Obstbau in Neuseeland – Beispiel für Globalisierung

Die Globalisierung stellt einen kontinuierlich ablaufenden ökonomischen, sozialen und politischen Prozess dar, der zur Neugestaltung regionaler Wirtschaftsräume führt. Dabei werden z. B. die Produktion, Dienstleistungs- oder Vermarktungsaktivitäten der einzelnen Nationalstaaten miteinander eng verflochten. Das führt zwangsläufig zu einer immer stärkeren gegenseitigen Abhängigkeit der Nationalstaaten und zur Verringerung der Eingriffsmöglichkeiten der souveränen Regierungen in wirtschaftliche Belange.

Der Prozess der Globalisierung greift auch zunehmend tiefer in die Landwirtschaft ein. In den meisten Industrieländern, auch in der EU, stellt allerdings die staatliche Regulierung und Subventionierung der landwirtschaftlichen Produktion noch immer die Regel dar. So betragen beispielsweise die Subventionen in den USA 20 %, in der EU durchschnittlich 50 % und in Japan sogar rund 70 % des Wertes der Agrarproduktion pro Erzeuger. Mittlerweile ist aber gesichert, dass auch die Landwirtschaft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ohne staatliche Subventionen und Regulierungsmaßnahmen existieren und unter globalen Konkurrenzbedingungen bestehen kann.

Neuseeland ist ein hervorragendes Beispiel dafür: In nur knapp einem Jahrzehnt ist es in diesem Land gelungen, die bis dahin stark staatlich regulierte Landwirtschaft völlig neu zu ordnen. Dem soll etwas ausführlicher nachgegangen werden:
Nach der Erschließung und Besiedlung Neuseelands durch die Engländer konzentrierte sich die Agrarproduktion des Landes fast vollständig auf die Versorgung des britischen Marktes. Von großer Bedeutung war zunächst die Ausfuhr von Schafwolle. Als es Ende des 19. Jahrhunderts möglich wurde, Gefrierschiffe für den Transport zu nutzen, wurden zunehmend auch Fleisch und andere tierische Produkte exportiert.


Die außenwirtschaftliche Bedeutung des neuseeländischen Agrarsektors wuchs stetig und erreichte in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen wertmäßigen Anteil an den gesamten Ausfuhren des Landes von etwa 90 %. Andererseits wurde der neuseeländische Binnenmarkt durch staatliche Maßnahmen, z. B. durch Einfuhrzölle, vor der ausländischen Konkurrenz geschützt. Mit staatlichen Subventionszahlungen wurde darüber hinaus auch lange Zeit das Einkommen der Farmer gesichert. Seit den 70er Jahren des 20. Jh. begannen jedoch auf dem Weltmarkt die Preise für Agrarerzeugnisse zu fallen. Außerdem brach der britische Markt für neuseeländische Agrarexporte durch den Beitritt Großbritanniens zur EWG ab 1973 plötzlich weg. Der Staat musste den Landwirten zur Sicherung ihrer Existenz folglich immer höhere Subventionen zahlen. Das führte letztendlich zu einer extrem hohen Staatsverschuldung. Zu Beginn der 80er Jahre des 20. Jh. war diese so groß, dass Neuseeland vor dem finanziellen Bankrott stand.

Mit einem Regierungswechsel erfolgte deshalb 1984 eine völlige Umorientierung der Wirtschaftspolitik. Diese schloss auch die Liberalisierung des Agrarmarktes Neuseelands ein: Insbesondere wurden die bisherigen staatlichen Regulierungsmaßnahmen einschließlich der Subventionsleistungen gänzlich abgeschafft. Außerdem funktionierte die Abschottung des Binnenmarktes nicht mehr, da die Einfuhrzölle gesenkt oder gänzlich aufhoben wurden. Damit waren die Erzeugnisse der neuseeländischen Landwirte unmittelbar dem freien Wettbewerb auf dem Weltmarktes ausgesetzt.

Neben der Wolle-, Fleisch- und Milcherzeugung gewannen der Anbau von Feldkulturen, wie Futterpflanzen, Weizen, Gerste, Kartoffeln, aber auch die Produktion von Gemüse und Obst, besonders von Kiwis, erheblich an Bedeutung. Die Landwirtschaft wurde also auf eine breitere Basis gestellt. Den einheimischen Landwirten ging es in dieser Zeit allerdings keineswegs gut: Einkommensverluste von bis zu 50 % waren die Regel. Das und die stark steigenden Zinssätze für Bankkredite brachte viele landwirtschaftliche Betriebe an den Rand des Ruins. Der Teilverkauf von Flächen, die Suche nach neuen Erwerbsquellen oder die Ausdehnung der Produktion sicherten allerdings das Überleben vieler Landwirtschaftsbetriebe. Von den insgesamt 80000 neuseeländischen Farmen gingen nur wenige ein. Das Überleben sicherten aber auch die Neuregelung von Standortfragen, die Spezialisierung der Produktion, neue Vermarktungsstrategien und Geschäftskontakte:

In den klimatisch günstigen Anbauregionen wurden Flächen für den intensiven Obstbau geschaffen. Aufgrund der Insellage herrscht ozeanisches Klima mit warmen Sommern und milden Wintern vor. Das Land ist daher gut geeignet für den Anbau von Spezialkulturen, wie Kiwi, Äpfel, Aprikosen und Weintrauben. Der Wandel im Agrarbereich bedeutete aber auch, dass zum Teil nicht konkurrenzfähige Anbauprodukte aufgegeben werden mussten. Beispielsweise verzichtete man nach dem Wegfall der Subventionen in der im Norden der Südinsel gelegenen Region Riwaka/Motueka auf den traditionellen Tabakanbau und legte statt dessen Plantagen für Kernobst und Kiwifrüchte sowie Hopfenfelder an.

Die Spezialisierung auf den Anbau von Kiwifrüchten in Neuseeland begann bereits vor etwa 100 Jahren. Damals hatten Hobbypflanzer aus Samen der in China beheimateten Frucht die ersten Pflanzen herangezogen. Doch es dauerte noch viele Jahre, bis diese so weit kultiviert waren, dass große, robuste und wohlschmeckende Früchte geerntet werden konnten. Erst im Jahr 1953 begann man mit dem neuseeländischen Kiwi-Export. In den 80er und 90er Jahren führte die bewusstere Ernährungsweise in vielen Industrieländern zu einer steigenden Nachfrage nach frischem Obst und Gemüse. Das veränderte Kaufverhalten ließ auch den Bedarf nach der gesunden exotischen Kiwi sprunghaft steigen. Bis in die 80er Jahre hatte Neuseeland das Monopol auf die Lieferung dieser Früchte, bevor weitere Länder, wie Griechenland, Italien, Frankreich, die USA, Chile, Südafrika, Australien, Kiwis anbauten und exportierten.

Waren zunächst nur die Kriterien Größe, Färbung und Haltbarkeit wichtig, wurde mehr und mehr bedeutsam, dass die Erzeugnisse frei von schädlichen Rückständen sind. Darum werden seit 1999 alle Kiwifrüchte nach den Vorgaben des „Kiwi-green-Programms“ angebaut. Über 100 Erzeuger haben ihre Produktion auf ökologischen Anbau umgestellt. Das hat auch finanzielle Anreize, denn die Erzeuger erhalten für Öko-Erzeugnisse einen Mehrpreis von bis zu 40 %.

Außerdem kam in letzter Zeit mit der patentierten Sorte „Zespri Gold“ eine Neuzüchtung auf den Markt. Diese Kiwi unterscheidet sich hinsichtlich Form, Farbe und Geschmack erheblich von den herkömmlichen Früchten und soll die neuseeländische Marktposition weiter stärken.

Neben dem Kiwianbau spezialisierten sich die Farmer Neuseelands häufig auch auf den Kernobst-, vor allem auf den Apfelanbau. In Neuseeland entwickelte Sorten, wie Gala, Royal Gala und Braeburn sind mittlerweile auch in deutschen Supermärkten nicht mehr selten. Die hohen Ernteerträge, verbunden mit guten Qualitätsstandards, haben Neuseeland bereits seit sechs Jahren an die weltweit erste Stelle der Apfelproduzenten gesetzt, gefolgt von Chile und den Niederlanden.

Besonders wichtig für die Existenz des neuseeländischen Obstanbaus unter den Bedingungen globaler Konkurrenz sind Vermarktungsstrategien und damit das Auftreten gegenüber den Handelsketten und Einkäufern in den Importländern. In den letzten Jahren wurden gemeinsame Vermarktungsorganisationen geschaffen, die sogenannten Marketing Boards, welche das Exportmonopol besitzen. Damit wurden letztendlich ein gemeinsames Regionalbewusstsein sowie kreative wirtschaftliche Aktivitäten gefördert. Die Produzenten entrichten an die Marketing Boards mengenabhängige Gebühren, welche für die erforderlichen Marketingmaßnahmen Verwendung finden. Auch die Neu- und Weiterzüchtung von Obstsorten wird durch die Boards unterstützt.

Seit 1984 hat sich der neuseeländische Agrarsektor so zu einem hoch effektiven Wirtschaftszweig entwickelt. Etwa 85 % aller Agrarerzeugnisse werden dabei ausschließlich für den Export erzeugt.

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