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- 6.2 Ireland
- 6.2.0 Ireland
- Irland, Gesellschaft
Unter einer Gesellschaft versteht man das Zusammenleben von Menschen innerhalb gleicher Lebenszusammenhänge. Das bedeutet, dass die Menschen einer Gesellschaft auf unterschiedliche Art und Weise in verschiedenen Formen miteinander verbunden sind. Wie jede andere Gesellschaft lässt sich die irische Gesellschaft anhand bestimmter Merkmale charakterisieren. Zu den wichtigsten Merkmalen gehören: Gruppen, Religionen, Wertvorstellungen, Wirtschaftliche Lage und Bildung. Diese bestehen jedoch nicht für sich allein, sondern müssen immer auch im Verhältnis zueinander und zur Gegenwart betrachtet werden. Anhand dieser Merkmale lassen sich bestimmte Tendenzen erkennen, die viel über eine Gesellschaft verraten. So ist beispielsweise die Gesellschaft Nordirlands nach wie vor mehr vom Aspekt der Religion geprägt als die Gesellschaft der Republik Irland.
Vor dem Einsetzen des wirtschaftlichen Booms, dem sogenannten Celtic Tiger, Anfang bis Mitte der 1990er-Jahre war Irlands Anschluss an weltweite Entwicklungen geraden im Hinblick auf den Welthandel eher gering. Dies hatte zur Folge, dass die irische Gesellschaft zum einen stark von der Auswanderung junger Leute geprägt wurde, die in Irland keine Arbeit fanden. Im Gegenzug wurde der Erhalt von Traditionen und Werte um so intensiver von staatlicher Seite und der Kirche gefordert. Irlands Gesellschaft war extrem konservativ, es hat z. B. nie eine sexuelle Revolution gegeben. Auch Subkulturen wie die Punkszene in den 1980er-Jahren waren in Irland nur sehr eingeschränkt vorhanden.
Der Celtic Tiger brachte nicht nur viele neue Arbeitsplätze mit sich, sondern verhalf den schon über einige Jahrzehnte dauernden Bemühungen einzelner Gruppierungen, die Gesellschaft zu modernisieren, letztendlich zum Erfolg: die irische Gesellschaft begann sich zu öffnen. Ein Beispiel hierfür ist die Frauenbewegung, die sich um die Gleichstellung der Frau bemühte und z. B. für die Schwangerschaftsverhütung einsetzte. Die Wahl von MARY ROBINSON, einer der prominentesten Frauenrechtlerinnen, zur ersten irischen Präsidentin im Jahre 1990 kann hier als symbolisch für einen fundamentalen Wandel der irischen Gesellschaft gesehen werden, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass die katholische Kirche immer mehr an Einfluss verlor.
Eine der grundlegenden Tendenzen innerhalb der irischen Gesellschaft ist der Wandel von einer landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft hin zu einer städtischen, technologischen Gesellschaft. Die Folge der zunehmenden Urbanisierung ist zum einen die Ausdünnung der ländlichen Regionen. Zwar brauchen junge Leute nicht mehr ins Ausland gehen, um Arbeit zu finden, dennoch finden die meisten nur in den größeren Städten eine Anstellung. Dies hat andererseits zur Folge, dass sich die Städte, insbesondere die Hauptstadt Dublin immer weiter ausdehnen. Diese Verstädterung geht Hand in Hand mit einer zunehmend größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich. Mit dem wirtschaftlichen Wohlstand für den einen Teil der Bevölkerung kommt die Verarmung all derer, die nicht vom Celtic Tiger profitieren können. So bilden sich innerhalb der größeren Städte immer mehr soziale Brennpunkte. Dieser gesellschaftlichen Teilung entgegenzuwirken wird eine der wichtigsten politischen Aufgaben für die kommenden Jahre sein.
Das Irland überhaupt zu einem interessanten Standpunkt für ausländische Firmen werden konnte, liegt zum großen Teil an einem gut ausgebauten Bildungssystem, das einen große Anzahl qualifizierter Arbeitskräfte speziell im technologischen Bereich hervorgebracht hat. Staatliche Schulen ermöglichen allen Kindern eine Ausbildung, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Die höhere, universitäre Ausbildung ist zwar an Studiengebühren gebunden, begabte Schüler aus ärmeren Familien werden aber auch mit staatlichen Mitteln gefördert.
Seit dem Erfolg des Celtic Tigers hat sich Irland nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht den weltweiten Tendenzen angepasst. Die sogenannte Weltoffenheit ist nun nicht mehr hauptsächlich in den Künsten wiederzufinden, sondern schlägt sich auch auf das Verhalten der Menschen im Alltag wieder. Der Umgang mit den Gütern fremder Kulturen insbesondere im Lebensmittelsektor ist für die Iren zur Normalität geworden. Da Irland vor allem durch seine wirtschaftlichen Beziehungen Teil der Globalisierung geworden ist, ist es nun auch von bestimmten Prozessen betroffen, die vorher unbekannt waren.
Die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften gerade im medizinischen Bereich wird teilweise staatlich unterstützt und durch besondere Vergünstigungen interessant gemacht. Irland verzeichnet aber auch eine zunehmende Rate an Flüchtlingen und Asylbewerbern, deren Unterkunft und Versorgung die Städte und Gemeinden vor große Probleme stellt. Auch zeichnet sich die Reaktion der Bevölkerung vermehrt ablehnend gegenüber Fremden aus. Dieser Aspekt des sich allgemein vollziehenden Wertewandels gehört ohne Frage zu den negativen En)twicklungen der irischen Gesellschaft. Irland wird lernen müssen, mit dem heute in den meisten europäischen Gesellschaften existierenden Pluralismus, dem Nebeneinander-Leben von Menschen verschiedener Herkunft, umzugehen. Ethnische Minderheiten sind jedoch keine neue Erscheinung innerhalb der irischen Gesellschaft. Die über Jahrhunderte in Irland lebende Gemeinschaft der Travellers (Wandersleute) hat auch heute noch eine gesonderte gesellschaftliche Stellung. Diese früher als Kesselflicker vor allem durch Irland und Großbritannien ziehende Gruppierung muss heute immer noch um ihre Anerkennung in der Gesellschaft kämpfen.
Eine andere Tendenz innerhalb der Republik Irland ist die zunehmende Distanzierung von Religion und religiöser Praxis. In dieser zunehmenden Säkularisierung findet ein anderer, starker Bruch mit traditionellen Werten statt, war doch gerade die katholische Religion immer auch Zeichen irischen Herkunft (speziell in Abgrenzung zu Großbritannien und englischer Politik in Irland).
Anders ist jedoch die Situation in Nordirland: konfessionelle Zugehörigkeit ist nach wie vor der Hauptaspekt, an dem gesellschaftliche Zugehörigkeit gemessen wird. So hört man Politiker aus Nordirland häufig entweder von der Catholic Community oder der Protestant Community sprechen. Terroristische Überfälle und Gewalttaten erfolgen ebenfalls auf der Basis der Religionszugehörigkeit, allerdings ist die Fehde zwischen verschiedenen Splittergruppen aus einer gesellschaftlichen Gruppierung ebenfalls trauriger Alltag geworden. Hier darf man auf keinen Fall vergessen, dass für die meisten Bewohner Nordirlands dieser von Politkern und Terroristen missbrauchte Gesellschaftsbegriff völlig abwegig ist: sie wünschen sich nicht mehr als ein friedliches Zusammenleben.
Norden und Süden haben aber auch viele gemeinsame Probleme, die der rasche Wertewandel mit sich bringt: steigende Kriminalität, eine erschreckend hohe Rate von Teenagerschwangerschaften und exzessiver Alkoholkonsum von Jugendlichen. Hier liegt die gesamte Insel im gleichen Trend wie andere Länder auch. Ein sehr irisches Phänomen ist allerdings die Widersprüchlichkeit zwischen der offiziellen Gesetzeslage und den Bedürfnissen der Menschen. So ist es beispielsweise in Irland immer noch untersagt, eine Schwangerschaft abzubrechen. Folge ist, dass viele irische Mädchen und Frauen nach England herüberfahren, um sich dem medizinischen Eingriff zu unterziehen. Der Generationskonflikt äußert sich dadurch, dass die Grenzen zwischen den Generationen teilweise enorm hoch gesteckt: die Elterngeneration ist oft noch äußerst konservativ während die jüngere Generation zu sehr liberalem (und nicht unbedenklichen) Verhalten neigt.
Irlands Gesellschaft hat sich innerhalb kürzester Zeit radikal umformiert, gesellschaftliche Praxis und das politische Netzwerk des Staates liegen in einigen Punkten in starkem Gegensatz zueinander. Der Kommentar vieler Forscher dazu lautet, das Irlands Gesellschaft den üblichen Schritt über die Moderne hin zur heutigen Gesellschaftsform übersprungen hat. Wohin dies führt, bleibt abzuwarten.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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