Der Begriff Lärm leitet sich ab vom Begriff Alarm, der in seiner ursprünglich italienischen Bedeutung so viel wie „Zu den Waffen!“ heißt. Um einen offensichtlichen Angriff auf die Gesundheit scheint es sich bei Lärm auf den ersten Blick nicht zu handeln, und auch Waffen scheinen nicht die richtigen Beschützer unseres Gehörs zu sein. Schauen wir uns zunächst an, was Lärm eigentlich ist.
Lärm kann als unangenehm wirkender, störender Schall definiert werden. Es ist eine subjektive Größe, dessen Schwellenwert bei jedem Organismus anders ausfällt. Nicht jeder empfindet die gleichen Geräusche, Frequenzen bzw. Lautstärken als störend oder unangenehm. Jugendliche auf einem Rockkonzert empfinden die laute Musik sicherlich weniger störend als ältere Menschen. Was genau als Lärm empfunden wird, ist zunächst einmal vom Geräusch selbst abhängig, von seinen physikalischen Eigenschaften wie Frequenz und Schalldruckpegel. Ob etwas mehr oder weniger laut erscheint, kann auch vom Grundgeräuschpegel beeinflusst werden. Das ist jene Geräuschkulisse, welche Tag und Nacht existiert und meistens nicht mehr bewusst wahrgenommen wird. Auch die Lautstärke wird unterschiedlich empfunden. Entscheidend dafür, ob Geräusche stören oder nicht, ist ebenfalls die Situation, in der man sich befindet, oder die Tätigkeit, der gerade nachgegangen wird. Wer gerade ein Buch liest oder hoch konzentriert eine Klassenarbeit schreibt, wird sogar auf extrem leise Geräusche empfindlich reagieren.
Für die menschliche Hörleistung sind vor allem die Hörsinneshärchen auf dem cortischen Organ (Schnecke) in unseren Ohren verantwortlich. Durch sie können wir sowohl sehr leise als auch sehr laute Geräusche wahrnehmen, wir können Tonhöhe und Tonlage unterscheiden. Wie gut jemand hört, hängt vom Zustand dieser Sinneshärchen (Cilien) ab. Da es fast immer und überall in unserer Umwelt Geräusche gibt, sind die Cilien fast unentwegt im Einsatz. Sogar nachts unterbrechen sie ihre Tätigkeit nicht.
Wirken auf die Cilien über einen längeren Zeitraum laute Geräusche ein, haben sie kaum Zeit zur Regeneration. Zusätzlich führt längere Lärmeinwirkung zur Verengung der Blutgefäße im Ohr, wodurch eine ausreichende Sauerstoffversorgung der Hörsinneszellen nicht mehr gewährleistet ist. Als Folge davon werden sie geschwächt, müde und schlaff, verkleben oder brechen ab. Ihre Funktionstüchtigkeit geht damit unersetzbar verloren. Je mehr Hörsinneszellen so zerstört werden, umso schlechter ist das Hörvermögen. Dies kann sowohl zu Langzeitschäden als auch zu kurzzeitigen Hörstörungen (Taubheit, Teiltaubheit, Nebengeräusche) führen.
Schallstärke
Das menschliche Hörvermögen reicht ungefähr von 16 Hz bis 20 000 Hz. Das Hörvermögen für hohe Töne nimmt mit zunehmendem Lebensalter durch die schlechter werdende Qualität der Haarsinneszellen ab. Diese jedoch wird ausschließlich durch Schäden am Innenohr durch Lärmeinwirkung, Alkohol, Infektionen, Nikotin und einige Medikamente beeinträchtigt. Studien an Naturvölkern ergaben, dass 70-jährige Eingeborene noch so gut hörten wie 30-jährige Großstadtbewohner.
Alter | Hörvermögen |
20 Jahre | ca. 19 000 Hz |
30 Jahre | ca. 16 000 Hz |
40 Jahre | ca. 14 000 Hz |
50 Jahre | ca. 12 000 Hz |
60 Jahre | ca. 10 000 Hz |
70 Jahre | ca. 8 000 Hz |
Hinzu kommt ein allmählicher Anstieg der Hörschwelle (Schalldruckpegel, der gerade noch eine Erregung hervorruft), der oft zur sog. Altersschwerhörigkeit führt. Zu den Ursachen dieses Anstiegs zählen: die Abnahme der Beweglichkeit des Trommelfells, der Gehörknöchelchen, des ovalen Fensters und der Basilarmembran sowie das beschriebene Absterben der Haarzellen im Innenohr. Ohne Schädigung des Innenohres würde es 140 Jahre dauern, ehe alle Haarzellen im cortischen Organ abgestorben sind.
Durch Lärm werden die Haarzellen viel rascher zerstört. Lärm ist abhängig vom Schalldruckpegel bzw. der Lautstärke und der Qualität (Frequenzmuster). Die Lautstärke ist eine subjektive Größe der Schalldruckempfindung (Einheit: phon).
Die Lärmschwerhörigkeit ist eine Krankheit unsere Zeit.
Ca. 150 000 Jugendliche in Deutschland im Alter zwischen 15–20 Jahren zeigen bereits diese Erkrankung, die Anzahl nimmt dramatisch zu. Wiederholte und lang andauernde Schalleinwirkungen durch Discobesuche oder aus der Stereoanlage und mp3-Playern führen zunächst zu einer kurzzeitigen Beeinträchtigung der Hörfähigkeit. Wegen des zunehmenden Hörverlustes werden die Schallquellen zunehmend lauter eingestellt, um die gewohnte Lautstärke zu empfangen. Dadurch steigt die Zahl der überbelasteten und absterbenden Sinneshaare stetig an. Das Hörvermögen lässt nach, die Hörschwelle (Lautstärke, die man eben erst wahrnehmen kann) wird immer höher. In den USA wird die Anzahl der schwerhörigen Musikfans auf 10 Mio. geschätzt. In England soll jeder dritte Student Gehörschäden aufweisen.
Die Ursachen fürs Lärmempfinden können verschiedenster Herkunft sein. Auch unterscheidet sich die Intensität der Empfindungen subjektiv. Beispiele für Lärmursachen sind Verkehrslärm, Industrielärm, Nachbarschaftslärm, Freizeitlärm, Fluglärm, Lärm im Haushalt und Lärm am Arbeitsplatz bzw. in der Schule u. a. Welche Geräusche in welcher Situation als unangenehm empfunden werden, hängt wieder vom Individuum und seiner Lage ab. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass Geräusche mit 10 Dezibel oder mehr über dem Grundgeräuschpegel als unzumutbar bzw. unangenehm gelten. Die Schmerzschwelle liegt etwa bei 130 Dezibel. Was man hierbei misst, ist nicht direkt die Lärmintensität, sondern der Schall bzw. der Schalldruckpegel. Danach kann man vier Lärmstufen einteilen:
Lärmbelästigung im Alltag
Beispiel und Schalldruckangabe in dB | Lärmstufe | Lärmwirkung |
Blätterrascheln 10 Wecker 30 Flüstern 30 Leise Radiomusik 40 Normales Gespräch 50 Staubsauger 60 | I | Belästigung: psychische Reaktionen, Störung, Ärger, Stress, keine physiologischen Wirkungen |
Normaler Verkehrslärm 70 Rasenmäher 70 Starker Straßenverkehr 80 Kreissäge 90 Moped 90 | II | Gesundheitsgefährdung: |
Presslufthammer 90–100 Bohrmaschine 110 Walkman bis 110 Stereoanlage bis 120 Discomusik 100–120 | III | Gesundheitsschädigung: Gleichgewichtsstörungen, Erbrechen, Innenohrschäden, Steigerung der psychischen und vegetativen Reaktionen |
Düsenflugzeug beim Start in 90 m Entfernung 140 | IV | Schmerzgrenze: Lähmung und Zerstörung der Hörsinneszellen, Taubheit |
Düsenflugzeug beim Landeanflug
Daten über den Lärm können durch Umfragen in der Bevölkerung ermittelt werden. Welche Geräusche am ehesten als störend empfunden werden, zeigt die nebenstehende Übersicht.
Lärmwirkungen auf den Organismus
Lärm geht nicht nur „auf die Ohren“ (aurale oder direkte Wirkungen), sondern wirkt auch auf den ganzen Organismus (extraaurale oder indirekte Wirkungen). Zu diesen Wirkungen zählen Störungen im Magen-Darm-Bereich ebenso wie die Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks, verbunden mit einem höheren Herzinfarktrisiko. Im Vordergrund des Lärmproblems stehen allerdings die auralen Wirkungen.
Direkte Lärmwirkungen können zur Veränderung des Hörsinnesorgans führen. Ein kurzzeitiges Auftreten von Ohrensausen kann ab 85 dB auftreten und deutet auf eine reversible Funktionsunfähigkeit hin. Die haarförmigen Membranausstülpungen (Cilien) werden schlaff. Die Schädigung weist auf eine Stoffwechselerschöpfung hin, da der erhöhte Sauerstoffbedarf der Haarzellen nicht mehr gedeckt werden kann. Der Sauerstofftransport erfolgt über die Endolymphe, die gleichzeitig auch die Stoffwechselendprodukte abtransportiert. Bei Dauerlärm verkümmern die Sinneszellen und sterben ab. Es erfolgt kein Abbau von Stoffwechselprodukten mehr, die Folge ist eine zunehmende Verschlackung und ein Platzen der Haarzellen. Bei wiederholten Lärmbelastungen kann die Hörschwellenverschiebung irreversibel werden. Die Haarzellen können verkleben oder zeigen einen Steifeverlust.
Die Explosion von Knallkörpern kann zu Cilienabbrüchen führen. Die Härchen sind aus Proteinmolekülen aufgebaut, die vernetzte Gitter bilden. Ein starker Schalldruck zerstört diese Vernetzung, die Haare verlieren ihre Elastizität und brechen ab. Ab 100 dB treten Störungen in der Blutzirkulation auf (Reduzierung bis zu 30 %).
Detonationen können im Mittelohr zu Trommelfellverletzungen und zur Verschiebung der Gehörknöchelchen führen. Ab 200 dB kann der Schall tödlich wirken, da die Lungenbläschen (Alveolen) platzen.
Chronisches Ohrensausen, permanente Hörschwellenverschiebung und Durchblutungsstörungen treten bei allen Schäden durch Lärm auf.
Indirekte Lärmwirkungen treten nach der Erregungsverarbeitung und anschließender zentralnervöser Beeinflussung aller Organsysteme über das zentrale, vegetative und periphere Nervensystem und das Hormonsystem auf. Sie schließen Veränderungen der Kommunikation und des Verhaltens ein. In Abhängigkeit von Quantität, Qualität und Dauer der Reizeinwirkung und dem physiologischen Zustand des Organismus kommt es zu folgenden Veränderungen:
erhöhte Aldosteronsekretion führt zur Natrium-, Kalium- und
Wasserausscheidung,
erhöhter Plasmaglucocorticoidspiegel,
gesenkte Aktivität der Nebennierenrinde und gleichzeitige
Aktivitätssteigerung des Nebennierenmarks,
erhöhter Blutzuckerspiegel durch verstärkt ablaufende Abbaureaktionen von Glykogen, Glukose in der Leber und gesteigerter Fettabbau,
erhöhte Adrenalin- und Noradrenalin-Konzentrationen im Blut und Urin,
verminderte , die im Zusammenhang mit der Freisetzung von Stresshormonen steht.
Da die Hörsinneszellen nicht reparabel sind, gilt es, sie vorsichtig zu behandeln und nicht überzustrapazieren. Piepen, Klingeln oder Rauschen nach extremen Lärmattacken (Konzerte, Heimwerkerlärm o. Ä.), oft verbunden mit einer zeitweiligen Teiltaubheit, sind unbedingt als Alarmsignal ernst zu nehmen. Es ist an der Zeit, seinen Ohren Ruhe zu gönnen, damit sich die Hörsinneszellen erholen können. Sollten Nebengeräusche oder Taubheit länger anhalten oder sogar Schmerzen auftreten, ist dringend ein Arzt aufzusuchen.
Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.
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