Viele Feststoffe – Elemente und Verbindungen – können bei gleicher Summenformel in einer unterschiedlichen Struktur kristallisieren. Jede einzelne dieser verschiedenen Zustandsformen bezeichnet man als Modifikation, die Erscheinung selbst als Allotropie oder Polymorphie. Aufgrund der unterschiedlichen Struktur weist jede Modifikation andere Eigenschaften auf.
Eine ähnliche Erscheinung kennt man u. a. aus der organischen Chemie, wo Moleküle gleicher Summenformel aber unterschiedlicher Struktur als Isomere bezeichnet werden. Die einzelnen Isomere haben ebenfalls unterschiedliche Eigenschaften.
Der Begriff Modifikation bezieht sich im Unterschied zur Isomerie nicht auf einzelne Moleküle oder Ionen, sondern auf dreidimensionale Gitterstrukturen von Feststoffen.
Im Fall des Elements Kohlenstoff bedeutet das, dass verschiedene Strukturen möglich sind, die ausschließlich aus Kohlenstoffatomen bestehen. Seit langem bekannt sind Grafit und Diamant (Bild 1). Aufgrund der unterschiedlichen Struktur ist Kohlenstoff in Form von Diamant ein außerordentlich harter, elektrisch isolierender Stoff, während Grafit weich und schwarz ist und wegen seiner elektrischen Leitfähigkeit sogar als Elektrodenmaterial eingesetzt werden kann.
Eigenschaften der Modifikationen des Kohlenstoffs | ||
Diamant | Grafit | Fulleren (60) |
farblos, kristallin, durchsichtig, stark lichtbrechend, sehr hart, nicht elektrisch leitfähig | grauschwarz, blättrig, metallisch glänzend, sehr weich, parallel zu den Schichten elektrisch leitfähig | dunkelbraun, pulverförmig, geringere Dichte als Diamant und Grafit, nicht elektrisch leitfähig |
Erst 1985 wurden Fullerene entdeckt und als Kohlenstoffmodifikation erkannt. Die kugelförmigen Kohlenstoffmoleküle sind relativ stabil und und bestehen meistens aus 60 Kohlenstoffatomen. Die interessanten Eigenschaften der Fullerene lassen die Wissenschaftler von neuen innovativen Anwendungen träumen, von denen vermutlich nur wenige realisiert werden können, da die Herstellung der Fullerene einfach zu teuer ist.
Modifikationen des Kohlenstoffs
Trotzdem setzte eine intensive Suche nach weiteren Erscheinungsformen des Kohlenstoffs ein, die in den 90er Jahren auch von Erfolg gekrönt war. Der Japaner SUMIO IDIJAMA entdeckte bei Untersuchungen zur Synthese von Fullerenen im elektrischen Lichtbogen winzige zylinderförmige Röhrchen, die ebenfalls nur aus Kohlenstoffatomen bestehen. Mit seinem hoch auflösenden Elektronenmikroskop fand er an der Grafitkatode des Lichtbogens Ablagerungen, deren Erscheinungsform sich geringfügig von der des Grafits und der Struktur der Fullerene unterschied.
Die genaue Analyse zeigte, dass es sich bei den Röhrchen tatsächlich um Makromoleküle aus Kohlenstoffatomen handelte. Da die Röhren nur ca. 1 nm dick und bis 100 µm lang sind, nannte man sie Nanotubes (Nanoröhren). Dabei sind die Kohlenstoffatome ausschließlich zu miteinander gleichmäßigen Sechsecken verknüpft und ähneln in ihrer Struktur dem Grafit. Der Unterschied besteht darin, dass im Grafit viele ebene Schichten übereinander angeordnet sind, während in den Nanotubes eine oder nur wenige derartige Schichten zu einem Zylinder aufgerollt wurden.
Aufgrund dieser großen Übereinstimmung sind sich die Strukturchemiker nicht einig, ob es sich bei den Nanotubes um eine vierte Modifikation des Kohlenstoffs handelt. Die Mehrheit der Wissenschaftler lehnt diese Bezeichnung ab. Ähnlich verhält es sich beim Ruß, der ebenfalls aus fast reinem Kohlenstoff besteht und in grafitähnlichen aber nicht identischen Strukturen kristallisiert.
Ungeachtet dieser wissenschaftlichen Feinheiten verspricht man sich jedoch von den Nanotubes eine Reihe innovativer Anwendungsmöglichkeiten, speziell in einer der modernen Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts, der Nanotechnologie.
Voraussetzung dafür ist, dass inzwischen die Synthese der sogenannter einschichtiger Nanotubes (SWTs, single-walled nanotubes) sicher beherrscht wird. Dazu nutzt man Lasertechniken und andere Verfahren, die auch zur Synthese der Fullerene eingesetzt werden.
Die physikalischen und chemischen Eigenschaften einschichtiger Nanotubes sind theoretisch weitgehend vorhersagbar. So hatte man erwartet, dass die Röhrchen den elektrischen Strom leiten würden, und zwar je nach Durchmesser und Gitterstruktur wie ein metallischer Leiter oder wie ein Halbleiter. Praktische Versuche ergaben interessante Möglichkeiten, mit Nanotubes leitende Verbindungen zwischen Mikrostrukturen herzustellen. Auf diese Weise erhält man monomolekulare Transistoren, die extrem klein sind und für vielfältige Anwendungen in der Medizin und in der Elektronik geeignet sind.
Eine weitere reizvolle Anwendungsmöglichkeit besteht darin, die zunächst geschlossenen Röhrenstrukturen durch chemische Behandlung (z. B. mit konzentrierter Salzsäure) zu öffnen und mit bestimmten Molekülen zu füllen. Bisher ist es vor allem gelungen, Kristalle in den Nanotubes unterzubringen, aber man hofft darauf, auch Enzyme und andere Biomoleküle darin einschließen zu können. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten für die Steuerung enzymatischer Prozesse in der Biochemie.
Außerdem erlauben die speziellen Filter- und Adsorptionseigenschaften der Miniröhrchen verschiedene Anwendungen in der Technik . So hofft man beispielsweise, dass in den Nanotubes in größerem Umfang Wasserstoffmoleküle gespeichert werden können. Der Wasserstoff wäre dann bei weitem nicht so flüchtig und sicherer handhabbar als flüssiger oder komprimierter Wasserstoff, der selbst aus geschlossenen Tanks entweicht.
Es könnte mithilfe der Nanotubes gelingen, relativ große Wasserstoffmengen in kleinen Tanks und unter geringem Druck zu speichern, sowie den „eingeschlossenen“ Wasserstoff als Kraftstoff in Fahrzeugen, zu transportieren.
Eine weitere faszinierende Eigenschaft der Nanotubes ist ihre große chemische und mechanische Stabilität. Wenn es gelingt lange, faserartige Röhren herzustellen und zu bündeln, können daraus extrem stabile Carbonfasern geformt werden.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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