- Lexikon
- Deutsch Abitur
- 4 Literaturgeschichte
- 4.8 Literatur des 19. Jahrhunderts
- 4.8.3 Romantik außerhalb Deutschlands
- Die Romantik in Russland: Puschkin und Lermontow
Die klassischen Autoren Russlands hatten sich an französischen und deutschen Autoren des Barock orientiert. Erst mit LOMONOSSOW etablierte sich eine Trennung weltlicher von geistlicher Literatur.
LOMONOSSOW hatte bei CHRISTIAN WOLFF an der Marburger Universität Physik und Logik gehört und war dessen Schüler. Er wird als „Universalgenie Russlands“ bezeichnet und spielt in der Geschichte der russischen Wissenschaftsgeschichte eine ebenso überragende Rolle wie LEIBNIZ in Deutschland. LOMONOSSOW entwickelte eine „russische Grammatik“ und trug so wesentlich zur Formung der russischen Literatursprache bei. Seine Dichtung dagegen formte die nachfolgende russische Literatur entscheidend.
ALEXANDER PUSCHKIN (1799–1837) ist die wohl schillerndste Persönlichkeit der russischen Literatur. Er gilt als Schöpfer der russischen Literatursprache. Seine Literatur zeichnet sich durch eine schlicht-schöne, ausdrucksstarke und klare Sprache aus. Er begann mit klassischem Formenspiel. Sein erstes Gedicht veröffentlichte er schon 1814. Beeinflusst durch Lord BYRON und andere europäische Romantiker schrieb er u. a. das Versepos „Ruslan und Ludmilla“ (1820). Am Ende seines Lebens stand realistische Prosa, wie die Novelle „Die Hauptmannstochter“ (1833).
PUSCHKINs Hauptwerk, der Roman in Versen „Evgenij Onegin“ (1825–1832, dt. „ Eugen Onegin", siehe PDF "Alexander Puschkin - Eugen Onegin"), ist genre- und gattungsüberschreitend, hebt die Grenzen von Poesie und Prosa auf.
„Eugen Onegin“ ist ein Versroman um verpasstes Liebesglück und verspielte Lebensmöglichkeiten. Der Roman spielt auf dem Landgut der Larins, wo der schwärmerische Poet und Gutsnachbar Lenskij sich in Olga, eine der Töchter des Hauses verliebt. Zu einer Gesellschaft bringt Lenskij eines Tages seinen Freund aus Petersburg, Eugen Onegin, mit. Tatjana, die zweite Tochter Larins, verliebt sich auf den ersten Blick in den weltgewandten Onegin. Dieser kann ihre Liebe jedoch nicht erwidern. Zu Tatjanas Namenstag (der in Russland stärker gefeiert wird, als der Geburtstag) veranstaltet die Mutter einen Ball, auf dem auch Onegin und Lenskij erscheinen. Der leicht gefrustete Onegin macht der Freundin Lenskijs den Hof, um seinen Freund zu provozieren. Dieser fordert seinerseits Onegin zum Duell heraus, in dessen Folge Lenskij stirbt. Onegin geht ins Ausland, auf der Flucht vor sich selbst und seinem Gewissen. Als er nach Petersburg zurückkehrt, begegnet er hier Tatjana wieder. Sie hat den Fürsten Gremin geheiratet. Onegin gesteht ihr seine Liebe, auch Tatjana zeigt noch große Gefühle für den, der sie einst verschmäht hat. Doch bekennt sich gleichzeitig zu ihrer Ehe.
Bedeutsam für die Literaturgeschichte sind PUSCHKINs Tragödie „Boris Godunow“ (1825) und die Erzählung „Pikovaja dama” (1833–1834, dt. „Pique Dame“).
In „Boris Godunow" greift PUSCHKIN einen alten Stoff aus der russischen Geschichte auf:
Am Zarenhof war der Sohn Iwans des Schrecklichen (1585), Dimitri, getötet worden. Der Verdacht fiel auf Boris Godunow, den nunmehrigen Thronfolger. PUSCHKIN machte aus diesem historischen Fakt ein Spiel um Einsamkeit und Misstrauen, um Mord und Unterdrückung, von revolutionärem Aufruhr und Wankelmütigkeit. Godunow wird zugetragen, ein falscher Zarewitsch Dimitri sei im Reich aufgetaucht. Am Grabe des wirklichen Dimitri trügen sich merkwürdige Wunder zu. Godunow sieht sich von Dimitri verfolgt, denn er hatte ihn seinerzeit umbringen lassen. Auf dem Höhepunkt seiner Macht, dem Wahnsinn nah, übergibt er seinem Sohn Fjodor die Herrschaft, beschwört ihn, sich vor den Bösartigkeiten der Bojaren in acht zu nehmen und sich seine Reinheit zu bewahren, sie sei seine Macht.
PUSCHKIN war 1824 nach Michajlovskoe in die Verbannung geschickt worden. Das bewahrte ihn vor der Teilnahme am sogenannten „Dekabristenaufstand“. Am 14.12.1825 fand der Aufstand der Garderegimenter auf dem Senatsplatz in Petersburg statt. In dem „Sendschreiben nach Sibirien“ gedachte PUSCHKIN 1827 seiner Freunde vom „Dekabristenaufstand“:
Tief in Sibiriens Schächten sollt Ihr stolz das schwere Schicksal tragen
Denn nicht vergeht, was Ihr gewollt,
Nicht Eures Geistes hohes Wagen.
Des Unglücks milde Schwester. trägt
Die Hoffnung in die nächt'gen Räume
Des Kerkers lichte Zukunftsträume,
Bis die ersehnte Stunde schlägt.Durch alle festen Schlösser dringt
Die Lieb' und Freundschaft treuer Seelen,
So wie in Eure Marterhöhlen
Jetzt meine freie Stimme klingt.Die Fesseln fallen Stück für Stück,
Die Mauern brechen. Freies Leben
Begrüßt Euch freudig, und es geben
Die Brüder Euch das Schwert zurück.
(http://www.sibir.de/?Alexander_Puschkin%3A_
Sendschreiben_nach_Sibirien)
Der neue Zar, NIKOLAUS I., holte den Autor nach Moskau zurück, dessen Werke wurden von nun an von ihm persönlich zensiert.
PUSCHKINs Werk ist auch von romantischen Musikern adaptiert worden: PETER TSCHAIKOWSKY schuf „Pique Dame“ und „Eugen Onegin“, letztere nannte er bescheiden „Lyrische Szenen“, MODEST MUSSORGSKY komponierte „Boris Godunow“, MICHAIL GLINKA die Zauberoper „Ruslan und Ludmilla“ .
PUSCHKINs Spätwerk wirkte auf die russischen Realisten des 19. Jahrhunderts.
MICHAIL LERMONTOW (1814–1841) starb schon früh: Mit 27 Jahren setzte er seinem Leben ein Ende, als er bei einem Duell absichtlich in die Luft schoss, um so dem anderen Duellanten die Möglichkeit zu geben, ihn zu treffen.
Sein „Geroy našego vremeni“ (1840 dt. „Ein Held unserer Zeit", siehe PDF "Michail Jurjewitsch Lermontow - Ein Held unsrer Zeit") adaptiert den puschkinschen, echt russischen Typen des „Überflüssigen“. Der Autor wusste, wovon er schrieb. Er war selbst dieser Überflüssige, der litt am Nichtleidenwollen, Nichtliebenwollen, an einer unbestimmbaren Verzweiflung.
„Leidenschaften sind nichts anderes als Ideen auf ihrer ersten Entwicklungsstufe; sie sind ein Attribut des jungen Herzens, und nur ein Narr glaubt, sie könnten ihn sein ganzes Leben lang bewegen; viele ruhige Ströme fangen als brausende Wasserfälle an, doch keiner springt und schäumt bis zum Meer. ...“
(vgl. PDF "Michail Jurjewitsch Lermontow - Ein Held unsrer Zeit")
heißt es folgerichtig in seinem Roman.
LERMONTOW war der letzte große russische Romantiker, sein Spätwerk verweist bereits auf den großen russischen Realisten TOLSTOIJ und den eher naturalistischen Dichter DOSTOJEWSKIJ.
LERMONTOW wurde als Sohn eines Adligen in Moskau geboren. Seine Urahnen sollen aus Schottland nach Russland eingewandert sein. Mütterlicherseits entstammte er dem bedeutenden Geschlecht der Arsenjews. Früh begann der fantasiebegabte Junge zu schreiben.
LERMONTOWs lyrische Jugendgedichte sind teilweise im melancholischen Ton verfasst. Manchmal sind sie sehr düster, ihre Ausgänge oft tragisch. In der Öffentlichkeit bekannt wurde der Dichter 1837 durch ein auf den Tod PUSCHKINs geschriebenes Gedicht. Daraufhin wurde er in ein Regiment im Kaukasus versetzt, wo weite Teile seines „Geroy našego vremeni“ entstand. Dieser Roman wird auch gern als erster psychologischer Roman der russischen Literatur bezeichnet. Das Buch besteht aus fünf inhaltlich zusammenhängenden Novellen.
Aus verschiedenen Blickwinkeln heraus wird der tragische Held, der junge Offizier Grigori Petschorin, gesehen, der sich nicht scheut, sich selbst als böse zu sehen. Und so geschehen unglaubliche Geschichten vom Morden und Tod:
In der ersten Novelle entführt Petschorin die Tochter eines Tscherkessen-Fürsten. Sie lernen einander lieben. Bald aber ödet das Mädchen ihn an. So fällt es in die Hand von Banditen und stirbt. In der Geschichte von der kaukasischen Prinzessin Meri verliebt sich diese in den jungen Mann, der aber spielt nur mit ihren Gefühlen. Petschorins Freund, der Junker, verliebt sich jedoch in die Prinzessin und wird von dieser abgewiesen. Indem er Petschorin provoziert, kommt es zu einem Duell der beiden, an dessen Ende der Junker getötet wird. „Der Fatalist“, ein serbischer Offizier, schießt sich eine Kugel in den Kopf wegen einer Wette mit Petschorin. Doch die Pistole versagt. Sein ihm scheinbar vorherbestimmtes Schicksal ereilt ihn erst eine Stunde danach, als dieser von einem betrunkenen Soldaten niedergesäbelt wird.
„Und wenn die Menschen mehr denken würden, so würden sie sich überzeugen, daß das Leben es nicht wert ist, daß man sich seinetwegen so viel Sorge macht."
LERMONTOWs „Ein Held unserer Zeit“ ist ein Desillusionierungsroman mit absteigendem Handlungsverlauf.
LERMONTOWs „Der Dämon. Eine orientalische Erzählung.“ entstand in unmittelbarer Auseinandersetzung mit einem Gedicht PUSCHKINs. Von 1829 bis zu seinem Todesjahr 1841 arbeitete der Autor daran. Es zeigt nicht nur puschkinsche Bezüge, sondern einen ganzen Kanon romantischer Literatur: So finden sich Anklänge an das Faust-Motiv sowie Bezüge zu Lord BYRON, mit dem er auch eine Zeit lang bekannt war.
FJODOR TJUTSCHEW (1803–1873) orientierte sich stark an der deutschen idealistischen Philosophie und gehört mit PUSCHKIN und LERMONTOW zu den herausragenden russischen Lyrikern des 19. Jahrhunderts. Seine einfühlsamen Naturschilderungen erreichten Weltruhm.
NIKOLAI GOGOL (1809–1852) war der Sohn eines begüterten ukrainischen Landedelmannes. Er gehört mit seinen Komödien („Der Revisor“, 1836), Novellen („Taras Bulba“, 1835) und Romanen („Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen“, 1835, „Mertvye dushi“, dt. „Die toten Seelen“, 1842, siehe PDF "Nikolai Gogol - Die toten Seelen") zu den bedeutendsten russischen Romantikern. Sein Werk weist aber in Teilen weit darüber hinaus. Deshalb ordnet man ihn auch in einen russischen sozialen Realismus ein. Für „Der Revisor" nutzte GOGOL eine Anekdote aus dem Leben PUSCHKINs. Hier unterlag der Autor den Einflüssen MOLIERÈs. Eine Stadt ist in Aufregung, als ein Revisor (Steuerprüfer) angekündigt ist. Tatsächlich erscheint jedoch ein kleiner, unbedeutender Beamter aus Sankt Petersburg im Ort, wird für diesen Revisor gehalten und macht sich schließlich mit vielen Geschenken und der Tochter des Stadthauptmanns aus dem Staube.
Die Literatur MIGUEL DE CERVANTES’, LAURENCE STERNEs und HENRY FIELDINGs standen Pate für „Die toten Seelen“, die der Autor vorwiegend in Paris und Rom schrieb: Pawel Tschitschikow ist ein ehrgeiziger und skrupelloser Abenteurer. Er taucht bei Gutsherren auf, um ihnen „tote Seelen“ abzukaufen, Leibeigene, die kurz zuvor gestorben und von den Steuerlisten noch nicht gestrichen sind. Tschitschikows Plan ist es, sein solcherart erworbenes Eigentum als Sicherheit für Kredite einzusetzen, um ein Gut mit „lebenden Seelen“ aufzubauen.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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