Die Entwicklung einer gesprochenen Sprache ist immer auch Zeugnis für die geschichtliche Entwicklung eines Landes. Besonders in Irland, das über Jahrhunderte hinweg in engem Verhältnis zur Nachbarinsel England stand, gilt dieser wechselseitige Bezug zwischen zwei Kulturen und ihrem Verständigungsmittel: der Sprache. Welche Sprache in einem Land vorherrschend gebraucht wird, ist immer auch Zeichen für die machtpolitischen Verhältnisse dort.
Vor der Ankunft der Normannen unter der Herrschaft des englischen Königs HEINRICH II. im 12. Jahrhundert wurde in Irland ausschließlich Irisch gesprochen. Mit den Normannen kamen nun gleich zwei neue Sprachen nach Irland: das normannische Französisch und eine frühe Form des Mittelenglisch. Französisch wurde von den adeligen Kommandeuren der Truppen gesprochen, Englisch war jedoch die Sprache der einfachen Gefolgsleute. Diese siedelten sich allmählich auf irischem Boden an, während der Adel in den meisten Fällen ebenfalls Verpflichtungen im benachbarten England hatte, und folglich kaum anwesend war. Wenn sie dennoch in Irland weilten, hatten sie, anders als die einfachen englischen Siedler, wenig Kontakt zur gemeinen irischen Bevölkerung. Bis zum 16. Jahrhundert waren die Siedlungsgebiete englischer Einwanderer eher verstreut. Auch unterstand ihre Verwaltung zwar den normannischen Adeligen und letztendlich der Englischen Krone, aber die kümmerte sich wenig um eine effiziente Politik vor Ort. Für die normannischen Siedler bedeutete dies, sich mit den existierenden irischen Köngishäusern zu arrangieren, z. B. durch die Heirat oder den Aufbau von Handelsbeziehungen. Um in Irland Fuß zu fassen, waren die normannischen Siedler gezwungen, irische Sitten und Gebräuche anzunehmen und die irische Sprache als einziges Verständigungsmittel zu erlernen. Die Siedler wurden „irischer als die Iren selber“, eine kulturelle Anpassung, die heftig in den von den Normannen erlassenen Statutes of Kilkenny (Statuten von Kilkenny) Ende des 14. Jahrhundert kritisiert wurde.
Doch erst mit den von der englischen Krone veranlassten Ansiedlungen in der Mitte des 16. Jahrhunderts (Plantation) begann die englische Sprache an Bedeutung zu gewinnen. Zum ersten Mal ließen sich englische Siedler in Gegenden nieder, in denen ausschließlich Irisch gesprochen wurde. Dies hatte zur Folge, dass die ansässigen Iren Englisch lernen mussten, wollten sie mit den Siedlern kommunizieren und Handel betreiben, denn die neuen Machtstrukturen basierten auf der englischen Sprache. In diese Zeit fällt dann auch der Ursprung des Hiberno-Englisch, denn die Iren begannen, Irisch und Englisch in Vokabular, Idiom, Syntax und Aussprache zu vermischen.
Auf politischer und ideologischer Ebene wurde der Gebrauch des Englischen im Laufe der Jahrhunderte weiter gefestigt. In der Gründung des Protestantischen Trinity College Dublin 1592 wurde die englische Kultur und Sprache mit der höheren Bildung gleichgesetzt. Im Gegenzug bedeutete diese (für die Siedlernachfahren) Zugang zur höheren Gesellschaftsschicht Irlands. Damit verbunden, war der Weg frei zur Ausübung eines geachteten Berufs, einer verbesserten wirtschaftlichen Lage und zur Teilnahme am politischen Geschehen des Landes. Selbst im 1795 gegründeten katholischen St. Patrick's College in Maynooth wurden die dort ausgebildeten Priester dazu angehalten, ihre Predigten an die irischsprechende Bevölkerung in englischer Sprache abzuhalten. Auf der Ebene der Gesetzgebung trugen vor allem die Strafgesetze (Penal Laws) von 1695-1727 dazu bei, dass die irische Sprache und Kultur als minderwertig betrachtet wurden. In dieser Zeit wurde Irisch auch erstmals ins Englische übersetzt.
Mit dem Act of Union (Vereinigungsbeschluss) 1800, der die Legislativen Englands und Irlands zusammenführte, war die Möglichkeit der politischen Mitsprache im Parlament von Westminster in London an die Beherrschung der englischen Sprache gebunden. Ironischer Weise konnten hier die in der Zeit begonnenen Verhandlungen um die Unabhängigkeit Irlands nur in englischer Sprache geführt werden.
In der 1831 verabschiedeten Bildungsreform wurde außerdem festgelegt, dass in irischen Schulen ausschließlich auf Englisch unterrichtet wurde.
Den endgültigen Sieg über die irische Sprache gewann Englisch 1845 mit der Großen Hungersnot (Great Famine), von der hauptsächlich die arme, irisch sprechende Bevölkerung betroffen war. Wer nicht verhungert war, wanderte (zusammen mit seinem Wissen der irischen Sprache und Kultur) vorwiegend nach Amerika aus.
Vokabular
Seit der Zeit der Plantations gewann die englische Sprache in Irland an Bedeutung für den alltäglichen Umgang zwischen Einheimischen und Siedlern. Im heutigen Sprachgebrauch finden sich noch viele Vokabeln, die im Standard English schon längst überholt sind. Bekanntestes Beispiel ist wohl das Wort stran, das heute noch auf allen Hinweisschildern in Irland zu finden ist. Im modernen Englisch ist heute das Wort beach geläufig. Ein anderes Beispiel ist der irisch-englische Plural childher für standard English children. In gewisser Hinsicht ist Sprache in Irland so ein lebendes Museum für den vergangenen Gebrauch der englischen Sprache.
Idiom
Hiberno-Englisch verwendet viele Ausdrücke, die direkt aus dem Gälischen übersetzt sind. Diese Leihübersetzungen (loan translations), auch Calques genannt, finden sich beispielsweise in der Verwendung der irischen Konjunktion tar éis in einem Satz wie I am just after coming in through the door (I just came through the door).
Die gälische Konjunktion gó wird in Hiberno-Englisch zu till: Wait till I tell you (Wait so that I can/may tell you).
Ein für den ausländischen Besucher wohl am ehesten auffälliges Merkmal des Hiberno-Englisch ist die Verwendung des bestimmten Artikels the bei Nomen, die im standard English keinen Artikel verlangen: I am going home for the Christmas. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es im Irischen keinen unbestimmten Artikel gibt.
Des weiteren gibt es im Hiberno-Englisch eine Fülle an Wörtern, die direkt aus der irischen Sprache entliehen wurden, die loan words, wie beispielsweise go (Mund), häufig verwendet im Schimpfwort gob-shite, oder auch galore (jede Menge) wie im Ausdruck Whiskey galore.
In einigen Fällen werden Wörter des heutigen standard English so verwendet, als ob es sich dabei um ein Wort aus dem Irischen Sprachgebrauch handelt: bold bedeutet im standard English eher kühn oder mutig während es im Hiberno-Englisch frech heißt.
Ein generelles Merkmal des Hiberno-Englisch ist auch, dass die Sprecher mehr Worte verwenden, als zur eigentlichen Aussage benötigt werden.
Syntax
Wie auch im Deutschen besteht die generelle Struktur eines Satzes im Standard English aus der Anordnung von Subjekt, Verb, Objekt. Im Irischen jedoch gibt es ein Hilfsverb, ís (sein), auch Copula genannt, das am Anfang des Satzes stehen muss, sodass sich die Reihenfolge umdreht und das Verb vor dem Subjekt steht. Im Hiberno-Englisch ergibt dies einen Satz wie z. B. It is money he talks about (He talks about money).
Der Gebrauch der Konjunktion and anstelle einer unterordnenden Konjunktion im Nebensatz basiert auf der irischen Konjunktion agus (und), welche auch eine unterordnende Funktion haben kann. Dies ergibt im Hiberno-Englisch I looked out of the window and he walking by (I looked out of the window while he was walking by).
Bei indirekten Fragesätzen im Hiberno-Englisch wird wie im Irischen auch die Satzstellung der vorhergegangenen Frage beibehalten: She asked him where were the others (She asked him where the others were).
Aussprache
Wie in jeder anderen Sprache auch gibt es in Irland, abhängig von der Region in der sie gesprochen wird, unterschiedliche Dialekte und Akzente. Einige Merkmale des in Irland gesprochenen Englisch gelten jedoch für die gesamte Insel. So findet bei der Aussprache mancher Wörter eine Vokalverschiebung statt, wie z. B. bei dem Verb celebrate (feiern). Ausgesprochen wird aus e ein i, und der Konsonant l verdoppelt sich, sodass sich das Wort anhört, als werde es cillibrate geschrieben.
Bei Wörtern die in zwei Konsonanten enden, sodass diese miteinander verschliffen werden, fügt ein Sprecher des Hiberno-Englisch einen zusätzlichen Vokal ein: aus film wird filam.
Wer also nach Irland in den Urlaub fährt, weiß nun, dass man dort kein schlechtes oder gar falsches Englisch spricht. In Irland gesprochenes Englisch hat seine ganz eigene Geschichte, und ist insofern genau so „richtig“ wie das Englisch, das man in der Schule gelernt hat.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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