Kernspaltung

Kernspaltung ist eine spezielle Form der Kernumwandlung, d. h. der Umwandlung von Atomkernen in neue Kerne. Ein Beispiel für eine solche Kernspaltung ist in Bild 1 dargestellt: Treffen Neutronen auf Uran-235, so erfolgt eine Kernumwandlung in einen instabilen Zwischenkern Uran-236, das in Bruchteilen von Sekunden in zwei leichtere Kerne X, Y und 1 bis 3 Neutronen zerfällt. In Bild 1 ist nur eine Möglichkeit dargestellt. Ein Urankern kann auch in andere Atomkerne zerfallen, z. B. in Lanthan und Brom, in Selen und Caesium oder in Antimon und Niobium. Insgesamt sind über 200 Zerfallsprodukte des Urans bekannt. Bei jeder Kernspaltung werden 2 oder 3 Neutronen freigesetzt. Allgemein gilt:

Durch Beschuss mit langsamen Neutronen können schwere Atomkerne (z. B. Uran, Plutonium) in leichtere Atomkerne aufgespalten werden. Dabei werden Neutronen freigesetzt und es wird Energie abgegeben.

Die molare Kernbindungsenergie nimmt zu, wenn aus großen Kernen kleinere werden. Die dabei freigesetzte Energie führt zum Massendefekt . Die Verringerung der Masse entspricht nach der von ALBERT EINSTEIN (1879-1955) im Jahr 1905 entdeckten Beziehung E = m · c 2 einer Energie, die freigesetzt wird.
Bei der Spaltung eines Urankerns wird eine Energie von etwa 3 · 10 11 J freigesetzt. Das erscheint sehr wenig. Man muss aber beachten, dass sich diese Energie auf einen Kernzerfall bezieht. Betrachtet man die Anzahl der Atomkerne, die in einem Kilogramm Uran enthalten sind und nimmt an, dass alle zerfallen, so beträgt die dann frei werdende Energie 8,6 · 10 12 J . Das ist etwa 290 000-mal so viel, wie bei der Verbrennung von 1 kg Steinkohle freigesetzt wird.

Allgemeiner Verlauf einer Kernspaltung am Beispiel von Uran

Allgemeiner Verlauf einer Kernspaltung am Beispiel von Uran

Geht man beispielsweise davon aus, dass bei einer Kernspaltung zwei Neutronen freigesetzt werden, so kann jedes dieser zwei Neutronen einen weiteren Atomkern spalten, wobei vier neue Neutronen entstehen.
Diese vier Neutronen können nunmehr wiederum vier weitere Kerne spalten usw., sodass die Reaktion sich sehr schnell fortpflanzen kann.
Die Zahl der Kernspaltung steigt schnell an, wobei entsprechend viel Energie freigesetzt wird. Dies kann bei unkontrolliertem Ablauf zu einer gewaltigen Explosion führen (Atombombe).

Solch eine Reaktionsfolge, bei der sich ein Reaktionspartner immer wieder neu bildet, sodass die einmal in Gang gesetzte Reaktion von selbst weiterläuft, nennt man Kettenreaktion.

Bei der ungesteuerten Kettenreaktion führt im Durchschnitt mehr als eines der bei der Kernspaltung gebildeten Neutronen zu einer neuen Kernspaltung. Dadurch wächst die Zahl der Kernspaltungen wie eine Lawine schnell an. Der Faktor k (Multiplikationsfaktor) gibt die durchschnittlich pro Spaltung gebildeten Neutronen an. Durch diese werden neue Kernspaltungen ausgelöst. Bei ungesteuerten Kernreaktionen ist k>1.
Bei gesteuerten Kettenreaktionen im Kernkraftwerk (KKW) muss k=1 sein. Dadurch läuft die Kernspaltung mit konstanter Geschwindigkeit und somit kontrollierbar ab. Das wird in Atomreaktoren durch Regelstäbe erreicht. Diese können unterschiedlich tief in den Reaktor eingeschoben werden und absorbieren überschüssige Neutronen. Damit wird k bei 1 gehalten. Ist k>1, kommt die Kettenreaktion zum Stillstand.

Geschichte der Kernspaltung

In Deutschland beschäftigten sich u. a. der Chemiker OTTO HAHN (1879-1968), die Physikerin LISE MEITNER (1878-1968) und FRITZ STRASSMANN (1902-1980) am Institut für Chemie in Berlin-Dahlem gemeinsam mit den Transuranen. LISE MEITNER musste 1938 aus Deutschland emigrieren. HAHN und STRASSMANN bestrahlten Uran mit Neutronen und untersuchten die dann entstandenen Nuklide, die nur in kleinsten Mengen vorlagen. Dabei machten sie im Dezember 1938 eine Entdeckung, die ihnen selbst unwahrscheinlich vorkam.
In der Zeitschrift „Naturwissenschaften“ erschien am 6.1.1939 ein Artikel von HAHN und STRASSMANN, in dem es heißt:

„Nun müssen wir aber noch auf einige neuere Untersuchungen zu sprechen kommen, die wir der seltsamen Ergebnisse wegen nur zögernd veröffentlichen. .. Wir kommen zu dem Schluß: Unsere ‚Radiumisotope' haben die Eigenschaften des Bariums; als Chemiker müssten wir eigentlich sagen, bei den neuen Körpern handelt es sich nicht um Radium, sondern um Barium, denn andere Elemente als Barium und Radium kommen nicht in Frage. ... Als der Physik in gewisser Weise nahestehende ‚Kernchemiker' können wir uns zu diesem, allen bisherigen Erfahrungen der Kernphysik widersprechenden Sprung noch nicht entschließen. ... Es könnte doch eine Reihe seltsamer Zufälle unsere Ergebnisse vorgetäuscht haben.“

Wenig später gelang es, die Spaltprodukte eindeutig zu identifizieren. Durch Beschuss von Uran mit Neutronen waren Krypton und Barium entstanden. Zugleich wurden bei jeder Kernspaltung drei Neutronen und Energie freigesetzt. Kurze Zeit später gelang der Nachweis weiterer Spaltprodukte von Uran. Damit war die Kernspaltung entdeckt, für die OTTO HAHN 1945, nach Ende des Zweiten Weltkrieges, den Nobelpreis für Chemie für das Jahr 1944 erhielt.
Die prinzipielle Möglichkeit der Energiegewinnung aus Kernspaltung wurde bereits 1939 diskutiert und war allen führenden Kernphysikern dieser Zeit bekannt. Bekannt war allerdings auch der hohe technische Aufwand, den das erfordern würde. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs trat immer mehr die Frage in den Vordergrund, ob die Kernenergie auch militärisch nutzbar sei. 1942 begann in den USA die intensive Arbeit an Atomwaffen. Die erste Atomwaffenexplosion, eine Versuchsbombe, erfolgte am 16. Juli 1945 in der Wüste von New Mexico (USA). Am 6. und 9. August 1945 explodierten die ersten US-amerikanischen Atombomben über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki mit der Folge, dass Hunderttausende Menschen starben.

Ungesteuerte Kettenreaktion

Ungesteuerte Kettenreaktion

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

Lexikon Share
Lernprobleme in Chemie?
 

Mit deinem persönlichen Nachhilfe-Tutor Kim & Duden Learnattack checkst du alles. Jetzt 30 Tage risikofrei testen.

  • KI-Tutor Kim hilft bei allen schulischen Problemen
  • Individuelle, kindgerechte Förderung in Dialogform
  • Lernplattform für 9 Fächer ab der 4. Klasse
  • Über 40.000 Erklärvideos, Übungen & Klassenarbeiten
  • Rund um die Uhr für dich da

Einloggen