Die Freiheit der Meere

Schon die Entdeckungsfahrten der Spanier und Portugiesen führten in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu erheblichen Spannungen zwischen diesen Seefahrnationen, sodass der Papst eine Übereinkunft vermitteln musste: Am 2. Juli 1494 vereinbarten Spanien und Portugal im Vertrag von Tordesillas, dass östlich einer Nord-Süd-Linie, die ungefähr bei 46° westlicher Länge verlief, alles entdeckte und noch zu entdeckende Land portugiesisch und westlich dieser Linie alles spanisch sein sollte. Das gerade zwei Jahre zuvor entdeckte Amerika blieb im Vertrag allerdings noch unberücksichtigt.

Doch jede neue Entdeckung schürte meistens die Spannungen zwischen beiden Nationen erneut. So zog ein Zusammenstoß, diesmal in Ostasien, in der Region der Gewürz-Inseln (Molukken), den Vertrag von Saragossa (1529) nach sich. In diesem Vertrag wurden Einfluss-Sphären auf den Weltmeeren und auf dem Festland festgelegt, d. h., die damals bekannten Teile der Erde wurden faktisch zwischen Spanien und Portugal aufgeteilt: Alle Meere und Festländer westlich 143° ö. L. sollten portugiesischer Besitz sein, und alle östlich dieses Längenkreises liegenden Meere und Territorien sollten spanisch sein. Mithin gab es kein freies Meer, kein „mare liberum“, mehr, sondern nur noch ein aufgeteiltes geschlossenes Meer, ein mare clausum. Erst nachdem die Niederländer und die Briten mehr als ein Jahrhundert später ihre territorialen und ihre Machtansprüche gegenüber Spanien und Portugal kämpfend durchgesetzt hatten, wurde aus dem „mare clausum“ wieder ein freies Weltmeer.

Weitere Jahrhunderte später bestätigten zwei Seerechtskonferenzen 1958 und 1960 die Freiheit der Meere. In der 3. Seerechtskonferenz, die immerhin von 1974 bis 1982 dauerte, wäre beinahe wiederum ein zum größten Teil aufgeteiltes und somit geschlossenes Meer vereinbart worden: Es wurden Wirtschafts- bzw. ökonomische Zonen von 200 Seemeilen Ausdehnung eingeführt, die den betreffenden Staaten die nahezu uneingeschränkte Nutzung der Meere vor ihrer Küste gestatteten. Nur für 120 Meerengen musste die uneingeschränkte Freiheit der Schifffahrt garantiert werden.

Auf diese Weise wurde rund ein Viertel der Erdoberfläche aufgeteilt. Zehn Staaten der Erde erhielten den Zuschlag für über die Hälfte der Fläche aller 200-Seemeilen-Wirtschaftszonen:

USA mit Hawai und pazifischen Inseln: ca. 15 Mio. km²

Frankreich mit allen Besitzungen: ca. 11 Mio. km²

Großbritanien mit allen Besitzungen: ca. 10 Mio. km²

Australien mit Papua-Neuguinea: ca. 7 Mio. km²

Indonesien: ca. 5,4 Mio. km²

Neuseeland: ca. 4,8 Mio. km²

Kanada (einschl. der Hudsonbay): ca. 4,7 Mio. km²

ehemalige UdSSR: ca. 4,5 Mio. km²

Japan: ca. 3,86 Mio. km²

Brasilien: ca. 3,17 Mio. km²

In diesen Zonen befinden sich etwa 90 % der ergiebigsten Fischfanggebiete der Erde. Darüber hinaus gehören sämtliche in diesen Zonen vorkommende Bodenschätze ebenfalls den betreffenden Staaten. Und: Überall dort, wo ein flacher Festlandsockel, das sogenannte Schelf, der Küste vorgelagert ist, kann der Küstenstaat seine Rechtsansprüche sogar über 200 Seemeilen hinaus bis zu 350 Seemeilen vor der Küste (oder 100 Seemeilen seewärts der
2500-m-Tiefenlinie) geltend machen.

Auch in der Nord- und Ostsee wurden Wirtschaftszonen für die Anliegerstaaten festgelegt. So erhielten bei der Aufteilung des Festlandsockels die Nordseeanliegerstaaten folgende Flächen als Wirtschaftszonen zugesprochen: Großbritannien 461153 km², Norwegen 125521 km², Dänemark 60476 km² und die Bundesrepublik Deutschland 26666 km² (zum Vergleich die Flächengröße der Niederlande: 41526 km²). Die Wirtschaftszonen besitzen für diese europäischen Staaten insofern enorme Bedeutung, als sich hier bedeutende Erdöl- und Erdgasvorkommen befinden, die seit den 60er Jahren auch genutzt werden.

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