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- Das griechische Drama
Zentraler Begriff des griechischen Theaters ist Mimesis. Er bedeutet „Nachahmung der Wirklichkeit“ und führte zu verschiedenen Auffassungen über die Art und Weise dieser Nachahmung:
In vorklassischer Zeit verstand man unter Mimesis den kultischen Tanz. PLATON warf der Kunst vor, sie sei unwahrhaftig und wirklichkeitsverfälschend. Nur die Philosophie könne die Wirklichkeit abbilden. PLATON verstieg sich sogar zu der Behauptung, aus einem idealen Staat seien die Dichter zu verbannen. Dagegen wandte sich ARISTOTELES.
Aristotelisches Dramenmodell
ARISTOTELES begründete die wissenschaftliche Logik und die Naturphilosophie, definierte die Begriffe Ethik (Tugendlehre) und Poetik (Tragödie, Epos) sowie grundlegende Begriffe der Politik (Staatslehre). Sein gewaltiges Werk umfasste nahezu das gesamte Wissen der Antike. Seine „ Poetik “ (entstanden ca. 335 v. Chr., PDF 1) ist der älteste poetologische Text der Antike und hatte einen bestimmenden Einfluss bei der Herausbildung der neuzeitlichen Dichtungstheorie. Die Schrift stellt eine Abgrenzung gegen PLATONs (427 bis ca. 347 v. Chr.) Auffassungen dar, welcher die Dichtung – insbesondere Epos und Tragödie – heftig attackierte. Theater sei (nach ARISTOTELES) aus dem angeborenen Nachahmungstrieb (Mimesis), der Freude am Lernen durch Nachahmung entstanden, wobei
darstellte. Die emotionale und psychische Reinigung durch Furcht und Mitleid nennt ARISTOTELES Katharsis.
Nach ARISTOTELES sind alle literarischen Formen Nachahmungen. Dabei beschränkt er sich nicht auf Texte in schriftlicher Form, sondern meint jede Art eines dichterischen Vortrags:
„Die Epik und die tragische Dichtung, ferner die Komödie und die Diithyrambendichtung sowie – größtenteils – das Flöten- und Zitherspiel: sie alle sind, als Ganzes betrachtet, Nachahmungen. Sie unterscheiden sich jedoch in dreifacher Weise voneinander: entweder dadurch, daß sie je verschiedene Mittel, oder dadurch, daß sie je verschiedene Gegenstände, oder dadurch, daß sie auf je verschiedene und nicht auf dieselbe Weise nachahmen.“
Auf die Frage, warum der Mensch zur Nachahmung neigt und Dichtkunst produziert, gibt ARISTOTELES eine eindeutige Antwort:
„Allgemein scheinen zwei Ursachen die Dichtkunst hervorgebracht zu haben, und zwar naturgegebene Ursachen. Denn sowohl das Nachahmen ist dem Menschen angeboren, es zeigt sich von Kindheit an, und der Mensch unterscheidet sich dadurch von den übrigen Lebewesen (...), als auch die Freude, die jedermann an Nachahmung hat. Als Beweis hierfür kann eine Erfahrungstatsache dienen. Denn von Dingen, die wir in der Wirklichkeit nur ungern erblicken, sehen wir mit Freude möglichst getreue Abbildungen, z. B. Darstellung von möglichst unansehnlichen Tieren und von Leichen.“
Fast scheint es, als wäre ARISTOTELES mit unseren modernen Rezeptionsgewohnheiten vertraut gewesen. Die naturgegebene Nachahmung in der Dichtkunst wird allerdings deutlich abgegrenzt von tatsächlichen historischen Ereignissen oder Personen und hat unsere Vorstellung vom logischen Status und den Grenzen der Literatur lange geprägt:
„Es (ist) nicht Aufgabe des Dichters (...) mitzuteilen, was wirklich geschehen ist, sondern vielmehr, was geschehen könnte, d. h. das nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit Mögliche. Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, dass sich der eine in Versen und der andere in Prosa mitteilt (...); sie unterscheiden sich vielmehr dadurch, dass der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte. Daher ist die Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere mit.“
Die Dichter „ahmen handelnde Menschen nach. Diese sind notwendigerweise entweder gut oder schlecht. Denn die Charaktere fallen fast stets unter eine dieser beiden Kategorien; alle Menschen unterscheiden sich nämlich, was ihren Charakter betrifft, durch Schlechtigkeit und Güte. Demzufolge werden Handelnde nachgeahmt, die entweder besser oder schlechter sind, als wir zu sein pflegen, oder ebenso wie wir.“
Mit dieser Einteilung der nachzuahmenden Charaktere begründet ARISTOTELES poetologisch den Unterschied zwischen Tragödie und Komödie:
„Auf Grund desselben Unterschiedes weicht auch die Tragödie von der Komödie ab: die Komödie sucht schlechtere, die Tragödie bessere Menschen nachzuahmen, als sie in der Wirklichkeit vorkommen.“
Dabei geht es nicht darum, den schlechteren Menschen nur in seiner Schlechtigkeit an sich darzustellen, sondern „insoweit, als das Lächerliche am Hässlichen teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Hässlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht.“ Der schlechtere Mensch soll in seiner Lächerlichkeit bloßgestellt und verlacht werden.
Wichtigstes strukturelles Merkmal der Tragödiendichtung ist die Geschlossenheit („drei Einheiten“). Das bedeutet:
„Demzufolge dürfen Handlungen, wenn sie gut zusammengefügt sein sollen, nicht an beliebiger Stelle einsetzen noch an beliebiger Stelle enden, sondern sie müssen sich an die genannten Grundsätze halten.“
Der Zuschauer soll die Handlung bestmöglich nachvollziehen können. Nach ARISTOTELES soll die Tragödie Jammern (eleos) und Schaudern (phobos) hervorrufen, und so Reinigung (katharsis) des Zuschauers herbeiführen.
ARISTOTELES' Festlegung der Dichtung auf etwas, das wahrscheinlich sein muss, also irgendwie geschehen könnte,
Der Zwang der Wahrscheinlichkeit bedeutet aber auch Unfreiheit. Dichtung aristotelischen Zuschnitts fehlt die Möglichkeit zur Utopie, zur Subversion, zur gedanklichen Zersetzung von gesellschaftlichen Gegebenheiten.
Das aristotelische Drama hat eine bestimmte Struktur, die folgendermaßen dargestellt werden kann (siehe auch Bild 1):
Aristotelisches Dramenmodell
HORAZ stützte sich in seiner „ Ars poetica “ im Wesentlichen auf ARISTOTELES. Von der Literaturwissenschaft wird immer wieder betont, dass die lange Zeit unbekannte Poetik des ARISTOTELES (erste dt. Übersetzung 1753) eigentlich stärker indirekt durch HORAZ gewirkt habe. Dieser untermauerte die Theorie ARISTOTELES´, indem er davon ausging, dass der Dichter ein „kundiger Nachahmer“ der drei Einheiten sein solle:
„Sei das Werk, wie es wolle, nur soll es geschlossen und einheitlich sein.“
Seine Vorstellung, „eine Dichtung (solle) wie ein Gemälde“ sein, zielt auf eine größtmögliche Anschaulichkeit und ästhetische Qualität des Textes.
Und Dichtung muss „wahrscheinlich“ sein. Der gewählte Ort und die Sprache müssen den historischen Zeitumständen angemessen sein.
Den Gattungen Tragödie und Komödie müssen
entsprechen.
Ein fünfaktiges Drama wurde nach HORAZ Vorschrift:
„Ein Stück bleibe nicht unter dem fünften Akt noch gehe darüber, welches verlangt, dass man es zu sehen begehrt und wiederaufführt.“
Auch forderte er, das Drama solle belehren und unterhalten (prodesse et delectare):
„Wer gelernt hat, was man dem Vaterland schuldet, was seinen Freunden, wie man den Vater lieben soll, wie Bruder und Gastfreund, was die Pflicht des Senators, was die des Richters ist, welches die Rolle des Feldherrn, den man in den Krieg schickt – der versteht es bestimmt, einer jeden Person, was ihr zukommt, zu geben“.
Die Vorstellungen HORAZ´ finden sich später bei JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED und GUSTAV FREYTAG wieder. Außerdem beeinflusste HORAZ die Poetiken der Renaissance, der Aufklärung und des Klassizismus sehr stark.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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