Die genaue Lebensgeschichte ANAKREONs ist praktisch unbekannt. Er soll um 572 v. Chr. in Teos (Ionien) geboren sein. Nachdem die Perser in Griechenland vorgerückt waren, lebte er ab 545 v. Chr. für viele Jahre auf der Insel Samos am prunkvollen Hof des Tyrannen POLYKRATES, ging später nach dessen Ermordung auf Einladung des kunstsinnigen Herrschers HIPPARCHOS, Sohn des PEISISTRATOS, nach Athen und schließlich wahrscheinlich nach Thessalien. ANAKREON soll um 488 v. Chr. gestorben sein (nach anderen Angaben lebte er von etwa 563–478 bzw. 580–495 v. Chr.).
Das literarische Werk ANAKREONs umfasst heiter-graziöse Verse und Kurzgedichte. Stark beeinflusst von SAPPHO, nutzte auch er eine sehr schlichte und klare Sprache. ANAKREON schrieb vor allem Lieder, aber auch Oden, Jambendichtungen (von griech. Jambus; ein Versfuß aus einer kurzen, unbetonten und einer langen, betonten Silbe), Elegien (griech.-lat. : wehmütiges Gedicht, Klagelied) und Epigramme (kurze Sinn- oder Spottgedichte). Sein Werk ist leider nur noch in Fragmenten erhalten.
Zwischen 1739 und 1742 wurden von NIKOLAUS GÖTZ und JOHANN PETER UZ die sogenannten Anakreonteen übersetzt, in byzantinischer Zeit entstandene epigonale Nachdichtungen von ANAKREONs Werk, eine Sammlung von insgesamt 60 Gedichten, die lange fälschlicherweise ANAKREON zugeschrieben wurden. Einige der Lieder ANAKREONs wurden 1864 von EDUARD MÖRIKE ins Deutsche übertragen.
Die Lieder ANAKREONs preisen Eros, die Frauen- und Knabenliebe, den Wein, den Rausch und die heitere Geselligkeit; sie besingen also vor allem den Genuss des Augenblicks. Sie beeinflussten viele nachfolgende Dichter, so u. a. HORAZ, der seine Oden „Carmina“ formal nach den Vorbildern ANAKREONs (sowie ALKAIOS', PINDARs und SAPPHOs) verfasste und in ihnen ebenfalls Werte wie Liebe, Freundschaft, Wein und andere Lebensfreuden pries.
Die spielerisch-eleganten Lieder ANAKREONs gaben einer europäischen Richtung der Lyrik im Rokoko (nach 1740) den Namen, die von der modernen Literaturwissenschaft als Anakreontik bezeichnet wird, heute bekannter als ANAKREON selbst ist und deren Auswirkungen bis in die Neuzeit reichen.
Der literarische Rokoko kultivierte praktisch die antike Anakreontik. So besangen z. B. FRIEDRICH VON HAGEDORN, JOHANN GEORG JACOBI und der Zweite Hallesche Dichterkreis (anakreontischer Dichterkreis) um JOHANN PETER UZ, JOHANN NIKOLAUS GÖTZ und JOHANN WILHELM LUDWIG GLEIM in ihren Gedichten das Leben und seine Freuden, indem sie Wein und Geselligkeit priesen und eine poetische Schäferlandschaft zeichneten. Dabei waren UZ und GLEIM die angesehensten und künstlerisch bedeutendsten Vertreter der deutschen Anakreontik; der von ihnen in Halle ins Leben gerufene anakreontische Dichterkreis wird auch als die Wiege der deutschen Anakreontik angesehen.
Auch andere deutsche Dichter waren zumindest zeitweise und z. T. begeisterte Anhänger der Anakreontik, so u. a. FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK, MATTHIAS CLAUDIUS, FRIEDRICH SCHILLER, JOHANN WOLFGANG VON GOETHE, und GOTTHOLD EPHRAIM LESSING. Diese Begeisterung kam entsprechend in der Form ihrer Gedichte zum Ausdruck, wobei hier interessante „Verwandtschaftsverhältnisse“ sichtbar werden. So war für die Lyriker des 18. Jahrhunderts (Zeitalter der Aufklärung) insbesondere das französische heitere Lied Vorbild, für WILHELM LUDWIG GLEIM beispielsweise waren es die anakreontischen Gedichte von FRIEDRICH VON HAGEDORN.
Stand: 2010
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