Das europäische Drama entwickelte sich im 6./5. Jahrhundert v. Chr. aus dem kultischen Fest um den griechischen Gott Dionysos, das die Athener im Frühjahr zu seinen Ehren feierten. Die Wurzeln dieses rituellen Fruchtbarkeitskultes sind in thrakischen und phrygischen Göttern zu suchen. Man vermutet, es sei aus primitiven Maskentänzen entstanden. Gegen Ende des 6. Jahrhunderts wurde das Dionysosfest (die seit dem 6. Jahrhundert stattgefundenen Wettbewerbe der Dichter im Athener Theater wurden auch die „Großen Dionysien“ genannt) durch den athenischen Tyrannen PEISISTRATOS zum festen Kult erhoben.
Den Höhepunkt stellte das rituelle Zerreißen eines Opfers (sparagos) dar, das sowohl eine Korngabe als auch ein Tier sein konnte. Begleitet wurden die Umzüge zu Ehren der Gottheit von Sängern, die sich als Böcke verkleideten (Bockschöre) und ihr Chorlieder (Dithyrambus) vortrugen.
Seit 534 stellte THESPIS dem Chor einen Erklärer (Hypokrites) gegenüber, der dem Publikum die komplizierten Gesänge zu erläutern hatte. Dies war der Grundstein für die weitere Entwicklung zum Drama. Nun ließ sich erstmals ein Spannungsfeld zwischen den lyrisch-emotionalen Gesängen des Chores und der Handlung des Protagonisten aufbauen.
AISCHYLOS führte einen zweiten Darsteller ein (Deuteragonist) und SOPHOKLES stellte ihnen noch einen dritten Schauspieler (Tritagonist) zur Seite. So wurden dramatischer Monolog und Dialog und schließlich dramatische Handlung möglich. Zwar bestand weiterhin eine enge Bindung zwischen griechischem Drama und Dionysoskult, jedoch trat im Laufe der weiteren Entwicklung der Chor gegenüber dem Auftreten der Schauspieler zunehmend in den Hintergrund, das Drama erlangte seine eigene Gestalt.
Aus dem Dionysoskult entwickelten sich sowohl die Tragödie wie auch die Komödie, die aus dem fröhlich-ausgelassenen Maskenumzug anlässlich der Dionysosfeier (komos) hervorging. Die erste bezeugte Komödie wurde 486 v. Chr. in Athen aufgeführt.
Die Stücke, die in öffentlichen Wettbewerben zur Aufführung gelangten, durften nur ein einziges Mal gespielt werden. Eine Ausnahme bildete höchstens ein Stück, das beim Publikum durchgefallen und später neu bearbeitet worden war. Ein solches konnte in Ausnahmefällen ein zweites Mal aufgeführt werden.
Die von ARISTOTELES um 335 v. Chr. geschriebene „Poetik“ (siehe PDF "Aristoteles – Über die Dichtkunst") ist der älteste poetologische Text der Antike, der einen bestimmenden Einfluss bei der Herausbildung der neuzeitlichen Dichtungstheorie hatte. Die Schrift stellt eine Abgrenzung gegen PLATONs (427–ca. 347 v. Chr.) Auffassungen dar, welcher die Dichtung - insbesondere Epos und Tragödie - heftig attackierte. Theater, stellte ARISTOTELES fest, sei aus dem angeborenen Nachahmungstrieb (Mimesis), der Freude am Lernen durch Nachahmung entstanden, wobei
darstellte. Die emotionale und psychische Reinigung durch Jammer (éleos) und Schaudern (phobos) nennt ARISTOTELES Katharsis.
Nach ARISTOTELES sind alle literarischen Formen Nachahmungen. Mit der Einteilung von nachzuahmenden Charakteren begründete er den Unterschied zwischen Tragödie und Komödie:
„Auf Grund desselben Unterschiedes weicht auch die Tragödie von der Komödie ab: die Komödie sucht schlechtere, die Tragödie bessere Menschen nachzuahmen, als sie in der Wirklichkeit vorkommen.“ (vgl. PDF)
Dabei geht es nicht darum, den schlechteren Menschen nur in seiner Schlechtigkeit an sich darzustellen, sondern
„insoweit, als das Lächerliche am Hässlichen teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Hässlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht.“ (vgl. PDF)
Der schlechtere Mensch soll in seiner Lächerlichkeit bloßgestellt und verlacht werden. Der Zuschauer soll die Handlung bestmöglich nachvollziehen können. Nach ARISTOTELES soll die Tragödie Jammern (eleos) und Schaudern (phobos) hervorrufen und so eine Reinigung (katharsis) des Zuschauers herbeiführen.
ARISTOTELES' Festlegung der Dichtung auf etwas, das wahrscheinlich sein muss, also irgendwie geschehen könnte, - belegt den fiktionalen Charakter der Dichtung und gestattet der Kunst die Freiheit künstlerischer Formung.
Das wichtigste strukturelle Merkmal der Tragödiendichtung sah ARISTOTELES in der Geschlossenheit der Handlung. Missverständliche Interpretationen der aristotelischen Schrift führten später zur Forderung folgender drei Einheiten:
Man nennt dies auch die drei Einheiten des Dramas.
Das aristotelische Drama hat eine feste, formstrenge Struktur, die man deshalb auch als tektonisches Drama ( von griechisch tektoniké téchne, was „Baukunst“ bedeutet) bezeichnet. Grafisch kann es folgendermaßen dargestellt werden:
Wegen dieser Formstrenge nennt man diese Art Dramen auch geschlossene Dramen bzw. spricht von ihrer geschlossenen Form. Sie ist außerdem im klassischen Drama durch
gekennzeichnet.
Die aristotelische Dramentheorie hatte für JULIUS CÄSAR SCALIGER, MARTIN OPITZ, NICOLAS BOILEAU-DESPRÉAUX und JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED Vorbildfunktion.
Das Barockdrama: In seinem 1624 erschienenen „Buch von der Deutschen Poeterey“ versuchte MARTIN OPITZ, die deutsche Sprache neben dem damals ausschließlich gebrauchten Französischen und Italienischen als Kunstsprache zu etablieren. Er stützte sich auf ARISTOTELES und HORAZ.
Die Tragödie schätzte er als die höchste Kunstform ein, die Komödie spielte bei ihm eine untergeordnete Rolle.
Das Drama der Aufklärung: Diese Auffassung wurde bis ins 18. Jahrhundert vertreten. Es war vor allem der Aufklärer GOTTSCHED, der sich bemühte, grundsätzlich erlernbare Grundregeln für alle literarischen Gattungen zu bestimmen, nach denen der Dichter ein lyrisches, dramatisches oder episches Werk kunstvoll erschaffen kann. Das Wesen der Kunst, die Aufgabe des Künstlers, sollte in erster Linie die Nachahmung der Natur bleiben.
Die Hauptaufgabe des Dramas sah GOTTSCHED in der sittlich-moralischen Erziehung der Deutschen. Bei der Unterscheidung der beiden dramatischen Grundformen - Tragödie und Komödie - blieb GOTTSCHED der Ständeklausel der Renaissance- und Barockpoetiken verhaftet. Auch mit der Festschreibung der drei Einheiten (Handlung, Zeit, Ort) als Grundprinzipien des Dramas berief er sich auf die Poetiken ARISTOTELES' und HORAZ'.
LESSING teilte einige Grundauffassungen GOTTSCHEDS, entwickelte sie aber auch weiter und schuf neuartige Formen des Theaters, wie das bürgerliche Trauerspiel.
Im Unterschied zu seinen dramentheoretischen Vorgängern erhob LESSING die drei Einheiten nicht mehr zu Dogmen dramatischer Dichtung. Ein Stück, das „rühren“ soll, das „Furcht und Mitleid“ erzeugen soll, muss sich gerade aus Gründen der Glaubwürdigkeit nicht zwangsläufig auf einen Ort und auf die Darstellung eines Tages begrenzen. Wenn die Einheit der Handlung gewährleistet ist, die ja die Nachvollziehbarkeit einer Darstellung bedingt, dann wird die Einheit des Ortes und der Zeit zur rein schematischen Gesetzmäßigkeit.
Obwohl im 17. Jahrhundert bereits GRYPHIUS („Cardenio und Celinde“) mit der Ständeklausel brach, darf LESSING als derjenige bezeichnet werden, der sie endgültig zu Fall brachte. Nach gültigem ARISTOTELES-Verständnis sollte die Tragödie „Jammern“ und „Schaudern“ hervorrufen, um dadurch eine Katharsis zu erreichen. LESSING übersetzte diese Begriffe mit „Furcht“ und „Mitleid“.
Theater des Sturm und Drang: Im Gegensatz zu GOTTSCHEDS Orientierung an der französischen Literatur war für GOETHE und die anderen Dichter des Sturm und Drang SHAKESPEAREs Werk das Erweckungserlebnis schlechthin. Sie begriffen ihn als Genie und großes Vorbild. Das bedeutete auch, mit jeder Regelpoetik zu brechen, vor allem mit den drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung. Mit dem Anspruch, eine neue Formensprache finden zu müssen, kritisierte GOETHE auch die französischen Trauerspiele, die GOTTSCHED noch als Vorbild dienten und sich streng am aristotelischen Regelwerk orientierten. GOETHE ging sogar so weit, das von LESSING erhobene Postulat, im Drama müssten vernunftgemäße Erkenntnisse und vernünftige Moral vermittelt werden, abzulehnen. Er stellte klar, dass entsprechend dem Genieverständnis seiner Generation nicht die Vernunft allein zur totalen Welterkenntnis führt, sondern einer Ergänzung durch die Empfindungen eines genialen Individuums bedarf.
Diese Vorstellung sah GOETHE im Theater SHAKESPEAREs verwirklicht:
„Shakespeares Theater ist ein schöner Raritätenkasten, in dem die Geschichte der Welt vor unsern Augen an dem unsichtbaren Faden der Zeit vorbeiwallt. Seine Plane sind, nach dem gemeinen Stil zu reden, keine Plane, aber seine Stücke drehen sich alle um den geheimen Punkt (den noch kein Philosoph gesehen und bestimmt hat), in dem das Eigentümliche unseres Ichs, die prätendierte Freiheit unsres Wollens, mit dem notwendigen Gang des Ganzen zusammenstößt.“
(Johann Wolfgang von Goethe: Zum Shakespeare-Tag, in: ders.: Goethes Werke. Kunst und Literatur, Bd. 12, hg. v. Erich Trunz und Hans Joachim Schrimpf, München 1981, S. 226)
Der Dichter sei zu einer Welterkenntnis fähig, die dem nur mit dem Verstand arbeitenden Philosophen versagt bleibe. Der Dramatiker zeichne nicht nur ein Bild der Welt, sondern das besondere Verhältnis des Einzelnen zu ihr.
Damit wird angedeutet, was das Drama noch lange thematisch bestimmen sollte: der Konflikt des Individuums mit der Gesellschaft.
SCHILLER definierte die Funktion des Theaters als Hilfe zur individuellen Lebensbewältigung. Es sollte Humanität vermitteln und Gerechtigkeit zwischen den Menschen schaffen.
Für HEGEL – und mit ihm viele bedeutende Denker seiner Epoche – war das Drama sowohl nach seinem Inhalte wie nach seiner Form die höchste Stufe der Poesie und der Kunst überhaupt. Das entsprach seiner Hochschätzung der griechisch-antiken Kunst.
Für die heutige Literaturwissenschaft sind vor allem die theoretischen Ausführungen GUSTAV FREYTAGs zum Drama wichtig („Die Technik des Dramas“, 1863, siehe PDF "Gustav Freytag – Die Technik des Dramas"). Darin spricht er sich für die seit HORAZ bekannte Standardstruktur des Dramas aus:
„Durch die beiden Hälften der Handlung, welche in einem Punkt zusammenschließen, erhält das Drama, - wenn man die Anordnung durch Linien verbildlicht, - einen pyramidalen Bau. Es steigt von der Einleitung mit dem Zutritt des erregenden Moments bis zu dem Höhepunkt, und fällt von da bis zur Katastrophe. Zwischen diesen drei Teilen liegen die Teile der Steigung und des Falles. Jeder dieser fünf Teile kann aus einer Szene oder aus einer gegliederten Folge von Szenen bestehen, nur der Höhepunkt ist gewöhnlich in einer Hauptszene zusammengefasst. ...“ (vgl. PDF)
pyramidaler Dramenaufbau:
Episches Theater: BERTOLT BRECHTs Theater bildet den Anfangspunkt des modernen Theaters, das nach seiner programmatischen Schrift auch als „Das epische Theater“ bezeichnet wird.
Merkmale des epischen Theaters sind:
BRECHT wendet sich mit seiner Theaterkonzeption gegen die auf ARISTOTELES zurückgehende grundlegende Unterscheidung zwischen dramatischer und epischer Form. Er stellt eine langsame Verwischung der Gattungsgrenzen fest.
BRECHT will den Zuschauer handlungsfähig machen, das Publikum soll erkennen, dass die politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Situation, in der sie sich befinden, veränderbar ist. Das schließt eine aristotelische Reinigung (Katharsis) von Erregungszuständen aus.
Die Abgrenzung BRECHTs von LESSING erfolgte im Aufgeben des Erzeugens von „Furcht“ und „Mitleid“. Die Aufgabe des Theaters ist es demnach nicht, zur Tugend zu erziehen. Theater soll über die politischen Möglichkeiten aufklären und zugleich unterhalten.
Auch geht BRECHT davon aus, dass ein dramatischer Konflikt nicht notwendig in der Katastrophe enden müsse.
Wegen der Durchbrechung der klassischen Formstrenge wird das epische Theater BRECHTs auch zu den atektonischen Dramenformen gerechnet.
Entsprechend den verschiedenen dramentheoretischen Ansätzen wird zwischen aristotelischem und nicht aristotelischem Drama unterschieden.
aristotelisches Drama
tektonisches Drama
griechisches Theater (AISCHYLOS, EURIPIDES, SOPHOKLES)
römisches Theater
klassisches Theater
Shakespearetheater
Illusionstheater
nichtaristotelisches Drama
atektonisches Drama
episches Theater (BRECHT)
japanisches No-Theater
absurdes Theater (BECKETT, IONESCO, GENET, SARTRE)
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