Die Nacherzählung ist eine Erzählung auf der Grundlage einer schon bekannten Fabel, Geschichte oder einer beliebigen Textvorlage. Es geht darum, das Wichtigste des Inhalts (Erzählkern) zu erfassen und sachgerecht und anschaulich nachzuerzählen.
Grundidee, Personen, Handlungsverlauf sowie das Ergebnis der Geschichte müssen in der Nacherzählung erhalten bleiben. Die Geschichte wird mit eigenen Worten wiedergegeben und übernimmt die Zeitform der Vorlage.
Am Beispiel einer Geschichte aus dem Struwwelpeterbuch soll gezeigt werden, wie so eine Nacherzählung aussehen kann.
von DR. HEINRICH HOFFMANN
Paulinchen war allein zu Haus,
die Eltern waren beide aus.
Als sie nun durch das Zimmer sprang
mit leichtem Mut und Sing und Sang,
da sah sie plötzlich vor sich stehn
ein Feuerzeug, nett anzusehn.
„Ei“, sprach sie, „ei, wie schön und fein!
Das muss ein trefflich Spielzeug sein.
Ich zünde mir ein Hölzchen an,
wie’s oft die Mutter hat getan.“
Und Minz und Maunz, die Katzen,
erheben ihre Tatzen.
Sie drohen mit den Pfoten:
„Der Vater hat’s verboten!
Miau! Mio! Miau! Mio!
Lass stehn! Sonst brennst du lichterloh!“
Paulinchen hört die Katzen nicht!
Das Hölzchen brennt gar hell und licht,
das flackert lustig, knistert laut,
grad wie ihr’s auf dem Bilde schaut.
Paulinchen aber freut sich sehr
und sprang im Zimmer hin und her.
Doch Minz und Maunz, die Katzen,
erheben ihre Tatzen.
Sie drohen mit den Pfoten:
„Die Mutter hat's verboten!
Miau! Mio! Miau! Mio!
Wirf’s weg! Sonst brennst du lichterloh!“
Doch weh! Die Flamme fasst das Kleid,
die Schürze brennt; es leuchtet weit.
Es brennt die Hand, es brennt das Haar,
es brennt das ganze Kind sogar.
Und Minz und Maunz, die schreien
gar jämmerlich zu zweien:
„Herbei! Herbei! Wer hilft geschwind?
Im Feuer steht das ganze Kind!
Miau! Mio! Miau! Mio!
Zu Hilf’! Das Kind brennt lichterloh!“
Verbrannt ist alles ganz und gar,
das arme Kind mit Haut und Haar;
ein Häuflein Asche bleibt allein
und beide Schuh’, so hübsch und fein.
Und Minz und Maunz, die kleinen,
die sitzen da und weinen:
„Miau! Mio! Miau! Mio!
Wo sind die armen Eltern? Wo?“
Und ihre Tränen fließen
wie’s Bächlein auf der Wiesen.
(In: Hoffmann, Heinrich: Lustige Geschichten und drollige Bilder [Der Struwwelpeter]. Mit 15 schön kolorirten Tafeln für Kinder von 3 - 6 Jahren. Frankfurt am Main: Literarische Anstalt, 1845)
Merke:
Folgendermaßen könnte eine Nacherzählung obiger Geschichte aussehen:
Einleitung:
Eines schönen Nachmittags war Paulinchen allein zu Hause. Sie war guter Dinge. Ausgelassen tobte sie durch alle Zimmer der elterlichen Wohnung. Sie spielte und sang dabei sogar.
Plötzlich entdeckte das Mädchen ein Feuerzeug. Ein Feuerzeug, das es ihr wohl früher schon angetan haben musste. Denn sie freute sich sehr. Sie ließ achtlos ihre Puppe fallen.
Hauptteil:
„Ei“, sprach sie, „das muss ein trefflich Spielzeug sein.“ Und sie beschloss sofort, es zu benutzen, wie sie es bei ihrer Mutter gesehen hatte.
Die beiden Katzen Minz und Mauntz, die in ihrer Nähe waren, ahnten sofort Schlimmes. Sie wollten sie auch davon abhalten, schafften es aber nicht.
Paulinchen schlug jede Warnung in den Wind. Schnell hatte sie ein Streichholz entnommen und angezündet. Sie tanzte damit herum und ehe sie es sich versah, fing ihr Kleid Feuer.
Die Katzen miauten und machten Krach, so viel sie konnten. Wirklich helfen vermochten sie jedoch nicht.
Schluss:
Und die Eltern, die kamen nicht rechtzeitig zurück. So blieb nur ein Aschehäufchen von dem Mädchen übrig. Asche, und das kleine Paar Schuhe, das Paulinchen zuletzt trug. Und die Moral von der Geschicht: Spiel mit offnem Feuer nicht!
Diese Nacherzählung könnte auch detaillierter sein. Hier müsste nicht so viel weggelassen werden. Komplizierter wird es bei einer Nacherzählung, wenn der Originaltext umfangreich ist und viele Details enthält oder uns schon allein die Sprache aus früheren Zeiten fremd anmutet.
Eine gute Übungsmöglichkeit bieten Texte über Till Eulenspiegel, sowohl für mündliche als auch für schriftliche Nacherzählungen. Gerade hier kann man prüfen, wie es um die eigene Auffassungsgabe steht und inwieweit man schon in der Lage ist, Wesentliches richtig und anschaulich wiederzugeben.
„Lange Zeit war Eulenspiegel zu Köln in der Herberge; da begab es sich, daß die Kost wurde so spät zum Feuer gebracht, daß es hoch Mittag war, ehe die Kost fertig war. Das verdroß Eulenspiegel sehr, daß er so lange fasten sollte.
Da sah der Wirt ihm wohl an, daß es ihn verdroß, und der Wirt sprach zu ihm: „Wer nicht beiten kann, bis die Kost fertig ist, der möchte essen, was er hätte.“ Eulenspiegel ging und aß eine Semmel auf und ging da sitzen bei dem Herd.
Und da es zwölf schlug, wurde der Tisch gedeckt, die Kost wurde darauf gebracht, der Wirt ging sich mit den Gästen setzen, und Eulenspiegel blieb in der Küche. Der Wirt sprach: „Wie, willst du dich nicht zu Tische setzen?“ - „Nein“, sprach er, „ich mag nicht essen, ich bin durch den Geschmack von dem Gebratenen voll geworden.“
Der Wirt schwieg und aß mit den Gästen, und sie bezahlten nach der Essenszeit die Urte. Der eine wanderte, der andere blieb...
...und Eulenspiegel saß bei dem Feuer. Da kommt der Wirt mit dem Zahlbrett und wurde zornig und sprach zu Eulenspiegel, daß er zwei Cöllnische Weißpfennige für das Mahl aufleen sollte. Eulenspiegel sprach: „Herr Wirt! Seid Ihr ein solcher Mann, daß Ihr Geld von einem nehmt, der Eure Speise nicht ißt?“
Der Wirt sprach feindlich, daß er das Geld geben solle. Hätte er nicht gegessen, so wäre er doch des Geschmackes voll geworden. Er wäre da über dem Braten gesessen, das wäre so viel, als hätte er an der Tafel gesessen und hätte davon gegessen, das wollte er ihm für ein Mahl rechnen.
Eulenspiegel zog einen Cöllnischen Weißpfennig hervor und warf den auf die Bank. „Herr Wirt, hört Ihr wohl diesen Klang?“ Der Wirt sprach: „Diesen Klang höre ich wohl.“ Eulenspiegel war rasch bei dem Pfennig und steckte ihn wieder in den Säckel und sagte: „Soviel wie Euch der Klang hilft von dem Pfennig, soviel hilft mir der Geruch von dem Braten in meinem Bauch.“
Der Wirt wurde unwirsch, denn er wollte den Weißpfennig haben, und Eulenspiegel wollte ihm den nicht geben und wollte das Gericht entscheiden lassen.
Der Wirt wollte aber das Gericht nicht und ließ ihn damit fahren. Und Eulenspiegel zog von dannen, so daß ihm der Wirt die Zehrung schenken mußte, und er zog wieder von dem Rhein in das Land zu Sachsen.
(weitere lustige Eulenspiegelgeschichten könnt ihr in der PDF 1 nachlesen)
Folgendermaßen könnte eine kurze schriftliche Nacherzählung aussehen:
Einleitung:
Vor langer Zeit einmal war Till Eulenspiegel in einer Kölner Herberge zu Gast. Das Mittagessen wurde und wurde nicht fertig. Eulenspiegel war aber so hungrig, dass er immer missmutiger wurde.
Hauptteil:
Der Wirt, der nicht frei von Schuld war, genierte sich nicht, auch noch kluge Ratschläge zu erteilen dergestalt: Wer nicht beten kann, bis die Kost fertig ist, der möchte essen, was er hätte.
Eulenspiegel, erbost darüber, setzte sich an den Herd, roch am unfertigen Braten und aß in seiner Not schließlich eine Semmel.
Als der Wirt endlich zum Mittagessen rief, kam Eulenspiegel nicht hinzu, sondern sagte nur: „Ich mag nicht essen, ich bin durch den Geschmack von dem Gebratenen voll geworden.“
Als er später dafür zahlen sollte, weigerte er sich. Der Wirt aber wollte Geld sehen, schließlich hatte er für ihn mitgekocht. Und Eulenspiegel hatte ja selbst gesagt, er sei durch den Geruch des Gebratenen satt geworden.
Da warf Eulenspiegel einen Weißpfennig in die Luft und fragte: „Herr Wirt, hört Ihr wohl diesen Klang?“ „Diesen Klang höre ich wohl“, bestätigte der Wirt und wollte sogleich an das Geld.
Eulenspiegel jedoch reagierte schneller und sagte entschieden: „So viel wie Euch der Klang hilft von dem Pfennig, so viel hilft mir der Geruch von dem Braten in meinem Bauch.“
Schluss:
Weil der Wirt nicht vor Gericht wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als Eulenspiegel ohne Bezahlung seiner Wege gehen zu lassen. Und dieser zog nun vom Rhein in Richtung Sachsen.
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