- Lexikon
- Deutsch Abitur
- 4 Literaturgeschichte
- 4.7 Literatur des 18. Jahrhunderts
- 4.7.3 Klassik
- Faust – Der Tragödie Erster Teil
Als das „Faust“-Fragment 1790 erschien, äußerten die Brüder FRIEDRICH (1772–1829) und AUGUST WILHELM SCHLEGEL (1767–1845), das Werk gehöre „zu dem Größten ... , was die Kraft des Menschen je gedichtet hat“. 1808, drei Jahre nach SCHILLERs Tod, erschien „Faust – Der Tragödie erster Teil".
Während „Urfaust“ und „Faust – Ein Fragment“ mit der Szene „Studierzimmer“ beginnen, lässt GOETHE „Faust – Der Tragödie Erster Teil“ (siehe PDF "Johann Wolfgang von Goethe - Faust I") mit dreifachem Zugang beginnen:
Das „Vorspiel auf dem Theater" ist ein Gespräch zwischen dem Theaterdirektor, dem Dichter und einem Schauspieler. Es macht die verschiedenen Perspektiven des Dramas deutlich: Der Direktor will Profit, d. h. ein volles Theater sichert ihm eine volle Kasse. Dem Dichter geht es um seine Ruf als Künstler. Der Schauspieler denkt an die Unterhaltung des Publikums.
Funktionen des „Vorspiels auf dem Theater“ | ||
zeigt den Dichter in seinem gesellschaftlichen Umfeld zwischen Publikum und Theater | Das Stück wird als Spiel, also als Kunstprodukt erklärt. | Selbstironie des Dichters: Eine Erwartungshaltung wird aufgebaut, die der Dichter nicht einhalten kann. Die Tragödie wird als Komödie erklärt. |
Der „Prolog im Himmel" bereitet auf das Stück vor. Es lassen sich drei Teile des Prologs unterscheiden:
Die Erzengel Raphael, Gabriel und Michael preisen die Werke des Herrn:
Und alle deine hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.
(vgl., wie im folgenden, PDF "Johann Wolfgang von Goethe - Faust I")
Im Gespräch zwischen Gott und Teufel nimmt GOETHE Bezug auf das Buch Hiob (1, 6-12) des „Alten Testaments“:
Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, kam auch der Satan unter ihnen. Der HERR aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen. Der HERR sprach zum Satan: Hast du achtgehabt auf meinen Knecht Hiob?
Bei GOETHE heißt es:
Der HERR: | Kennst du den Faust? | |
Mephistopheles: | Den Doktor? | |
Der HERR: | Meinen Knecht! |
Zentraler Punkt des Gespräches ist die Wette zwischen Gott und Teufel. Beide sind sich nicht einig in der Bewertung des Menschen:
Mephisto:... Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
Mephisto ist skeptisch gegenüber der Vernunft, mit der der Mensch sich herumplagt, um „tierischer als jedes Tier zu sein“. Er vermittelt ein negatives Menschenbild.
Gott hingegen erkennt die Möglichkeiten des Verstandes:
Es irrt der Mensch so lang er strebt.
Dieses Irren ist die Voraussetzung für Erkenntnis. Gott vermittelt ein positives Menschenbild.
Der dritte Teil des Prologs ist knapp. Mephisto spricht nur einige Zeilen allein auf der Bühne.
Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,
Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.
Mephisto agiert als Schalk. Wie bereits im Vorspiel auf dem Theater angekündigt, soll die Tragödie durchaus komödiantisch sein: Ein Spiel, das, wie die Wirklichkeit, komische und tragische Passagen hat. In der Rolle des Schalks sieht Mephisto auch der Herr:
Von allen Geistern, die verneinen,
ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
Im „Faust“ sind zwei Tragödien enthalten. Sie klingen bereits im „Prolog im Himmel“ an.
„Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne / Und von der Erde jede höchste Lust, ...“
sagt Mephistopheles von Faust.
Das deutet auf Welterkenntnis (Gelehrtentragödie) und auf Lebenslust (Gretchentragödie).
Die Gelehrtentragödie lässt sich in fünf Abschnitte einteilen:
Der Pakt zwischen Faust und Mephistopheles ist etwas völlig Neues innerhalb der „Faust“-Dichtungen. Wurde die Seele Fausts bisher bedingungslos vom Teufel eingefordert, hat Faust die Chance der Erlösung. Der Pakt erscheint hier als Wette zwischen gleichberechtigten Partnern.
FAUST:
Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So sei es gleich um mich getan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
Daß ich mir selbst gefallen mag,
Kannst du mich mit Genuß betrügen - Das
sei für mich der letzte Tag!
Die Wette biet ich!
MEPHISTOPHELES:
Topp!
FAUST:
Und Schlag auf Schlag! Werd ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!
Dann mag die Totenglocke schallen,
Dann bist du deines Dienstes frei,
Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
Es sei die Zeit für mich vorbei!
Die Gretchentragödie umfasst die Verse 2605–4612:
Faust wird schuldig sowohl in der Gelehrten- als auch in der Gretchentragödie. Sowohl sein Entschluss zum Freidtod als auch das Schuldigwerden am Schicksal Gretchens lässt Faust Konflikte mit der kleinen Welt durchleben. Gretchen erwartet in ihrer Zelle zwar die Hinrichtung, sie ist jedoch von einer höheren Instanz (Gott) als gerettet erklärt worden.
Motiv der Kindsmörderin
Das historische Vorbild Gretchens ist SUSANNA MARGARETHA BRANDT, die am 14. Januar 1772 in Frankfurt am Main wegen Kindsmordes hingerichtet wurde. Mit einiger Wahrscheinlichkeit hat GOETHE, der sich zu jener Zeit in Frankfurt aufhielt, der Hinrichtung beigewohnt. Mit Sicherheit hatte er jedoch in einem anderen Fall über Leben und Tod zu entscheiden. JOHANNA HÖHN war 1783 in Jena des Kindsmordes angeklagt. Das Mitglied des dreiköpfigen Consiliums GOETHE nahm sich 10 Tage Zeit für das Akten- und Literaturstudium und schrieb, es sei richtig, den Urteilen der beiden anderen Consiliumsmitglieder „in allen Stücken beyzutreten, und zu erklären, daß auch nach meiner Meinung räthlicher seyn möge die Todesstrafe beyzubehalten“.
GOETHE variierte das Thema der unehelichen Partnerschaften und er daraus hervorgehenden Kinder. Nicht den Kindsmord hält er für den Ausweg, sondern den selbstbewussten Umgang des Einzelnen wie der Gesellschaft mit dem Thema:
GOETHE
Vor GerichtVon wem ich es habe, das sag' ich euch nicht,
Das Kind in meinem Leib.
„Pfui!“ speit ihr aus: „die Hure da!“
Bin doch ein ehrlich Weib.
Mit wem ich mich traute, das sag' ich euch nicht.
Mein Schatz ist lieb und gut,
Trägt er eine goldene Kett' am Hals,
Trägt er einen strohernen Hut.Soll Spott und Hohn getragen sein,
Trag' ich allein den Hohn.
Ich kenn' ihn wohl, er kennt mich wohl,
Und Gott weiß auch davon.Herr Pfarrer und Herr Amtmann ihr,
Ich bitte, laßt mich in Ruh!
Es ist mein Kind, es bleibt mein Kind,
Ihr gebt mir ja nichts dazu.
(Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 128f.)Faust und Wagner als Verkörperung zweier Epochen:
Faust und Wagner als Verkörperung zweier Epochen. Während Wagner den mittelalterlichen Menschen repräsentiert, der in der Vernunft und im Bestreben nach begrenzter Erkenntnis sein Seelenheil sucht, verkörpert Faust den „modernen“ Menschen, den sowohl Erkenntnisstreben als auch Lebenshunger antreibt.
Mit dem Motiv der Kindsmörderin beschäftigten sich – ganz im Geiste des Sturm und Drang – u.a. GOTTFRIED AUGUST BÜRGER und FRIEDRICH SCHILLER. Bemerkenswert sind die unterschiedlichen Perspektiven, aus denen heraus das Problem des Kindsmords betrachtet wird:
GOTTFRIED AUGUST BÜRGER
Des Pfarrers Tochter von TaubenhainIm Garten des Pfarrers von Taubenhain
Geht's irre bei Nacht in der Laube.
Da flüstert und stöhnt's so änstiglich;
Da rasselt, da flattert und sträubet es sich,
Wie gegen den Falken die Taube.Es schleicht ein Flämmchen am Unkenteich,
Das flimmert und flammert so traurig.
Da ist ein Plätzchen, da wächst kein Gras;
Das wird vom Tau und vom Regen nicht naß;
Da wehen die Lüftchen so schaurig. –Des Pfarrers Tochter von Taubenhain
War schuldlos, wie ein Täubchen.
Das Mädel war jung, war lieblich und fein,
Viel ritten der Freier nach Taubenhain,
Und wünschten Rosetten zum Weibchen. –Von drüben herüber, von drüben herab,
Dort jenseits des Baches vom Hügel,
Blinkt stattlich ein Schloß auf das Dörfchen im Thal,
Die Mauern wie Silber, die Dächer wie Stahl,
Die Fenster wie brennende Spiegel.Da trieb es der Junker von Falkenstein,
In Hüll' und in Füll' und in Freude.
Dem Jüngferchen lacht' in die Augen das Schloß,
Ihm lacht' in daß Herzchen der Junker zu Roß,
Im funkelnden Jägergeschmeide. –Er schrieb ihr ein Briefchen auf Seidenpapier,
Umrändelt mit goldenen Kanten.
Er schickt' ihr sein Bildnis, so lachend und hold,
Versteckt in ein Herzchen von Perlen und Gold;
Dabei war ein Ring mit Demanten. –„Laß du sie nur reiten, und fahren und gehn!
Laß du sie sich werben zu Schanden!
Rosettchen, dir ist wohl was Bessers beschert.
Ich achte des stattlichsten Ritters dich wert,
Beliehen mit Leuten und Landen.Ich hab' ein gut Wörtchen zu kosen mit dir;
Das muß ich dir heimlich vertrauen.
D'rauf hätt' ich gern heimlich erwünschten Bescheid.
Lieb Mädel, um Mitternacht bin ich nicht weit;
Sei wacker und laß dir nicht grauen!Heut mitternacht horch auf den Wachtelgesang,
Im Weizenfeld' hinter dem Garten.
Ein Nachtigallmännchen wird locken die Braut,
Mit lieblichem tief aufflötenden Laut;
Sei wacker und laß mich nicht warten!“ –Er kam in Mantel und Kappe vermummt,
Er kam um die Mitternachtstunde.
Er schlich, umgürtet mit Waffen und Wehr,
So leise so lose, wie Nebel, einher,
Und stillte mit Brocken die Hunde.Er schlug der Wachtel hellgellenden Schlag,
Im Weizenfeld' hinter dem Garten.
Dann lockte das Nachtigallmännchen die Braut,
Mit lieblichem tief aufflötenden Laut;
Und Röschen, ach! – ließ ihn nicht warten. –Er wußte sein Wörtchen so traulich und süß
In Ohr und Herz ihr zu girren! –
Ach, Liebender Glauben ist willig und zahm!
Er sparte kein Locken, die schüchterne Scham
Zu seinem Gelüste zu kirren.Er schwur sich bei allem, was heilig und hehr,
Auf ewig zu ihrem Getreuen.
Und als sie sich sträubte, und als er sie zog,
Vermaß er sich teuer, vermaß er sich hoch:
„Lieb Mädel, es soll dich nicht reuen!“Er zog sie zur Laube, so düster und still,
Von blühenden Bohnen umdüftet.
Da pocht' ihr das Herzchen; da schwoll ihr die Brust;
Da wurde vom glühenden Hauche der Lust
Die Unschuld zu Tode vergiftet. – – –Bald, als auf duftendem Bohnenbeet
Die rötlichen Blumen verblühten,
Da wurde dem Mädel so übel und weh;
Da bleichten die rosichten Wangen zu Schnee;
Die funkelnden Augen verglühten.Und als die Schote nun allgemach
Sich dehnt' in die Breit' und Länge;
Als Erdbeer' und Kirsche sich rötet' und schwoll;
Da wurde dem Mädel das Brüstchen zu voll,
Das seidene Röckchen zu enge.Und als die Sichel zu Felde ging,
Hub's an sich zu regen und strecken.
Und als der Herbstwind über die Flur,
Und über die Stoppel des Habers fuhr,
Da konnte sie's nicht mehr verstecken.Der Vater, ein harter und zorniger Mann,
Schalt laut die arme Rosette:
„Hast du dir erbuhlt für die Wiege das Kind,
So hebe dich mir aus den Augen geschwind
Und schaff' auch den Mann dir ins Bette!“Er schlang ihr fliegendes Haar um die Faust;
Er hieb sie mit knotigen Riemen.
Er hieb, das schallte so schrecklich und laut!
Er hieb ihr die sammtene Lilienhaut
Voll schnellender blutiger Striemen.Er stieß sie hinaus in der finstersten Nacht
Bei eisigem Regen und Winden.
Sie klimmt' am dornigen Felsen empor,
Und tappte sich fort, bis an Falkensteins Thor,
Dem Liebsten ihr Leid zu verkünden. –„O weh mir daß du mich zur Mutter gemacht,
Bevor du mich machtest zum Weibe!
Sieh her! Sieh her! Mit Jammer und Hohn
Trag' ich dafür nun den schmerzlichen Lohn,
An meinem zerschlagenen Leibe!“Sie warf sich ihm bitterlich schluchzend ans Herz;
Sie bat, sie beschwur ihn mit Zähren:
„O mach' es nun gut, was du übel gemacht!
Bist du es, der so mich in Schande gebracht,
So bring' auch mich wieder zu Ehren!“ –„Arm Närrchen, versetzt' er, daß thut mir ja leid!
Wir wollens am Alten schon rächen.
Erst gib dich zufrieden und harre bei mir!
Ich will dich schon hegen und pflegen allhier.
Dann wollen wir's ferner besprechen.“ –„Ach, hier ist kein Säumen, kein Pflegen, noch Ruh'n!
Das bringt mich nicht wieder zu Ehren.
Hast du einst treulich geschworen der Braut,
So laß auch an Gottes Altare nun laut
Vor Priester und Zeugen es hören!“ –„Ho, Närrchen, so hab' ich es nimmer gemeint!
Wie kann ich zum Weibe dich nehmen?
Ich bin ja entsprossen aus adligem Blut.
Nur Gleiches zu Gleichem gesellet sich gut;
Sonst müßte mein Stamm sich ja schämen.Lieb Närrchen, ich halte dir's, wie ich's gemeint:
Mein Liebchen sollst immerdar bleiben.
Und wenn dir mein wackerer Jäger gefällt,
So lass' ich's mir kosten ein gutes Stück Geld.
Dann können wir's ferner noch treiben.“ –„Daß Gott dich! – du schändlicher, bübischer Mann! –
Daß Gott dich zur Hölle verdamme! –
Entehr' ich als Gattin dein adliges Blut,
Warum denn, o Bösewicht, war ich einst gut,
Für deine unehrliche Flamme? –So geh dann und nimm dir ein adliges Weib! –
Das Blättchen soll schrecklich sich wenden!
Gott siehet und höret und richtet uns recht.
So müsse dereinst dein niedrigster Knecht
Das adlige Bette dir schänden! –Dann fühle, Verräter, dann fühle wie's thut,
An Ehr' und an Glück zu verzweifeln!
Dann stoß' an die Mauer die schändliche Stirn,
Und jag' eine Kugel dir fluchend durch's Hirn!
Dann, Teufel, dann fahre zu Teufeln!“ –Sie riß sich zusammen, sie raffte sich auf,
Sie rannte verzweifelnd von hinnen,
Mit blutigen Füßen, durch Distel und Dorn,
Durch Moor und Geröhricht, vor Jammer und Zorn
Zerrüttet an allen fünf Sinnen.„Wohin nun, wohin, o barmherziger Gott,
Wohin nun auf Erden mich wenden?“ –
Sie rannte, verzweifelnd an Ehr' und an Glück,
Und kam in den Garten der Heimat zurück,
Ihr klägliches Leben zu enden.Sie taumelt', an Händen und Füßen verklomt,
Sie kroch zur unseligen Laube;
Und jach durchzuckte sie Weh auf Weh,
Auf ärmlichem Lager, bestreuet mit Schnee,
Von Reisicht und rasselndem Laube.Es wand ihr ein Knäbchen sich weinend vom Schoß,
Bei wildem unsäglichen Schmerze.
Und als das Knäbchen geboren war,
Da riß sie die silberne Nadel vom Haar,
Und stieß sie dem Knaben ins Herze.Erst, als sie vollendet die blutige That,
Mußt' ach! ihr Wahnsinn sich enden.
Kalt wehten Entsetzen und Grausen sie an. –
„O Jesu, mein Heiland, was hab' ich gethan?“
Sie wand sich das Bast von den Händen.Sie kratzte mit blutigen Nägeln ein Grab,
Am schilfigen Unkengestade.
„Da ruh du, mein Armes, da ruh nun in Gott,
Geborgen auf immer vor Elend und Spott! –
Mich hacken die Raben vom Rade!“ – –Das ist das Flämmchen am Unkenteich;
Das flimmert und flammert so traurig.
Das ist das Plätzchen, da wächst kein Gras;
Das wird vom Tau und vom Regen nicht naß;
Da wehen die Lüftchen so schaurig!Hoch hinter dem Garten von Rabenstein,
Hoch über dem Steine vom Rade
Blickt, hohl und düster, ein Schädel herab,
Daß ist ihr Schädel, der blicket aufs Grab,
Drei Spannen lang an dem Gestade.Allnächtlich herunter vom Rabenstein,
Allnächtlich herunter von Rade
Huscht bleich und molkicht ein Schattengesicht,
Will löschen das Flämmchen, und kann es doch nicht,
Und wimmert am Unkengestade.
(Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart: Bong, 1914, S. 195-200.)
Während BÜRGERs lyrischer Sprecher das Geschehen aus einer Art auktorialen Perspektive beleuchtet, begibt sich SCHILLERs lyrische Sprecherin – hierin vergleichbar mit der Sprecherin bei GOETHE – direkt in die Person hinein:
FRIEDRICH SCHILLER
Die KindsmörderinHorch – die Glocken weinen dumpf zusammen,
Und der Zeiger hat vollbracht den Lauf,
Nun, so sei's denn! – Nun, in Gottes Namen!
Grabgefährten brecht zum Richtplatz auf.
Nimm o Welt die letzten Abschiedsküsse,
Diese Tränen nimm o Welt noch hin.
Deine Gifte – o sie schmeckten süße! –
Wir sind quitt, du Herzvergifterin.Fahret wohl ihr Freuden dieser Sonne,
Gegen schwarzen Moder umgetauscht!
Fahre wohl du Rosenzeit voll Wonne,
Die so oft das Mädchen lustberauscht;
Fahret wohl ihr goldgewebten Träume,
Paradieseskinder Phantasien! –
Weh! sie starben schon im Morgenkeime,
Ewig nimmer an das Licht zu blühn.Schön geschmückt mit rosenroten Schleifen
Deckte mich der Unschuld Schwanenkleid,
In der blonden Locken loses Schweifen
Waren junge Rosen eingestreut: –
Wehe! – Die Geopferte der Hölle
Schmückt noch itzt das weißlichte Gewand,
Aber ach! – der Rosenschleifen Stelle
Nahm ein schwarzes Totenband.Weinet um mich, die ihr nie gefallen,
Denen noch der Unschuld Lilien blühn,
Denen zu dem weichen Busenwallen
Heldenstärke die Natur verliehn!
Wehe! menschlich hat dies Herz empfunden! – –
Und Empfindung soll mein Richtschwert sein! –
Weh! vom Arm des falschen Manns umwunden
Schlief Luisens Tugend ein.Ach vielleicht umflattert eine andre
Mein vergessen dieses Schlangenherz,
Überfließt, wenn ich zum Grabe wandre,
An dem Putztisch in verliebten Scherz?
Spielt vielleicht mit seines Mädchens Locke?
Schlingt den Kuß, den sie entgegenbringt?
Wenn verspritzt auf diesem Todesblocke
Hoch mein Blut vom Rumpfe springt.Joseph! Joseph! auf entfernte Meilen
Folge dir Luisens Totenchor,
Und des Glockenturmes dumpf es Heulen
Schlage schröcklichmahnend an dein Ohr –
Wenn von eines Mädchens weichem Munde
Dir der Liebe sanft Gelispel quillt,
Bohr es plötzlich eine Höllenwunde
In der Wollust Rosenbild!Ha Verräter! Nicht Luisens Schmerzen?
Nicht des Weibes Schande, harter Mann?
Nicht das Knäblein unter meinem Herzen?
Nicht was Löw' und Tiger milden kann?
Seine Segel fliegen stolz vom Lande,
Meine Augen zittern dunkel nach,
Um die Mädchen an der Seine Strande
Winselt er sein falsches Ach! – –Und das Kindlein – in der Mutter Schoße
Lag es da in süßer goldner Ruh,
In dem Reiz der jungen Morgenrose
Lachte mir der holde Kleine zu,
Tödlichlieblich sprang aus allen Zügen
Des geliebten Schelmen Konterfei;
Den beklommnen Mutterbusen wiegen
Liebe und – Verräterei.Weib, wo ist mein Vater? lallte
Seiner Unschuld stumme Donnersprach,
Weib, wo ist dein Gatte? hallte
Jeder Winkel meines Herzens nach –
Weh, umsonst wirst Waise du ihn suchen,
Der vielleicht schon andre Kinder herzt,
Wirst der Stunde unsrer Wollust fluchen,
Wenn dich einst der Name Bastard schwärzt.Deine Mutter – o im Busen Hölle! –
Einsam sitzt sie in dem All der Welt,
Durstet ewig an der Freudenquelle,
Die dein Anblick fürchterlich vergällt,
Ach, in jedem Laut von dir erwachet
Toter Wonne Qualerinnerung,
Jeder deiner holden Blicke fachet
Die unsterbliche Verzweifelung.Hölle, Hölle wo ich dich vermisse,
Hölle wo mein Auge dich erblickt,
Eumenidenruten deine Küsse,
Die von s e i n e n Lippen mich entzückt,
Seine Eide donnern aus dem Grabe wieder,
Ewig, ewig würgt sein Meineid fort,
Ewig – hier umstrickte mich die Hyder –
Und vollendet war der Mord –Joseph! Joseph! auf entfernte Meilen
Jage dir der grimme Schatten nach,
Mög mit kalten Armen dich ereilen,
Donnre dich aus Wonneträumen wach,
Im Geflimmer sanfter Sterne zucke
Dir des Kindes krasser Sterbeblick,
Es begegne dir im blutgen Schmucke,
Geißle dich vom Paradies zurück.Seht! da lag es – lag im warmen Blute,
Das noch kurz im Mutterherzen sprang,
Hingemetzelt mit Erinnysmute,
Wie ein Veilchen unter Sensenklang – –
Schröcklich pocht schon des Gerichtes Bote,
Schröcklicher mein Herz!
Freudig eilt ich in dem kalten Tode
Auszulöschen meinen Flammenschmerz.Joseph! Gott im Himmel kann verzeihen,
Dir verzeiht die Sünderin.
Meinen Groll will ich der Erde weihen,
Schlage, Flamme, durch den Holzstoß hin –
Glücklich! Glücklich! Seine Briefe lodern,
Seine Eide frißt ein siegend Feur,
Seine Küsse! – wie sie hochan flodern! –
Was auf Erden war mir einst so teur?Trauet nicht den Rosen eurer Jugend,
Trauet, Schwestern, Männerschwüren nie!
Schönheit war die Falle meiner Tugend,
Auf der Richtstatt hier verfluch ich sie! -
Zähren? Zähren in des Würgers Blicken?
Schnell die Binde um mein Angesicht!
Henker, kannst du keine Lilie knicken?
Bleicher Henker, zittre nicht! – – –
(Anthologie auf das Jahr 1782, Stuttgart: J. B. Metzler, 1782, S. 42 – 48)
Mephistopheles' Plan, Fausts Seele zu gewinnen:
Der Plan Mephistopheles', Fausts Seele zu gewinnen, scheitert in der kleinen und der großen Welt.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
Ein Angebot von