Die stammesgeschichtliche Entwicklung der Organismen erfolgte im Verlaufe der Erdgeschichte in ständiger Wechselwirkung mit der Umwelt. Als Ursache für diesen Prozess wurde das Zusammenwirken von Evolutionsfaktoren in den Populationen erkannt. Die wesentlichen Faktoren der Evolution sind Mutation, Neukombination, Isolation und Auslese (Selektion).
Ein wichtiger Evolutionsfaktor ist die natürliche Auslese oder Selektion. Ihre Wirkung besteht darin, dass die Häufigkeit von weniger tauglichen Individuen einer Gruppe von Lebewesen verringert wird. Das bedeutet, dass diejenigen Individuen, deren Gene eine günstige Anpassung an die bestehende Umwelt bewirken, überleben und sich fortpflanzen können, während andere Individuen zugrunde gehen. Hierdurch wirkt die Selektion als richtungsgebender Evolutionsfaktor und verschiebt so die Häufigkeiten bestimmter Gene in einer Population, indem sie die Nachkommenschaft des selektionsbegünstigten Genotyps gegenüber anderen erhöht. Es entsteht ein Selektionsdruck. Die Mutationen schaffen sozusagen das „Rohmaterial“ für die dann wirkende Auslese (Selektion). Während die Mutation Veränderungen in den Genen und damit im Genotyp bewirkt, wirkt die Selektion über den Phänotyp, d. h. über die ausgebildeten Merkmale. Insofern ist die Evolution primär durch die Wechselwirkung dieser beiden Faktoren bedingt.
Ein aktuelles Beispiel für das Zusammenwirken von Mutation und Auslese findet man beim Birkenspanner (Biston betularia).
Von ihm existieren zwei Formen, eine hell gefärbte und eine dunkel gefärbte Form. Beide Schmetterlingsformen leben vor allem auf Birken, deren Stamm in der Regel hell gefärbt ist. Sie unterscheiden sich durch eine Mutation des Gens, welches für die Produktion des Farbstoffes Melanin zuständig ist. Je nachdem welche Gebiete man untersuchte, wurden unterschiedlich viele der einen bzw. anderen Form gefunden. Für die beiden Formen ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten der Tarnung gegenüber ihren Fressfeinden auf den natürlichen Untergründen. Auf hellem Untergrund ist die helle Mutante schwer auszumachen, während sie auf dunklem Untergrund leicht zu erkennen ist und für Feinde eine leichte Beute darstellt.
In Gebieten mit hoher Industrialisierung und damit in der Regel stärkerer Luftverschmutzung findet man vorwiegend Bäume, die kaum oder keinen Flechtenbewuchs zeigen und darüber hinaus durch Ruß- und Staubablagerungen eher dunkel gefärbt sind. In solchen Gebieten fand man ein deutlich stärkeres Auftreten der dunkleren Form und ein geringeres Auftreten der hellen Form. Diese Erscheinung bezeichnet man als Industriemelanismus. Die hell gefärbten Flechten bedecken normalerweise die Baumrinde und sind ein sogenannter Bioindikator für saubere Luft. Demgegenüber ist die Verteilung in gering oder unbelasteten Gebieten eher umgekehrt. Offensichtlich wird jeweils die Mutante durch Fressfeinde, in der Regel Vögel, reduziert, die sich deutlich vom Untergrund abhebt, während die andere durch die gute Tarnung eher übersehen wird und somit überlebt. Die überlebenden Tiere können sich dann fortpflanzen. So kommt es dazu, dass in der nächsten Generation mehr Tiere der Form da sind, die sich besser an die jeweilige Umwelt angepasst zeigt.
Die Mutationen, d. h. die sprunghaften Erbveränderungen, stellen zunächst die Voraussetzungen dafür dar, dass Lebewesen einer Art unterschiedliche Merkmale zeigen. Gäbe es keine Mutationen, die zu verschiedenen Ausprägungen führen, wäre die Wahrscheinlichkeit zu überleben und Nachkommen zu erzeugen bei den betrachteten Birkenspannern gleich. Somit stellen die Mutationen den ersten Evolutionsfaktor dar. Sie liefern sozusagen das Rohmaterial für die Stammesentwicklung, die Verschiedenartigkeit der Erbanlagen (Gene). In unserem Beispiel des Birkenspanners sorgen die Vögel für die Reduzierung der schlecht getarnten Form, während die andere Form einen Auslesevorteil (Selektionsvorteil) besitzt.
Die Auslese kann auch durch uns Menschen erfolgen. Seit vielen Jahrhunderten betreibt der Mensch gezielt Auslese, indem er bestimmte Tiere züchtet. So wurden viele Tiere, die als Wildtiere lebten, eingefangen und gezähmt. Es wurden über viele Generationen hinweg bestimmte Eigenschaften herausgezüchtet. Als Beispiele dieser als Zucht und Domestikation bezeichneten Vorgehensweise sind neben unseren Milchkühen, dem Haushund, dem Pferd auch unsere Hausschweine zu nennen. Es wurden also immer die Tiere für die weitere Zucht selektiert, die bestimmte Eigenschaften besaßen, die es zu erhalten oder zu verstärken galt. Vergleichbares gilt auch für die Züchtung von Kulturpflanzen aus Wildpflanzen.
Stand: 2010
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