Während im 18. und 19. Jahrhundert die Entwicklung des englischen Dramas zum Stillstand kam und die Theaterbühnen vornehmlich die Unterhaltungsbedürfnisse eines bürgerlichen Publikums stillten, bildete sich der Roman als eigenständige Gattung mit vielen Gestaltungsmöglichkeiten heraus.
Eine neue Bewegung ging für das Drama von der literarischen Richtung des Realismus aus. Der Realismus zielte auf eine der Wirklichkeit entsprechende Wiedergabe menschlichen Erlebens ab; der Alltag wurde nicht mehr ausgeklammert; vielmehr wurden natürliche Lebensphasen wie das Heranwachsen, die Kindererziehung und das Altwerden ebenfalls Gegenstand der Darstellung auf der Bühne.
Richtungsweisend für das europäische Drama insgesamt wurden die Problemstücke des Norwegers HENRIK IBSEN (1828-1906), die über den Realismus hinausgingen.
Seine Dramen versuchten nicht nur das äußerlich Wahrnehmbare wirklichkeitsgetreu darzustellen, sondern auch auf psychologische und gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen, z. B. die begrenzten Entfaltungsmöglichkeiten der Frauen in ihrer häuslichen Rolle, die Lebenslüge, die Heuchelei, die Unterwerfung unter gesellschaftliche Zwänge (Ein Puppenhaus, 1879; Die Wildente,1884; Baumeister Hollness 1892).
Die Entwicklung des modernen englischen Dramas kam während der Wende zum 20. Jahrhundert durch die beiden Iren GEORGE BERNHARD SHAW (1856-1950) und OSCAR WILDE (1854-1900) in Gang. Der Sozialist GEORGE BERNHARD SHAW verfasste eine größere Anzahl gesellschaftskritischer Dramen, mit deren Hilfe er aufklären, enthüllen und provozieren wollte. Kennzeichen seiner Dramen sind witzige und pointenreiche Dialoge. Sie sind geprägt von SHAWS unbeirrbaren Einsatz für eine bessere Gesellschaft und Gerechtigkeit.
„[…] it annoys me to see people comfortable
when they ought to be uncomfortable.“
(GEORGE BERNHARD SHAW)
Pygmalion, die Beziehungsgeschichte zwischen dem Blumenmädchen Eliza Dollittle aus dem East End und Professor Higgins, dem Gentleman aus dem Westend, diente später als Vorlage für das Musical My Fair Lady.
OSCAR WILDEs Komödien Lady Windermere's Fan und The Importance of Being Earnest unterhalten durch ihre spritzigen, pointenreiche Dialoge und Wortgefechte.
Der erste bedeutende Dramatiker in der Geschichte der amerikanischen Literatur war EUGENE ÓNEILL (1888-1953). Mit Beyond the Horizon (1920) schuf er seinen ersten Dreiakter, ein naturalistisches Drama über das Thema der Selbsttäuschung. Auf ihn gehen mehr als ein Dutzend bedeutender, inhaltlich anspruchsvoller und wirkungsvoll gestalteter Bühnenstücke zurück, die das Leben aus unterschiedlichen dramatischen Perspektiven (realistisch, expressionistisch, psychologisch) darstellen. 1936 erhielt O'NEILL den Nobelpreis für Literatur.
Neben vielen Dramen, die aktuelle Themen in traditioneller Form verarbeiteten, bildeten sich während des 20. Jahrhunderts verschiedene Richtungen heraus, die auch eine Erneuerung der dramatischen Form anstrebten.
Das naturalistische Drama stellt den Menschen als hilfloses Objekt seiner Instinkte und Bedürfnisse auf der einen Seite, und der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen auf der anderen Seite dar. Beipiele sind EUGENE O'NEILLs Stücke Beyond the Horizon, The Iceman Cometh (1946), Long Daýs Journey Into Night (1953).
Der Begriff neuer Realismus zeigte eine Wirklichkeit, die unterschwellige Vorgänge mit einbezog. Innere Zustände des Menschen sowie gesellschaftliche Vorgänge, die in ganz bestimmten Krisensituationen an die Oberfläche dringen, betrachtete er ebenfalls als Bestandteile der Wirklichkeit. Um solche Vorgänge auf der Bühne zeigen zu können, entwickelte er neue dramatische Techniken.
ARTHUR MILLERs Death of a Salesman (1949) behandelt thematisch die Wahl von Lebenszielen und das Scheitern des Einzelnen am Streben zum Erfolg. Death of a Salesman stellt den Amerikanischen Traum in Frage: den Traum, dass jedem der Weg zu Erfolg, Wohlstand und Glück offensteht. Willi Loman, dessen Leben an der Illusion des American Dream zerbricht, durchlebt vor seinem Selbstmord einen Zustand äußerster Verwirrtheit und Erregung. ARTHUR MILLER hat den Versuch unternommen, die innere Verfassung der Hauptfigur in Szene zu setzten. Willi Lomans Erinnerungen und Halluzinationen werden als Mosaik bruchstückhafter Selbstgespräche, Stimmen, Geräusche und Melodien szenisch dargestellt. Death of a Salesman gilt daher auch als Beispiel des expressionistischen Dramas.
Analog zum Expressionismus in der bildenden Kunst hat sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts das expressionistische Drama herausgebildet, das extreme Gemütszustände des Menschen auf der Bühne darstellbar zu machen versucht.
Der Expressionismus in der Malerei und Bildhauerei hatte verschiedene Äußerungsformen. Berühmte Vertreter des Expressionismus sind VINCENT VAN GOGH (1853-1890), PAUL GAUGUIN (1848-1903) und EMIL NOLDE (1867-1956). Sie streben keine detailgetreue Nachbildung des Sichtbaren an, sondern wollen das nicht Sichtbare an die Oberfläche bringen und dem Auge zugänglich machen. So drücken sie verwirrende Gefühlszustände durch verzerrte Formen sowie schrille, kräftige Farben aus.
Ähnlich versucht das expressionistische Drama Zustände größter innerer Bewegtheit und Aufgelöstheit durch Verzerrung und Übertreibung darzustellen. Häufige Themen sind die Isoliertheit des Einzelnen, die Orientierungslosigkeit und die Angst des Menschen in der modernen Gesellschaft.
EUGENE O'NEILLs Emperor Jones (1920) ist ein Beispiel des expressionistischen Dramas. Es stellt die alptraumhaften Ängste dar, die einen ehemaligen Häftling bei seiner Flucht durch einen alten, dunklen Wald überfallen. Der größte Teil des Stückes besteht aus der Darstellung von fünf Halluzinationen, die die Hauptfigur erlebt.
Das epische Drama, so benannt wegen seiner Nähe zur erzählenden Literatur (Epik), versucht zwischen den Zuschauern und der Bühnenhandlung eine ähnliche Situation zu schaffen wie zwischen dem Leser/Zuhörer und dem Erzähler. Ein Regisseur oder ein Chor können eingesetzt werden, um die Rolle des Erzählers, der sonst im Drama fehlt, zu füllen. So entsteht ein innerer Abstand zwischen dem Zuschauer und der Bühnenhandlung, welche vom Zuschauer nicht mehr miterlebt, sondern beobachtet wird.
Andere Techniken des epischen Theaters, die dazu dienen, die Illusion des Miterlebens zu durchbrechen, sind sogenannte Verfremdungseffekte. Sie sprengen die Erwartungen der Zuschauer, provozieren und fordern zum kritischen Überdenken der Dramenhandlung auf.
The Skin of Our Teeth (1942, dt. Wir sind noch einmal davongekommen) von THORNTON WILDER (1897-1975) ist ein episches Drama, das von den Merkmalen des realistischen Theaters abweicht um aufzurütteln. Statt die Handlung ausschließlich durch den Dialog und das Agieren auf der Bühne vor einer realistischen Kulisse darzustellen, werden ein Spielleiter (stage manager) und Verfremdungseffekte wie sich bewegende Requisiten, Handlungsunterbrechungen und eingeblendete Diabilder eingesetzt. The Skin of Our Teeth beschäftigt sich mit dem Gegensatz zwischen den Leistungen der Zivilisation und den menschlichen Schwächen, die die Existenz der Menschheit immer wieder aufs Spiel setzten.
JOHN OSBORNEs Look Back in Anger (1956) schockierte das Theaterpublikum bei seiner ersten Aufführung und stellte einen tiefen Einschnitt in der Theatergeschichte dar. Es formulierte die heftige Auflehnung der Nachkriegsgeneration gegen das sogenannte Establishment der Erfolgreichen und Wohlhabenden in der Gesellschaft. Durch seine Hasstiraden und vulgäre Sprache verletzte das Drama ganz unverhüllt die Sprach- und Verhaltensnormen der tonangebenden sozialen Schicht in Großbritannien.
Das moderne Drama der Gegenwart hat eine Vielzahl experimenteller Stücke hervorgebracht, die sich nicht eindeutig einer bestimmten Stilrichtung zuordnen lassen.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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