- Lexikon
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- 4.8 Literatur des 19. Jahrhunderts
- 4.8.5 Vormärz, Junges Deutschland
- Die Sonderrolle Heinrich Heines
Indem HEINRICH HEINE die Lyrik HOFFMANN VON FALLERSLEBEN, FREILIGRATHs oder HERWEGHs als Tendenzpoesie ablehnte, kritisierte er lediglich den „prosaisch-bombastischen“ (HEINE) Grundton dieser Werke („gereimte Zeitungsartikel“) und entlarvte sie als liberale Phrasendrescherei, als „vagen, unfruchtbaren Pathos, ... nutzlosen Enthusiasmusdunst“ (HEINE). Er wandte sich gegen die Eindimensionalität dieser Gedichte, verfolgte er selbst doch ein romantisches Ästhetikkonzept, das die politische Wirklichkeit nicht ausschloss, sondern als (wichtigen) Teil der Gesellschaft begriff.
HEINE sah die Aufgabe der Poesie darin, die Wirklichkeit in ihrer Ganzheit zu reflektieren. Das schmerzhafte Erleben seiner eigenen Wirklichkeit, sein französisches Exil, die eigene Hilflosigkeit gegenüber der restaurativen Politik in Deutschland, all das fließt in seine Ästhetik ein.
Die desillusionierenden Passagen seiner Lyrik gehen somit einher mit der Zerstörung der romantischen Bilder.
Mit der Sehnsucht nach der Harmonie und deren gleichzeitiger Konfrontation mit der zerrissenen Wirklichkeit der Welt schafft HEINE eine quasi anti-romantische Ästhetik, die sich notwendig satirischer und ironischer Elemente bedienen muss.
HEINE selbst schaffte in seinen Gedichten oft eine spöttische Distanz dem eigenen Werk gegenüber. Er benutzte die zum Klischee erstarrten romantischen Bilder, um sie letztendlich als bloßen Schein zu entlarven.
So wird seine Lyrik
HEINES politische Lyrik ist von CLAUDE-HENRI COMTE DE SAINT-SIMON (1760–1825) beeinflusst, der die Gegensätze zwischen den gesellschaftlich produktiven und den unproduktiven Klassen untersucht hatte und Positionen eines utopischen Sozialismus vertrat.
„Ideen. Das Buch Le Grand" (1826) ist bereits voll bitteren Humors über das Leben in Deutschland. Es sammelt Erinnerungen aus Kindheit und Jugend, jedoch wird auch die kommende Revolution gefeiert.
HEINE lässt NAPOLEON als eine Art Messias in Düsseldorf einziehen.
Unter den Eindrücken seiner ersten Rückreise aus dem französischen Exil 1843 schrieb Heine die Verssatire „Deutschland. Ein Wintermärchen" (siehe PDF "Heinrich Heine – Deutschland. Ein Wintermärchen") , eine seiner schärfsten Stellungnahmen zu den deutschen Misständen.
Er verspottete
Die Trauer in seinem Gedicht „Nachtgedanken" ist nicht Phrase, sondern entspringt HEINEs Grundeinstellung:
„Denk ich an Deutschland in der Nacht/
dann bin ich um den Schlaf gebracht/
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,/
und meine heißen Tränen fließen“,
schrieb er („Neue Gedichte“, 1844). Zu einer wesentlich ironischeren Haltung gelangte HEINE in Caput I des „Wintermärchens“:
Im traurigen Monat November war’s,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist’ ich nach Deutschland hinüber. ...
Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele. ...
Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel. ...
(vgl. PDF "Heinrich Heine – Deutschland. Ein Wintermärchen")
Auch im „Wintermärchen“ finden sich saint-simonistische Positionen wieder, wenn es heißt:
Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.
Wir wollen auf Erden glücklich sein
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder. ...
(vgl. PDF "Heinrich Heine – Deutschland. Ein Wintermärchen")
„Deutschland. Ein Wintermärchen“ stellt den Höhepunkt der politischen Versdichtung HEINEs dar. Dabei umkreiste der Autor die Frage, ob und wieweit Deutschland für einen gesellschaftlichen Wandel bereit war.
werden bemüht, um die inneren deutschen Zustände zu beleuchten. So lässt Heine
auftreten.
Auch die Dichterkollegen und andere Zeitgenossen werden nicht verschont: FREILIGRATH, FOUQUÉ, UHLAND, TIECK, SCHELLING, die Dunkelmänner, Vater JAHN werden teils liebevoll, teils satirisch in das Figurenensemble eingereiht:
In Reimen dichtet Freiligrath,
Ist kein Horaz geworden.
...
Der grobe Bettler, Vater Jahn,
Der hieße jetzt Grobianus.
...
Auch unsre schöne Poesie
Erlischt, sie ist schon ein wenig
Erloschen; mit andern Königen stirbt
Auch Freiligraths Mohrenkönig.
Auch sich selbst nimmt Heine nicht unkritisch wahr.
Ich bin dein Liktor (1), und ich geh
Beständig mit dem blanken
Richtbeile hinter dir – ich bin
Die Tat von deinem Gedanken.
(vgl. PDF "Heinrich Heine – Deutschland. Ein Wintermärchen")
(1) Liktor= lat. Lictor, Amtsdiener hoher Behörden, Amtmann
HEINE war bereits zu Lebzeiten ein umstrittener Dichter. Die einen sahen in ihm einen „Dichter ganz und gar“ (EDUARD MÖRIKE), hörten in seiner Lyrik „den Pulsschlag eines deutschen Herzens, welches ewig in den Liedern vernommen wird“ (HANS CHRISTIAN ANDERSEN), für die Nationalisten und Antisemiten war HEINE „ein Pfahl in unserm Fleische“ (FRANZ SANDVOSS). Nach HEINRICH VON TREITSCHKE (1834–1896) besaß HEINE,
„was die Juden mit den Franzosen gemein haben, die Anmuth des Lasters, die auch das Niederträchtige und Ekelhafte auf einen Augenblick verlockend erscheinen läßt“.
Ganz im Tone des Antisemitismus hetzte später auch der völkisch-nationalistische Literaturhistoriker ADOLF BARTELS (1862–1945). Der HEINE-Hass gipfelte unter den Nationalsozialisten im Verbrennen seiner Werke. HEINEs berühmtestes Lied, die „Loreley“, erhielt den Vermerk „Verfasser unbekannt“.
Gleichwohl überdauerten die Stimmen der HEINE-Enthusiasten die Zeit.
NIETZSCHE lobte:
„Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich Heine gegeben. Ich suche umsonst in allen Reichen der Jahrtausende nach einer gleich süßen und leidenschaftlichen Musik... Und wie er das Deutsche handhabt! Man wird einmal sagen, daß Heine und ich bei weitem die ersten Artisten der deutschen Sprache gewesen sind – in einer unausrechenbaren Entfernung von allem, was bloße Deutsche mit ihr gemacht haben.“
(NIETZSCHE: „Ecce homo“, vgl. PDF "Friedrich Nietzsche - Ecce Homo")
Der sozialistische Historiker, Literaturwissenschaftler und Publizist FRANZ MEHRING (1846–1919) schrieb:
Wer den Revolutionär Heine verleugnet, der hat kein Recht, mit dem Dichter Heine zu prahlen ... Der Gesangverein „Halbe Lunge“ singt die „Loreley“ wunderschön und die höhere Tochter paukt auf dem Klavierzimbel nicht minder wunderschön die Blume, so hold und schön und rein oder das Königskind mit den nassen Wangen, und wenn's hoch kommt, würzt man das lederne Geschwätz im Kasino mit ein paar guten Witzen aus den „Reisebildern“. Das ist nicht einmal der halbe, geschweige denn der ganze Heine ... Auch „Die beiden Grenadiere“ stehen auf dem Repertoire der Gesangvereine, und man verzeiht dem Dichter großmütig die „Schwäche“ seines Napoleon-Kultus. Und doch enthielt dieser Kultus eine Weltanschauung: das leidenschaftliche Bekenntnis zu der bürgerlichen Kultur, welche die französischen Bajonette den Rheinlanden gebracht hatten, und die ihnen nunmehr wieder entrissen werden sollte durch die feudale Unkultur der ostelbischen Schnapsbrenner.
(Mehring, Franz: Gesammelte Schriften. Berlin: Dietz Verlag ,1961. Bd. 10, S. 482)
Sehr unterschiedlich wurde HEINE nach 1945 in der BRD und der DDR gesehen. An der Universität Düsseldorf begann 1965 ein Namensstreit um ihre Benennung, der erst 1988 beendet wurde. Seitdem heißt die Universität nach HEINRICH HEINE. Allerdings wurde in all diesen Jahren kaum ein Grund angegeben, warum man gegen HEINE war.
In der DDR wurde der Dichter zu einem Vorkämpfer der sozialistischen Revolution hochstilisiert. Der damalige Kulturminister KLAUS GYSI (1912–1999) äußerte 1972, anlässlich des 175. Geburtstages HEINEs:
"Unsere Liebe und Treue gilt so dem wirklichen Heinrich Heine und all jenem Großen im Denken und Fühlen, das sein Leben und Dichten formte. Er ist einer der Unsrigen und er ist bei uns zu Hause."
HEINE selbst stand dem Kommunismus eher skeptisch gegenüber. In der Vorrede zu „Lutetia“ formulierte er seine Angst:
„In der Tat, nur mit Grauen und Schrecken denke ich an die Zeit, wo jene dunklen Ikonoklasten zur Herrschaft gelangen werden: mit ihren rohen Fäusten zerschlagen sie alsdann alle Marmorbilder meiner geliebten Kunstwelt, ... mein ‚Buch der Lieder’ wird der Krautkrämer zu Tüten verwenden, um Kaffee oder Schnupftabak darin zu schütten für die alten Weiber der Zukunft!“ Allerdings, räumte er in derselben Schrift ein: „ ... kann ich der Prämisse nicht widersprechen: ,dass alle Menschen das Recht haben, zu essen’, so muß ich mich auch allen Folgerungen fügen ...“.
(a.a.O.)
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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