„Klingeln, Trommeln, Kuhglocken, Schläge auf den Tisch oder auf leere Kisten [...] erregten rein physisch ein Publikum, das anfänglich völlig benommen hinter seinen Biergläsern saß,“
(Richter, Hans: Dada – Kunst und Antikunst. Köln: DuMont, 1978.)
erinnerte sich HANS RICHTER. Die Aktionen hätten „die wilde Forderung der neuen Sprache in der neuen Form“ belebt.
Verbunden wurden diese Darbietungen mit bildkünstlerischen Arbeiten, wie
Es ging den Dadaisten nicht um Sinn oder Unsinn ihrer Kunst, sie schufen die „Anti-Kunst“.
HANS ARP erläuterte den Zweck von Dada:
„Der Dadaismus hat das Bejahen und Verneinen bis zum Nonsens geführt. Um die Indifferenz zu erreichen, war er destruktiv“
(Arp, Hans; El Lissitzky (Hg.): Die Kunstismen, Erlenbach-Zürich, München, Leipzig: Rentsch, 1925“)
So reagierten sie zeitgemäß auf die Zeitereignisse, z. B. auf den Giftgaskrieg an der deutsch-französischen Front, als zehntausende Soldaten starben. Der nach dem Zweiten Weltkrieg von JOSEPH BEUYS propagierte Gedanke, jeder Mensch sei ein Künstler, nahm hier zum ersten Mal Gestalt an.
HUGO BALLs Gedicht „Karawane“ von 1917 ist ein rein phonetisches Gedicht.
HUGO BALL (1886–1927) gründete 1916 mit EMMY HENNINGS, HANS ARP, RICHARD HUELSENBECK, MARCEL JANCO, SOPHIE TAEUBER-ARP und TRISTAN TZARA das „Cabaret Voltaire“ in Zürich. Ort war die Kneipe „Meierei“ eines gewissen Herrn EPHRAIM in der Spiegelgasse 1.
HUGO BALL plante schon 1915 eine Künstlerkneipe in seiner Exilstadt. Hier sollte es ein Podium für junge Literaten geben:
„Das Prinzip des Kabaretts soll sein, daß bei den täglichen Zusammenkünften musikalische und rezitatorische Vorträge der als Gäste verkehrenden Künstler stattfinden, und es ergeht an die junge Künstlerschaft Zürichs die Einladung, sich ohne Rücksicht auf eine besondere Richtung mit Vorschlägen und Beiträgen einzufinden.“
(Ball, Hugo: Die Flucht aus der Zeit. München und Leipzig: Verlag von Duncker und Humblot, 1927, siehe PDF "Hugo Ball - Die Flucht aus der Zeit")
Im Mai 1916 tauchte erstmals die Vokabel „Dada“ auf und die Protagonisten sinnierten noch Jahre später darüber, wer das Wort erfunden habe. BALL ist der Meinung:
„Im Franzoesischen bedeutets Steckenpferd. Im Deutschen: Addio, steigt mir bitte den Ruecken runter, auf Wiedersehen ein ander Mal! Im Rumaenischen: 'Ja wahrhaftig, Sie haben Recht, so ist es. Jawohl, wirklich. Machen wir'. Und so weiter.“ (BALL, PDF "Hugo Ball - Eröffnungs-Manifest, 1. Dada-Abend")
RICHARD HUELSENBECK erinnert sich:
„Das Wort Dada wurde von Hugo Ball und mir zufällig in einem deutsch-französischen Diktionär entdeckt, als wir einen Namen für Madame le Roy, die Sängerin unseres Cabarets, suchten. Dada bedeutet im Französischen Holzpferdchen.“
(Huelsenbeck, Richard: En avant Dada, Geschichte des Dadaismus. Hannover – Leipzig – Wien – Zürich: Paul Steegemann,1920.)
Im Frühjahr 1916 allerdings gab er zu:
„Dada wurde in einem Lexikon gefunden, es bedeutet nichts. Dies ist das bedeutende Nichts, an dem nichts etwas bedeutet. Wir wollen die Welt mit Nichts ändern...“
(Huelsenbeck: Richard: Erklärung, im Zürcher "Cabaret Voltaire", Frühjahr 1916)
Andere Dadaisten vermuteten, das Wort sei der Kleinkindersprache entlehnt, MARCEL JANCO äußerte sogar, ein Haarwaschmittel hätte der Bewegung den Namen gegeben. Dies wäre eine Analogie zu den MERZ-Gedichten KURT SCHWITTERS’, der das Wortteil aus dem Wort COMMERZ ausgeschnitten hatte.
Im Sommer 1916 wurde das „Cabaret Voltaire“ geschlossen. Endgültig verabschiedeten sich die Dadaisten im November 1919 in „Der Zeltweg“. Dada verbreitete sich nach dem Ersten Weltkrieg auch in Deutschland: Es entstand der DadaClub in Berlin mit
in Köln mit
einzig KURT SCHWITTERS blieb in Hannover ein einsamer Streiter.
In Frankreich wurde Paris zu einem Dada-Zentrum.
provozierten einige Kunstskandale. Auch WALTER SERNER stieß zur Gruppe, sein Manifest „Letzte Lockerung: Manifest Dada“ (1918) verführte jedoch TZARA zu der Äußerung, SERNER sei ein „größenwahnsinniger Außenseiter“.
Als TRISTAN TZARA 1919 nach Paris kam, nahm er an Dada-Veranstaltungen seiner Freunde teil. 1927 erinnerte er sich, das Publikum warf
„auf die Bühne nicht nur Eier, Salatköpfe und Kleingeld, sondern auch Beefsteaks. Das war ein sehr grosser Erfolg, das Publikum war sehr dada.“
(In: Der Querschnitt - Das Magazin der aktuellen Ewigkeiswerte, Februar 1927)
HUGO BALLs Lautgedicht „Katzen und Pfauen“ lässt das poetische Prinzip von Dada ahnen:
Katzen und Pfauen
baubo sbugi ninga gloffa
siwi faffa
sbugi faffa
olofa falamo
faufo halja finj
sirgi ninga banja sbugi
halja hanja golga biddim
mâ mâ
piaûpa
mjâma
pawapa baungo sbugi
ninga
gloffalor
(Ball, Hugo: Gesammelte Gedichte. Zürich: Arche, 1963, S. 25)
Dies widersprach dem an klassisches Material gewöhnten Hörgewohnheiten des humanistisch gebildeten Bourgois. Sein Protest war ernst gemeint.
Viele französische Dadaisten wurden später als Surrealisten bekannt.
Das Züricher „Komitee Pro-Dada-Haus“ ergriff 2002 die Initiative und wollte in der Spiegelgasse 1, am historischen Ort also, ein Dada-Haus eröffnen. Im seit dem Mittelalter sogenannten „Haus zur Weissen Lilie“ befindet sich nunmehr wieder ein Cabaret Voltaire.
DADA war nach 1919 auch nach Amerika übergeschwappt. Zentrum war hier New York, wohin wohl MARCEL DUCHAMP die Dada-Bewegung brachte, als er 1917 in einem dortigen Kaufhaus ein Urinal kaufte, um es als Kunstwerk unter dem Namen „Fountain“ auszuzstellen. Das provozierte einen Kunstskandal. Weiterer wichtiger Vertreter der Dada-Bewegung war der Fotograf MAN RAY, der DUCHAMP 1915 kennengelernt hatte.
Eine Art Fortsetzer findet DADA an der Westküste der USA. In Los Angeles wirbt das dortige „Cabaret Voltaire“ mit folgender Ankündigung:
„Music, Theater and Arts in Los Angeles: CABARET VOLTAIRE is a non-profit avant-garde organization in Los Angeles, dedicated to maintaining the artistic integrity, passion and innovation that happened in Zurich Dada 1916. Our Voltaire is known for intelligent evenings born through a cross-pollination of creative energies”
(Quelle: Webseite des „Cabaret Voltaire“, Los Angeles)
HUGO BALLs Roman „Flametti oder Vom Dandysmus der Armen“ (siehe PDF "Hugo Ball - Flametti oder Vom Dandysmus der Armen") schildert die Zeit in Zürich zwischen Oktober und Dezember 1915, als er im „Varieté Maxim“ als Klavierspieler und Texter des „Flamingo“-Ensembles arbeitete. Die Soubrette Laura ist ein Abbild seiner Lebensgefährtin EMMY HENNINGS, und in dem Pianisten Meyer darf der geneigte Leser den Autor selbst vermuten. 1915 schrieb BALL in einem Brief: „Ich bin Artist, Kapellmeister, Redakteur, alles mögliche zu gleicher Zeit“. Diese Zeit wurde für ihn zu einem bleibenden Erlebnis. Aus ihm speist der Gedanke, selbst ein Cabaret zu gründen. Diesen Wunsch erfüllte sich BALL dann schon einige Monate später mit dem „Cabaret Voltaire“
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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