Strophe

Besteht ein Gedicht oder ein Gedichtzyklus aus mehreren Strophen, werden diese durch eine Leerzeile voneinander getrennt.

Man unterscheidet nach strukturellen Gesichtspunkten unterschiedliche Strophenformen.

Antike

Bereits in der Antike kennzeichnete die Strophe den Zeitpunkt einer Drehung während des Rundtanzes im griechischen Drama, aber auch jeder anderen Dichtung, die mit Musikbegleitung vorgetragen wurde, z. B. der Ode. Von hier bekannt ist die Odenstrophe.
 

Monodie

Der lyrische Einzelgesang (Monodonie) der antiken Tragödie und Lyrik wird nach den drei griechischen Dichtern

  • SAPPHO,
  • ALKÄOS,
  • ASKLEPIADES

benannt.

Eine weitere Strophenform erfand GLYKOS. Sie basieren alle auf die unterschiedliche Nutzung von Versfüßen.

Gebräuchliche Versfüße sind:

  • Jambus: U — (unbetont, betont)
  • Trochäus: — U (betont, unbetont)
  • Daktylus: — U U (betont, unbetont, unbetont...)
  • Anapäst: U U — (unbetont, unbetont, betont)

Die antike Verslehre kennt des weiteren:

  • Kretikus: — U — (betont, unbetont, betont)
  • Amphibrachys: U — U (unbetont, betont, unbetont)
  • Antispast: U — — U (entspricht Jambus plus Trochäus)
  • Dochmius: U — — U — (unbetont, betont, betont, unbetont, betont), entspricht einem Jambus, gekoppelt mit einem Kretikus.
  • Adonius: — U U — U (betont, unbetont, unbetont, betont, unbetont)
  • Spondeus: — — ( betont, betont)

Sapphische Odenstrophe

Die sapphische Odenstrophe wurde benannt nach der griechischen Dichterin SAPPHO aus Lesbos (600 v. Chr.), vierzeilige metrisch geregelte Strophen. Trochäen mit eingeschobenem Daktylus, alle Versausgänge sind weiblich.

— U — U — U U — U — U
— U — U — U U — U — U
— U — U — U U — U — U
— U U — U

Alkäische Odenstrophe

Die alkäische Odenstrophe wurde benannt nach dem griechischen Dichter ALKAIOS. Sie besteht aus vier Versen, Vers eins und zwei sind Elfsilbler, Vers drei ist ein Neunsilbler, Vers vier ist ein Zehnsilbler. Das Metrum ist ein Jambus, im Schlussvers treten zwei Daktylen und zwei Trochäen auf, im Deutschen sind sie meist trochäisch.

U — U — U / — U U — U —
U — U — U / — U U — U —
U — U — U — U — U
— U U — U U — U — U

FRIEDRICH HÖLDERLIN
An die Parzen

Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
Dass williger mein Herz, vom süßen
Spiele gesättiget, dann mir sterbe.

Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht
Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;
Doch ist mir einst das Heil´ge, das am
Herzen mir liegt, das Gedicht, gelungen,

Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!
Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel
Mich nicht hinab geleitet; Einmal
lebt ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht.

(In: Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Kleine Stuttgarter Ausgabe, 6 Bände, Band 1, Herausgegeben von Friedrich Beissner, Stuttgart: Cotta, 1946. S. 247)

Asklepiadeische Odenstrophe

Die asklepiadeische Odenstrophe wurde benannt nach dem griechischen Dichter ASKLEPIADES aus Samos (270 v. Chr.). In allen Versen besteht ein Wechsel von Trochäen und Daktylen, entscheidendes Kennzeichen ist die Mittelzäsur in den ersten beiden Versen. KLOPSTOCKs Ode „Zürchersee“ beginnt trochäisch, geht dann in einen Daktylus über, der eine zusätzliche Hebung am Ende enthält, dann folgt eine deutliche Zäsur. Im zweiten Versteil beginnt die Ode daktylisch, geht dann in einen Trochäus über, dem eine Hebung am Ende des Verses angehängt ist. Der zweite Vers ist metrisch identisch mit dem ersten, Vers drei und vier beginnen, wie Vers eins und zwei, auftaktlos mit einem Trochäus. Es folgt jeweils ein Daktylus. Vers drei endet trochäisch ohne weitere Hebung, Vers vier dagegen trochäisch mit einer Hebung:

— U — U U — / — U U — U —
— U — U U — / — U U — U —
— U — U U — U
— U — U U — U —

FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK
Der Zürchersee (1750)

Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht
Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht,
Das den großen Gedanken
Deiner Schöpfung noch Einmal denkt.

Von des schimmernden Sees Traubengestaden her,
Oder, flohest du schon wieder zum Himmel auf,
Komm in röthendem Strale
Auf dem Flügel der Abendluft,

Komm, und lehre mein Lied jugendlich heiter seyn,
Süße Freude, wie du! gleich dem beseelteren
Schnellen Jauchzen des Jünglings,
Sanft, der fühlenden Fanny gleich.

Schon lag hinter uns weit Uto, an dessen Fuß
Zürch in ruhigem Thal freye Bewohner nährt;
Schon war manches Gebirge
Voll von Reben vorbeygeflohn.

Jetzt entwölkte sich fern silberner Alpen Höh,
Und der Jünglinge Herz schlug schon empfindender,
Schon verrieth es beredter
Sich der schönen Begleiterin.

»Hallers Doris«, die sang, selber des Liedes werth,
Hirzels Daphne, den Kleist innig wie Gleimen liebt;
Und wir Jünglinge sangen,
Und empfanden, wie Hagedorn.

Jetzo nahm uns die Au in die beschattenden
Kühlen Arme des Walds, welcher die Insel krönt;
Da, da kamest du, Freude!
Volles Maßes auf uns herab!

Göttin Freude, du selbst! dich, wir empfanden dich!
Ja, du warest es selbst, Schwester der Menschlichkeit,
Deiner Unschuld Gespielin,
Die sich über uns ganz ergoß!

Süß ist, fröhlicher Lenz, deiner Begeistrung Hauch,
Wenn die Flur dich gebiert, wenn sich dein Odem sanft
In der Jünglinge Herzen,
Und die Herzen der Mädchen gießt.

Ach du machst das Gefühl siegend, es steigt durch dich
Jede blühende Brust schöner, und bebender,
Lauter redet der Liebe
Nun entzauberter Mund durch dich!

Lieblich winket der Wein, wenn er Empfindungen,
Beßre sanftere Lust, wenn er Gedanken winkt,
Im sokratischen Becher
Von der thauenden Ros' umkränzt;

Wenn er dringt bis ins Herz, und zu Entschließungen,
Die der Säufer verkennt, jeden Gedanken weckt,
Wenn er lehret verachten,
Was nicht würdig des Weisen ist.

Reizvoll klinget des Ruhms lockender Silberton
In das schlagende Herz, und die Unsterblichkeit
Ist ein großer Gedanke,
Ist des Schweisses der Edlen werth!

Durch der Lieder Gewalt, bey der Urenkelin
Sohn und Tochter noch seyn; mit der Entzückung Ton
Oft beym Namen genennet,
Oft gerufen vom Grabe her,

Dann ihr sanfteres Herz bilden, und, Liebe, dich,
Fromme Tugend, dich auch gießen ins sanfte Herz,
Ist, beym Himmel! nicht wenig!
Ist des Schweisses der Edlen werth!

Aber süßer ist noch, schöner und reizender,
In dem Arme des Freunds wissen ein Freund zu seyn!
So das Leben genießen,
Nicht unwürdig der Ewigkeit!

Treuer Zärtlichkeit voll, in den Umschattungen,
In den Lüften des Walds, und mit gesenktem Blick
Auf die silberne Welle,
That ich schweigend den frommen Wunsch:

Wäret ihr auch bey uns, die ihr mich ferne liebt,
In des Vaterlands Schooß einsam von mir verstreut,
Die in seligen Stunden
Meine suchende Seele fand;

O so bauten wir hier Hütten der Freundschaft uns!
Ewig wohnten wir hier, ewig! Der Schattenwald
Wandelt' uns sich in Tempe,
Jenes Thal in Elysium!

(Klopstock, Friedrich Gottlieb: Oden, Band 1–2, Leipzig: Göschen, 1798, S. 83)

Chorgesang

Neben der monodischen Strophe wurde die Ode in der Antike auch alsChorgesang geübt. Der wesentlichste Vertreter der chorischen Ode ist PINDAR (griech. Πίνδαρος).

Die Chorlyrik ist prinzipiell dreigeteilt:

  1. Ode,
  2. Antode (Gegenstrophe),
  3. Epode (Abgesang).

PINDAR: Pythische Ode 1
Vers 1-20

Goldene Leier, des Apollon und der veilchenlockigen
Musen gemeinsames Gut, auf dich hört der Tanzschritt, des Freudenfestes Beginn,
deiner Vorgabe folgen die Sänger,
sooft du mit tanzführendem Vorspiel
anhebst mit schwirrenden Saiten.
Den lanzenkämpfenden Blitz löschst du
aus nie versiegendem Feuer. Es schläft auf dem Zepter
des Zeus Adler, lässt schnellen
Flügel beidseits hängen,
der Herr der Vögel, und eine dunkele Wolke gießt du ihm
übers gekrümmte Haupt, ein süßes Schließen der Augen;
der aber schlummernd
wiegt den biegsamen Rücken, von deinem Liedschwall bezaubert. Ja selbst der
gewaltige Ares lässt rauhen Speerkampf
beiseite, erfreut sein Herz an der Ruhe; die Pfeile betören auch der Götter
Sinne durch des Letosohnes Kunst und der tiefgewandeten Musen.
Alles aber, was Zeus nicht liebt, entsetzt sich vor dem Sang
der Pieriden, wenn es ihn hört, über die Erde hin und das
Meer das unwiderstehliche;
und der in der schrecklichen Tartaros liegt, der Götter Feind,
Typhos, der hundertköpfige. Den einst
nährte die vielbenamte kilikische Höhle. Jetzt freilich
pressen die meerumschlungenen Küsten über Kyme
und Sizilien, seine
zottige Brust; und die himmelragende Säule zwingt ihn
der schneeige Aetna, das ganze Jahr über schneidend kalten Schnees Amme.

(Pindar, Oden, griechisch / deutsch; übersetzt und herausgegeben von E.Dönt, Stuttgart: Reclam, 1986)

Die glykoneische Strophe

Nach GLYKON ist die glykoneische Strophe benannt. Vers eins bis drei sind identisch, es sind Achtheber, bestehend aus Trochäus, Daktylus und Kretikus, Vers vier besteht aus Trochäus, Daktylus und Trochäus.

— U — U U — U —
— U — U U — U —
— U — U U — U —
— U — U U — U

Der antike Kretikus bestand aus drei Silben: — U —.

Die choriambische Strophe

Die choriambische Strophe (Choriambus) besteht aus einem Trochaus — U und einen Jambus U —, das Versschema lautet also: — U U —. Deshalb wird er auch Trochäo-Jambus genannt. „Man kann ihn auch als einen Daktylus mit einer angehängten langen Silbe ansehen, wie in dem Ausdruck himmlische Lust.“ (SULZER).

„Unberufen zum Scherz, welcher im Liede lacht,
Nicht gewöhnet zu sehn, tanzende Gratien,
Wollt ich Lieder wie Schmidt singt,
Lieder singen wie Hagedorn.“

(Klopstock, zitiert nach: Sulzer, Johann George: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. In einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt. Leipzig: M. G. Weidmanns Erben und Reich: Bd. 1: 1771., S. 206).

Sophokleisches Chorlied

Das sophokleische Chorlied dagegen besteht aus Strophe und Antistrophe.

Chorlied aus der Antigone
in der Übersetzung von HÖLDERLIN

Ungeheuer ist viel. Doch nichts
ungeheurer als der Mensch.
Denn der, über die Nacht
des Meers, wenn gegen den Winter wehet
der Südwind, fähret er aus
in geflügelten sausenden Häusern.
Und der Himmlischen erhabene Erde,
die unverderbliche, unermüdete,
reibet er auf; mit dem strebenden Pfluge,
von Jahr zu Jahr,
treibt sein Verkehr er, mit dem Rossegeschlecht,
und leichtträumender Vögel Welt
bestrickt er, und jagt sie;
und wilder Tiere Zug,
und des Pontos salzbelebte Natur
mit gesponnenen Netzen,
der kundige Mann.
Und fängt mit Künsten das Wild,
das auf den Bergen übernachtet und schweift,
und dem rauhmähnigen Rosse wirft er um
den Nacken das Joch, und dem Berge
bewandelnden unbezähmbaren Stier.
 
Und die Red und den luftigen
Gedanken und städtebeherrschenden Stolz
hat erlernet er, und übelwohnender
Hügel feuchte Lüfte, und
die unglücklichen zu fliehen, die Pfeile. Allbewandert,
unbewandert. Zu nichts kommt er.
Der Toten künftigen Ort nur
zu fliehen weiß er nicht,
und die Flucht unbeholfener Seuchen
zu überdenken.
Von Weisem etwas, und das Geschickte der Kunst
mehr, als er hoffen kann, besitzend,
kommt einmal er auf Schlimmes, das andre zu Gutem.
Die Gesetze kränkt er, der Erd und Naturgewaltger
beschwornes Gewissen;
hochstädtisch kommt, unstädtisch
zu nichts er, wo das Schöne
mit ihm ist und mit Freiheit.
Nicht sei am Herde mit mir,
noch gleichgesinnet,
wer solches tut.

(Hölderlin, Friedrich: Werke in zwei Bänden, Zweiter Band. Dortmund: Harenberg, 1982)

Andere antike Gedichte kommen ohne Antistrophe und Epode aus.

Einteilung nach der Anzahl der Verse

Nach der Anzahl ihrer Verse teilten die alten Griechen ein in

  • zweizeilige (Distichen),
  • dreizeilige (Tristichen) und
  • vierzeilige (Tetrastichen).

Distichon

Das Distichon ist ein Doppelvers, der aus einem Hexameter und einem Pentameter besteht.

FRIEDRICH SCHILLER verfasste ein Distichon mit dem Titel
„Distichon“, das zugleich als Merkvers gelten kann.

Ím

Hemeter stéigt / des Spríngquells flüssige Säule,
Ím Penmeter dráuf / fällt sie medisch heráb.

— U — U U — / U — U — U U —U
— U — U U — / — U U — U U —

Es gibt zwei Gedichtformen, die durch das Distichon gekennzeichnet sind: das Epigramm und die Elegie.

Während das Epigramm, das oft nur aus einem einzigen Distichon besteht, sich den verschiedenen Charakter von Hexameter und Pentameter für eine komprimierte anspielungsreiche Kurzaussage zunutze macht (z. B. GOETHES und SCHILLERS Xenien), ist die Elegie meist ein längeres Gedicht.


„Täglich geh ich heraus, / und such ein Anderes immer,
Habe längst sie befragt, / alle die Pfade des Lands;
Droben die kühlenden Höhn, / die Schatten alle besuch ich,
Und die Quellen; hinauf / irret der Geist und hinab“

(Hölderlin, Friedrich: Menons Klagen um Diotima, in: ders.:: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart: Cotta, 1953, S. 78)


— U — U U — / U — U — U U — U
— U — U U — / — U U — U U —
— U U — U U — / U — U — U U — U
— U — U U — / — U U — U U —

Tristichon

Das Tristichon wird, genauso wie das Distichon, in der Epigrammatik verwendet. Das Tristichon besteht aus drei Verszeilen:

Vergleichung

Lisandern fehlt das Wollen nur
Zum Biedermann, und dir, Obscur,
Zum Bösewicht das Können nur.

(Haug, Johann Christoph Friedrich: Vergleichung, in: Hamburger Musenalmanach 1798, S. 39)

Ueber Kakus
Was er auf der Kanzel spricht,
Von der Christusjünger=Pflicht,

Macht er nicht, und thut er nicht.

(Haug, Johann Christoph Friedrich: : Ueber Kaktus: In. Göttinger Musenalmanach1796, S. 173)

Tetrastichon

Das Tetrastichon ist ein antiker Vierzeiler, also ein Gedicht oder eine Strophe aus vier Versen.

Mittelalterliche deutsche Strophen

Im Mittelalter kannte man mannigfache Strophenformen. Als Beispiele seien genannt:

  • Hildebrandstrophe,
  • Nibelungenstrophe,
  • Kanzonenstrophe,
  • Titurelstrophe,
  • Neidhartstrophe

Hildebrandstrophe

Die Hildebrandstrophe ist durch Stabreime gekennzeichnet:

„Ik gihôrta dhat seggen
dhat sih urhêttun ænon muotîn
Hiltibrant enti Hadhubrant untar heriun tuêm“

Nibelungenstrophe

Die Nibelungenstrophe besteht aus vier paarweise reimenden Langzeilen und ist in Anverse und Abverse mit festen Takten gegliedert. Dazwischen befindet sich eine deutliche Zäsur. Der Anvers besteht aus vier Takten, der Abvers aus drei Takten (im vierten Vers vier Takte):

Uns ist in alten maeren // wunders vil geseit

Die Nibelungenstropghe ist, wie die Kudrunstrophe und die Rabenschlachtstrophe, eine epische Langzeilenstrophe.

Titurelstrophe

Die Titurelstrophe ist nach dem Heldenepos WOLFRAMs VON ESCHENBACH benannt.WOLFRAM benutzt in seinem „Titurel“ vierzeilige Strophen:

Dô sich der starke Tyturel // mohte gerüeren,
er getorste wol sich selben // unt die sîne in sturme gefüeren:
sît sprach er in alter „ich lerne
daz ich schaft muoz lâzen: // des phlac ich etwenne schône und gerne.

Möht ich getragen wâppen,“ // sprach der genende,
"des solt der luft sîn gêret // von spers krache ûz mîner hende:
sprîzen gæben schate vor der sunnen.
vil zimierde ist ûf helmen // von mînes swertes eke enbrunnen.

(Wolfram von Eschenbach: Werke. Hrsg. K. Lachmann, Berlin: Reimer, 1833)
 

Die Titurelstrophe gehört neben der Morolfstrophe und dem Bernerton zu den epischen Reimpaarstrophen.

Andere Strophenformen

Die romanischen Strophenformen sind seit dem Mittelalter in Italien entstanden. Zu ihnen gehört die Terzine (ital. terza rima), die von DANTE ALIGHIERI in seiner „Göttlichen Komödie“ (ital.: La Divina Commedia) benutzt wurde. Im Italienischen ist die Terzine ein Elfsilbler, im Deutschen kommt sie als Zehnsilbler mit männlicher Kadenz oder als Elfsilbler mit weiblicher Kadenz daher:

„Auf halbem Weg des Menschenlebens fand (10)
ich mich in einen finstern Wald verschlagen, (11)
Weil ich vom rechten Weg mich abgewandt.“(10)

(DANTE ALIGHIERI „Göttliche Komödie“)

Das Ritornell (von ital. ritornello = Wiederkehr) ist eine aus der italienischen Volksdichtung (Toskana) hervorgegangene lyrische Form; die dreizeiligen Strophen, deren Zahl beliebig ist, bestehen aus einem 5- oder 7-silbigen Vers und zwei Elfsilbern, von denen jeweils zwei durch Reim oder Assonanz verbunden sind. Ritornelle dichteten in Deutschland u. a. FRIEDRICH RÜCKERT, PAUL HEYSE, THEODOR STORM.

FRIEDRICH RÜCKERT: Die Ritornelle von Ariccia (Auswahl)

Die Kleine

Mein Liebster, machet mir nur keine Faxen!
Denkt nicht, weil ich klein, daß ich's nicht merke!
Ich zahl' es euch, wann ich bin groß gewachsen.

Die gefährlichen Granaten

In Eurem Busen tragt Ihr zwo Granaten;
Ihr tut, o Schöne, das, um mich zu töten;
Die Schönheit gab Euch Gott zu meinem Schaden.

Eindringliche Seufzer

Blüte der Viole!
O meine Seufzer, dringet durch die Mauer,
Wie eine Ahle durch des Schuhes Sohle.

Gegen den Zauber des bösen Auges

Blüte vom Lauche!
Steck' auf den Hut ein Börstchen fein vom Igel,
So schadet niemand dir mit bösem Auge.

Die Schlafkammer

Apfelblütblättchen !
Unter dem Dache schläfst du, schönes Kindchen,
Wo sich die Schwalbe hat gemacht ihr Nestchen.

(In: Rückert, Friedrich : Werke, Herausgegeben von Georg Ellinger, Band 1 u. 2, Leipzig und Wien: Bibliographisches Institut, [1897].)

Die Stanze besteht aus acht elfsilbigen Verszeilen mit dem Reimschema abab abcc.

FRIEDRICH VON SCHILLER: Stanzen an Amalien (1798):

„Schön ist es, wenn des Geistes zarte Hülle
Ein zierliches Gewand mit Schmuk umschließt
Wenn über jedes feine Glied die stille
Gewalt der Schönheit ihren Zauber gießt
Und aus des innern Lebens reger Fülle
Der Jugend Blume frisch und duftend sprießt;
Wenn von dem Lilienweissen Angesichte
Des Lebens Morgen strahlt im Rosenlichte.

In Lust verloren steh’ ich vor dem Bilde
Dem Meisterstük der schaffenden Natur,
Voll hoher Freude fühl’ ich’s: Hier enthüllte
Am schönsten sich der ewgen Liebe Spur,
Ihn, der mit tausend Reiz die Erd’ erfüllte
Den milden Schöpfer ehr’ ich denkend nur;
Doch nie kann sich mein Herz dem Bild’ ergeben
Erblik’ ich nicht der schönen Seele Leben. [...]“

(In: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Auf Grund der Originaldrucke herausgegeben von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert in Verbindung mit Herbert Stubenrauch, Band 1–5, 3. Auflage, München: Hanser, 1962.)

Die Nonarime (ital. Nona rime = Neunreim) ist, wie der Name sagt, eine neunzeilige Strophe, der Stanze ähnelnd, nur, dass dieser eine neunte Zeile folgt. Das Reimschema ist abababccb.

Die aus der englischen Balladendichtung stammende Chevy-Chase-Strophe besteht aus vier auftaktigen, abwechselnd vier- und dreihebigen, mit männlicher Kadenz endenden Versen

U — U — U — U —
U — U — U —
U —U — U — U —
U — U — U —

„Der Weltraum fernt mich weit von dir,
So fernt mich nicht die Zeit.
Wer überlebt das siebzigste
Schon hat, ist nah bei dir. [...]“

(Klopstock, Friedrich Gottlieb: Das Wiedersehn. In: Oden, Band 1–2, Leipzig: Göschen, 1798, S. 290.)

Die Volksliedstrophe ist stets ganz einfach gebaut. Sie kann jambisch oder trochäisch sein, drei oder vier Hebungen besitzen und paar- bzw. kreuzgereimt sein, oft mit Wechsel von männlicher und weiblicher Kadenz. In der Regel hat die Volksliedstrophe vier Verse. Es gibt aber auch sechs- oder siebenversige Volksliedstrophen.

Volksliedstrophe, Variante: vierhebig, Jambus, vierversig, Reimschema aa bb:

„Es ritt ein Ritter wohl durch das Ried,
Er hob wohl an ein neues Lied,
Gar schöne thät er singen,
Daß Berg und Thal erklingen.“

(Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. Studienausgabe in neun Bänden. Herausgegeben von Heinz Rölleke, Band 1, Stuttgart u.a.: Kohlhammer, 1979.)

Volksliedstrophe, Variante: dreihebig, Jambus, vierversig, Reimschema ab ab:

„Stund ich auf hohen Bergen
Und sah wohl über den Rhein,
Ein Schifflein sah ich fahren,
Der Ritter waren drey,“

(Des Knaben Wunderhorn, ebenda)

Volksliedstrophe, Variante: dreihebig, Trochäus, vierversig, Reimschema ab ab:

„Ob ich gleich kein Schatz nicht hab,
Will ich schon ein finden,
Geh ichs Gäßlein auf und ab,
Bis zur großen Linden.“

(Des Knaben Wunderhorn, ebenda)

Volksliedstrophe, Variante: vierhebig, Jambus, siebenversig, Reimschema aa bb cc d:

„Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,
Hat Gewalt vom höchsten Gott,
Heut wezt er das Messer,
Es schneidt schon viel besser,
Bald wird er drein schneiden,
Wir müssens nur leiden.
Hüte dich schöns Blümelein!“

(Des Knaben Wunderhorn, ebenda)

Das Ghasel ist im indisch-persischen Raum entstanden. És besteht aus zweizeiligen Strophen mit dem Reimschema: a a - b a - c a - d a.

FRIEDRICH RÜCKERT versuchte sich in den Strophenformen des Orients. Unter anderem übersetzte er auch einige Ghaseln von DSCHALALEDDIN RUMI:

„Wohl endet Tod des Lebens Not,
Doch schauert Leben vor dem Tod.

Das Leben sieht die dunkle Hand,
Den hellen Kelch nicht, den sie bot.

So schauert vor der Lieb' ein Herz,
Als wie von Untergang bedroht.

Denn wo die Lieb' erwachet, stirbt
Das Ich, der dunkele Despot.

Du lass ihn sterben in der Nacht
Und atme frei im Morgenrot.“ [...]

(Nach: DSCHALALEDDIN RUMI)

JOSEPH VON HAMMER übersetzte ebenfalls einige Ghaseln dieses persichen Autors jedoch aus dem Englischen. Das folgende Ghasel wiederholt in jedem Vers denselben Reim:

Vom Tode ich die Nachricht ewiger Liebe,
Vom Weine Gottes, der den Tod ertränkt in Liebe.

Des Daseins Nabel riß ich durch die Kraft der Liebe,
Am Tag des Fests gebar als Mutter mich die Liebe.

O frag die Liebe: wie entgehet man der Liebe?
Ein ring ohn Anfang ohne Ende ist die Liebe

Es malen sich Gestalten auf dem Flor der Liebe,
Von dem Widerschein erglänzt der Flor der Liebe. [...]

(Nach: DSCHALALEDDIN RUMI)

Nach dem persischen Dichter HAFIZ entstand das folgende Ghasel von RÜCKERT:

Mein Körperstaub ist der Schleier, / der Seelenantlitz umwebt,
O Augenblick, da vom Antlitz / mir einst der Schleier sich hebt!

Nicht solch ein Käfig ist würdig / solch eines Sängers wie ich:
Ich will zum Garten von Ridhwan, / wo ich als Vogel geschwebt!

Mir ward, warum ich gekommen / und wie ich gegangen, nicht klar:
O schad' und wehe, wie achtlos / ich meines Standes gelebt!

Das Haiku ist eine fernöstliche Strophen- und Gedichtform, die sehr leicht nachzugestalten ist. Das Haiku stammt ursprünglich aus Japan, hat drei Verse und ein Silbenmuster von 5–7–5, d.h.

  • der erste Vers muss fünf Silben,
  • der zweite Vers muss sieben Silben und
  • der dritte Vers muss fünf Silben

enthalten. Inhaltlich beliebt sind Naturerlebnisse bzw. -beschreibungen oder Jahreszeiten, dies ist jedoch nicht zwingend.

die wolke droben (5)
versteckt mond, sterne, erde (7)
verstreut meinen schritt (5)

erwartend den tag (5)
– lichter dringen in mein hirn – (7)
verbring ich die nacht (5)

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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