Die Ideologie der Apartheid

Apartheid in Südafrika – Ideologie und Praxis

In seiner Autobiografie Der lange Weg zur Freiheit schildert NELSON MANDELA seine Verschleppung auf die Gefängnisinsel Robben Island, wo er den Großteil seiner 27 Jahre währenden Haft verbrachte:

„Wir mussten, immer noch aneinander gekettet, im Laderaum der alten Holzfähre stehen, was schwierig war, da das Schiff in der Dünung vor der Küste auf- und abschwankte. Ein kleines Bullauge über uns war die einzige Lichtquelle. Das Bullauge diente aber auch noch einem anderen Zweck: Die Wärter machten sich einen Spaß daraus, auf uns herunterzuurinieren. Es war noch hell, als wir an Deck geführt wurden und zum ersten Mal die Insel sahen. Grün und schön war sie, und auf den ersten Blick sah sie eher wie ein Erholungsort als wie ein Gefängnis aus ... Wir wurden von einer Gruppe stämmiger weißer Wärter in Empfang genommen, die ausriefen: 'Dies ist die Insel. Hier werdet ihr sterben.'“

Zusammen mit der Führungsspitze der wichtigsten Organisation der schwarzen Bevölkerungsmehrheit Südafrikas, dem African National Congress (ANC), hatte man MANDELA 1964 zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch weder Inhaftierungen noch die massiven Polizeieinsätze und die rigide Gesetzgebung konnten dem schließlich erfolgreichen Kampf gegen die Apartheid Einhalt gebieten.

Die Wurzeln der Apartheid

Der Rassismus entstand in Südafrika nicht erst mit dem Aufstieg des Faschismus in Europa, sondern bereits im frühen 19. Jahrhundert. Auch die Politik der Rassentrennung kam bereits vor 1948, dem Wahlsieg der National Party (NP), auf. Drei Jahre nach der 1910 begründeten Südafrikanischen Union wurde mit dem Native Lands Act eines der zentralen Gesetze verabschiedet, ohne das die spätere Apartheid kaum denkbar gewesen wäre. Schwarze durften danach kein Land erwerben – außer in eigens dafür ausgewiesenen Stammesgebieten. Diese Spielart der territorialen Rassentrennung wurde schließlich in mehreren Stufen in die spätere Homeland-Politik überführt.

Der viel gepriesene, an der Gründung des Völkerbunds und der UNO beteiligte südafrikanische Politiker JAN SMUTS hatte sich bereits 1917 für eine Politik der Rassentrennung stark gemacht, was seinem internationalen Ansehen keinen Abbruch tat. Denn die Kolonialpolitik der Briten, Franzosen und Portugiesen unterschied sich kaum von der auf Rassentrennung und -diskriminierung ausgerichteten Herrschaft der weißen Südafrikaner. Hinzu kam die wirtschaftliche Bedeutung, die der Südafrikanischen Union dank ihrer Bodenschätze zukam. Gold, Platin, Diamanten und das im Kalten Krieg immer wichtiger werdende Uran stärkten Südafrikas Stellung auf den Weltmärkten.

Schon vor 1948 galt die Rassentrennung auch im Bereich der Politik. Nur in der Kapprovinz hatte eine sehr begrenzte Zahl von Schwarzen das Wahlrecht (bis 1936). In den übrigen Provinzen waren sie politisch vollkommen entmündigt. Auch die spezifische Politik der Rassentrennung in den Städten war keineswegs neu; sie setzte schon in den 1920er-Jahren ein, als die urbanen Zentren per Gesetz als Gebiete der Weißen deklariert wurden, in denen den Schwarzen kein dauerhaftes Wohnrecht zustehen dürfe. Das Verbot von Mischehen erhielt erstmals in den 1930er-Jahren Gesetzeskraft. Die 1948 von der Regierung unter Premierminister DANIEL MALAN zum Programm erhobene Apartheid bedeutete zunächst lediglich eine Verschärfung all der schon viel länger bestehenden Bestimmungen der Rassentrennung.

Der Wahlsieg von MALANS National Party war eine Reaktion auf die durch den Krieg ausgelösten sozialen Veränderungen, als deren bedeutendste die massive Zuwanderung von Schwarzen in die Städte zu sehen ist. Dort übertraf die Zahl der Schwarzen nun erstmals die der Weißen. Außerdem hatten schwarze Südafrikaner wegen der kriegsbedingten Knappheit an weißen Arbeitskräften, die in Nordafrika unter britischem Kommando kämpften, Zugang zu Berufen, die zuvor durch die job reservation den Weißen vorbehalten waren.

Die Ideologie der Apartheid

Welche Unterschiede bestanden also – abgesehen von der größeren Radikalität und der rigiden bürokratischen Umsetzung – zwischen der Apartheid und den vorangegangenen Formen der Rassentrennung? Apartheid heißt dem Wortsinn nach „Trennung“; gemeint war freilich Rassentrennung. Das Wort ersetzte als die afrikaanse Übersetzung den englischen Terminus segregation, mit dem die Rassentrennung in Südafrika bis dahin bezeichnet wurde. Die burischen Nationalisten brachten diese Übersetzung in Umlauf, um so zu unterstreichen, dass sie ihre Politik als etwas Neues betrachteten.

Zur Stützung ihres Anspruchs auf Überlegenheit und Vorherrschaft bedienten sie sich zahlreicher Rechtfertigungsmuster. Dazu zählten:

Die geschichtsphilosophisch verbrämte Anordnung der Völker und Kulturen auf einer Entwicklungsskala, wobei die überlegene technisch-industrielle Zivilisation Europas ganz oben, die afrikanische Zivilisation als 'Barbarei' ganz unten angesiedelt waren. Daraus leitete man ein Prinzip der Treuhandschaft ab: Die Schwarzen seien wie Kinder nicht in der Lage, selbst aus dem Zustand der Barbarei herauszuwachsen und bedürften der wohlwollenden Hilfe der zivilisierten Weißen.

Die von Ethnologen Anfang des 20. Jahrhunderts vertretene Position, dass die afrikanische Kultur aufgrund ihrer Andersartigkeit nicht mit der europäischen Zivilisation vereinbar sei. Jede Zivilisation oder Kultur stelle ein in sich geschlossenes Ganzes dar, sodass durch die Veränderung nur einer Komponente die gesamte Kultur zu zerfallen drohe. Als Beleg für diese Ansicht wurden die Folgen der Verstädterung (Verelendung, wachsende Kriminalität und Verfall der Familien) angeführt. Die daraus gezogenen Konsequenz lautete: Um die wertvollen afrikanischen Kulturen zu erhalten, müssten sie vor den für sie verderblichen Einflüssen der europäischen Zivilisation geschützt werden. Das bedeutete den Erhalt traditioneller Institutionen, die Verhinderung von Verstädterung und die Festschreibung einer agrarischen Wirtschaftsweise.

Theologische Erklärungsmuster: Die Vielfalt der Völker sei gottgewollt und als göttliche Schöpfung zu bewahren. Diese Sichtweise ließ sich weiter ausbauen, indem man nicht mehr nur pauschal von einem Gegensatz zwischen der weißen und der schwarzen Rasse sprach, sondern darüber hinaus die Schwarzen nach ethnologischen Kriterien in eine Vielzahl von 'Stämmen' aufspaltete. Auf diese Weise erklärten die Apartheidpolitiker Südafrika zu einem Land, in dem letztlich nur Minderheiten lebten.

Die Politik der Rassentrennung

Ziel der Apartheid war die Rassentrennung und Grundlage dieser Trennung das Gesetz über die Registrierung der Bevölkerung (Population Registration Act). Diesem 1950 erlassenen Gesetz gemäß wurde jeder Südafrikaner durch (weiße) Beamte einer von vier 'Rassen' zugeordnet: Weiße, Schwarze, 'Asiaten' (Inder) oder Coloureds (Farbige). Zu den Farbigen rechnete man diejenigen, die in keine der drei anderen Gruppen einzuordnen waren. Die Kriterien für die Klassifikation oblagen weitestgehend den zuständigen Beamten.

Von der Zuordnung jedes einzelnen Individuums zu einer Rasse über das Mischehenverbot und die Ausweisung getrennter Wohngebiete in den Städten durch den Group Areas Act bis hin zur Reservierung von Parkbänken, Stränden, Eingängen in Geschäfte und Ämter für die einzelnen 'Rassen' wurde alles getrennt.

Ausbildung und Beruf: Auch für die Wahl des Arbeitsplatzes galten für Schwarzafrikaner auf der Grundlage der 1952 erlassenen Passgesetze starke Reglementierungen. Mit diesen Richtlinien wollte der Staat die Kontrolle über die Wanderbewegungen zwischen Stadt und Land gewinnen. Denn so wichtig dem Apartheidstaat einerseits die Beschaffung billiger Arbeitskräfte in ausreichender Zahl war, so sehr war ihm andererseits daran gelegen, die Schwarzen von den Städten fernzuhalten. Auch die Reservierung von Facharbeiterstellen für Weiße schmälerte die Aufstiegschancen aller anderen Bevölkerungsgruppen und beeinträchtigte die gesellschaftliche Mobilität. Rassentrennung bedeutete darum keineswegs nur die geographisch-räumliche Trennung, sondern zielte auch auf eine soziale Blockade für Schwarze und war insgesamt ein System von Sicherungen der Privilegien für Weiße.

1953 nahm die Regierung ihr Ziel der Schaffung eines getrennten Bildungssystems für die Schwarzen in Angriff und verabschiedete den Bantu Education Act. Dieses Gesetz war darauf ausgerichtet, den Schwarzen nur rudimentäre Kenntnisse zu vermitteln, um ihre soziale Mobilität zu beschränken und sie dauerhaft auf den Status ungelernter Arbeitskräfte festzulegen. Der Minister für Eingeborenenfragen und spätere (1958–66) Premierminister HENDRIK VERWOERD gestand offen ein, dass der Education Act den schwarzen Südafrikanern den Weg ins westliche Bildungssystem versperren sollte. Die staatlichen Ausgaben für die Schulen der Schwarzen betrugen nur einen Bruchteil dessen, was in die Ausbildung der weißen Schüler investiert wurde. Viele Lehrer schwarzer Schüler waren selbst kaum über einen Grundschulabschluss hinausgekommen und mit dem Unterrichten in heillos überfüllten Klassenräumen überfordert.

Die Homelandpolitik der 1960er-Jahre

Gegen Ende der 1950er-Jahre nahm die südafrikanische Regierung eine schwerwiegende Änderung im Apartheidkonzept vor. Angesichts der fortschreitenden Entkolonialisierung auf dem afrikanischen Kontinent lief Südafrika Gefahr, als Relikt eines überlebten Kolonialismus politisch isoliert zu werden. Premierminister VERWOERD entschloss deshalb, Teile des Landes in die Unabhängigkeit zu entlassen.
Für die südafrikanischen Schwarzen wurden nun eigens Territorien, homelands, gebildet, deren Kerngebiete aus den 1913 erstmals festgeschriebenen, ethnisch definierten native reserves bestanden. Bei diesen aus nicht zusammenhängenden Landstücken bestehenden homelands handelte es sich um de facto politisch und ökonomisch lebensunfähige Kleinstaaten, die in vollständiger Abhängigkeit von Südafrika existierten. Alle Schwarzen, auch die in den Gettos der townships lebenden, mussten entsprechend den südafrikanischen Passgesetzen einem homeland angehören. Die Homelandpolitik wurde bisweilen als 'große Apartheid' bezeichnet, im Unterschied zu der bis dahin gültigen 'kleinen Apartheid', der diskriminierenden Regulierung des Alltagslebens.

Ziel der Homeland-Politik war es, einen weißen Nationalstaat Südafrika zu schaffen, der 87 Prozent des Gesamtterritoriums umfasste, in dem aber nur die Weißen, Coloureds und Inder legal leben sollten. Diese drei Gruppen stellten zusammen jedoch weniger als 20 % der Gesamtbevölkerung. Alle Industriegebiete, die Großstädte und kommerziellen landwirtschaftlichen Regionen gehörten zum 'weißen Südafrika'. Die Schwarzen, die oft schon in der dritten oder vierten Generation in den Städten lebten, wurden so zu Bürgern eines ethnisch definierten homeland, von dem sie nicht mehr als den Namen kannten. Im 'weißen Südafrika' war ihnen der Status als Gastarbeiter im eigenen Land beschieden.

Nach der offiziellen Entlassung von Transkei (1976), Bophutha Tswana (1977), Venda (1979) und Ciskei (1981) in die Unabhängigkeit, die von keinem Staat außer der Republik Südafrika anerkannt wurde, verblieben sechs homelands: Gazankulu, KaNgwane, KwaNdebele, KwaZulu, Lebowa und Qwaqwa. Mit dem Ende des Apartheidsystems (1994) wurden die für unabhängig erklärten vier Territorien und die bestehenden homelands in das Gesamtterritorium der Republik Südafrika zurückgegliedert und auf die neu geschaffenen Provinzen aufgeteilt.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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