- Lexikon
- Chemie Abitur
- 10 Anwendungen der Chemie
- 10.1 Werkstoffe
- 10.1.1 Aufbau und Bildung synthetischer organischer Polymere
- Reaktive Polymere – ungesättigte Polyester und lebende Polymere
Am wirtschaftlichsten gelingt dies, indem man Materialien kombiniert, deren Eigenschaften sich ergänzen. Dies ist bei Copolymeren der Fall, bei denen die Eigenschaften verschiedener Kunststoffe in einem einzigen Kunststoff vereint sind. Für die Synthese intelligenter Werkstoffe gibt es je nach angestrebtem Einsatzbereich unterschiedliche Strategien, so können beispielsweise reaktive Polymere wie ungesättigte Polyester oder „lebende Polymere" zur Herstellung von Copolymeren dienen.
Bei der Polykondensation von Dicarbonsäuren mit Diolen werden normalerweise gesättigte Polyester gebildet, die nicht mehr zu einem größeren Makromolekül weiterreagieren können. Setzt man jedoch als Monomere ungesättigte Dicarbonsäuren bzw. deren Anhydride ein, so enthält der gebildete Polyester noch die ursprüngliche C=C-Doppelbindung und somit eine reaktive Stelle im Molekül. Häufige Verwendung als ungesättigte Monomere finden z. B. Maleinsäure oder Maleinsäureanhydrid (Bild 2).
In der Regel sind solche ungesättigten Polyester Mischkondensate, d. h. es wird nur ein kleiner Anteil ungesättigter Dicarbonsäuren mit einer gesättigten Dicarbonsäure im Gemisch kondensiert.
Die reaktive Stelle im Makromolekül ermöglicht die anschließende Umsetzung des Polyesters mit einem polymerisationsfähigen Monomer wie z. B. Styren. In der Praxis kommen solche Polyesterharze als Lösung des ungesättigten Polyesters in Styren in den Handel. In dieser Lösung liegen die Polyesterketten von Styrenmolekülen umgeben vor. Die Mischung ist gut fließfähig und in dieser Form dauerhaft haltbar, solange kein Polymerisationsstarter zugefügt wird. Gibt man jedoch gezielt z. B. ein Peroxid zu, so setzt eine dreidimensionale Vernetzung ein. Dabei reagieren die Monomere des Lösungsmittels mit den ungesättigten Gruppen des Polyesters und bilden so Brücken zwischen den Polyestermolekülen.
Zur Herstellung von ungesättigten Polyestern setzt man ungesättigte Carbonsäuren ein.
Derartige Harze sind schnellhärtend und eignen sich z. B. als Lacke. Ihre mechanische Stabilität lässt sich durch Einarbeiten von Glasfasern oder -matten wesentlich erhöhen. Solche glasfaserverstärkten Polyester besitzen bei geringem spezifischen Gewicht hohe Zug- Biege-, Stoß- und Schlagfestigkeit. Sie sind wasser- und wetterfest und gegen verdünnte Säuren und Laugen ebenso beständig wie gegenüber unpolaren Lösungsmitteln. Dadurch erschließt sich ein weites Anwendungsgebiet z. B. im Fahrzeugbau, in der Elektroindustrie und im Bau- und Sanitärbereich oder auch beim Bootsbau.
Lebende Polymere entstehen durch anionische Polymerisation geeigneter Monomere. Dazu wird ein ungesättigtes Monomer mit einer starken Base wie z. B. Butyllithium () oder einem reaktionsfähigen Metall wie Natrium umgesetzt. Dabei entstehen Moleküle, die an einem Ende am Kohlenstoff-Atom eine negative Ladung tragen und Carbanionen genannt werden. Aufgrund dieser negativen Ladung können sie eine Bindung zu einem Kohlenstoffatom ausbilden, das an einer Doppelbindung beteiligt ist. Die Doppelbindung wird dabei zur Einfachbindung. Die negative Ladung bleibt am Ende der verlängerten Kette erhalten und kann an einem anderen Monomer erneut angreifen, sodass die Kette länger wird.
Wenn alle Ketten gleichzeitig zu wachsen beginnen und man unter so reinen Bedingungen arbeitet, dass es nicht zu vorzeitigen Abbruchreaktionen kommt, ist eine genaue Kontrolle der Kettenlänge und damit der Molmasse und der Molmassenverteilung im Polymer möglich.
Wesentliches Merkmal ist, dass die aktiven Enden der wachsenden Polymerkette nicht nur so lange „überleben“, bis alle Monomeren verbaut sind, sondern noch darüber hinaus erhalten bleiben. Dadurch wird es möglich,
Da die aktiven Kettenenden hochreaktiv sind, laufen einerseits die Polymerisationen sehr leicht ab, aber kleinste Verunreinigungen stellen ebenso willkommene Reaktionspartner dar. So genügen schon Spuren von Wasser um die wachsenden Carbanionen zu protonieren und so den Prozess zu stoppen:
Daher lassen sich anionische Polymerisationen industriell nur mit einer extrem aufwändigen Technik beherrschen. Das hat zur Folge, dass derartig strukturelle Perfektion nur dann realisiert wird, wenn der Verwendungszweck dies erfordert.
Die aktuellen Fragestellungen und Forschungsschwerpunkte ergeben sich aus den ständig steigenden Ansprüchen nach Kunststoffen mit hochspeziellen Eigenschaften in den besonders innovativen Anwendungsbereichen. Dies sind z. B. die Elektronik und die Kommunikationstechnik, die Biosensorik oder auch die Medizintechnik.
Als reaktive Polymere werden dabei alle Verbindungen mit reaktiven Gruppen definiert, die zu Reaktionen und damit verbundenen Änderungen der Eigenschaften genutzt werden können.
Zwar versucht man, die gewünschten Eigenschaften nach wie vor durch Synthese von neuen Monomeren und Polymeren zu erreichen, aber die Untersuchung der Struktur-Eigenschaftsbeziehungen, insbesondere der Auswirkung von zwischenmolekularen Wechselwirkungen und Vernetzungsreaktionen gewinnt immer mehr an Bedeutung. Denn nur, wenn die Zusammenhänge verstanden werden, kann man dieses Wissen nutzen, um gezielt Eigenschaftsveränderungen zu erzielen. Aktuell steht daher das Studium von Reaktionen und Strukturbildungsprozessen in Lösungen, Polymerschmelzen und insbesondere an Grenzflächen im Fokus der Wissenschaftler. Die gewonnenen Erkenntnisse sind die Grundlage für die Entwicklung neuer funktioneller Werkstoffe mit spezifischen Grenzflächen-Eigenschaften. Das geht sogar so weit, dass man versucht, Polymere zu entwickeln, die geeignet sind, selektiv - also ganz spezifisch - auf Umgebungseinflüsse zu reagieren, indem sie z. B. fotochemisch ein messbares Signal erzeugen. Auf diese Weise könnte man z. B. spezifische Schalter oder Sensoren bauen.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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