- Lexikon
- Deutsch Abitur
- 4 Literaturgeschichte
- 4.8 Literatur des 19. Jahrhunderts
- 4.8.6 Poetischer Realismus
- Conrad Ferdinand Meyer
CONRAD FERDINAND MEYER entstammte einer Züricher Patrizierfamilie; Autodidakt, von umfassender Bildung, materiell unabhängig. Er wuchs teilweise in Lausanne auf, wo er Französisch lernte.
Sein Vater verstarb früh, 1856 beging die Mutter Selbstmord. MEYER begann zunächst ein Jurastudium, wollte dann Maler werden, doch verhinderte ein (seit 1852 auch offen zutage tretendes) Nervenleiden jede weitere Ausbildung. Zahlreiche Reisen, dann Aufenthalte in München und Rom führten zur Bewunderung der italienischen, spanischen und niederländischen Malerei des 16./17. Jahrhunderts, insbesondere MICHELANGELOs. Die Kultur der Renaissance wurde zu seinem Lebensideal, worin ihn JACOB BURCKHARDT (1818–1897) bestärkte.
Erst 1860 entschied er sich dafür, Schriftsteller zu werden, wobei er anfangs zwischen der deutschen und der französischen Sprache schwankte. Die Entscheidung für das Deutsche wurde wahrscheinlich von seiner Übersetzertätigkeit während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 beeinflusst, wohl auch von der Reichsgründung, die er begrüßte. Bis zum nicht mehr heilbaren Ausbruch der psychischen Krankheit (ab 1891/92) schuf er in konzentrierter Produktivität ein Werk, das ihn neben JEREMIAS GOTTHELF und GOTTFRIED KELLER zum bedeutendsten Vertreter der deutschsprachigen Literatur der Schweiz im 19. Jahrhundert werden ließ. MEYER schrieb v. a. historische Erzählungen und Novellen; Stoffe aus dem zeitgenössischen Alltag lehnte er ab. Das Geschichtsbild, das sein Werk bestimmt, ist dem zeitgenössischen Renaissancekult verpflichtet:
Die Renaissance verkörperte Lebenskraft und Lebensfreude, die überlegene, außergewöhnliche Persönlichkeiten hervorbringt, bei MEYER deutlich in dem Roman „Georg Jenatsch“ (1876, ab 1882 unter dem Titel „Jürg Jenatsch“) oder in der Novelle „Die Richterin“ (1885, siehe PDF "Conrad Ferdinand Meyer - Die Richterin").
Meyer bildete dabei einen sublimen Psychologismus aus, der Geschehen und Taten, Entwicklungen und Entscheidungen zuweilen bewusst im Zwielicht ließ („Die Versuchung des Pescara“, 1887; „Angela Borgia“, 1891). Dazu bediente er sich häufig und immer kunstvoller der Form der Rahmenerzählung („Der Heilige“, 1880; „Die Hochzeit des Mönchs“, 1884).
War MEYER früher in erster Linie als Prosa- und Versepiker geschätzt, dann namentlich von HUGO VON HOFMANNSTHAL zum Historisten des Neobarock („Makart-Zeit“) erklärt worden, so wird er heute als Vorläufer des lyrischen Symbolismus gesehen. Seinen literarischen Ruf zu Lebzeiten verdankte er dem Versepos „Huttens letzte Tage“ (1871) und dessen Pendant „Engelberg“ (1872). Auch zwei komische Renaissancenovellen, im Wetteifer mit GOTTFRIED KELLER entstanden, finden sich unter MEYERs Arbeiten: „Der Schuß von der Kanzel“ (1877, siehe PDF "Conrad Ferdinand Meyer - Der Schuß von der Kanzel") und „Plautus im Nonnenkloster“ (1882).
Neben den Werken um gewalttätige, vitale, bedenkenlose, doch geistig immer bedeutende Helden stehen Erzählungen wie „Das Amulett“ (1873), „Gustav Adolfs Page“ (1882, siehe PDF "Conrad Ferdinand Meyer - Gustav Adolfs Page") und „Das Leiden eines Knaben“ (1883, siehe PDF "Conrad Ferdianand Meyer - Das Leiden eines Knaben"), in denen MEYER seinen Psychologismus auf jugendliche Gestalten überträgt. Am Drama hat sich MEYER erfolglos versucht, es blieb bei Fragmenten.
Eine eigene Form dagegen fand er in der Lyrik (siehe PDF "Conrad Ferdinand Meyer - Gedichte"). Aus harter, um jedes Wort ringender Arbeit gingen nach zahlreichen Vorfassungen vollendete Symbolgedichte wie „Der römische Brunnen“ (Audio 1), „Eingelegte Ruder“ (Audio 2) oder „Zwei Segel“ hervor, Kurzgedichte von scheinbar müheloser Konzentriertheit.
Der römische Brunnen
Aufsteigt der Strahl, und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
und strömt und ruht.
(vgl. PDF "Conrad Ferdinand Meyer - Gedichte")Zwei Segel
Zwei Segel erhellend
Die tiefblaue Bucht!
Zwei Segel sich schwellend
Zu ruhiger Flucht!Wie eins in den Winden
Sich wölbt und bewegt
Wird auch das Empfinden
Des andern erregt.Begehrt eins zu hasten
Das andre geht schnell,
Verlangt eins zu rasten,
Ruht auch sein Gesell.
(vgl. PDF "Conrad Ferdinand Meyer - Gedichte")
Eingelegte Ruder
Meine eingelegten Ruder triefen,
Tropfen fallen langsam in die Tiefen.Nichts, das mich verdroß! Nichts das mich freute
Niederrinnt ein schmerzenloses Heute!Unter mir - ach, aus dem Licht verschwunden -
Träumen schon die schönern meiner Stunden.Aus der blauen Tiefe ruft das Gestern:
Sind im Licht noch manche meiner Schwestern?
(vgl. PDF "Conrad Ferdinand Meyer - Gedichte")
Unterschiedliche Entwicklungsstufen zeigen die „Balladen“ (1867) und die „Romanzen und Bilder“ (1871), die noch weit entfernt sind von der Bedeutung MEYERs späterer Balladen mit antiken, mittelalterlichen, Renaissance- und Reformationsstoffen („Gedichte“, endgültige Fassung ab der 5. Auflage 1892).
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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