Platons Wachstafelmodell
Eines der noch bis heute aussagekräftigsten Gedächtnismodelle stammt vom griechischen Philosophen PLATON, der das Gedächtnis mit einer Wachstafel gleichsetzte. Die erstmalige Wahrnehmung einer neuen Information hinterlässt ihm zufolge einen Abdruck, mit dem nachfolgende Eindrücke verglichen werden. Besteht eine Ähnlichkeit zwischen den verglichenen Sinneseindrücken, wird die neu eintreffende Information als bekannt eingestuft. Erweist sie sich als unbekannt, entsteht ein neuer Abdruck. Anhand dieses Modells beanspruchte PLATON, auch die individuellen Leistungsunterschiede der Menschen zu erklären. Er ging davon aus, dass sie von der Größe der Wachstafel und der Reinheit des Wachses abhängen. Die nachlassende Lernfähigkeit bei Erwachsenen führt PLATON auf die altersbedingte Verhärtung des Wachses zurück.
Als einflussreiche Theorie des Verstehens entstand – ausgehend von FRIEDRICH DANIEL ERNST SCHLEIERMACHER (1768–1834) – im 19. Jahrhundert die Hermeneutik (gr. hermeneúein = erklären). Auch sie widmet sich der Frage, unter welchen Voraussetzungen bisher Unbekanntes verstanden werden kann. SCHLEIERMACHER bestimmte die Hermeneutik als „Kunstlehre des Verstehens“. Vom Philosophen WILHELM DILTHEY (1833–1911) wurde sie zur methodologischen Grundlegung der Geisteswissenschaften ausgebaut. Die hermeneutische Methode will – im Gegensatz zur erklärenden Methodik der Naturwissenschaften – Bedeutung und Sinn von Äußerungen und Werken aus diesen selbst und aus deren Zusammenhang (Kontext) verstehen. In der philosophischen Hermeneutik MARTIN HEIDEGGERS und HANS-GEORG GADAMERS wurde das Verstehen als Grundzug der menschlichen Existenz überhaupt ausgezeichnet. Der Verstehende muss immer schon ein Vorverständnis von dem haben, was er zu verstehen sucht (hermeneutischer Zirkel).
In der heutigen Forschung werden Lernen und Verstehen bevorzugt auf der Grundlage von Gehirnprozessen (den Modellen der Neurophysiologie und Kognitionswissenschaft) erklärt. Die aktuellen Forschungsergebnisse lassen auf einen dreistöckigen Aufbau des Gehirns schließen. Interessant für den Spracherwerb ist insbesondere der aus einer linken und rechten Hälfte bestehende Neokortex. In ihm vollziehen sich die höheren kognitiven Funktionen. Die rechte Hemisphäre des Neokortex', in der beispielsweise visuelle, auditive und motorische Daten verarbeitet werden, kommuniziert über die Hirnmitte mit der linken. Dies gilt als Grund dafür, warum wir uns visuell geordnete sprachliche Information oder Liedtexte besser merken können, als einzelne Wörter ohne Zusammenhang. Außerdem hat auch das Emotionen und Empfindungen steuernde limbische System einen großen Anteil an der Informationsverarbeitung. Hier wird entschieden, ob eine Information für das Individuum relevant ist. So können wir uns z. B. den den Inhalt eines interessanten Films leichter merken als einen Lehrbuchtext. Die Erinnerungsfähigkeit hängt also auch von unserer emotionalen Einstellung ab.
Schon PLATON hat dargelegt, dass zur Verarbeitung von Information nicht nur das Speichern, sondern auch das Vergleichen der Eindrücke und Erfahrungen gehört. Bei der Sprachverarbeitung, also beim Wahrnehmen lautlicher oder Schriftzeichen, wirken diese mit schon gebildetem Vorwissen zusammen. Das bereits vorhandene Vorwissen ist in Schemata im Gedächtnis gespeichert. Diese haben verschiedene Funktionen. Einerseits stellen sie das Hintergrundwissen bereit, vor dem die Verarbeitung von Informationen stattfindet. Andererseits erzeugen diese Schemata eine Erwartungshaltung im Hinblick auf neu eintreffende Informationen und führen so zu einem schnelleren Verarbeitungsergebnis.
Die Verarbeitung im Gedächtnis wird in drei interagierende Stufen eingeteilt:
Interessant ist, dass es sich bei diesen drei Gedächtnisarten jedoch nicht um bestimmte Teile oder Regionen im Gehirn handelt. Vielmehr sind sie lediglich die jeweils im Moment der Sprachverarbeitung aktivierten Teile des Langzeitgedächtnisses.
Man geht von einer weiteren Unterteilung in verschiedene Wissensbereiche aus.
Weltwissen und Sprachwissen
Man nimmt als Grundlage für die Sprachverarbeitung zwei Wissenskomponenten an. Unterschieden wird zwischen
dem Sprachwissen, das unser Wissen über die von uns beherrschten Sprachen umfasst,
und den als Weltwissen bezeichneten außersprachlichen Kenntnissen.
Deklaratives und prozedurales Wissen
Die Kognitionspsychologie nimmt eine weitere Unterteilung von Welt-und Sprachwissen vor. Unter deklarativem Weltwissen versteht man das nicht automatisierte Faktenwissen. Hierbei handelt es sich zum Beispiel um Fakten wie den Siedepunkt des Wassers oder die Hauptstadt Großbritanniens. Hingegen ist das prozedurale Weltwissen eher fertigkeitsorientiert und wird unbewusst (automatisch) angewandt. Man kann sich zum Beispiel, ohne nachzudenken, die Hände waschen.
Als deklaratives Sprachwissen bezeichnet die Forschung das Wissen über die semantischen, phonologischen oder morphologischen Gegebenheiten einer Sprache. Man kennt beispielsweise die Bedeutung des Wortes peanut butter und weiß, wie dieses geschrieben und gesprochen wird.
Das prozedurale Sprachwissen bezieht sich eher auf Strategien und Prozesse, die wir bei der Sprachverarbeitung einsetzen. Man kann es auch als das „Können“ einer Sprache bezeichnen – als die Fähigkeit, zur praktischen Anwendung der bekannten Sprachstrukturen.
Die Erkenntnisse über die Sprachverarbeitung lassen sich selbstverständlich auch auf das fremdsprachliche Verstehen anwenden. Zu beachten sind jedoch einige Unterschiede bezüglich des Vorwissens.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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