Wie Geistergestalten schweben sie durch die Wassersäulen der Ozeane. Ihr skurriles Äußeres macht sie zu Mythen, regt die Fantasie der Menschen über Gebühr an. Immer wieder schreiben Zeitungen von gigantischen Tintenfischen, die Fischerboote mit in die Tiefe gezogen haben sollen. Immer wieder drehen Filmemacher Streifen wie „Das Ungeheuer aus der Tiefe“, in denen ein riesiger Tintenfisch die Hauptrolle spielt.
Der Tintenfisch ist bekannt, denn wer hat noch nicht Calamari fritti oder einen Oktopus-Salat in einem griechischen oder italienischen Restaurant gegessen. Doch die Faszination Tintenfisch erklärt sich nicht nur durch die schockierende oder kulinarische Komponente – sie hat auch wissenschaftliche Hintergründe.
Zuerst einmal ist ein Tintenfisch kein Fisch, sondern ein Weichtier (Mollusca). Die Schale, die Schneckenhäusern ähnelt und als urzeitliche Versteinerung der Ammoniten gefunden wird, hat sich beim Großteil der Arten teilweise oder sogar ganz zurückgebildet. Lediglich beim Nautilus, nach dem JULES VERNE im Roman „20 000 Meilen unter dem Meer“ das Unterseeboot des Kapitän Nemo benannte, und beim Posthörnchen Spirula spirula ist diese Schale noch relativ komplett vorhanden.
Gar nicht mehr erkennbar ist sie bei den achtarmigen Tintenfischen (auch Oktopoden genannt; wissenschaftlich Octobrachia). Hier hat sie sich ganz zurückgebildet oder ist nur noch in Form von Stiletten vorhanden. Octopus vulgaris und seine Verwandten können sich deshalb mit ihren massig aussehenden, fast ausschließlich aus weichem Muskelfleisch bestehenden Körpern durch die kleinsten Ritzen zwängen. Auch bei den zehnarmigen Tintenfischen (Decabrachia) ist die Schale zurückgebildet und befindet sich im Inneren des Körpers. Dieser so genannte Schulp hängt häufig im Käfig von Kanarienvögeln – zum Schnabelwetzen.
Die größte auffällige Gemeinsamkeit der Tintenfische sind ihre Arme, die direkt am Kopf, am so genannten Mantel ansetzen. Daher werden sie auch Kopffüßer (Cephalopoden) genannt. Während bei den Oktopoden (Kraken) alle acht Arme gleich lang sind, haben Sepien und Kalmare neben acht kürzeren Armen zwei lange Tentakel (also 10 Arme), mit denen sie ihre Beute geradezu abschießen können.
Neben dem geschickten Umgang mit ihren Armen gibt es weitere Punkte, die den Tintenfisch zu einem gefährlichen Räuber machen, dem in erster Linie Krabben, Krebse und kleine Fische zum Opfer fallen. Durch die Möglichkeit des Farbwechsels können sich die modernen Cephalopoden an jeden Untergrund anpassen. Diese Farbveränderung geht derart schnell (innerhalb von 30 Millisekunden!) vonstatten, dass sie bei einem Chamäleon fast wie in Zeitlupe anmutet. Derart perfekt getarnt lauern beispielsweise Kraken als Wegelagerer auf ihre Beute, erfassen sie mit ihren überaus leistungsfähigen Augen und packen zu.
Zusätzlich zur farblichen Anpassung können Cephalopoden die Struktur ihrer Haut so verändern, dass sie – egal auf welchem Untergrund – extrem schwer zu finden sind. Dadurch sind sie nicht nur ein kaum erkennbarer Jäger, sondern auch eine schwer erreichbare Beute. Ein weiterer Pluspunkt im Rennen um einen guten Platz innerhalb der Nahrungskette ist der „Düsenantrieb“ der Kopffüßer. Über einen Trichter stoßen die Tintenfische Wasser von innen nach außen. Das sorgt für einen Rückstoß, eine Art Raketenantrieb, der dem Tier im Falle einer Flucht innerhalb von Sekunden den entscheidenden Vorsprung verschaffen kann. Über diesen Trichter wird bei vielen Cephalopoden bei Bedrohung auch die Namen gebende Tinte ausgestoßen, die den Jäger verwirren soll.
Die Farbveränderungen allerdings haben nicht ausschließlich mit Jagd- und Fluchtverhalten zu tun. Die Tintenfische nutzen ihre Chromatophoren – so nennen sich die Organe, die für den Farbwechsel zuständig sind – auch zur Kommunikation. So schwebt Sepia officinalis in Balzlaune im schillernden Zebramuster durch die Weltmeere. Bei einigen Kalmaren wurde beobachtet, dass Männchen auf der einen Seite ihres Körpers mit dem von ihnen ausgewählten Weibchen „flirteten“ und zeitgleich auf der anderen Körperseite dem Kontrahenten signalisierten, er möge sich doch bitteschön eine andere Partnerin suchen. Bestimmte Arten kommunizieren sogar untereinander, während sie in Schulen (Schwärmen) jagen.
Geschicktes Jagdverhalten, Kommunikation und Farbveränderung – das lässt die Tintenfische fast schon klug erscheinen. Und in der Tat sind sie die am weitesten entwickelten Weichtiere, haben die größten Gehirne aller wirbellosen Tiere. In wissenschaftlichen Labors wurden bereits Versuchsreihen durchgeführt, die eine gewisse Intelligenz der Cephalopoden nachweisen. So machen Kraken nachweislich einen Unterschied zwischen einem Quadrat mit acht Zentimeter Kantenlänge in einem Meter Entfernung und einem Quadrat mit vier Zentimeter in einem halben Meter Entfernung.
Vertreter aus dem Reich der Kopffüßer
Der Atlantischer Riesenkalmar (Architeuthis dux) ist einer der Riesen der heutigen Tintenfischwelt. Über seine wirkliche Maximalgröße kann man nur spekulieren, aber zumindest 18 Meter sollen er sein – davon macht der Körper nur fünf bis sieben Meter aus, der Rest besteht aus Kopf und den zehn Fangarmen. Der Atlantische Riesenkalmar lebt wahrscheinlich in 200 bis 400 Metern Tiefe im nördlichen Atlantik. In den Kaltwasserauftriebsgebieten vor Neufundland, Kanada und Norwegen werden diese Tiere regelmäßig tot angespült. Lebendig hat noch kein Wissenschaftler einen Atlantischen Riesenkalmar vor die Augen oder die Kamera bekommen; deshalb basieren viele Informationen noch auf Vermutungen. Das Wissen wurde durch Untersuchungen an toten Tieren gesammelt. Funde von handtellergroßen Schnäbeln (Teile des Mundes zum Öffnen von Muscheln) oder von Augen mit 40 Zentimetern Durchmesser legen die Annahme nahe, dass große Riesenkalmare bei einem Gewicht von mindestens 200 Kilogramm mehr als 20 Meter lang werden. Von Zeit zu Zeit wird angeblich beobachtet, dass diese Tiere mit auftauchenden Pottwalen kämpften. Das ist falsch: Zwar ist der Pottwal der größte Feind vom Atlantischen Riesenkalmar doch an der Wasseroberfläche sind die Tintenfische meist schon tot und hängen nur noch an den Walen, weil ihre Saugnapfringe mit Widerhaken bestückt sind. Auch in der erdgeschichtlichen Vergangenheit dokumentieren Fossilfunde von Kopffüßer-Gehäusen, etwa aus der Kreide-Zeit, die Existenz wahrer Giganten. So wurden im westdeutschen Münsterland bisher die weltweit größten Ammoniten mit dem Namen Parapuzosia gefunden, deren Durchmesser bis zu drei Meter erreichte.
2007 wurde vor Neuseeland erstmals ein weiterer Riese geborgen, der rosa gefärbte Koloss-Kalmar, der zu den Gallertkalmaren gehört. Er soll eine Länge von über 20 m erreichen, wobei diese Aussagen immer ungenau sind, da die Arme sehr dehnbar sind.
Ein ausgewachsener Idiosepius paradoxus erreicht eine Gesamtlänge von höchstens eineinhalb Zentimetern. Aber dieser Knirps hat es in sich: Er attackiert beim Beutefang Krebstiere, die genau so groß sind wie er selbst. Wenn Idiosepius sich einen dieser Flohkrebse von hinten gepackt hat, beißt er sich so schnell wie möglich zum Herz durch. Wie alle Sepien und Kalmare hat der Winzling zwei ausfahrbare Fangarme, die – im Gegensatz zur Norm – genau so dick sind wie die anderen acht Arme. Der kalmarförmige Kopffüßer bewohnt seichte Gewässer und fühlt sich zwischen Algen oder Seegras am wohlsten; zur Ruhe begibt er sich dort, indem er sich mit der Rückenfläche des Mantels an einer dieser Pflanzen anheftet.
An den Stränden Australiens stehen Warnschilder mit der Aufschrift „Danger – Blue Ring Octopus“. Und das zu Recht! Der Hapalochlaena wird zwar nur bis zu 16 Zentimeter groß, ist aber lebensgefährlich. Der Grund: Dieser Krake lähmt seine Beute durch ein Nervengift, das von Bakterien in seinem Speichel produziert wird und bisher drei Menschen getötet hat. Das Tetrodotoxin lähmt nur die willkürliche Muskulatur, die wir bewusst steuern; Herz, Iris und Darmwand arbeiten normal weiter. Die Opfer bleiben bei Bewusstsein und sterben durch Sauerstoffmangel. Bei Mund-zu-Mund-Beatmung erholt sich der Mensch aber fast vollständig. Dennoch: In Asien, Australien und im Westpazifik sollte man deshalb keinen kleinen Achtarmer mit blauen Ringen anfassen. Denn das schöne, farbenfrohe Muster ist ein Warnsignal!
Trotzdem er ein Tempo von bis zu sieben Metern pro Sekunde erreicht und sogar aus dem Wasser schnellen, also über kurze Distanzen „fliegen“ kann, ist Todarodes pacificus der meistgefangene Kopffüßer der Welt. Jährlich werden vor Japan mehr als 500 000 Tonnen (!) dieses Kalmars mit mechanisierten Batterien von Tanzangeln und Lampen aus dem Wasser geholt. Der Gesamtfang an Tintenfischen beträgt 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr, was etwa drei Prozent des gesamten Fangs von Meeresfrüchten ausmacht. Die Biomasse von Tintenfischen entspricht allerdings in etwa der aller Fische. Trotz des relativ geringen Fangs werden Milliarden Dollar Umsatz mit Cephalopoden gemacht – auf Grund des hochwertigen und damit kostbaren Fleischs. Todarodes ist bis zu einen halben Meter groß, schlank, überaus muskulös und damit auch höchst geschmackvoll. Knapp 40 Prozent seines Mantels werden von einer „Heckflosse“ bedeckt. Der Japanische Pfeilkalmar lebt in den Küstengebieten und Oberflächengewässern des offenen Nord- und Westpazifiks in bis zu 100 Metern Tiefe, kann aber auch bis 500 Meter abtauchen.
Während sich die Sepien durch atemberaubend schnellen Farbwechsel tarnen, setzen die Tiefsee-Bewohner auf andere Mittel. Gallertkraken, Röhrenaugenkraken und Glaskraken sind schlicht und einfach durchsichtig. Die Arten der Familien Bolitaenidae, Amphitretidae und Vitreledonellidae werden zwischen zehn und 30 Zentimeter groß, haben acht Arme und leben in Tiefen um 1 000 Meter.
An dieser Stelle müssen zwei Beispiele genannt werden: Nautilus und Spirula. Den Nautilus hat wohl jeder schon einmal gesehen – sei es im Aquarium oder in einem Buch. Schließlich hat JULES VERNE in seinem Buch „20 000 Meilen unter dem Meer“ nicht von Ungefähr das U-Boot des Kapitän Nemo nach ihm benannt.
Das Perlboot Nautilus trägt seine Schale (Gehäuse) mit etwa 20 Zentimetern Durchmesser noch außen, genau wie die seit 65 Millionen Jahren ausgestorbenen Ammoniten. Der größte Teil des spiraligen Gehäuses ist in Gas gefüllte Kammern unterteilt, in die nach dem U-Boot-Prinzip je nach Bedarf Wasser geflutet bzw. abgepumpt wird und das Tier ins Gleichgewicht mit seiner Umgebung versetzt. Nautilus ruht tagsüber in 300 bis 400 Meter Tiefe, um in der Nacht an den Wänden der tropischen Korallenriffe aufzusteigen und zu fressen.
Weniger spektakulär kommt Spirula daher: Etwa sieben Zentimeter groß hat auch das Posthörnchen noch ein spiraliges Gehäuse, das völlig verdeckt im Mantel liegt und dem Tier seinen populärwissenschaftlichen Namen gab. Auch Spirula steigt nachts zum Fressen auf (von 550 bis 1 000 auf 100 bis 300 Meter Tiefe). Es wurde beobachtet, dass dieser Cephalopode Kopf und Arme komplett in den Mantel zurückzieht. Zudem hat das Posthörnchen ein Leuchtorgan, das grünes Licht abgibt, dessen Funktion aber noch nicht geklärt ist.
Schon der Name lässt einen erschaudern – Vampyroteuthis infernalis. Zwar ist der nächste Verwandte des Kraken-Urahns mit maximal 13 Zentimetern recht klein geraten, aber sein Körper weist einige erstaunliche Merkmale auf. Zwischen den acht Armen sind Häute ausgebildet, die bei Beunruhigung über den Körper gezogen werden und so an den Umhang des Grafen Dracula erinnern. Zudem besitzt das Tier zwei fadenartige Tentakel, die wohl als Fühler dienen und in Gruben zwischen dem ersten und zweiten Armpaar eingezogen werden können, und zwei Flossen am Hinterende des Mantels. Vampyroteuthis hat diverse Leuchtorgane inklusive einem Paar mit verschlussartigen Lidern und kann aus unbekannter Quelle Leuchtpartikelwolken ausstoßen, die bis zu zehn Minuten leuchten. Dies dient wahrscheinlich zur Verwirrung potenzieller Räuber. Der Tiefseevampir lebt in 600 bis 1 000 Metern Tiefe in tropischen und gemäßigten Gewässern weltweit.
Stand: 2010
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