Leseverhalten und Lesegewohnheiten

Die Bevölkerung Deutschlands bestand im 18. Jh. zu 3/4 aus Landbevölkerung . Die meisten Menschen konnten nicht oder schlecht lesen und waren in dieser Hinsicht auf die Hilfe eines Vorlesers oder des Pfarrers angewiesen. Es dominierte die mehr oder minder vorhandene Tradition der mündlichen Weitergabe von Liedern, Sagen, Märchen und Rätseln.

Die aufgenommene Literatur beschränkte sich auf

  • Bibel,
  • Gesangsbuch,
  • Erbauungsschriften und
  • Volkskalender,

die sogenannte Wiederholungslektüre .

Alphabetisierung der Landbevölkerung

Wichtige Veränderungen brachte die in Preußen als erstem Land 1717 von FRIEDRICH WILHELM I. verordnete allgemeine Schulpflicht . Die Landbevölkerung sollte ihre Fünf- bis Zwölfjährigen

„an denen Orten, wo Schulen sind, [...] bei nachdrücklicher Strafe gehalten seyn [...] ihre Kinder gegen zwey Dreyer wöchentliches Schuel Geld von einem jeden Kinde, im Winter täglich und im Sommer, wann die Eltern bei ihrer Wirthschaft benötigt seyn, zum wenigsten ein- oder zweymal die Woche, damit Sie das jenige, was im Winter erlernet worden, nicht gänzlich vergessen mögen, in die Schuel zu schicken. “
(In: No. XCVII. Verordnung, daß die Eltern ihre Kinder zur Schule, und die Prediger die Catechisationes halten sollen, vom 28. Sept. 1717)

Auch die finanzielle Seite wurde geregelt:

„Falls aber die Eltern das Vermögen nicht hätten; So wollen Wir dass solche Zwey Dreyer aus jeden Ortes Allmosen bezahlet werden sollen.“
(In: No. XCVII. Verordnung, daß die Eltern ihre Kinder zur Schule, und die Prediger die Catechisationes halten sollen, vom 28. Sept. 1717)

Leere Staatskassen zwangen den Soldatenkönig zunächst zur Improvisation. In umgebauten Scheunen unterrichteten

  • Lehrer,
  • abgedankte Soldaten,
  • Handwerker,
  • Schneider,
  • Leineweber,
  • Schmiede,

die außer einer „hinlänglichen Geschicklichkeit“ und einer wohltönenden Stimme kaum weitere Qualifikationen mitbrachten.

Unterrichtsfächer

  • Lesen,
  • Schreiben,
  • Rechnen,
  • Gesang und
  • Religion

sollten sie lehren, manche lernten den Wissensstoff mit ihren Schülern. Das Lehramt galt als Nebenbeschäftigung , vor allem mussten die Lehrer für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen ,

  • durch Orgelspielen,
  • Privatstunden,
  • Bartscheren,
  • Schnitzen oder
  • durch Schnapsausschank

beispielsweise. Häufig war der Schulmeister auch der Küster des Dorfes. Der Küster wiederum musste nicht nur die Gottesdienste betreuen und die Orgel schlagen, er war auch der Haushandwerker für die Kirche und Laufbursche für den Pfarrer. Der Schulmeister war eine ewige Zielscheibe des Spottes. Einfluss auf die Unterrichtsdurchführung konnte FRIEDRICH WILHELM I. freilich kaum nehmen, da die Schulen (bis 1926) unter der Aufsicht der Kirche standen, und der Gutsherr als Patron im Zweifelsfall die Kinder seines Dorfes meist lieber auf dem Acker als beim ABC sah.

Trotz der schleppenden Umsetzung der allgemeinen Schulpflicht existierten in Preußen 1740 immerhin schon 1480 Schulen, 1717 waren es erst 320 Dorfschulen. Noch 1808 jedoch beklagte sich ein Schuldirektor, dass von 130 Schülern 107 „mehr oder weniger lang“ die Schule versäumten.Während FRIEDRICH WILHELM I. sein Schulsystem hauptsächlich auf Lehrer aus handwerklichen Berufen aufbaute, nutzte sein Nachfolger, FRIEDRICH II., diesen Berufszweig zur Unterbringung seiner Kriegsveteranen.

„Wenn sich unter den Invaliden (Kriegsversehrten) welche befinden, die lesen, rechnen und schreiben können, sollten diese als Landschulmeister angestellt werden... Denn diese Leute verdienen untergebracht zu werden, da sie ihr Leben und ihre Gesundheit für das Vaterland gewagt haben.“
(Anweisung FRIEDRICH II., 1779)

Besonders geeignet erschien dabei der mit unverwechselbaren Qualitäten ausgestattete Lehrertypus des pensionierten Unteroffiziers . Ein Landschulinspektor stärkte diese Position mit seiner Stellungnahme:

„Die preußischen Unteroffiziere sind wirklich so dumm nicht, sondern Offizierstellvertreter... Im Amte dürfte der ehemalige Unteroffizier bei weitem zuverlässiger sein, als jeder Seminarist. Daher sind die preußischen Unteroffiziere zur Landschullehrern am allerpassendsten. Da sie dann regelmäßig warme Speisen und Getränke haben können, so werden sie wohl auch keinen Branntwein vorher genießen. Freudig nimmt er den Rat und die Unterweisungen seines Vorgesetzten hin, hält wie in der Kaserne so auch in der Schule und gewiss ohne Pedanterie auf Sittlichkeit, anständiges Benehmen, Reinlichkeit und Fleiß. Der preußische Unteroffizier weiß Anstand und knotenmäßiges Benehmen zu unterscheiden.“

Trotz aller Mängel kann davon ausgegangen werden, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts in den westlichen Provinzen Preußens jeder zweite Landbewohner Analphabet war, im Osten sogar fast jeder.

Städtebürgertum und Bildung

In den Städten gab es für die Söhne der reicheren Familien (Bürger/Adlige) Lateinschule n, in denen Griechisch und Latein gelehrt wurde. Hier legte man großen Wert auf die Aneignung der lateinischen Sprache. Man las in lateinischen Fibeln zum Erlernen der grammatischen Grundsätze. Zur Vertiefung der Sprachkenntnisse wurde an vielen Schulen Deutsch sprechen verboten. Weiterhin gehörten mathematische Grundlagen zum Schulstoff, Geografie und alte Geschichte. Das mittlere Bürgertum Weimars beispielsweise nahm sich

  • Hauslehrer,
  • Kandidaten der Theologie,
  • mittellose Schriftsteller oder
  • Künstler

zur Ausbildung der Kinder ins Haus. Die Grundzüge der Erziehung zielten auf die Ausbildung bürgerlicher Tugenden wie

  • Gehorsam,
  • Verbot allen Widerspruchs,
  • Pünktlichkeit,
  • Auswendiglernen,
  • Fleiß und
  • Ordnung.

Wer sich keinen Hauslehrer leisten konnte, schickte seine Kinder aufs Gymnasium . Für ärmere Schuler gab es noch eine Garnisonsschule , die ab 1771 als Freischule für arme Bürgerkinder diente und kleinere Mädchen- und Privatschulen . Da alle Kinder zum Schulbesuch verpflichtet waren, gab es auch Lehrer für Blinde und Taubstumme. Hauptziele der Schulbildung waren

  • Lesen- und
  • Schreibenlernen,
  • Rechnen und
  • Kenntnisse in Religion.

1776 gründete BERTUCH die Zeichenschule in Weimar. In den katholischen Gebieten gab es Jesuitengymnasien . Dort legte man vor allem Wert auf das Theaterspielen. Gespielt wurden Dramen mit Musik, Chören und Tanz. Die Themen waren religiöser Natur, reichten von der Verherrlichung der Mutter Gottes über Heiligenlegenden bis hin zu Moritaten, die oft Abenteuer glaubensstarker Helden in türkischer Gefangenschaft oder das Kampfgetümmel zwischen Christen und Türken darstellten. Das Jesuitenkolleg in Dilligen beispielsweise war eine Akademie, die sechs Gymnasialklassen und eine Universität umfasste und in ihrer Glanzzeit 700 Studierende unterrichtete. Auch hier war die Unterrichtssprache bis 1780 Latein. Im Lehrplan waren

  • Dogmatik,
  • Sittenlehre,
  • Dichtkunst,
  • Griechisch,
  • Historie und
  • Arithmetik

enthalten.
Erst 1786 wurde per Reform Latein als Unterrichtssprache durch Deutsch ersetzt.
Damit strömte auch zeitgenössische Literatur, wie die von SCHUBART, LAVATER, KLEIST, LESSING, GOETHE (Die Leiden des jungen Werthers) in die Schule.

Die in den Städten weit verbreiteten Klippschule n, die es schon im Mittelalter gab, waren für die Kinder der ärmeren Schichten vielfach die einzige Bildungsmöglichkeit. Sie erfüllten im 18. Jh. die Funktion von Vor- bzw. Grundschulen, in denen die Kinder schon früh auf ihre Stellung in der Gesellschaft vorbereitet wurden. Häufig regierten Stock und Rute, Strafen wie Schütteln, Einsperren in dunkle Kammern, Kopfnüsse und gröbere Misshandlungen wurden als legitime Erziehungsmittel angesehen.

Die Kinder aus adligem Elternhaus wurden meist von Hofmeistern unterrichtet. Diese hatten bei Tisch die Sitten ihrer Zöglinge zu überwachen. Oft waren Hofmeister geduckte, scheue, junge Männer, die mit dieser Stelle die ersten Schritte in die Welt antraten. Hofmeister unterrichteten

  • Lesen,
  • Schreiben,
  • Rechnen,
  • Latein und
  • oft auch Französisch.

Gelegentlich erteilte sogar der Vater selbst seinen Kindern zusätzlichen Unterricht. Viele Hofmeister litten unter der niederen sozialen Position, aus der heraus sie den Adelssöhnen Unterricht erteilen mussten. Nicht selten wurden sie zur Zielscheibe des Hasses ihrer bessergestellten Zöglinge. Viele bekannte Denker und Künstler des 18. Jahrhunderts durchliefen die zweifelhafte .Karriere als Hofmeister .

  • KANT,
  • WIELAND,
  • LENZ,
  • JUNG-STILLING,
  • HÖLDERLIN,
  • HEGEL,
  • SCHUBART.

Entstehung der Intelligenz

Vor allem in den Städten vollzog sich im 18. Jahrhundert die Ablösung der feudal geprägten Gesellschaft . Mit der Entstehung neuer Tätigkeitsbereiche und neuer Berufsgruppen bildete sich die Schicht der Intelligenz heraus, die nicht mehr vorrangig im gewerblichen Bereich beschäftigt war. Diese geistige Elite brachte geistige, immaterielle Werte hervor, die das Funktionieren und die Entwicklung von

  • Gesellschaft,
  • Bildung,
  • Philosophie,
  • Erziehung,
  • Kunst,
  • Kultur
  • und Ideologie

in starkem Maße prägten. Betrachtet man beispielsweise das beachtliche Wachstum der Berliner Bevölkerung im 18. Jahrhundert, so lässt sich auch ein Anwachsen der Intelligenz verzeichnen. Ihr prozentualer Anteil an der Berliner Gesamtbevölkerung betrug dabei etwa 8%. Auffällig schnell wuchs die Gruppe der akademisch gebildeten hohen und mittleren Beamten insbesondere im letzten Drittel des Jahrhunderts. Diese bemerkenswerte Entwicklung ist auf den Ausbau der Behördenorganisation und der Verwaltungsbürokratie unter FRIEDRICH WILHELM I. und vor allem FRIEDRICH II. zurückzuführen. Mit dem Ausbau Berlins zum Kulturzentrum zog es auch immer mehr Künstler an, so dass sich die Zahl der in der Stadt wohnenden und hier tätigen Künstler bis zum Ende des Jahrhunderts verdreifachte. Waren die Künstler zunächst noch in starkem Maße vom Mäzenatentum der Fürstenhäuser und des Adels abhängig, änderte sich diese Situation im Laufe des Jahrhunderts durch zunehmend bürgerliche Auftragserteilung .
Das aufblühende Theater- und Musikleben befriedigte zunehmend nicht nur adlige Bedürfnisse, sondern immer mehr bürgerliche Interessen und Anforderungen.

Literarische und gesellige Klubs

Mit dem Aufblühen des geistigen, geschäftlichen und gesellschaftlichen Lebens in den Städten und den sich daraus ergebenden vielfältigen sozialen Kontakten und Beziehungen entstand das Bedürfnis nach Kommunikation, nach Austausch über Themen

  • der Politik,
  • der Kultur,
  • der Wissenschaft,
  • der Kunst.

Die ersten Klubs waren noch geschlossene Gesellschaften, die oft ausschließlich dem Adel vorbehalten waren und der Unterhaltung dienten. Aber schon der 1748 in Berlin gegründete Montagsklub stellte einen wertvollen Beitrag zur Bewusstseinsfindung und Gemeinschaftsbildung bürgerlicher Kreise bei. Der auf 24 Mitglieder begrenzte Klub überdauerte sogar das 19. Jahrhundert und zählte Berühmtheiten wie

  • LESSING,
  • FRIEDRICH NICOLAI,
  • den Verleger CH. FRIEDRICH VOSS
  • und AUGUST MYLIUS

zu seinen Mitgliedern. Bis zum Ende des Jahrhunderts existierten allein in Berlin mehr als 20 derartige Gesellschaften. In vielen dieser Einrichtungen wurden neben

  • philosophischen,
  • medizinischen und
  • physikalischen Vorträgen auch
  • Dramen und
  • Gedichte

vorgelesen. Hier fand neueste Literatur ihr Publikum. Ergänzt wurden die Clubs durch Freundeskreise, Salons und Kaffekränzchen. Die wichtigsten Berliner Persönlichkeiten gehörten gleich mehreren dieser oft losen Freundschaftskreise an und sorgten so für den Informationsfluss untereinander. All diese Organisationsformen bildeten ein deutliches Pendant zu den exklusiven höfischen Gesellschaften und trugen dazu bei, ein Geflecht sozialer und geschäftlicher Beziehungen zu knüpfen, das bis zu privaten Verbindungen reichte. Bekanntschaften wurden gemacht, oft lebenslange Freundschaften geschlossen, mitunter verwandtschaftliche Bande geknüpft, wissenschaftlicher Gedankenaustausch gepflegt und zwanglos geplaudert.

Neue Rezeptionsmöglichkeiten

Die Zunahme von Lesefähigkeit, -bereitschaft und -gelegenheit im Bürgertum erforderte die Erschließung neuer Rezeptionsmöglichkeiten . Der Übergang vom intensiven zum extensiven Lesen erzwang einen Zuwachs an zugänglicher Lektüre. Meist waren es geschäftstüchtige Verleger und Buchhändler, die in ihren eigenen Häusern die ersten privaten Leihbibliotheken aufbauten. Schon bestehende Lesezirkel wurden vergrößert, neue schossen wie Pilze aus dem Boden. Lesegesellschaften ermöglichten einer großen Anzahl von Lesern die Nutzung einzelner Exemplare. Die Zunahme der Leser aus dem mittleren Bürgertum, aus Kreisen der

  • Unternehmer,
  • Beamten,
  • Kaufleute,
  • mittleren Militärdienstgrade,
  • ja selbst desDienstpersonals und
  • einigen Gruppen aus der Landbevölkerung

brachte einen neuen Typus Leser hervor, mit einem niederen Grad der Rezeptivität, als in der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Der Lesehunger auf leicht verständlichen Lesestoff wiederum hatte Auswirkungen auf die literarische Produktion nach 1750. Die Unterhaltungsliteratur rückte an die Spitze der veröffentlichten Bücher.

  • Reisebeschreibungen und -berichte,
  • Gelegenheitspoesie,
  • Lustspiele,
  • Romanzen,
  • Possen,
  • historische Romane,
  • Magazine für Damen und Mädchen,
  • moralisierende Literatur für die Jugend und
  • Abenteuerliteratur

standen bei den „neuen“ Lesern hoch im Kurs.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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