Gattungen der Lyrik

Formen von Lyrik sind:

  • Ballade,
  • Elegie,
  • Sonett,
  • Hymne,
  • Epigramm,
  • Ode,
  • Lied.

Ballade heißt ursprünglich „Tanzlied“ (ital. Ballata). Der Begriff ist auch im Germanischen gebräuchlich (engl. „ballad“). Eine Ballade vereinigt Merkmale der drei literarischen Hauptgattungen miteinander:

  • Die Handlung repräsentiert das Epische,
  • die Dialoge stehen für das Dramatische und
  • die Gebundenheit der Sprache (Reim, Versmaß) für das Lyrische.

Man kann die Ballade auch als erzählerisches Lied definieren; sie greift Erlebnisse, Erfahrungen und Beziehungen der Menschen auf und literalisiert sie. Vor allem das Geheimnis- oder Rätselvolle, ein Mythos oder deren Reste in Sage oder Märchen interessierten die unbekannten Verfasser. Die Kunstballade griff während Klassik und Romantik ähnliche Themen auf („Leonore“ von G. A. BÜRGER). Jedoch wurde sie auch zum Mittel gesellschaftskritischer Anklagen.

Als literarische Gattung entwickelte sich die Ballade etwa seit dem 16. Jahrhundert als sogenannte Volksballade. Im 18. Jahrhundert erfuhr sie während des Sturm und Drangs und der Weimarer Klassik in Deutschland einen Höhepunkt (Balladenjahr GOETHEs und SCHILLERs 1797, siehe PDF). JOHANN WOLFGANG VON GOETHE bezeichnete die Ballade als „Ur-Ei“ der Dichtung.
Balladen sind:

  • JOHANN WOLFGANG VON GOETHEs „Der Zauberlehrling“, „Erlkönig“, „Der Gott und die Bajadere. Indische Legende“, „Bei Betrachtung von Schillers Schädel“ (siehe PDF),
  • FRIEDRICH VON SCHILLERs „Der Taucher“, „Die Bürgschaft“, „Die Kraniche des Ibykus“, „Pegasus im Joche“, „Die Götter Griechenlands“, „Die Teilung der Erde“ (siehe PDF),

LUDWIG UHLANDs „Des Sängers Fluch“ (Audio 1), „Das Schloß am Meere“, „Der wackere Schwabe“, „Graf Eberstein“, „ Graf Richard Ohnefurcht“, „Bertran de Born“, „Das alte, gute Recht“, „Das Glück von Edenhall“, „Das Schifflein“, „Das versunkene Kloster“, „Der Überfall im Wildbad“, „Tells Tod“, „Der Königssohn“,

  • ANNETTE VON DROSTE-HÜLSHOFFs, „Der Knabe im Moor“, „Die Schwestern“, „Am Turme“ (siehe PDF) ,
  • THEODOR FONTANEs „John Maynard!“, „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“, „Die Brück' am Tay“,
  • GUSTAV FALKEs „De Stormflot“ (Audio 2).
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Die Elegie entstand im griechischen Ionien und war im alten Rom sehr beliebt (TIBULL). Eine Elegie bezeichnete ursprünglich jedes im elegischen Versmaß (Distichon: Hexameter und Pentameter) abgefasste Gedicht, Trauer- oder Klagegedicht. Die Elegie fand ihren Höhepunkt in der Dichtung FRIEDRICH HÖLDERLINs.

In Deutschland wurden Elegien von PAUL FLEMING, FRIEDRICH VON LOGAU, JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED, MATTHIAS CLAUDIUS, JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (Römische Elegien), EDUARD MÖRIKE, FRANZ GRILLPARZER, RAINER MARIA RILKE (Duineser Elegien), FRANZ WERFEL, GEORG TRAKL, BERTOLT BRECHT (Buckower Elegien), KARL KROLOW, GOTTFRIED BENN, PAUL CELAN, INGEBORG BACHMANN und NELLY SACHS verfasst.

Römische Elegie I

Saget Steine mir an, o sprecht ihr hohen Paläste
Straßen redet ein Wort! Genius regst du dich nicht?
Ja es ist alles beseelt in deinen heiligen Mauern,
Ewige Roma, nur mir schweiget noch alles so still.
O! wer flüstert mir zu, an welchem Fenster erblick ich
Einst das holde Geschöpf das mich versengt und erquickt.
Ahn' ich die Wege noch nicht, durch die ich immer und immer
Zu ihr und von ihr zu gehn, opfre die köstliche Zeit.
Noch betracht ich Paläst' und Kirchen, Ruinen und Säulen,
Wie ein bedächtiger Mann sich auf der Reise beträgt.
Doch bald ist es vorbei, dann wird ein einziger Tempel,
Amors Tempel nur sein, der den Geweihten empfängt.
Eine Welt zwar bist du, o Rom, doch ohne die Liebe
Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch nicht Rom.

(Goethe, Johann Wolfgang von: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin: Aufbau, 1960 ff, S. 165)

Das Sonett ist eine aus dem Italienischen stammende Gedichtform mit strengem Aufbau. Im Deutschen besteht es aus meist fünffüßigen Jamben. Seine zwei Teile stehen als

  • These,
  • Antithese und
  • Synthese

miteinander im Dialog. Die zwei vierzeiligen Quartette sind thetisch-antithetisch formuliert, die zwei dreizeiligen Terzette sind synthetisch, d. h. sie führen die These und Antithese zusammen. In der neueren Lyrik wird diese strenge Form immer wieder durchbrochen durch drei vierzeilige Quartette und ein zweiteiliges Duett.

Die Reime in den Quartetten folgen dem Schema abba abba (umschlingender Reim) bzw. abab cdcd (Kreuzreim), während in den Terzetten unterschiedliche Reimstellungen möglich sind.
Nach der Reimstellung unterscheidet man folgende Sonetttypen:

  • PETRARCA-Typ: abba/abba/cdc/cdc
  • SHAKESPEARE-Typ: abab/cdcd/efef/gg
  • RONSARD-Typ: abba/abba/ccd/eed

AUGUST WILHELM SCHLEGELs „Das Sonett“ weist folgendes Reimschema auf:

abba / abba / cde / dec.

Es gehört demzufolge zum Ronsard-Typ, ist in der Synthese jedoch leicht abgewandelt.

Das Sonett

Zwei Reime heiß ich viermal kehren wieder,
Und stelle sie, geteilt, in gleiche Reihen,
Daß hier und dort zwei eingefaßt von zweien
Im Doppelchore schweben auf und nieder.

Dann schlingt des Gleichlauts Kette durch zwei Glieder
Sich freier wechselnd, jegliches von dreien.
In solcher Ordnung, solcher Zahl gedeihen
Die zartesten und stolzesten der Lieder.

Den wird ich nie mit meinen Zeilen kränzen,
Dem eitle Spielerei mein Wesen dünket,
Und Eigensinn die künstlichen Gesetze.

Doch, wem in mir geheimer Zauber winket,
Dem leih ich Hoheit, Füll in engen Grenzen,
Und reines Ebenmaß der Gegensätze.

(Schlegel, August Wilhelm von: Sämtliche Werke. Band 1, Leipzig: Weidmann, 1846, S. 303)

Die Hymne bezeichnete ursprünglich einen Kultgesang ohne feste formale und inhaltliche Kennzeichen.

Später wurde dieser Gesang zu einem feierlichen Preis-, Lob- und Festgesang. Bei FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK erfuhr die Hymne eine Erweiterung über religiöse Anlässe hinaus, z. B. durch übersteigerte patriotische Gefühle.

Bei NOVALIS („Hymnen an die Nacht“, siehe PDF) und FRIEDRICH HÖLDERLIN wurde die romantische Todessehnsucht mit einbezogen.

Die Hymne steht zwischen Ode und Dithyrambus; sie lebt von der Gehobenheit der Sprache und ist unbeschränkt in der metrischen Form.

Ganymed

Wie im Morgenrot
Du rings mich anglühst,
Frühling, Geliebter!
Mit tausendfacher Liebeswonne
Sich an mein Herz drängt
Deiner ewigen Wärme heilig Gefühl,
Unendliche Schöne!

Ach, an deinem Busen
Lieg' ich, schmachte,
Und deine Blumen, dein Gras
Drängen sich an mein Herz.
Du kühlst den brennenden
Durst meines Busens,
Lieblicher Morgenwind,
Ruft drein die Nachtigall
Liebend nach mir aus dem Nebeltal.

Ich komme! Ich komme!
Wohin? Ach, wohin?

Hinauf, hinauf strebt's,
Es schweben die Wolken
Abwärts, die Wolken
Neigen sich der sehnenden Liebe,
Mir, mir!
In eurem Schoße
Aufwärts,
Umfangend umfangen!
Aufwärts
An deinem Busen,
Alliebender Vater!

(Goethe, Johann Wolfgang von: Berliner Ausgabe. Herausgegeben von Siegfried Seidel: Poetische Werke [Band 1–16]; Kunsttheoretische Schriften und Übersetzungen [Band 17–22], Berlin: Aufbau, 1960 ff., S. 329)

Weitere berühmte Hymnen sind GOETHEs „Prometheus“, „Das Göttliche“ und „Grenzen der Menschheit“, HÖLDERLINs „Friedensfeier“ und HEINRICH HEINEs „Hymnus“:

Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme.
Ich habe euch erleuchtet in der Dunkelheit, und als
die Schlacht begann, focht ich voran, in der ersten Reihe.
Rund um mich her liegen die Leichen meiner
Freunde, aber wir haben gesiegt. Wir haben gesiegt,
aber rund umher liegen die Leichen meiner Freunde.
In die jauchzenden Triumphgesänge tönen
die Choräle der Totenfeier. Wir haben aber weder Zeit zur Freude
noch zur Trauer. Aufs neue erklingen die Drommeten,
es gilt neuen Kampf –
Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme.

(Heine, Heinrich: Hymnus. In: ders.: Werke und Briefe in zehn Bänden. Herausgegeben von Hans Kaufmann, 2. Auflage, Berlin und Weimar: Aufbau, 1972,. S. 350.)

Ein Epigramm ist eine Gedichtgattung von prägnanter geistvoll-zugespitzter Kürze, es wird auch Sinngedicht genannt. Epigramme waren ursprünglich Auf- oder Inschriften auf Grab- oder Denkmälern. Im Barock wurden sie sehr beliebt, in Romantik und im Jungen Deutschland fanden sie ihren letzten Höhepunkt. Eine Sonderform ist der Limerick.

Erlaubte Rache

Herr Firlefanz erschöpfte sich
In seinem Epigramm auf mich;
Und meine Rache für den Spuck?
Ich gab sein Epigramm in Druck.

(Haug, Friedrich: Erlaubte Rache. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste, Band 71, herausgegeben von Christian Felix Weisse. Leipzig: In der Dyckischen Buchhandlung, 1805, S. 146.)

Die Ode ist Lyrik in weihevoller, feierlich-erhabener und schwungvoller Form. Sie ist traditionell ungereimt. Die Ode (griech.: Gesang) bezeichnete ursprünglich den antiken dramatischen Gesang auf Dionysosfesten. Man unterscheidet deshalb die Chorlyrik und die monodische Lyrik (Einzelvortrag).
Die bedeutendsten Werke der Chorlyrik stammen von PINDAR („Lobgesänge auf Helden und Sieger“). Deshalb bezeichnet man die chorische Ode auch als pindarische Ode.
Die chorische Ode ist dreiteilig:

  • 1. Ode,
  • 2. Antode (Gegenstrophe),
  • 3. Epode (Abgesang).

In der monodischen Lyrik gibt es verschiedene Strophenformen des Einzelgesangs (Monodie):

  • Alkäische Odenstrophe: benannt nach dem griechischen Dichter ALKAIOS, einem Zeitgenossen der SAPPHO aus Lesbos (600 v. Chr.); vier Verse, Vers 1–2: Elfsilbler, Vers 3: Neunsilbler, Vers 4: Zehnsilbler. Metrum: Jambus, im Schlussvers: zwei Daktylen und zwei Troachäen, im Deutschen meist trochäisch.
  • Asklepiadeische Odenstrophe: benannt nach dem griechischen Dichter ASKLEPIADES aus Samos (270 v. Chr.); in allen Versen Wechsel von Trochäen und Daktylen, entscheidendes Kennzeichen: Mittelzäsur in den ersten beiden Versen.
  • Sapphische Odenstrophe: benannt nach der griechischen Dichterin SAPPHO aus Lesbos (600 v. Chr.); vierzeilige metrisch geregelte Strophen. Trochäen mit eingeschobenem Daktylus, alle Versausgänge weiblich.

Alkäische Odenstrophe

An die Parzen

Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
Dass williger mein Herz, vom süßen
Spiele gesättigt, dann mir sterbe
Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht
Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;
Doch ist mir einst das Heilige, das am
Herzen mir liegt, das Gedicht, gelungen,

Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!
Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel
Mich nicht hinab geleitet; Einmal
lebt ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht.

(Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Kleine Stuttgarter Ausgabe, 6 Bände, Band 1, Herausgegeben von Friedrich Beissner, Stuttgart: Cotta, 1946. S. 247)
(Audio 3)

Asklepiadeische Odenstrophe

Der Zürchersee

Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht
Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht,
Das den großen Gedanken
Deiner Schöpfung noch Einmal denkt.

Von des schimmernden Sees Traubengestaden her,
Oder, flohest du schon wieder zum Himmel auf,
Korn in röthendem Strale
Auf dem Flügel der Abendluft,

Korn, und lehre mein Lied jugendlich heiter seyn,
Süße Freude, wie du! gleich dem beseelteren
Schnellen Jauchzen des Jünglings,
Sanft, der fühlenden Fanny gleich.

Schon lag hinter uns weit Uto, an dessen Fuß
Zürch in ruhigem Thal freye Bewohner nährt;
Schon war manches Gebirge
Voll von Reben vorbeygeflohn.

Jetzt entwölkte sich fern silberner Alpen Höh,
Und der Jünglinge Herz schlug schon empfindender,
Schon verrieth es beredter
Sich der schönen Begleiterin.

»Hallers Doris«, die sang, selber des Liedes werth,
Hirzels Daphne, den Kleist innig wie Gleimen liebt;
Und wir Jünglinge sangen,
Und empfanden, wie Hagedorn.

Jetzo nahm uns die Au in die beschattenden
Kühlen Arme des Walds, welcher die Insel krönt;
Da, da kamest du, Freude!
Volles Maßes auf uns herab!

Göttin Freude, du selbst! dich, wir empfanden dich!
Ja, du warest es selbst, Schwester der Menschlichkeit,
Deiner Unschuld Gespielin,
Die sich über uns ganz ergoß!

Süß ist, fröhlicher Lenz, deiner Begeistrung Hauch,
Wenn die Flur dich gebiert, wenn sich dein Odem sanft
In der Jünglinge Herzen,
Und die Herzen der Mädchen gießt.

Ach du machst das Gefühl siegend, es steigt durch dich
Jede blühende Brust schöner, und bebender,
Lauter redet der Liebe
Nun entzauberter Mund durch dich!

Lieblich winket der Wein, wenn er Empfindungen,
Beßre sanftere Lust, wenn er Gedanken winkt,
Im sokratischen Becher
Von der thauenden Ros' umkränzt;

Wenn er dringt bis ins Herz, und zu Entschließungen,
Die der Säufer verkennt, jeden Gedanken weckt,
Wenn er lehret verachten,
Was nicht würdig des Weisen ist.

Reizvoll klinget des Ruhms lockender Silberton
In das schlagende Herz, und die Unsterblichkeit
Ist ein großer Gedanke,
Ist des Schweisses der Edlen werth!

Durch der Lieder Gewalt, bey der Urenkelin
Sohn und Tochter noch seyn; mit der Entzückung Ton
Oft beym Namen genennet,
Oft gerufen vom Grabe her,

Dann ihr sanfteres Herz bilden, und, Liebe, dich,
Fromme Tugend, dich auch gießen ins sanfte Herz,
Ist, beym Himmel! nicht wenig!
Ist des Schweisses der Edlen werth!

Aber süßer ist noch, schöner und reizender,
In dem Arme des Freunds wissen ein Freund zu seyn!
So das Leben genießen,
Nicht unwürdig der Ewigkeit!

Treuer Zärtlichkeit voll, in den Umschattungen,
In den Lüften des Walds, und mit gesenktem Blick
Auf die silberne Welle,
That ich schweigend den frommen Wunsch:

Wäret ihr auch bey uns, die ihr mich ferne liebt,
In des Vaterlands Schooß einsam von mir verstreut,
Die in seligen Stunden
Meine suchende Seele fand;

O so bauten wir hier Hütten der Freundschaft uns!
Ewig wohnten wir hier, ewig! Der Schattenwald
Wandelt' uns sich in Tempe,
Jenes Thal in Elysium!

(Klopstock, Friedrich Gottlieb: Oden, Band 1–2, Leipzig: Göschen, 1798, S. 83)

Sapphische Odenstrophe

Los des Lyrikers

Stets am Stoff klebt unsere Seele, Handlung
Ist der Welt allmächtiger Puls, und deshalb
Flötet oftmals tauberem Ohr der hohe
Lyrische Dichter.

Gerne zeigt jedwedem bequem Homer sich,
Breitet aus buntfarbigen Fabelteppich;
Leicht das Volk hinreißend erhöht des Dramas
Schöpfer den Schauplatz:

Aber Pindars Flug und die Kunst des Flaccus,
Aber dein schwerwiegendes Wort, Petrarca,
Prägt sich uns langsamer ins Herz, der Menge
Bleibt's ein Geheimnis.

Jenen ward bloß geistiger Reiz, des Liedchens
Leichter Takt nicht, der den umschwärmten Putztisch
Ziert. Es dringt kein flüchtiger Blick in ihre
Mächtige Seele.

Ewig bleibt ihr Name genannt und tönt im Ohr der
Menschheit; doch es geselle sich ihnen
Seiten freundschaftsvoll ein Gemüt und huldigt
Körnigem Tiefsinn.

(Platen, August Graf von: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. Herausgegeben von Kurt Wölfel und Jürgen Link, München: Winkler, 1982.S. 483)

Die Ode ist emphatisch-enthusiastische Dichtung mit hymnischen Tönen, z. B. CHRISTIAN FÜRCHTEGOTT GELLERTs „Die Ehre Gottes aus der Natur (Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre)“, vertont durch LUDWIG VAN BEETHOVEN:

Die Ehre Gottes aus der Natur

Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre,
Ihr Schall pflanzt seinen Namen fort.
Ihn rühmt der Erdkreis, ihn preisen die Meere;
Vernimm, O Mensch, ihr göttlich Wort!

Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne?
Wer führt die Sonn aus ihrem Zelt?
Sie kömmt und leuchtet und lacht uns von ferne,
Und läuft den Weg, gleich als ein Held.

Vernimm's, und siehe die Wunder der Werke,
Die die Natur dir aufgestellt!
Verkündigt Weisheit und Ordnung und Stärke
Dir nicht den Herrn, den Herrn der Welt?

Kannst du der Wesen unzählbare Heere,
Den kleinsten Staub fühllos beschaun?
Durch wen ist alles? O gib ihm die Ehre!
Mir, ruft der Herr, sollst du vertraun.

Mein ist die Kraft, mein ist Himmel und Erde;
An meinen Werken kennst du mich.
Ich bin's, und werde sein, der ich sein werde,
Dein Gott und Vater ewiglich.

Ich bin dein Schöpfer, bin Weisheit und Güte,
Ein Gott der Ordnung und dein Heil;
Ich bin's! Mich liebe von ganzem Gemüte,
Und nimm an meiner Gnade teil.

(Gellert, Christian Fürchtegott: Werke, Band 1 und 2. Herausgegeben von Gottfried Honnefelder, Frankfurt a.M.: Insel, 1979, S. 222)

Bei den sogenannten Anakreontikern ist der Begriff Ode oft gleichbedeutend mit Lied; Vorbild sind die Oden des griechischen Lyrikers ANAKREON und seiner Nachahmer. Im Unterschied zu den sogenannten klassischen Oden sind diese jedoch gereimt.

Das Wort Lied stammt vom althochdeutschen liod; mhd. liet; auch zu lat. laus = Preislied. Das einende Kriterium des Liedes ist seine Sangbarkeit. Zudem ist der Aufbau klar gegliedert, ist das Lied an eine Melodie gebunden. Das Lied kann man in

  • Volkslied und
  • Kunstlied

unterteilen.

Das Volkslied zeichnet sich durch Schlichtheit des Textes und einfache sprachliche Formen aus. Es weist zumeist einen einfachen 2/4-Rhythmus auf (Jambus, Trochäus) und ist oft vierhebig und vierzeilig. Die Verfasser der Volkslieder sind zumeist nicht bekannt.
Das Kunstlied ist kaum formellen und inhaltlichen Beschränkungen unterlegen, allerdings orientiert es sich den Formen nach bisweilen an der Einfachheit des Volksliedes. Um als Lied zu gelten, muss es lediglich das Kriterium der Sangbarkeit erfüllen. Die Verfasser von Kunstliedern sind zumeist bekannt.

Unterscheidung lyrischer Gattungen nach dem Inhalt

Man kann bei lyrischen Gattungen eine Einteilung nach inhaltlichen Kriterien vornehmen. So erhält man z.B.

  • Liebeslyrik,
  • Mundartlyrik,
  • religiöse Lyrik,
  • Konkrete Poesie,
  • experimentelle Lyrik,
  • politische Lyrik,
  • Gebrauchslyrik,
  • Gedankenlyrik,
  • hermetische Lyrik,
  • Kinderlyrik,
  • Naturlyrik,
  • Gesellschaftslyrik,
  • Alltagslyrik,
  • Bildgedichte usw.

Hier wird wichtig, an wen sich das Gedicht richtet. Viele dieser inhaltlichen Kriterien sind vom Entwicklungsstand einer Gesellschaft abhängig (Politik, Alltag). Andere sind abhängig von den objektiven Gegebenheiten (Mundart, Religion), wiederum andere vom subjektiven Empfinden (Liebe, Hass, Hermetismus).

Unterscheidung lyrischer Gattungen nach dem Verhältnis des lyrischen Sprechers zum lyrischen Gegenstand
Man kann bei lyrischen Gattungen eine Einteilung nach der Typisierung vornehmen.
Je nachdem, welche Haltung der lyrische Sprecher zur Gestaltung des lyrischen Gegenstandes einnimmt, unterscheidet man zwischen

  • liedhafter,
  • lehrhafter,
  • hymnischer oder
  • erzählerischer Dichtung.

Liedhaft ist Lyrik, wenn sie durch ihre Schlichtheit und ihren Bezug zur Natur oder zu menschlichen Erlebnissen (Liebe, Abschiede usw.) gekennzeichnet ist.

Lehrhaft wird Dichtung, wenn philosophische, religiös-weltanschauliche oder politische Fragen reflektiert werden.

JOHANN GOTTFRIED HERDER
Amor und Psyche auf einem Grabmal

Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wogen schweben
Und schwinden wir
Und messen unsre trägen Tritte
Nach Raum und Zeit;
Und sind (und wissen's nicht) in Mitte
Der Ewigkeit.

Nach manchem voller Müh und Sehnen
Verseufzten Jahr
Umarmte sich in frohen Thränen
Ein liebend Paar.
Der Mond sah freundlich auf sie nieder;
Ein zarter Ton
Aus allen Büschen hallte wider:
„Endymion!

Ach, daß uns ewig, ewig bliebe
Der Augenblick!
Im ersten holden Kuß der Liebe,
Das reinste Glück!“
Verstummend, halbvollendet weilte
Das süße Wort;
Die Seel' auf Beider Lippen eilte,
Sie eilte fort.

Denn sieh, ein Engel schwebte nieder
Zu ihrem Kuß
(Gold, himmelblau war sein Gefieder),
Ihr Genius.
Berührend sie mit sanftem Stabe,
Sprach er: „Erhört
Ist Euer Wunsch. Dort überm Grabe
Liebt ungestört!“

Entschwungen auf dem Hauch der Liebe,
Im reinsten Glück,
Gewiß, daß ihnen ewig bliebe
Der Augenblick,
Auf amaranthnen Auen schwebte
Das holde Paar
Mit Allem, was je liebt' und lebte
Und glücklich war.

Mit Allem, was in Wunsch und Glauben
Sich je erfreut,
Genossen sie in vollen Trauben
Unsterblichkeit.
Des Weltalls süße Symphonieen
Umtönten sie;
Der Liebe süße Harmonieen
Durchwallten sie.

„Wollt Ihr zurück in jene Ferne
Auf Euer Grab?“
Sie sahn vom Himmel goldner Sterne
Zur Erd' hinab.
„O Genius, die Zeit danieden
Ist träge Zeit;
Ein Augenblick hier giebt uns Frieden
Der Ewigkeit.“

Sahst Du auf jenem Grabeshügel
Die Liebenden?
Der erste Kuß gab ihnen Flügel,
Den Seligen.
Und daß ein Bild von ihnen bliebe
Im ew'gen Kuß,
Verewigte hier Seel' und Liebe
Der Genius.

(Herder, Johann Gottfried: Werke. Erster Theil. Gedichte, Herausgegeben von Heinrich Düntzer, Berlin: Hempel, 1879, S. 115)

Hymnische Dichtung sind Preislieder zu Ehren Gottes und der Schöpfung, auch in ihrer kritischen Sichtung (GOETHE). Die Sprache ist meist abgehoben von der Alltagssprache und nicht immer allen Menschen verständlich.


Erzählerisch ist Dichtung, wenn Begebenheiten, Handlungen, Ereignisse durch Vers, Reim, Strophe in eine dichterische Form gebracht werden (Ballade u. a.).

Ballade vom Raube der Sabinerinnen und von der neuentdeckten Stadt Quirium

Hört, ihr Quiriten, insgesammt
Die wunderneue Märe!
Von wannen euer Name stammt,
Das ist's, was ich euch lehre.
Von Quirium! von Quirium!
Trallirum larum lirium!

Von Cures im Sabinerland
Ließ man Quiriten kommen.
Doch das ist nur ein alter Tand:
Jetzt hab ich's baß vernommen:
Von Quirium! von Quirium!
Trallirum larum lirium!

Dort auf dem Capitolium,
Da lag das feine Städtchen.
Die Leute waren nicht so dumm,
Sie hatten hübsche Mädchen
In Quirium! in Quirium!

Trallirum larum lirium!

Da wurde noch nicht Jovis Dom
In voller Pracht geschauet.
Es hatte Romulus sein Rom
Am Palatin erbauet,
Bei Quirium! bei Quirium!
Trallirum larum lirium!

Doch wohnten am Palatium
Fast lauter Galgenschwengel,
Und kein Sabiner wollte drum
Zum Eidam solchen Bengel
In Quirium! in Quirium!
Trallirum larum lirium!

Der Romulus, an Listen reich,
Verkündigt ein Spektakel:

Da kamen die Sabiner gleich,
Zu schauen das Mirakel,
Aus Quirium! aus Quirium!
Trallirum larum lirium!

Die Römer hatten bald gepackt
Der Mädchen Röck' und Mieder.
Beim Sträuben wurde manche nackt;
Sie schrie'n und wollten wieder
Nach Quirium! nach Quirium!
Trallirum larum lirium.

Es half nicht, schrie'n sie noch so laut:
Man schleppte sie nach Hause,
Und jeder schlief bei seiner Braut
Nach lust'gem Hochzeitschmause,
Aus Quirium! aus Quirium!
Trallirum larum lirium!

Die Mädchen lebten frisch und froh
Bei ihren Uebelthätern;
Doch scholl ein Zetermordio
Von Müttern und von Vätern
Aus Quirium! aus Quirium!
Trallirum larum lirium!

Zwei Heere rückten an zum Strauß
Auf dem Gemüse-Markte.
Sie nahmen beiderseits Reißaus,
Vis erst ihr Muth erstarkte
Vor Quirium! vor Quirium!
Trallirum larum lirium!

Nun kamen mit zerstreutem Haar,
Mit ihren schwangern Leibchen,
Mit Kindern an den Brüsten gar,
Herbeigerannt die Weibchen,
Vor Quirium! vor Quirium!
Trallirum larum lirium!

Aus zweien ward Ein Königthum,
Der Friede schön vermittelt;
Roms Volk, zu der Sabiner Ruhm,
Quiriten auch betitelt,
Von Quirium! von Quirium!
Trallirum larum lirium!

Die Stadt hieß Rom vor aller Welt:
Doch ihr geheimer Name,
Worauf ihr Schicksal war gestellt,
Und ihrer Herrschaft Same,
Hieß Quirium! hieß Quirium!
Trallirum larum lirium!

Dieß saugt' ich aus den Fingern nicht;
Ich bin ein Bänkelsänger.
Was Niebuhr sagt, das hat Gewicht:
Er spinnt es noch viel länger
Mit Quirium! mit Quirium!
Trallirum larum lirum!

(Schlegel, August Wilhelm von : Sämtliche Werke, Band 2, Leipzig: Weidmann, 1846, S. 248-251)

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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