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- Faust – Der Tragödie Zweiter Teil
Pläne zum „Faust II“ gab es schon unmittelbar nach dem Erscheinen des ersten Teils. Zwar hatte GOETHE mit seinem Mitarbeiter FRIEDRICH WILHELM RIEMER (1774–1845) bereits 1808 über eine Fortsetzung des „Faust“ gesprochen, jedoch wurden zunächst andere Projekte vollendet.
GOETHE hat also über sechzig Jahre am „Faust“ gearbeitet. Aufklärung, Sturm und Drang sowie die Klassik und die Romantik hinterließen ihre Spuren im Drama.
Erst in Faust – Der Tragödie Zweiter Teil wird sich Fausts Entwicklung zur harmonischen Persönlichkeit beenden. Seine (Lebens-) Reise führt ihn nun durch die „große Welt“:
„Wir sehn die kleine, dann die große Welt“, sagt Mephistopheles in Vers 2052.
(alle Zitate aus Faust II, vgl. PDF "Johann Wolfgang von Goethe - Faust. Der Tragödie zweiter Teil")
Das Textbuch zum „Faust II“ ist in der PDF-Datei "Johann Wolfgang von Goethe - Faust. Der Tragödie zweiter Teil" verfügbar.
Der zweite Teil des Faust setzt im 1. Akt mit einem Heilschlaf des Vergessens von Faust in freier Natur ein. Dem Menschen ist das Absolute nur hinter dem Schleier des Vergänglichen zugänglich. Am Kaiserhof erfindet der als Hofnarr verkleidete Mephistopheles das Papiergeld und hilft dem Kaiser so aus seinen Geldnöten. Faust beschwört in einem allegorischen Maskenzug Paris und Helena herbei, die Urbilder der menschlichen Schönheit. Im Maskenzug umgeben mythologische und allegorische Figuren die Szenerie. Faust steckt in der Maske Plutos.
Der 2. Akt führt zurück zu Fausts altem Studierzimmer, wo der inzwischen berühmte Professor Wagner gerade den künstlichen Menschen „Homunculus“ schafft. Faust, den ein Schlag zu Boden gestreckt hatte, ruht ohnmächtig auf seinem Lager und träumt das Geheimnis der Menschwerdung. Mephistopheles begegnet dem Schüler aus dem ersten Teil, mit dem er sich in einen Disput einlässt. Homunculus führt Faust und Mephistopheles in die „klassische Walpurgisnacht“ auf den pharsalischen Feldern, von Gestalten der griechischen Mythologie, antiken Philosophen, den Kranichen des Ibykus umgeben. Faust erbittet von Persephone Helenas Wiederkehr aus der Unterwelt. Die leuchtende Phiole des Homunculus zerschellt am Triumphwagen der Liebesgöttin Galatee.
Zu Beginn des 3. Aktes betritt plötzlich Helena griechischen Boden. Die Bitte Fausts um Wiederkehr Helenas ist erhört worden (Sie bleibt jedoch Teil der Traumwelt Fausts.). Helena eilt nach Sparta, wird dort von Mephisto empfangen, der sich als Phorkyas ausgibt und ihr mitteilt, dass Menelaos vorhabe, sie zu opfern. Helena flieht aus Sparta und begibt sich mithilfe Mephistos ins nördliche Gebirgstal auf die mittelalterliche Burg Fausts. Hier begnadigt sie den unaufmerksamen Turmwächter Lynkeus. Faust und Helena entdecken die Poesie, die Reimkunst für sich und kommen einander näher. Die Szene verändert sich, aus dem mittelalterlichen Gemäuer wird ein antiker Hain. Faust und Helena haben Euphorion gezeugt, einen ungestümen Knaben, der die Freiheit so sehr liebt, dass er glaubt, fliegen zu können, sich jedoch zu Tode stürzt. Als Aureole steigt er gen Himmel.
„Lass mich im düstern Reich / Mutter, mich nicht allein!“
Darauf folgt Helena ihrem Kind in den Hades. Kleid und Schleier bleiben zurück, bis auch sie sich in einer Wolke auflösen.
4. und 5. Akt führen zurück ins wirkliche Geschehen. Faust hilft dem Kaiser, einen Krieg zu gewinnen und erhält einen kahlen Küstenstreifen zum Lehen als Dank. Beim Deichbau gewinnt er neues Land, lädt aber neue Schuld auf sich: Bei der Landgewinnung kamen Menschen ums Leben. Die ärmliche Hütte von Philemon und Baucis, die sich weigern, ihren Besitz zugunsten eines Aussichtsturmes aufzugeben, geht in Flammen auf und die beiden Alten kommen darin um. Faust, inzwischen hundert Jahre alt und erblindet, hört, wie Lemuren sein Grab schaufeln, glaubt jedoch daran, dass an seinem Werk weiter gearbeitet wird:
„Zum Augenblicke dürft' ich sagen: Verweile doch, du bist so schön! Es kann die Spur von meinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn.“
Er stirbt. Mephisto darf sich seiner Seele sicher wähnen, doch himmlische Heerscharen entreißen durch Rosen streuen Fausts Unsterbliches seinem Zugriff, denn:
„Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen.
Und hat an ihm die Liebe gar
Von oben teilgenommen,
Begegnet ihm die selige Schar
Mit herzlichem Willkommen.“
Fausts Erlösung erscheint als der Entwurf eines Glaubens an die unbedingte Liebe Gottes zu den Menschen.
Fausts Vision vom Sinn des Lebens durchzieht das gesamte Stück vom 1. Akt des „Faust I“ bis zur letzten Szene von „Faust II“. In der Szene „Grosser Vorhof des Palasts“ des 5. Aktes treibt diese Vision auf ihren sprachlichen Höhepunkt. GOETHE plädiert für die Überwindung einer absolutistischen Feudalgesellschaft hin zu einer Gemeinschaft freier Bürger. Die Wege dahin werden im Faust II aufgezeigt:
Das Scheitern von Philemon und Baucis in der Szene „Offene Gegend“ des 5. Aktes ist in diesem Sinne das Scheitern der tradierten feudalen Wirtschaftsformen. Der Aufschwung Fausts bedeutet den Aufschwung des freien Unternehmertums kapitalistischer Prägung. GOETHE, in Weimar auch für Wirtschaftsfragen zuständig, erahnte jedoch auch die Folgen des industriellen Zeitalters. Faust hatte sich der Technik und der Menschen bedient, um sein Werk zu errichten, war über Leichen gegangen, um sein Ziel zu erreichen, sein bürgerliches Zeitalter war also mit Opfern verbunden. Auch der Krieg mit dem Gegenkaiser, den Faust mithilfe Mephistos und neuer Kriegsführungsmethoden gewinnt, wird im Interesse der Durchsetzung neuer Wirtschaftsformen geführt, die darauf hinauslaufen, den Menschen einerseits zwar „frei“ zu machen, ihn andererseits auf neue, bisher unbekannte Art wieder abhängig zu machen von der Geldwirtschaft.
Verluste, die GOETHE im „Faust II“ beklagt; sind:
Das Scheitern des Triumphes der Technik über die Natur ist absehbar. Der erstrebte Kapitalismus ist für Faust jedoch vordergründig nicht eine genusssüchtige Gesellschaft, denn in ihr ist der Tatmensch gefragt.
„Kannst du mich mit Genuß betrügen ...“
heißt es im „Faust I“. Mephisto ist hier einem Denkfehler erlegen. Er glaubt, der Mensch sei mit Genuss zu verführen. Damit meint er materiellen Reichtum und seelische Befriedigung (Liebe). Faust benutzt seinen (Mephistos) Reichtum jedoch, um seine Schöpfungsvision zu vollenden: den Umbau der Gesellschaft.
Der visionäre Monolog Fausts ist im Grunde genommen ein Schöpfungsgenuss von innen, dieser ist deshalb auch durch Mephisto nicht angreifbar. Fausts Tod kann nur mittels seiner Verklärung durch die himmlischen Mächte erfolgen. Mephisto hat seine Wette mit Gott verloren.
Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
Verpestet alles schon Errungene;
Den faulen Pfuhl auch abzuziehn,
Das Letzte wär' das Höchsterrungene.
Eröffn' ich Räume vielen Millionen,
Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen.
Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Herde
Sogleich behaglich auf der neusten Erde,
Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,
Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.
Im Innern hier ein paradiesisch Land,
Da rase draußen Flut bis auf zum Rand,
Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen,
Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen.
Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht' ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft' ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdentagen
Nicht in Äonen untergehn. -
Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick.
Über die Spielbarkeit des Faust auf einer Bühne war man sich lange Zeit einig:
Schon 1833 erschien die Erstausgabe von „Faust. Eine Tragödie von Goethe. Zweyter Theil“ in der Cotta'schen Buchhandlung. „Faust I und II“ in der ungekürzten Fassung galt bislang als unspielbar. Erst im 20. Jahrhundert, bedingt durch die Fortschritte der Technik, wurde GOETHEs Meisterwerk öffentlich aufgeführt, zuletzt ungekürzt in einer „Mammutveranstaltung“ auf zwei Bühnen mit fünfunddreißig Schauspielern anlässlich der „Expo 2000“ in Hannover in der Regie von PETER STEIN. Die Aufführung dauerte einundzwanzig Stunden, wobei der Anteil allein von „Faust II“ bei vierzehn Stunden lag. Über den Typus der Faust-Figur sagte der Regisseur:
„Im Grunde ist der Faust ein absolut internationaler Typ, was ihn berührt, was ihn schwierig stimmt und ihm Probleme macht.“
Im Unterschied zum Faust im ersten Teil wird die Figur durch den Regisseur anders bewertet. STEIN sagte, Faust wolle sich im zweiten Teil „real und praktisch erproben“.
GOETHEs „Faust“ in der DDR war so etwas wie ein Nationalepos und „Nationalheiligtum“. Man glaubte sich am Ziel der Faustschen Vision vom freien Volk auf freiem Grund. Ostdeutschland sollte die Inkarnation alles Wahren, Schönen und Guten sein.
WALTER ULBRICHT sagte dazu:
„Was aus dem gemeinschaftlichen Werk des befreiten Volkes auf freiem Grund wird, läßt Goethe offen. Eigentlich fehlt hier noch ein dritter Teil des ,Faust'. Goethe hat ihn nicht schreiben können, weil die Zeit dafür noch nicht reif war. Erst weit über hundert Jahre nachdem Goethe die Feder für immer aus der Hand legen mußte, haben alle Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik begonnen, diesen dritten Teil des 'Faust' mit ihrer Arbeit, mit ihrem Kampf für Frieden und Sozialismus zu schreiben Der Sieg des Sozialismus in der DDR und die Vereinigung des ganzen deutschen Volkes in einem einheitlichen, friedliebenden, demokratischen und sozialistischen Staat wird diesen dritten Teil des ,Faust' abschließen.“
(zitiert nach: DER SPIEGEL 22/1962)
Man bemühte sich, der DDR-Bevölkerung das Gefühl zu vermitteln, sie lebe auf der „Gewinnerseite“ der Geschichte. Zugleich belegt das Zitat die klassischen Traditionen, auf denen die DDR-Literatur fußen sollte. Der sozialistische Realismus der DDR schuf jedoch mit dem „positiven Helden“ oftmals eher triviale Varianten des klassischen Ideals (vgl. Trivialliteratur).
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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