Die ältesten Verfahren der Chloralkali-Elektrolyse sind das Diaphragma-Verfahren und das Amalgamverfahren, sie wurden beide bereits Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt. Die dritte Variante, der Membranprozess, wurde erst um das Jahr 1970 technisch realisiert. Obwohl prinzipiell dieselben Endprodukte hergestellt werden, laufen bei den einzelnen Verfahren zum Teil verschiedene Elektrodenreaktionen ab, woraus sich ein unterschiedlich hoher Energieaufwand für die Elektrolyse ergibt.
Elektrodenprozesse und Überspannungen
1. Katode:
Elektrolysiert man eine wässrige Lösung von Natriumchlorid, so können an der Katode theoretisch Wasserstoff oder Natrium abgeschieden werden.
Das Standardredoxpotenzial für die Wasserstoffabscheidung ist weniger negativ als das für die Abscheidung von Natrium, daher sollte in wässriger Lösung unabhängig vom pH-Wert Wasserstoff gebildet werden (Gleichungen 1 bzw. 2).
Die Standardredoxpotenziale beschreiben jedoch nur die thermodynamischen Gegebenheiten. Wie alle chemischen Reaktionen haben aber auch elektrochemische Reaktionen eine Aktivierungsenergie und damit einen kinetischen Aspekt. Die Aktivierungsenergie macht sich im Auftreten einer sogenannten Überspannung bemerkbar, die über das Standardredoxpotenzial hinaus angelegt werden muss, damit die Elektrodenreaktion tatsächlich ablaufen kann. Das Potenzial, bei dem sich ein Produkt an der Elektrode abscheidet, ergibt sich folglich aus dem Redoxpotenzial E und dem Überspannungseffekt .
Die Größe der Überspannung hängt u. a. stark vom Elektrodenmaterial ab. Beispielsweise ist die Überspannung für die Abscheidung von Wasserstoff an sogenanntem platinierten Platin, d. h. Platin, das mit feinverteiltem Platin bedeckt ist, nur 0,02 V, an Quecksilber hingegen beträgt sie 1,0 bis 1,2 V.
Beim Diaphragma- und dem Membranverfahren verwendet man eine Eisen- oder Nickelkatode, an der die Überspannung von Wasserstoff einen Wert von 0,4 bis 0,8 V hat. Hier wird gemäß Gleichung 1 bzw. 2 Wasserstoff abgeschieden.
Beim Amalgam-Verfahren hingegen wird als Katodenmaterial Quecksilber eingesetzt. Durch die hohe Überspannung, die hier auftritt, wird das Potenzial für die Wasserstoffabscheidung sehr stark negativ verschoben und die Wasserstoffbildung somit erschwert.
Hinzu kommt, dass sich, wenn Natrium an Quecksilber abgeschieden wird, eine Legierung bildet, das Natriumamalgam. Dadurch wird zusätzlich das Potenzial für die Natriumabscheidung positiv verschoben:
Insgesamt ist folglich das Potenzial für die Abscheidung von Natrium an Quecksilber positiver als für die Wasserstoffabscheidung, sodass beim Amalgamverfahren Natrium gebildet wird.
2. Anode:
Betrachtet man die möglichen Prozesse an der Anode, so können dort theoretisch Sauerstoff oder Chlor abgeschieden werden.
Die Redoxpotenziale für Reaktion (6), die den Bedingungen bei der Elektrolyse entspricht, und für Reaktion (8) sind nahezu gleich. Damit sollten sowohl Chlor als auch Sauerstoff nebeneinander gebildet werden. Das Abscheidepotenzial für Sauerstoff wird aber durch Überspannungseffekte stärker ins Positive verschoben, als das bei Chlor der Fall ist. So betragen z. B. die praktischen Abscheidepotenziale an einer Grafitelektrode für Sauerstoff 1,91 V und für Chlor 1,68 V. Daher wird in der Praxis bei der Elektrolyse Chlor abgeschieden, das je nach Verfahren bis zu 2% Sauerstoff als Verunreinigung enthalten kann. Für besondere Anwendungen muss dieses Produktgemisch einer speziellen Chlorreinigung unterzogen werden.
Die gleichzeitige Bildung von Chlor und Wasserstoff beim Diaphragma- und beim Membranverfahren erfordert eine strikte Trennung von Anoden- und Katodenraum. Dies ist notwendig, damit und sich nicht vermischen können, denn die Mischung, die auch Chlor-Knallgas genannt wird, reagiert explosionsartig zu Chlorwasserstoff. Weiterhin ist auch die Vermischung von Chlor mit den gebildeten Hydroxid-Ionen unerwünscht, da diese miteinander zu Hypochlorit reagieren.