Nachfrage im eigenen Land (Mecklenburgische Seenplatte zu Hamburg und Berlin; Cesis-Region zu Riga; Östergötland zu Stockholm), stellt einen Vorteil dar. Lediglich die Suwalki-Region ist von Warschau aus erst nach längerem Zeitaufwand erreichbar.

Kennzeichen für die Probleme der Partnerregionen sind u.a. der Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion, das Fehlen anderer Wirtschaftszweige als weitere ökonomische Grundlagen, eine damit zusammenhängende hohe Arbeitslosigkeit und eine hohe Abwanderungsrate zumeist junger Menschen, die zu einer negativen Bevölkerungsentwicklung und einer geringen Bevölkerungsdichte führen (Tabelle) sowie eine unterdurchschnittlich entwickelte Infrastrukturausstattung.

PartnerregionenLänder zum Vergleich: Bevölkerungsdichte (Einw./km²)
NameFläche
(in km²)

Einwohner
(2002)

Bevölkerungs-dichte
(Einw./km²)
Mecklen-burgische
Seenplatte
5 810336 98058Deutschland: 229
Östergotland10 562411 91839Schweden: 21
Suwalki-
Region
10 500504 00048Polen: 122
Cesis-
Region
3 06264 30221Lettland: 35
Hamburg7551 744 5252 369Deutschland: 229

Als gemeinsam interessierende Inhalte bei der Entwicklung eines „hochwertigen Tourismus“ im Rahmen der transnationalen Zusammenarbeit fanden

  • die Erreichbarkeit der Regionen,
  • die Wirkungen der Tourismusbranche in andere Bereiche der Wirtschaft in den Regionen und
  • die Entwicklung ausgewählter Tourismusgebiete in den Regionen Berücksichtigung.
 

Die Entwicklung von Strategien zur Erreichbarkeit der vier ländlichen Regionen aus den Agglomerationsräumen ihrer Staaten, aus dem Ostseeraum und international mit dem Auto, mit der Bahn, mit dem Schiff oder mit dem Flugzeug in der Gegenwart bzw. in der Zukunft bedarf besonderer Aufmerksamkeit (s. Bild 6). Eine sehr gute Erreichbarkeit ist im Tourismus wichtig, kann jedoch auch mit schwerwiegenden Umweltbelastungen verbunden sein (Luftverschmutzung, Lärm u. a.). Ein weiteres Problem stellt die Verkehrsbewältigung innerhalb der vier Regionen selbst dar – z. B. Reduzierung des Autoverkehrs, aber sehr gute Angebote mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Nationalparkticket usw.

Die touristische Vermarktung „hochwertiger Tourismusangebote“ der Regionen heißt vor allem, diejenigen Angebote, die auf dem jeweiligen Naturraum basieren, zu fördern – z. B. Kanufahren, Radfahren, Wandern, Reiten. Zudem sollen Potenziale des Kulturraumes genutzt werden für Angebote wie Konzerte, Festivals in historischem Ambiente von Burgen – im gesamten Baltikum haben Sängerfestivals eine lange Tradition – Gutshäusern, Kirchen etc.
Als touristische Märkte werden das eigene Land, der Ostseeraum sowie Europa und Nordamerika erschlossen. Dabei ist an den Aufbau eines geeigneten, auch gemeinsamen Informationssystems gedacht.

Bei den Wirkungen des Tourismus auf die Wirtschaft in den Regionen stehen Verflechtungen von touristischen Angeboten der Hotels oder Gaststätten mit Angeboten von Landwirten, Handwerkern, Künstlern, aber auch die Initiierung von Markttagen auf Marktplätzen, in alten Mühlen, in alten Landscheunen u.a. für Einheimische und Touristen im Vordergrund des Interesses.

Entwicklungspläne für ausgewählte Gebiete innerhalb der Regionen betreffen vor allem Gebiete mit besonderen Potenzialen für eine „hochwertige touristische Nutzung“ (z. B. Nationalparke, Naturparke, weitere besondere Landschaftsteile). Hier wurden z. B. Ideen des Aufbaus eines Eiszeit-Naturerlebnis-Parks, einer Eiszeit-Wanderroute sowie der Ausbau von Gutshausarealen u.a. entwickelt.

Die Ergebnisse bestätigen, dass das gemeinsame transnationale Vorgehen in kurzer Zeit Resultate erbracht hat, die eine Region allein nie hätte erreichen können. Die Vision eines zusammenwachsenden Ostseeraumes durch konkrete Aktivitäten zwischen Partnern unterschiedlicher Staaten und Regionen, aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen (Politik, Wissenschaft, Planung, Tourismusbranche u.a.) wurde im Projekt sehr schnell umgesetzt. Die Ergebnisse wurden erreicht durch:

  • den schnellen Aufbau eines umfangreichen Netzwerkes persönlicher Kontakte zwischen vielen Akteuren innerhalb und zwischen den Regionen und
  • die Organisation von Expertentreffen, Arbeitsbesuche u.a. abwechselnd in allen Regionen.

Die Projektzusammenarbeit konzentriert sich auf Themen der Entwicklung thematischer touristischer Routen und Parks, von touristischen Besucher- und Informationszentren sowie der Vermarktung regionaler Produkte.

Von besonderem Interesse nicht nur für die vier ländlichen Regionen, sondern auch für die Stadt Hamburg ist der Sachverhalt, dass immer neue Formen von natürlichen und künstlichen Freizeit- und Erlebniswelten bzw. Inszenierungen im Tourismus entstehen.
Solche thematisch ausgerichteten, aber zumeist sehr komplex angelegten Tourismuskonzepte erleben seit einigen Jahren weltweit einen Boom in Städten wie in ländlichen Räumen. Zum einen handelt es sich um multifunktionale Einrichtungen an der Schnittstelle von Freizeit, Unterhaltung, Kultur, Großveranstaltungen: Freizeitparks, Spaß- und Erlebnisbäder, Multiplex-Kinos, Brand Lands, Infotainment Center oder Freizeit-Einkaufs-Erlebnis-Center, bei denen die städtisch geprägte Vielfalt im Mittelpunkt steht. Zum anderen werden Typen von Erlebniswelten entwickelt, in denen im Zentrum die Thematisierung und Inszenierung von Natur, Kultur, Geschichte und Technik steht – „neue“ Zoos und Aquarien, „neue“ Museen.

Das fordert bei der Weiterentwicklung der Partnerregionen eine intensive Auseinandersetzung zu den Fragen heraus, ob solche Einrichtungen, die sich zumindest teilweise nicht in die historisch gewachsenen Natur- und Kulturräume einordnen, mit dem Ziel eines „hochwertigen Tourismus mit nachhaltigen Wirkungen“ vereinbar sind oder nicht und in welcher Weise diesem weltweiten Trend entsprochen werden muss. Im Ergebnis dieser Auseinandersetzungen kann im Streben nach dem Erhalt der Konkurrenzfähigkeit und im Einklang mit dem Prinzip der nachhaltigen Wirkungen die Errichtung derartiger erlebnisorientierter Einrichtungen stehen, die sich organisch in die Region oder ihre Teile einordnen. Beispiele dafür sind „Welcome Centres“ in Hamburg und in den vier ländlichen Regionen, „neue“ Besucher- und Informationszentren in Eingangsbereichen der Nationalparke in der Mecklenburgischen Seenplatte, in Östergötland und in der Cesis-Region sowie eines „Eiszeit-Lehrpfad“ im Naturpark Feldberger Seenlandschaft, Mecklenburgische Seenplatte.

Lexikon Share
Lernprobleme?
 

Mit deinem persönlichen Nachhilfe-Tutor Kim & Duden Learnattack checkst du alles

  • KI-Tutor Kim hilft bei allen schulischen Problemen
  • Individuelle, kindgerechte Förderung in Dialogform
  • Lernplattform für 9 Fächer ab der 4. Klasse
  • Über 40.000 Erklärvideos, Übungen & Klassenarbeiten
  • Rund um die Uhr für dich da

Einloggen