Kurt Tucholsky

Lebensgeschichte

KURT TUCHOLSKYs Lebensgeschichte begann in einer gutbürgerlichen jüdischen Kaufmannsfamilie. Er wurde am 9. Januar 1890 in Berlin geboren. Drei Jahre später zog die Familie nach Stettin um, wo er 1896 eingeschult wurde. Im selben Jahr wurde sein Bruder FRITZ und ein Jahr später seine Schwester ELLA-IDA geboren. Schon 1899 kehrte die Familie nach Berlin zurück und TUCHOLSKY besuchte das Französische Gymnasium. 1903 wechselte er an das Königliche Wilhelms-Gymnasium. Im Jahre 1905 ereignete sich für ihn ein einschneidendes Kindheitserlebnis, sein Vater ALEX TUCHOLSKY starb. Dieser hinterließ seiner Familie ein Vermögen und so verließ KURT TUCHOLSKY das Gymnasium und wurde von dem Privatlehrer WILLI KRASSMÖLLER auf das Abitur vorbereitet, das er im Jahre 1909 ablegte. Noch im selben Jahr begann er in Berlin Jura zu studieren. Am 25. April 1911 erschien TUCHOLSKYs erster Artikel im „Vorwärts“. Bei einem Besuch in Prag lernte er MAX BROD, der u. a. der Verleger und enge Freund FRANZ KAFKAs war, und auch FRANZ KAFKA persönlich kennen.
Im Herbst 1911 arbeitete TUCHOLSKY intensiv im Wahlkampf der SPD mit, im selben Jahr begann auch seine journalistische Laufbahn.
1914 trat TUCHOLSKY aus der jüdischen Gemeinde Berlin aus. Im Jahre 1915 erhielt er die Doktorwürde der Universität Jena. Zwei Monate später trat er seinen Dienst als Armierungssoldat an. Er nahm an Stellungskämpfen teil, stieg aber bald zum Kompanieschreiber auf. 1917 wurde er Schreiber des Stabes in Alt-Autz, leitete dort die Bibliothek sowie die Druckerei. Von 1917 bis April 1918 redigierte TUCHOLSKY die Soldatenzeitschrift „Der Flieger“. Im November desselben Jahres lernte er seine spätere Frau MARY GEROLD kennen.
Im November 1918 kehrte TUCHOLSKY nach Berlin zurück und übernahm die Chefredaktion des „Ulk“. In dieser Zeit wurde TUCHOLSKY aktiver Teilnehmer der Friedensbewegung und unter anderen Gründungsmitglied des „Friedensbundes der Kriegsteilnehmer“. 

1920 kam MARY GEROLD von Prag nach Berlin, aber TUCHOLSKY heiratete seine langjährige Freundin DR. ELSE WEIL. 1924 wurde die Ehe allerdings wieder geschieden und er heiratete MARY GEROLD. Schon 1928 jedoch vollzog MARY die Trennung und die Ehe wurde 1933 ebenfalls geschieden.
Im selben Jahr trat TUCHOLSKY der USDP (Unabhängige Sozialdemokratische Partei) bei und schrieb für die Parteischriften „Freiheit“ und „Freie Welt“.

Bei einer Kundgebung des mit KARL VETTER, CARL VON OSSIETZKY, EMIL GUMBEL, BERTOLD JAKOB und ihm gegründeten Aktionsausschusses „Nie wieder Krieg“ sprach TUCHOLSKY vor etwa 80 000 Menschen. Seine Rede verarbeitete er 1922 in dem Gedicht „Drei Minuten Gehör“.
1923, während der Zeit der Inflation, arbeitete TUCHOLSKY als Volontär, später als Sekretär des Bankiers und früheren preußischen Finanzministers HUGO SIMON. 1924 begab sich TUCHOLSKY als Korrespondent der „Weltbühne“ und der „Vossischen Zeitung“ nach Paris.
1926 wurde er in den Vorstand der „Deutschen Liga für Menschenrechte“ gewählt und schloss sich der „Gruppe Revolutionärer Pazifisten“ an. Er kehrte nach Berlin zurück und war kurzzeitig Herausgeber der „Weltbühne“; 1927 übernahm CARL VON OSSIETZKY die Leitung.

Die politischen Verhältnisse in Deutschland wurden für ihn immer unerträglicher und so reiste er viel, auch nach Schweden, wo er 1929 die Villa Nedsjölund in Hindås als dauernden Aufenthaltsort wählte. Dieses Jahr kann man als eine Art Scheitelpunkt in TUCHOLSKYs Leben betrachten.

„Um mich herum verspüre ich ein leises Wanken. Sie rüsten zur Reise ins Dritte Reich“,

beschrieb er seine Stimmung später und bezeichnete diese Erkenntnis als „Knacks“ seines Lebens. Wütend schreibt er an die Leser der „Weltbühne“:

„Hochverehrtes Publikum,
sag mal: bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen
alle Unternehmer sagen? (...)

So dumm, daß in Zeitungen, früh und spät,
immer weniger zu lesen steht?
Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
könnten mit Abbestellung drohn?
Aus lauter Bangigkeit, es käme am Ende
einer der zahllosen Reichsverbände
und protestierte und denunzierte
und demonstrierte und prozessierte ...
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm –?

Ja, dann ... Es lastet auf dieser Zeit
der Fluch der Mittelmäßigkeit.
Hast du so einen schwachen Magen?
Kannst du keine Wahrheit vertragen?
Bist also nur ein Grießbrei-Fresser –?
Ja, dann ...
Ja, dann verdienst dus nicht besser.“

(Tucholsky, Kurt: Lerne lachen ohne zu weinen. Berlin: Ernst Rowohlt, S. 382-383)

Es folgten mehrere Aufenthalte in Sanatorien, denn TUCHOLSKYs Gesundheitszustand verschlechterte sich. 1931 erschien sein letztes Buch, 1932 sein letzter großer Aufsatz.

In seinen „schwedischen“ Jahren hatte er mehrere Beziehungen zu Frauen, so zu LISA MATTHIAS, INGA MELIN, GERTRUDE MEYER, ALINE VALHGIN und Dr.HEDWIG MÜLLER. Letztere war wohl die wichtigste Frau in seinem Leben und mit ihr verbrachte er auch seine letzten Jahre.

TUCHOLSKY überlebte die Weimarer Republik nur eine kurze Zeitspanne. Nach quälender Krankheit und mehreren schweren Operationen beging er am 21. Dezember 1935 im schwedischen Hindås Selbstmord, dies wird zumindest vermutet. Die genauen Umstände seines Todes sind bis heute nicht geklärt.

Literarisches Schaffen

KURT TUCHOLSKY publizierte sein literarisches Werk häufig unter Pseudonymen:

  • THEOBALD TIGER,
  • IGNAZ WROBEL,
  • KASPAR HAUSER oder
  • PETER PANTER

Er war Journalist, Satiriker, Essayist, Literatur- und Theaterkritiker, Erzähler, Lyriker, Chanson- und Briefeschreiber. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Feuilletonisten des 20. Jahrhunderts.
Bekannt und beliebt war TUCHOLSKY für seine unbeugsame Haltung gegen den Machtmissbrauch und den Militarismus in der Weimarer Republik und für seinen kritisch-humorvollen Umgang mit bürgerlichen Moralvorstellungen. TUCHOLSKYs Markenzeichen waren sein Berliner Jargon, seine beißende Ironie und seine bittere Satire; er zeichnete jedoch auch beschwingte und heitere Genrebilder aus dem Berlin der 1920er-Jahre.

TUCHOLSKY begann bereits mit einundzwanzig Jahren, eine journalistische Laufbahn einzuschlagen. Sein erster Artikel erschien 1911 im „Vorwärts“. Schon 1913 war er fester Mitarbeiter bei der Berliner Wochenschrift „Die Weltbühne“, die sich bis 1918 noch „Die Schaubühne“ nannte und sich unter seinem Einfluss von einer Theaterzeitschrift zur bedeutendsten und wirksamsten radikaldemokratischen Zeitschrift der Weimarer Republik und zum einflussreichsten Organ der deutschen Linksliberalen entwickelte.

1912 erschien TUCHOLSKYs erste Erzählung „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“ (siehe PDF), sein erster großer Erfolg. 1913 wurde unter dem Pseudonym IGNAZ WROBEL die Groteskensammlung „Der Zeitsparer“ veröffentlicht.
Im Herbst 1913 erwachte der „reimende Doppelgänger“, THEOBALD TIGER, zum Leben und veröffentlichte, auch angesichts der immer bedrohlicheren politischen Vorgänge in Deutschland, ein Gedicht:

Der Herrgott saß auf Wolkenkissen
und sah sich seine Erde an.
Was braust herauf? Sie da, das is´n
Aeroplan.

Ein Offizier grüßt freundlich lächelnd:
„Gestatten! Schwaben Nummer Vier“
– und die Propeller surren fächelnd –
– „Wir sind nu hier! –

Was sagen Sie zu unserm Siege?
Wir brachen spielend den Rekord.
Wozu? Wir brauchen das zum Kriege ...“
„Zum Krieg? Zum Mord!“

„Erlauben Sie, Sie sind zu schwächlich ...“
„Und wer gab euch das viele Geld?“
„Das Volk! Das Volk war es hauptsächlich
vom Rhein zum Belt.“

„Das Volk? Hat es so krumme Nacken?
Ist denn bei euch das Volk so dumm?“
Hier lachte Gott aus vollen Backen.
Man kippte um.

(Tucholsky, Kurt: Fromme Gesänge. Charlottenburg: F. Lehmann, S. 10)

Und 1918 veröffentlichte THEOBALD TIGER „Denkmalschmelze“, eines seiner boshaftesten und vom Einfall her glänzendsten Gedichte:

„Da steht nun Gustav der Verstopfte,
aus Eisenguß, die Hand am Knauf.
Jedwedes brave Herz klopfte
und schlug zu jenem Standbild auf.

Und da –? Er wackelt auf dem Sockel,
man gab ihm einen kräftigen Schub,
Die Adler, seine Ruhmesgockel,
das kommt nun alles hin zu Krupp.

Ein kleiner Hund ist der Entennte
vermutlich brüderlich gesinnt.
Er schnuppert an dem Postamente
und hebt das Bein. Die Träne rinnt.

Doch plötzlich sieht sein Aug nach oben.
Der Fürst ist weg! Wer weiß da Rat?
Sein Hinterbein bleibt zwar erhoben,
doch tut er nicht mehr, was er tat.

Du kleiner Hund, sei nicht verwundert.
Man kanns verstehn. Du bist verdutzt.
Denn seit dem Jahre Siebzehnhundert
hat Er zum ersten Mal genutzt.“

(Tucholsky, Kurt: Fromme Gesänge. Charlottenburg: F. Lehmann, S. 26)

1917–1918 war TUCHOLSKY Redakteur bei der Soldatenzeitschrift „Der Flieger“. Im November 1918 kehrte er nach Berlin zurück und übernahm die Chefredaktion des „Ulk“. In dieser Zeit veröffentlichte er meist unter dem Pseudonym KASPAR HAUSER. Für sein Gedicht „Unser Militär“ wurde er von der Reichswehr verklagt.
TUCHOLSKY wurde außerordentlich produktiv. Er schrieb jährlich über 100 Texte für die „Weltbühne“.

Bei einer Kundgebung des von KARL VETTER, CARL VON OSSIETZKY, EMIL GUMBEL, BERTOLD JAKOB und ihm gegründeten Aktionsausschusses „Nie wieder Krieg“ sprach TUCHOLSKY vor etwa 80000 Menschen. Seine Rede erschien 1922 in dem Gedicht „Drei Minuten Gehör“.

1924 begab sich TUCHOLSKY als Korrespondent der „Weltbühne“ und der „Vossischen Zeitung“ nach Paris.

1926 kehrte er nach Berlin zurück und arbeitete bis 1927 als Herausgeber der „Weltbühne“. 1929 erschien eines seiner bekanntesten Werke: die Erzählung „Deutschland, Deutschland über alles“ mit Fotomontagen von JOHN HEARTFIELD.

In diesem Werk nahm TUCHOLSKY seine Angriffe gegen Nationalismus, Militarismus und soziale Missstände erneut auf. 1931 erschien sein letztes Buch: „Lerne lachen ohne zu weinen“.
Sein in dem am 4. August 1931 in der „Weltbühne“ erschienenen Aufsatz „Der bewachte Kriegsschauplatz“ (siehe PDF) stehender Satz „Soldaten sind Mörder“ nutzte die Reichswehr erneut, um gegen TUCHOLSKY als Verfasser und OSSIETZKY als Herausgeber der „Weltbühne“ Anklage zu erheben. Während OSSIETZKY der Prozess gemacht und er zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, weigerte sich TUCHOLSKY, zum Prozess zu erscheinen. TUCHOLSKYs letzter großer Aufsatz erschien 1932 in der „Weltbühne“: „Für Carl von Ossietzky“; im Juni desselben Jahres hörte er mit dem Schreiben auf.

1933 fielen einige der Werke TUCHOLSKYs derBücherverbrennung durch die Nazis zum Opfer.

TUCHOLSKY, der zu den meist gelesenen Autoren der Weimarer Republik zählt, ist auch in heutiger Zeit noch hochaktuell. Seine Arbeiten gehören zu den wichtigsten literarischen Zeugnissen für das erste Drittel des 20. Jahrhunderts.

Werke (Auswahl)

  • Märchen und Vorsätze (1907)
  • Kunst und Zensur (1911, siehe PDF)
  • Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte (1912, Erzählung, siehe PDF)
  • Der Zeitsparer (1913, Grotesken)
  • Unser Militär (1918, Gedicht)
  • Denkmalschmelze (1918, Gedicht)
  • Offizier und Mann (1919, Weltbühnen-Artikel)
  • Fromme Gesänge (1919, Prosasammlung)
  • Was darf Satire? (1919, siehe PDF)
  • Träumereien an preußischen Kaminen (1920, Kunstmärchen)
  • Die Erdolchten (1922, Militärkritik)
  • Drei Minuten Gehör (1922, Gedicht)
  • Der Prozeß (1927, Rezension, siehe PDF)
  • Ein Pyrenäenbuch (1927, Reisebericht)
  • Gesang der englischen Chorknaben (1928, Gedicht)
  • Verhetzte Kinder - ohnmächtige Republik (1928, Rezension)
  • Yousana-wo-bi-räbidäbi-dé? (1928, siehe PDF)
  • Das Lächeln der Mona Lisa (1929, Lyrik)
  • Deutschland, Deutschland über alles (1929, Bildtextband)
  • Ratschläge für einen schlechten Redner, (1930, siehe PDF)
  • Die hochtrabenden Fremdwörter (siehe PDF)
  • Der Geschäfsmann in der Literatur (siehe PDF)
  • Schloss Gripsholm (1931, Roman, siehe PDF)
  • Der bewachte Kriegsschauplatz (1931, Weltbühnen-Artikel, siehe PDF)
  • Christoph Kolumbus (1931, Historiendrama)
  • Ein Ehepaar erzählt einen Witz (1931, Satire, siehe PDF)
  • Im Gefängnis begreift man (1931, Weltbühnen-Artikel)
  • Lerne lachen ohne zu weinen (1931, Roman)
  • Der Mensch (1931, siehe PDF)
  • Für Carl von Ossietzky (1932, Weltbühnen-Artikel

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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