GIOVANNI BOCCACCIO (1313–1375 ) schrieb seinen Novellenzyklus „Decameron“ (1348–1353, dt. um 1473) zur Zeit der großen Pest von Florenz 1348. Der Name „Il Decamerone“ leitet sich vom griechischen „deka“ = zehn und „hemera“ = Tag ab und bedeutet also „Zehntagebuch“.
Die Rahmenhandlung erzählt davon, wie sich zufällig sieben junge, edelgeborene und befreundete Damen zwischen 18 und 28 Jahren in der Kirche di Santa Maria Novelli treffen und beschließen, der gerade grassierenden Pest durch einen Aufenthalt auf einem in der Nähe der Stadt liegenden Landgut zu entfliehen. Den Damen schließen sich drei Herren an. Sie halten sich für zehn Tage in Fiesole auf dem Lande auf. Die Ideenstifterin Pampinea regt an, dass an jedem Tag einer für „Kultur“ verantwortlich sein solle, sodass die nun insgesamt zehn jungen Leute, abwechselnd als „König“ bzw. „Königin“ residierend, die Gesellschaft durch Geschichten und Spiele unterhalten. Sie selbst beginnt damit, die jungen Leute aufzufordern, einander Geschichten erzählen. An zehn aufeinanderfolgenden Tagen werden nun jeweils zehn Geschichten erzählt, teils ernsten, besinnlichen und lehrhaften, teils frivolen, erotischen Inhalts. Auf diese Weise rankte BOCCACCIO insgesamt 100 Novellen um diese Rahmenhandlung herum.
„Das Erzählen ist in hohem Mass ritualisiert: Die Runde versammelt sich immer zur gleichen Zeit, für jeden Tag wird ein Thema vorgegeben und so weiter.“
Jede Novelle steht im Werkzusammenhang als
„Beispiel für ein Allgemeines, eine Regel, die aber ihrerseits problematisch geworden“ (Albert Gier)
ist.
BOCCACCIO schuf mit dem „Decameron“ den Prototyp (Urbild) der Novelle. Die Stoffe für seine Novellen fand der Autor in antiken und orientalischen Vorlagen sowie in seiner unmittelbaren Erfahrungswelt der italienischen Renaissancestädte. Sie stammen aus arabischen, indischen, persischen, altfranzösischen Überlieferungen. Die lebensnahen Schilderungen von Menschen aller Stände, die realistische Behandlung ernster, philosophischer und heiterer, frivol-erotischer Themen hatten enormen Einfluss auf die europäischen Literaturen. Sie propagierten ein neues Menschenbild und spiegelten das Selbstbewusstsein des bürgerlichen Menschen, der sich nicht mehr vornehmlich als ein Glied der Kirche definierte. Ihre Inhalte orientierten auf flüchtige Sinnes- und Lebensfreude im Diesseits und nicht auf die Aussicht auf Erlösung in einer jenseitigen Ewigkeit.
Das Werk erfuhr in den Folgejahren mannigfache Bearbeitung. Berühmt wurde LESSINGs Fassung in „Nathan der Weise“ ( Ringparabel, siehe PDF "Gotthold Ephraim Lessing - Nathan der Weise (Auszug)"), die als die Parabel von den drei Ringen bei BOCCACCIO die dritte Novelle des ersten Tages (siehe PDF "Giovanni Boccaccio - Das Dekameron (Übersetzung von K. Witte)") ist und von Philomena erzählt wird. LESSING entnahm neben der Parabel selbst auch den Namen des Juden „Nathan“. Bei BOCCACCIO heißt der Jude Melchisedech, deutsch: = König der Gerechtigkeit.
Auch wurde BOCCACCIOS Novellenstil von späteren Autoren nachempfunden, so entstand die Geschichte um Romeo und Julia, die WILLIAM SHAKESPEARE zu seinem Theaterstück inspirierte. PIER PAOLO PASOLINI drehte 1970 den italienisch-französisch-deutschen Spielfilm „Decameron“, in dem er einige Novellen für den Film adaptierte.
Auch in die Literaturtheorie hielt BOCCACCIOs Text Einzug. Der deutsche Autor PAUL HEYSE entwickelte anhand einer Novelle sein Modell von der Struktur der Novelle, die sogenannte „Falkentheorie“ (siehe PDF "Paul Heyse - Die Falkentheorie"). Er nimmt den Falken, den bei BOCCACCIO ein verliebter Mann seiner Angebeteten als Mahlzeit vorsetzt, nachdem er bereits seinen ganzen Besitz seiner Liebe geopfert hat und womit er sie endlich bekehrt, als Beispiel eines einzigartigen, starken „Dingsymbols“, das jede Novelle von der anderen unterscheiden soll. So vollzieht sich in diesem literarischen Genre eine „unerhörte Begebenheit“, ein „überraschender und wohlbegründeter Umschwung des Schicksals“.
Die vorliegenden 30 Novellen (siehe PDF "Giovanni Boccaccio - Das Decamerone (Übersetzung von Klabund)") sind eine Bearbeitung des Stoffes durch KLABUND (d.i. ALFRED HENSCHKE, 1890–1928). Die Kurzinhalte der Novellen ergeben sich aus den Untertiteln:
1. Novelle: Herr Ciappelletto führt durch eine falsche Beichte einen frommen Vater an der Nase herum. Und obwohl er in seinem Leben ein Erzhalunke gewesen, so wird er doch nach seinem Tode für einen Heiligen gehalten und Sankt Ciappelletto genannt.
2. Novelle: Martellino verstellt sich als Krüppel und gibt vor, durch den Leichnam des hl. Heinrich geheilt worden zu sein. Sein Betrug wird entdeckt, er wird geprügelt, wird festgesetzt, und läuft große Gefahr, gehenkt zu werden; kommt aber noch glücklich davon.
3. Novelle: Drei Jünglinge verschwenden das Ihrige und geraten in Armut. Einer ihrer Neffen, der aus Verzweiflung nach Hause zurückkehrt, macht unterwegs mit einem Abt Bekanntschaft, den er hernach für eine Tochter des Königs von England erkennt. Sie vermählt sich mit ihm, ersetzt seinen Oheimen ihren Verlust und verhilft ihnen wieder zum Wohlstand.
4. Novelle: Landofo Rufolo verarmt und wird Seeräuber. Die Genueser nehmen ihn gefangen; er erleidet Schiffbruch und rettet sich auf einem Kasten voll Juwelen, wird in Corfu von einer armen Frau beherbergt und kehrt reich nach Hause zurück.
5. Novelle: Masetto von Lamporecchio stellt sich dumm, wird Gärtner in einem Nonnenkloster, wo die Nönnchen eine nach der andern bei ihm liegen.
6. Novelle: Man gibt dem Ferondo ein Pulver ein und trägt ihn für tot zu Grabe. Ein Abt, der sich inzwischen mit seiner Frau die Zeit vertreibt, nimmt ihn aus dem Sarge und sperrt ihn in einen Kerker, wo man ihm weismacht, daß er sich im Fegefeuer befinde. Nach seiner Wiederauferstehung beschenkt ihn seine Frau durch den Segen des geistlichen Herrn mit einem Sohne, den er ohne Umstände für den seinigen erkennt.
7. Novelle: Alibek wird Einsiedlerin. Der Klausner Rustico lehrt sie, den Teufel in die Hölle zu schicken. Als sie zurückkehrt, wird sie die Frau des Neerbal.
8. Novelle: Bruder Alberto macht einer Frau weis, daß der Engel Gabriel in sie verliebt sei, und stattet unter diesem Vorwande einige Male einen nächtlichen Besuch bei ihr ab. Endlich muß er aus Furcht vor ihren Verwandten durch das Fenster entspringen und nimmt seine Zuflucht zu dem Hause eines armen Mannes. Dieser führt ihn am folgenden Tage unter der Maske eines Wilden nach dem Markusplatz; dort erkennt man ihn, und er wird von seinen Mitbrüdern weggeführt und eingekerkert.
9. Novelle: Andreola liebt den Gabiotto. Sie erzählt ihm einen Traum, den sie gehabt hat, und er sagt ihr wieder, was ihm geträumt habe, worauf er plötzlich in ihren Armen stirbt. Indem sie mit Hilfe ihrer Magd seinen Leichnam nach seinem Hause schaffen will, werden sie beide von der Wache angehalten. Sie erzählt dem Stadtrichter den ganzen Verlauf der Sache und widersteht darauf seinen ungebührlichen Anmutungen. Ihr Vater erfährt ihr Schicksal und bewirkt ihre Befreiung, indem ihre Unschuld erwiesen wird. Sie entsagt darauf allem Umgange mit der Welt und geht in ein Kloster.
10. Novelle: Die Frau eines Wundarztes legt ihren schlaftrunkenen Liebhaber für tot in einen Kasten, den ein paar Wucherer wegstehlen und nach ihrem Hause tragen. Dort kommt er wieder zur Besinnung und wird für einen Dieb gehalten. Die Magd der Frau sagt aber vor Gericht aus, sie selbst habe ihn in den Kasten gelegt, den die Geizhälse gestohlen hätten. Dadurch rettet sie ihn vom Galgen, und die Wucherer werden wegen des gestohlenen Kastens zu einer Geldbuße verdammt.
11. Novelle: Cimon wird durch die Liebe vernünftig; er entführt Iphigenia, seine Geliebte, mit Gewalt auf dem Meere. In Rhodus gerät er in Gefangenschaft, aus welcher Lysimachus ihn befreite und gemeinschaftlich mit ihm Iphigenia und Kassandra an ihrem Hochzeitstage entführt, worauf sie mit ihnen nach Kreta fliehen, sich mit ihren Geliebten vermählen und darauf in Frieden nach Hause berufen werden.
12. Novelle: Riccciardo Manardi wird von Messer Lizio da Valbona bei seiner Tochter im Bette gefunden; er heiratet sie und lebt ferner in Frieden und Freundschaft mit ihrem Vater.
13. Novelle: Theodoro verliebt sich in Violante, die Tochter seines Herrn Messer Amerigo. Sie wird schwanger, und er wird zum Galgen verurteilt. Indem man ihn mit Geißelhieben nach dem Richtplatze führt, erkennt ihn sein Vater; er kommt los und heiratet seine Geliebte.
14. Novelle: Pietro di Vinciolo geht aus zum Abendessen. Seine Frau läßt unterdessen einen jungen Burschen zu sich kommen. Pietro kommt wieder nach Hause und entdeckt die Streiche seiner Frau; weil er aber selbst nicht besser ist als sie, so verträgt er sich mit ihr in Güte.
15. Novelle: Madonna Filippa, die ihr Mann in den Armen ihres Liebhabers überrascht, wird vor Gericht gefordert. Sie rettet sich durch eine dreiste und launige Verantwortung und bringt zugleich die Milderung eines harten Gesetzes zuwege.
16. Novelle: Perronella verbirgt, indem ihr Mann nach Hause kommt, ihren Liebhaber in einem Fasse. Der Mann sagt ihr, er habe das Faß verkauft, und sie erwidert ihm, sie habe es an einen andern noch besser verkauft, der eben hineingekrochen sei, um zu versuchen, ob es wasserdicht sei. Darauf steigt der Liebhaber heraus, befiehlt dem Manne, das Faß rein zu liefern, und nimmt es mit nach Hause.
17. Novelle: Bruder Rinaldo ergötzt sich mit seiner Gevatterin, ihr Mann kommt nach Hause und findet ihn in ihrer Kammer; sie machen ihm aber weis, daß er dem Kinde die Würmer vertreibt.
18. Novelle: Ein Eifersüchtiger verkleidet sich als Priester und hört die Beichte seiner Frau. Sie beichtet ihm, daß sie einen Priester liebt, der sie alle Nächte besucht, und indem der Eifersüchtige deswegen vor seiner Tür Schildwache steht, läßt sie ihren Liebhaber über das Dach zu sich ins Haus kommen.
19. Novelle: Lodovico macht Frau Beatricen eine Liebeserklärung. Sie schickt ihren Mann in ihrer Kleidung in den Garten und läßt den Lodovico unterdessen seinen Platz einnehmen, welcher hernach aufsteht und den Gemahl im Garten verprügelt.
20. Novelle: Lydia, die Gemahlin des Nikostratus, verliebt sich in ihren Diener Pyrrhus. Dieser fordert drei Beweise, um sich davon zu überzeugen. Lydia gibt sie ihm nicht nur, sondern läßt sich auch: in Gegenwart ihres Gemahls von ihm liebkosen und weiß dennoch diesem einzureden, daß er nichts gesehen habe.
21. Novelle: Der Pfarrer zu Vorlungo liegt bei Frau Belcolore und läßt ihr seinen Chorrock zum Pfande. Er borgt hernach von ihr einen Mörser, und als er ihn wiederschickt, läßt er den Chorrock als Unterpfand für den Mörser zurückfordern, und sie gibt ihn mit einer Stichelrede zurück.
22. Novelle: Der Propst zu Fiesole verliebt sich in eine hübsche Witwe, die ihn aber nicht ausstehen kann. Er meint, bei ihr zu schlafen, und liegt bei ihrer Magd, bei welcher ihn auf Anstiften der Brüder der Dame sein Bischof antrifft.
23. Novelle: Ein Student verliebt sich in eine Witwe, welche einen andern Liebhaber hat und ihn im Winter eine ganze Nacht im Schnee zappeln läßt. Dafür bringt er es durch List dahin, daß sie mitten im Sommer einen ganzen Tag auf einem hohen Turme nackend zubringen muß, wo sie den Wespen und Bremsen und der Sonne ausgesetzt ist.
24. Novelle: Spinelloccio schläft bei der Frau seines Nachbarn und Freundes Zeppa. Dieser merkt es und macht, daß seine Frau ihn in eine Kiste einsperren muß, auf welcher er an der Frau des Spinelloccio das Vergeltungsrecht ausübt.
25. Novelle: Eine Äbtissin steht im Finstern eilends auf, um eine ihrer Nonnen mit ihrem Liebhaber zu ertappen. Da sie selbst einen Priester bei sich hat, so wirft sie aus Versehen statt ihre Kappe seine Beinkleider über den Kopf. Als die verklagte Nonne dieses gewahr wird und die Äbtissin aufmerksam darauf macht, rettet sie sich dadurch vor der Strafe und darf ihren Liebhaber ungestört bei sich behalten.
26. Novelle: Doktor Simon muß auf Branos und Baffalmaccos Anstiften dem Calandrino einreden, daß er schwanger ist. Sie lassen sich von ihm Kapaune und Geld geben, um ihm Arznei zu verschaffen, worauf er ohne niederzukommen wieder gesund wird.
27. Novelle: Calandrino verliebt sich in ein Mädchen. Bruno gibt ihm ein Amulett, um sie damit zu berühren, worauf sie ihm nachfolgt; er wird aber, von seiner Frau ertappt, welche darüber großen Lärm und Zank erhebt.
28. Novelle: Ein paar Jünglinge kehren bei einem Bekannten ein. Der eine legt sich in der Nacht zu der Tochter des Wirts, und die Frau desselben steigt unversehens zu dem andern ins Bett. Derjenige, der bei der Tochter geschlafen hat, legt sich hernach zu dem Vater und erzählt ihm alles, indem er meint, mit seinem Kameraden zu sprechen. Sie geraten darüber in Zank; die Frau merkt Unrat, legt sich zu ihrer Tochter ins Bett und macht durch ein kluges Wort alles wieder gut.
29. Novelle: Mithridanes, der im Begriff ist, den Nathan aus Eifersucht über seine Wohltätigkeit umzubringen, trifft ihn an, ohne ihn zu kennen, und erfährt von ihm selbst, wie er ihm am leichtesten beikommen kann. Demzufolge findet er ihn in einem Wäldchen, wird beschämt, indem er ihn erkennt und wird sein Freund.
30. Novelle: Der siegreiche König Karl der Ältere verliebt sich in ein junges Mädchen, schämt sich aber seiner törichten Leidenschaft und vermählt sie und ihre Schwester mit würdigen Männern.
Die PDF "Giovanni Boccaccio - Das Dekameron (Übersetzung von K. Witte)" vereint alle 100 Novellen BOCCACCIOs.
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