Biografie
WALT WHITMAN wuchs im ländlichen Long Island und in Brooklyn als Sohn eines Zimmermanns auf. Da ihm eine höhere Schulbildung versagt blieb, eignete er sich sein umfangreiches Wissen in autodidaktischen Studien an.
WHITMAN arbeitete als Drucker, Lehrer, Journalist und Zeitungsherausgeber. Auf einer Reise in den Süden und Westen der USA 1848 lernte er die Frontier kennen, die äußerste Siedlungsgrenze der europäisch geprägten Zivilisation am Rande der Wildnis. Ab 1861 nahm er als Berichterstatter und Sanitätshelfer am amerikanischen Bürgerkrieg teil. Von 1863 an war er zeitweise in Washington D.C. als Verwaltungsangestellter in unteren Positionen tätig. Durch einen Schlaganfall gelähmt, wurde WITHMAN 1873 arbeitsunfähig. Er erwarb 1884 ein Haus in Camden, New Jersey, wo er – von einer kleinen Anhängerschar verehrt – seine letzten Lebensjahre in bescheidenen Verhältnissen verbrachte.
Literarisches Schaffen
WHITMANS Hauptwerk, die Gedichtsammlung Leaves of Grass, machte ihn zu einem der bedeutendsten amerikanischen Dichter des 19. Jahrhunderts. Sie wurde 1855 zum ersten Mal veröffentlicht und erschien bis 1892 in ständig erweiterten Auflagen.
Seine Lyrik besteht aus einer kraftvollen und an Naturbildern reichen Sprache. Sie sprengt überkommene Versformen und nähert sich oft der rhythmischen Prosa. Inhaltlich verlieh WHITMAN einer Weltsicht Ausdruck, die willensstarken Optimismus, den Glauben an das junge Amerika und die Demokratie, die Erfahrung der Großstadt mit pantheistischen Motiven verbindet.
Der Einfluss der Transzendentalisten
Beeinflusst ist WHITMANS Lyrik einerseits von HOMER, SHAKESPEARE, GOETHE, JAMES MACPHERSON, der Sprache der Bibel und dem Pathos der italienischen Oper. Andererseits steht sie den einfachen Menschen nahe und orientiert sich am Individualismus der Transzendentalisten: Diese kulturelle und soziale Reformbewegung, die zwischen 1836 und 1860 in den USA entstand, wandte sich unter anderem gegen die als erstarrt empfundene Religion puritanischer Prägung, den Rationalismus des 18. Jahrhunderts, gegen Materialismus und Expansionismus der USA sowie gegen eine traditionsgläubige Literatur.
WITHMAN griff die pantheistischen Vorstellungen RALPH WALDO EMERSONS, des geistigen Führers der Transzendentalisten, auf. EMERSON galten die schöpferische Intuition des Menschen und seine Eingebundenheit in das Naturganze als Quellen der Erkenntnis. Seine Lehren von der Würde und Eigenständigkeit des Individuums und einer übermenschlichen Weltseele wurden von WHITMAN poetisch überhöht. WHITMAN verkündete in seinem Werk die utopische Vision eines Menschen, der sich aus den erstarrten Traditionen und der materialistischen Sichtweise befreit. Durch die unbeschränkte Entfaltung von Körper und Geist sollte der Mensch seine Individualität wie auch brüderliche Verbundenheit mit seinen Mitmenschen verwirklichen.
In seinen politischen Essays Democratic Vistas (1871) verband WHITMAN die scharfe Kritik an der Kommerzialisierung Amerikas mit der prophetischen Rolle des Dichters, der eine Welt menschlicher Freiheit in einem göttlichen Universum verkündet. WHITMANS Werk, das zu seinen Lebzeiten wenig Beachtung fand, verlieh dem Selbstbewusstsein der USA Ausdruck und beeinflusste die amerikanischen Dichter der Beatgeneration, aber auch die europäische Lyrik, insbesondere den Expressionismus.
Weitere Werke (Auswahl)
Drum-Taps (1865)
Passage to India (1871)
Memoranda During the War (1875)
Two Rivulets (1876)
November Boughs (1888)
Good-bye My Fancy (1891)
Autobiographia (1892)