- Lexikon
- Deutsch Abitur
- 4 Literaturgeschichte
- 4.9 Literatur von 1900 bis 1945
- 4.9.4 Arbeiterliteratur
- Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller und Parteiliteratur
Zunehmend ordnete die KPD ab 1920 die Literatur dem Klassenkampf-Gedanken unter, bei dem der Kampf des Proletariats (Arbeiterklasse) gegen die Klasse der Kapitalisten zur Hauptstrategie erklärt wurde. Ziel dieses Klassenkampfes sollte die proletarische (Welt-)Revolution sein, dh., die Übernahme der staatlichen Macht durch das Proletariat. Jedes Mitglied der KPD sollte dieser Leitlinie folgen. Je stärker nach LENINs Tod (1924) STALINs Kommunismus-Auffassungen auch in Deutschland griffen, spätestens seit dem Vorsitz ERNST THÄLMANNs (1925) wurde dessen Pragmatismus innerhalb der KPD umgesetzt.
1924 gründeten KPD-Mitglieder die „Organisation der Arbeiterkorrespondenten“, die 1928 in dem „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“ (BPRS) aufging. Ihm gehörten u. a. an:
Der BPRS verfolgte u. a. das Ziel, den Klassenkampfgedanken in die Arbeiterklasse zu tragen.
Organ des BPRS wurde 1929 „Die Linkskurve“, die eher eine politische Zeitung mit literarischen Texten als eine rein literarische Zeitschrift war. Ende 1932 stellte sie ihr Erscheinen ein.
Einige der BPRS-Gründer hatten bereits Funktionen innerhalb der KPD inne. ALEXANDER ABUSCH und WILLI MÜNZENBERG waren ZK-Mitglieder der KPD. WILLI BREDEL war Chefredakteur einer KPD-Zeitung.
Die bedeutendsten Schriftsteller des Bundes kamen jedoch nicht aus dem Proletariat, sondern aus dem Bürgertum. LUDWIG RENN (eigentlich ARNOLD FRIEDRICH VIETH VON GOLSSENAU) entstammte sogar dem Adel. ANNA SEGHERS stammte aus einem begüterten Hause. Ihre frühe Erzählungen „Grubetsch“ (1927) und „Die Ziegler“ (1927), schildern bereits die Not des Proletariats vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise.1928 erschien ihr erstes Buch, „Aufstand der Fischer von St.Barbara“, wofür ihr (mit „Grubetsch“) der Kleist-Preis verliehen wurde.
Bezeichnend für die Haltung der Autoren des BPRS ist die Rede FRIEDRICH WOLFs „Kunst ist Waffe“ (1928), in der er Literatur auch als Mittel der politischen Auseinandersetzung auffasste (In seinen Stücken „Cyankali. § 218“, 1929, und „Die Matrosen von Cattaro“, 1930, setzte WOLF seine theoretischen Überlegungen um).
Nach dem VI. Weltkongress der Kommunistischen Internationale (KOMINTERN), der Juli/August 1928 stattfand, war eine Zusammenarbeit mit linksbürgerlichen und sozialdemokratischen Autoren nicht mehr möglich. Stattdessen wurde der proletarische Schriftsteller zum Parteiarbeiter. In der „Linkskurve“ heißt es dazu: der
„einzig mögliche Platz für den Schriftsteller, ... (ist) die Kommunistische Partei. Steuert er nicht zu ihr, dann wandert er ins Vergangene, ins Abgestorbene, ins Zerfallene“.
(In: Die Linkskurve, Jg. 1 [1929], H. 3, S. 3, S. 29)
Zwar ging der Gedanke der „Parteiliteratur“ ursprünglich auf LENIN zurück, jedoch bewirkte die zunehmende Stalinisierung der KPD, dass der Führungsanspruch der Partei zum Götzen erhoben wurde („Die Partei hat immer recht“).
Auch die Sozialfaschismus-Theorie (Sozialdemokraten als Steigbügelhalter des Faschismus) bzw. ihr sozialdemokratisches Pendant (KPD als Kollaborateur des Nationalsozialismus) erschwerten ein Zusammengehen zwischen kommunistischen und sozialdemokratischen Autoren.
ERICH WEINERT, aus dem Bürgertum stammend, absolvierte eine Schlosser- und Dreherlehre und war in den Zwanzigerjahren Mitarbeiter u. a. an der „Weltbühne“, beim „Simplizissimus“ und beim „Eulenspiegel“. Er widmete sich vor allem satirischer Lyrik. Von ihm stammt das in den 1920er-Jahren sehr populäre „Lied vom roten Wedding“.
WEINERT arbeitete zunächst im Leipziger Kabarett „Retorte“ (1922), 1923 im Berliner Kabarett „KüKa“ (Künstler-Kabarett) sowie mit seinem Verleger LEON HIRSCH am Kabarett „Die Wespen“, dort u. a. mit ERICH KÄSTNER zusammen. Vor Tausenden von Zuschauern trat er im Sportpalast auf. Sein Einfluss erschien den Richtern der Weimarer Republik so mächtig, dass er Redeverbot erhielt. Neben satirischen Gedichten verfasste Weinert agitatorische Lyrik („An einen deutschen Arbeiterjungen“).
Staatliche Regression und Zensur: Nach der Ermordung des deutschen Außenministers WALTHER RATHENAU wurde 1922 das „Gesetz zum Schutz der Republik“ erlassen, das sich zwar gegen die nationale Rechte richtete, jedoch de facto gegen liberale, linksbürgerliche, sozialistische und kommunistische Schriftsteller angewendet wurde. Angewendet wurde das Gesetz u. a. gegen „Die Mutter“ und „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“ von BERTOLT BRECHT, aber auch die Autoren selbst wurden gemaßregelt.
WILLI BREDEL (1901–1965) der aus einer Hamburger Arbeiterfamilie stammte und seine Teilnahme am Hamburger Aufstand 1923 in „Maschinenfabrik N. & K. – Roman aus dem proletarischen Alltag“ (1930) schilderte, wurde 1930 wegen angeblicher Vorbereitung von Hoch- und Landesverrat zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt.
Auch den Chefredakteur der „Weltbühne“ CARL VON OSSIETZKY (1889–1938) ereilte nach einer Verschärfung der Pressegesetze in der sogenannten „Pressenotverordnung“ 1931 ein ähnliches Schicksal. Er wurde wegen angeblichen „Verrats militärischer Geheimnisse“ zu 18 Monaten Haft verurteilt. ERNST TOLLER verbüßte von 1919 bis 1924 eine Gefängnisstrafe wegen seiner Teilnahme an der Münchener Räterepublik.
Arbeiterreportage: In den Zwanzigerjahren gab es eine Vielzahl periodisch erscheinender Zeitschriften. Linksbürgerliche Periodika waren die „Schaubühne“, die spätere „Die Weltbühne“ von SIEGFRIED JACOBSOHN (1881–1926) bzw. CARL VON OSSIETZKY (siehe PDF). KURT TUCHOLSKY schrieb u. a. als PETER PANTER in der seit 1928 erschienen sowohl für „Die Weltbühne“ als auch für das neue Blatt „Tempo“.
WILLI MÜNZENBERG (1889–1940) gab die „Arbeiter-Illustrierte-Zeitung“ (AIZ) heraus. In wenigen Jahren gründete er relativ unabhänig von der kommunistischen Parteipresse mehrere Tages- und Wochenzeitungen, u. a. „Welt am Abend“ und „Berlin am Morgen“.
ERICH MÜHSAM, KURT HILLER, ALFONS GOLDSCHMIDT, ERNST TOLLER, F(RANZ) C(ARL) WEISKOPF (1900–1955) und JOHANNES R. BECHER schrieben für das Blatt Beiträge. Die genannten Autoren hatten bereits als Schriftsteller für Aufmerksamkeit gesorgt und versuchten sich nun im Bereich des Journalismus. Gerade bei der Mitarbeit am „Berlin am Morgen“ ging es um Vermittlung zwischen Arbeiterbewegung und linksbürgerlichen Intellektuellen.
Das Organ der KPD war „Die Rote Fahne“. Der Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller nannte seine Zeitung „Die Linkskurve“. Das Genre der Reportage diente innerhalb der KPD vor allem dem Aufdecken von Missständen und der Dokumentation von politischen Geschehnissen.
Der Sohn eines Tuchhändlers EGON ERWIN KISCH (1885–1948) wurde wie RILKE und KAFKA in Prag geboren. Er gilt als Schöpfer und Meister der literarischen Reportage. Seine Reisen führten ihn nach Afrika, China, Australien, in die USA und die Sowjetunion. Der Buchtitel „Der rasende Reporter“ wurde zum Synonym für ihn selbt. Anfänglich der Überzeugung, Reportagen müssten sich als neutrale Tatsachenberichte verstehen, entwickelte KISCH mehr und mehr eine Reportage als revolutionäres Kampfmittel. Anfänglich schrieb er erfolgreich für die „Arbeiter-Illustrierte-Zeitung“.
Als Journalisten versuchten sich auch andere Mitglieder des BPRS:
Welch einen Stellenwert die Arbeiterreportage hatte, wird im folgenden Zitat aus der „Linkskurve“ deutlich:
„Ein ungelenker Bericht über einen Streik für die Betriebszeitung kann für den Klassenkampf nützlicher sein als ein Meisterwerk der proletarischen Literatur.“
(In: Die Linkskurve. Jg. 2, H. 3, S. 11 f.) .
Die Tradition der Arbeiterliteratur wurde in der DDR mit der durch OTTO GOTSCHE (1904–1985) angeregten „Bitterfelder Konferenz“ und dem sich daraus entwickelnden „Bitterfelder Weg“ und in der BRD mit der „Gruppe 61“ (MAX VON DER GRÜN) und dem daraus hervorgegangenen „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ (GÜNTER WALLRAFF) fortgesetzt.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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