Heinrich von Kleist

 Lebensgeschichte

Die Lebensgeschichte von HEINRICH VON KLEIST ist durchzogen von tiefer Tragik, die letztendlich in Selbstzerstörung mündete.
KLEIST wurde am 18.10.1777 in Frankfurt an der Oder als Spross eines alten preußischen Offiziersgeschlechts geboren. Seine Mutter war ULRIKE DANNWITZ. Sein Vater, der Kompaniechef und Obrist JOACHIM FRIEDRICH VON KLEIST, starb früh (18.06.1788) und so wurde KLEIST 1788 im Erziehungsinstitut des Predigers S. CARTEL aufgenommen. Nach dem Besuch des französischen Gymnasiums trat er 1792 – gemäß der Familientradition – als Gefreiterkorporal in das Potsdamer Garderegiment ein. Er nahm 1793–1795 am Rheinfeldzug gegen das französische Revolutionsheer teil. 1797 wurde er zum Leutnant befördert. KLEIST empfand den Militärdienst jedoch als unerträglich und so erbat er 1799 seine Entlassung aus dem Regiment, die ihm auch gewährt wurde. Er wollte seinen „Lebensplan“ auch gegen den zu erwartenden Widerstand der Familie nicht auf „Reichtum, Würden, Ehren“, sondern auf die „Ausbildung“ des Geistes gründen. Bis 1800 widmete er sich in seiner Geburtsstadt dem Studium der Mathematik, Physik, Philosophie und Staatswissenschaft. 1800 verlobte er sich mit der Generalstochter WILHELMINE VON ZENGE, die er 1799 kennengelernt hatte.

KLEIST brach das Studium nach drei Semestern wieder ab und dieser Misserfolg führte gemeinsam mit dem Abschied vom Militärdienst und mit der Problematisierung seines rationalistischen Weltbildes zu einer ersten Lebenskrise – einem Wendepunkt in seinem Leben. Er erlitt einen körperlichen und seelischen Zusammenbruch und pendelte von diesem Zeitpunkt an zwischen unvereinbaren Polen: zwischen den Ansprüchen, die eine Familie stellt und seinen eigenen Neigungen und Wünschen, zwischen dem Muss der Existenzsicherung und dem Wunsch nach freier Entfaltung in seiner poetischen Neigung, zwischen der Sehnsucht nach einer Partnerin an seiner Seite und seiner in Selbstzweifeln begründeten Bindungsunfähigkeit.
Seine Familie hatte von KLEIST gefordert, sich im Staatsdienst anstellen zu lassen. Dieses Ansinnen schlug er zunächst aus, was ihm den beruflichen und wirtschaftlichen Rückhalt entzog und 1803 auf einer seiner häufigen Reisen zu einem psychischen Zusammenbruch führte. Sein gesamtes Leben war fortan von seelischer Labilität gekennzeichnet. Hilfe fand er hier vor allem in den Beziehungen zu WILHELMINE VON ZENGE und zu seiner Stiefschwester ULRIKE, und schließlich in seiner dichterische Betätigung, die bereits um 1800 einsetzte.

1802 brach KLEIST mit WILHELMINE, da sie seinem Wunsch nicht entsprach, mit ihm als Bäuerin zu leben. Er ging nach Weimar und wohnte dort bis 1803 bei CHRISTOPH MARTIN WIELAND. Hier machte er u. a. die Bekanntschaft von FRIEDRICH SCHILLER und JOHANN WOLFGANG VON GOETHE. Neben Begegnungen mit den Schweizer Schriftstellern HEINRICH ZSCHOKKE und HEINRICH GESSNER war es vor allem dieser Aufenthalt bei WIELAND im Winter 1802/03, bei dem KLEIST literarische Anregungen fand, sodass nun in schneller Folge mehrere Stücke entstanden.

1804 nahm KLEIST in Berlin dann doch noch eine Anstellung im preußischen Staatsdienst an. Er arbeitete zunächst bis Mitte des Jahres im vom FREIHERR VON STEIN geleiteten Finanzdepartment und dann ab Mai 1805 auf Empfehlung VON HARDENBERGs als Diätar in Königsberg. 1806 wurde er krankheitsbedingt beurlaubt.

Von 1807 bis 1809 hielt er sich in Dresden auf, wo er sich im Kreis der Dresdener Romantiker bewegte. Hier war er dichterisch sehr produktiv und lernte verschiedene Literaten kennen, u. a. GOETHEs Freund CHRISTIAN GOTTFRIED KÖRNER, sowie die Romantiker GOTTHILF HEINRICH SCHUBERT und JOHANN LUDWIG TIECK. Gemeinsam mit dem Staats- und Geschichtsphilosophen ADAM MÜLLER gab KLEIST ab Januar 1808 dasKunstjournal „Phöbus“ heraus. In dieser Zeitschrift erschienen Auszüge verschiedener seiner Dramen und Erzählungen.
MÜLLER war ab Oktober 1810 auch KLEISTs Mitherausgeber der „Berliner Abendblätter“, der ersten Berliner Tageszeitung mit lokalen Nachrichten, als deren Zweck von den Herausgebern die „Unterhaltung aller Stände des Volkes“ und die „Beförderung der Nationalsache“ angegeben wurde. Mit den „Abendblättern“ schuf sich KLEIST eine Plattform für seine essayistische und literarische Produktion. So erschien hier neben einer Reihe von Erzählungen der Epoche machende Aufsatz „Über das Marionettentheater“ (1810). Als weitere Autoren schrieben u. a. ERNST MORITZ ARNDT, ACHIM VON ARNIM, CLEMENS BRENTANO, ADELBERT VON CHAMISSO, RÜHLE VON LILIENSTERN, FRIEDRICH KARL VON SAVIGNY und FRIEDRICH AUGUST VON STAEGEMANN. Wirtschaftliche Probleme und verschärfte Zensurbestimmungen zwangen KLEIST leider, die „Abendblätter“ bereits im Folgejahr wieder einzustellen.

Wie bereits vor seiner Berliner Zeit hatte KLEIST auch nach seiner Rückkehr nach Berlin mit all seinen Vorhaben nicht den von ihm gewünschten Erfolg, obgleich er von einflussreichen Persönlichkeiten des kulturellen Lebens unterstützt wurde. Dazu gehörten beispielsweise ACHIM VON ARNIM, CLEMENS BRENTANO und FRIEDRICH BARON DE LA MOTTE-FOUQUÉ. Diese Persönlichkeiten waren die Repräsentanten der patriotischen Stoßrichtung der Berliner Romantik, eine Richtung, die auch KLEISTs Drama „Die Hermannsschlacht“ (1821, PDF "Heinrich von Kleist – Die Hermannsschlacht") und die „Berliner Abendblätter“ vertraten.

Das Misslingen seines Vorhabens, das Drama „Prinz Friedrich von Homburg“ (1809, siehe PDF "Heinrich von Kleist - Prinz Friedrich von Homburg") zur Aufführung zu bringen (das Stück wurde bis 1814 mit einem Aufführungsverbot durch FRIEDRICH WILHELM III. belegt), führte schließlich zur letzten großen Krise im Leben KLEISTs. Da der literarische Erfolg ausgeblieben und er damit zunehmend mittellos war, da er an der Kraft menschlicher Bindungen und am Sinn des Lebens zweifelte und da er keinerlei Hoffnung auf eine Änderung der politischen Lage hatte, erschoss sich KLEIST gemeinsam mit seiner unheilbar an Unterleibskrebs erkrankten Freundin und Geliebten HENRIETTE VOGEL am 21.11.1811 am Ufer des Kleinen Wannsees bei Berlin.

Literarisches Schaffen

Das literarische Schaffen von KLEIST fand zu seinen Lebzeiten nicht die ihm zukommende Anerkennung und wurde erst drei Generationen später angemessen gewürdigt. Einer der angesehensten deutschen Literaturpreise wurde 1935 nach ihm benannt: der Kleist-Preis. Zu seinen Trägern gehören solche literarischen Persönlichkeiten wie BERTOLT BRECHT (1922), ROBERT MUSIL (1923), ÖDÖN VON HORVÁTH (1931) oder ALEXANDER KLUGE (1985). Am 04.03.1920 wurde u. a. von JULIUS PETERSEN, ADOLF VON HARNACK, GERHART HAUPTMANN und RICARDA HUCH die Kleist-Gesellschaft gegründet, die sich u. a. zum Ziel setzte, zur „Vertiefung der Volkstümlichkeit“ der Werke KLEISTs beizutragen und 1922 appellierte: „Zu Kleist stehen heißt deutsch sein.“.

KLEIST schrieb vor allem Tragödien, Lustspiele und Erzählungen. In fast all seinen Werken, vor allem aber in seinen Dramen, reflektierte KLEIST die für sein eigenes Leben so typische Konstellation von komplexer Persönlichkeit und dem Wirken widriger Schicksalsmächte. Oft nutzte er dazu die Darstellung juristischer Konflikte, z. B. in dem Drama „Prinz Friedrich von Homburg“ (1809).

Die im Mittelalter spielende Schicksalstragödie „Die Familie Schroffenstein“ (1803, siehe PDF "Heinrich von Kleist – Die Familie Schroffenstein"), eine umgearbeitete Fassung der „Familie Ghonorez“ (1802), ist die Geschichte zweier befeindeter Familien, die sich zwischen zartfühlender Innigkeit und unheimlicher Besessenheit entwickelt und damit endet, dass die Familien sich gegenseitig ermorden, einschließlich ihrer sich wahrhaft liebenden Kinder (Romeo-und-Julia-Motiv). Dieses Drama lebt von permanenten Täuschungen, irritierenden Entwicklungen, rätselhaften Situationen und überraschenden Wendungen und ist damit typisch für den dramatischen Stil von KLEIST, der als der tragischste deutsche Tragiker gilt. Alle seine tragischen Helden vereint, dass sie in ihrem Vertrauen in das eigene Gefühl erschüttert sind, einem Gefühl, das Wahrheit anzeigt, aber durch falsche Interpretation zu verhängnisvollem Handeln führt. In den Dramen von KLEIST steht hinter der Katastrophe stets Hoffnungslosigkeit. Es ist keine Vermittlung zwischen Gefühl und Vernunft durch einen moralischen Erkenntnisprozess möglich.

Das Manuskript des Stücks über den Normannenherzog „Robert Guiskard“ (1. Akt 1807 wiederhergestellt, siehe PDF "Heinrich von Kleist – Robert Guiskard") verbrannte KLEIST nach seinem ersten physischen und psychischen Zusammenbruch.

In den Folgejahren in Berlin, Königsberg und Dresden entstanden u. a. die Stücke

  • „Amphitryon“ (1807, siehe PDF "Heinrich von Kleist – Amphitryon"),
  • „Penthesilea“ (1807–1808, siehe PDF "Heinrich von Kleist – Penthesilea"),
  • der abendfüllende Einakter „Der zerbrochene Krug“ (1808),
  • „Das Käthchen von Heilbronn“ (1810) und
  • „Die Hermannsschlacht“ (1808, erschienen 1821),

letzteres Werk ein Zeichen des Wandels KLEISTs von einem ehemaligen Anhänger ROUSSEAUs zum erbitterten Napoleon-Gegner und Fürsprecher eines deutschen Nationalismus. Die letzte dramatische Arbeit KLEISTs vor seinem Freitod war das Drama „Prinz Friedrich von Homburg“ (1809).

Neben seiner Begabung als Dramatiker erwies sich KLEIST auch als vorzüglicher Essayist. Aus seiner Feder stammen u. a. die Aufsätze

  • „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ (1805) oder
  • „Über das Marionettentheater“ (1810).

Auch sein Talent für Erzählungen (siehe PDF "Heinrich von Kleist – Die Marquise von O...") stellte KLEIST unter Beweis, bekannt sind beispielsweise

  • „Die Marquise von O...“ (1808, 1975 von E. ROHMER und 1989 von H. J. SYBERBERG verfilmt),
  • „Das Erdbeben in Chili“ (1806),
  • „Michael Kohlhaas“ (1810, siehe PDF ""),
  • „Die Verlobung in St. Domingo“ (1811),
  • „Das Bettelweib von Locarno“ (1811) oder
  • „Der Zweikampf“ (1811).

Die Erzählungen leben wie die Dramen von dem Ich-Welt-Konflikt. Die tiefenpsychologische Meisterhaftigkeit, mit der KLEIST hier gearbeitet hat, hat in der deutschsprachigen Erzählkunst neue Maßstäbe gesetzt. Hier war er seiner Zeit voraus, was zumindest einer der Gründe dafür sein dürfte, dass er bei seinen Zeitgenossen nicht die entsprechende literarische Anerkennung fand.

Schließlich gehört KLEIST zusammen mit JOHANN PETER HEBEL zu den Literaten, die Anfang des 19. Jahrhunderts die Anekdote auf einen Höhepunkt führten. KLEIST verfasste zahlreiche Anekdoten für seine „Berliner Abendblätter“, die für viele nachfolgende Literaten vorbildhaft waren (BERTHOLD AUERBACH, JOHANN ANZENGRUBER, JEREMIAS GOTTHELF und THEODOR FONTANE).

Bach, als seine Frau starb, sollte zum Begräbnis Anstalten machen. Der arme Mann war aber gewohnt, alles durch seine Frau besorgen zu lassen; dergestalt, dass da ein alter Bedienter kam, und ihm für Trauerflor, den er einkaufen wollte, Geld abforderte, er unter stillen Tränen, den Kopf auf einen Tische gestützt, antwortete: „sagt's meiner Frau.“ –
(HEINRICH VON KLEIST, 1810)

Die gesamte Wirkungsgeschichte KLEISTs war nachhaltig geprägt durch die ablehnenden Urteile GOETHEs. Dieser erkannte wohl das dichterische Talent an, doch – nach einer nahezu 20-jährigen Auseinandersetzung – empfand er „Schauder und Abscheu“ angesichts des vulkanischen, exzentrischen („hypochondrischen“) „Geistes des Widerspruches“, der die „Verwirrung des Gefühls“ intendierend nur bei der Vernichtung endigen könne.

Werke (Auswahl)

  • Die Familie Ghonorez (1802, Tragödie)
  • Die Familie Schroffenstein (1803, Tragödie)
  • Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden (1805, Essay)
  • Das Erdbeben in Chili (Novelle, 1806)
  • Die Marquise von O... (Novelle, 1808)
  • Amphitryon (1807, Lustspiel)
  • Penthesilea (1807–1808, Tragödie)
  • Der zerbrochene Krug (1808, Lustspiel)
  • Robert Guiskard Herzog der Normänner (1808, Trauerspiel, nur als Fragment erhalten)
  • Prinz Friedrich von Homburg (1809, Drama)
  • Das Käthchen von Heilbronn (1810, Volksschauspiel)
  • Michael Kohlhaas (1810, Novelle, siehe PDF "Heinrich von Kleist – Michael Kohlhaas")
  • Über das Marionettentheater (1810, Essay)
  • Die Verlobung in St. Domingo (1811, Novelle)
  • Das Bettelweib von Locarno (1811, Novelle)
  • Der Zweikampf (1811, Novelle)
  • Der Findling (1811, Novelle)
  • Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik (1811, Novelle)
  • Die Hermannsschlacht (1821, Drama, posthum, siehe PDF "Heinrich von Kleist – Die Hermannsschlacht")

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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