Essstörungen

Essstörungen sind krankhaft. Sie haben nicht direkt mit dem häufig kritisierten falschen, ungesunden oder überreichlichen Essen zu tun. Als Essstörung bezeichnet man ausschließlich das gestörte, individuelle Essverhalten. Essstörungen kommen allerdings nur dort vor, wo es Überfluss und Missbrauch von Nahrung gibt.

Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht)

Bulimie ist vom griechischen Begriff bulimos abgeleitet, dieser bedeutet so viel wie „Ochsenhunger“. Gab es auch in der Vergangenheit hier und da Berichte über diese Krankheit, hat sie in den letzten 20 Jahren sehr an Häufigkeit zugenommen. Die meisten Betroffenen sind weiblich (95 % aller an Bulimie erkrankten Menschen). Man geht von einer Häufigkeit von 2 bis 4 Prozent in der Risikogruppe der 18- bis 35-jährigen Frauen aus.

Symptome: Kennzeichen der Bulimie sind wiederholte Attacken von Heißhunger („Fressattacken“), meist gefolgt von selbst herbeigeführtem Erbrechen, daher auch die Bezeichnung Ess-Brech-Sucht. Bei diesen Fressattacken werden meist fett- und kohlenhydratreiche Esswaren gegessen (bis zu 50 000 Kalorien pro „Fressattacke“). Die Folge der Fress- und Brechattacken reicht von 1–2 pro Woche bis hin zu 20 pro Tag.

Esslust und Pein: Normalerweise spielen sich die „Fress-und-Brech-Attacken“ in aller Heimlichkeit ab, Partner oder Familienangehörige bekommen davon zunächst kaum oder viel zu spät etwas mit. Die Gefühlslage der Betroffenen reicht von „Ich könnt' dich fressen” bis hin zu “Du bist zum Kotzen!“. Höchstes Lustempfinden, Befriedigung, tiefe Niedergeschlagenheit und ein Gefühl des Versagens bilden ein Wechselspiel. Das meist vorliegende tiefe Schamgefühl nach einer Fress-und-Brech-Attacke ist der Grund dafür, dass die Betroffenen nicht einmal besten Freunden etwas von der Krankheit erzählen. Bedingt durch die Fresssucht kommt es oft auch zum heimlichen „Mundraub“ aus den Lebensmittelvorräten der Familie oder der Wohngemeinschaft. Die benötigten Lebensmittelmengen lassen die Betroffenen oft sogar Schulden machen.

Nachhilfe beim Erbrechen: Neben dem willkürlichen Erbrechen werden auch andere Mittel eingesetzt, die helfen sollen, den dick machenden Effekt der riesigen aufgenommenen Nahrungsmenge zu verhindern. Das sind beispielsweise Abführmittel, Appetitzügler, Fastenperioden, entwässernde Medikamente (Diuretika).

Motive: Die Betroffenen beschäftigen sich permanent mit allem, was mit Essen, Kalorien, Körpergewicht, Diät und Figur zu tun hat. Ihr Ideal ist ein sehr schlanker Körper. Dem gegenüber stehen zwei an sich unvereinbare innere Ziele: enthemmtes, verschlingendes Essenwollen und der Wunsch, dünn zu bleiben oder zu werden. Und in der Bulimie sehen sie DIE Lösung. Einige andere Merkmale treffen für Menschen mit Bulimie zu:

  • Menschen mit Bulimie sind häufig sehr diszipliniert. Sie haben ihr Leben zwischen den Fressattacken relativ gut im Griff und sind in ihrem Lebensbereich recht erfolgreich, sie „funktionieren“.
  • Die Gefühlswelt der Betroffenen wird durch das bulimische Verhalten stark beeinflusst. Charakteristisch für Frauen mit Bulimie, aber auch für andere Formen der Essstörungen, ist ein niedriges Selbstwertgefühl.

Folgen: Bulimie führt in der Regel zu emotionaler Einsamkeit, weil die Betroffenen kaum mit Freunden und Liebenden darüber reden. Das führt oft in depressive Verstimmung und noch weiter in die Bulimie hinein. Neben den seelischen Problemen führt die Bulimie auch zu körperlichen Problemen, beispielsweise:

  • Elektrolytentgleisung durch Erbrechen, Abführmittelmissbrauch und Fehlernährung,
  • Vergrößerung der Speicheldrüsen („Hamsterbacken“),
  • durch die Magensäure bedingte Zahnschmelzdefekte,
  • Durchfall und Verstopfung,
  • Kreislaufprobleme u. a..

Bulimie (Fresssucht)

Liegt ein psychisch oder körperlich bedingtes krankhaft gesteigertes Essbedürfnis mit und ohne Hungergefühl vor, dann spricht man von Bulimie oder Fresssucht. Der Begriff Bulimie wird häufig und nicht ganz korrekt als Synonym für die Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa) gebraucht.

Anorexia nervosa (Magersucht)

Im Grunde ist der Begriff „Anorexia nervosa“, in der Umgangssprache auch Magersucht genannt, eine Fehlbezeichnung für die Krankheit, um die es hier geht. „Anorexia“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Appetitlosigkeit. Die Ursache der Magersucht liegt jedoch nicht in mangelndem Appetit.

Ursachen: Magersucht ist eine psychosomatische Krankheit, d. h., psychische Prozesse spielen bei der Entstehung der Krankheit eine bedeutende Rolle. Magersucht beruht demnach auf psychisch-körperlichen Wechselwirkungen. Sie zeichnet sich durch eine extreme Gewichtsabnahme bzw. Halten eines extrem niedrigen Gewichts aus. Dabei besteht ständig die Befürchtung, dick zu werden. Das niedrige Gewicht wird durch ungewöhnliche Methoden der Ess- und Gewichtsregulation und Verweigerung der Nahrungsaufnahme erreicht. Frauen vom 15. bis 25. Lebensjahr gelten als die Hauptrisikogruppe für Magersucht. Ungefähr 1 % der Mädchen und Frauen dieser Altersgruppe sind magersüchtig. Nur 5 % aller Magersüchtigen sind Männer.

Symptome: Der Gewichtsverlust ist das auffälligste Symptom der Magersucht. Ein Gewichtsverlust von 20 % des Ausgangsgewichts innerhalb relativ kurzer Zeit (ca. 3 Monate) ist schon ein erster Hinweis für Magersucht. Die Abmagerung geht oft bis hin zu einer lebensbedrohlichen generellen Schwächung des Körpers. Ursache dafür ist die absolute Nahrungsverweigerung oder -einschränkung.

Die Wahrscheinlichkeit, an dieser Krankheit zu sterben, ist sehr hoch. 10 von 100 Magersuchtpatienten sterben an dieser Krankheit, sie verhungern regelrecht.

Ein weiteres Symptom ist das Ausbleiben der monatlichen Regelblutung (Menstruation). Einigen Magersüchtigen kommt das sehr gelegen, da es einer Ablehnung der konventionellen Frauenrolle entgegenkommt.

Andere Symptome sind:

  • Stuhlverstopfung (resultiert aus der ungewöhnlichen und stark reduzierten Nahrungsaufnahme),
  • selbst herbeigeführtes oder spontanes Erbrechen und
  • sehr häufiger Gebrauch von Abführmitteln (Folge: ein absoluter Mangelzustand an Mineralien und Elektrolyten).

Da einige Symptome dem der Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht) ähneln, ist eine eindeutige Abgrenzung der Magersucht erschwert.

Folgen der Magersucht: Neben dem absoluten Mangelzustand an Mineralien und Elektrolyten sind starke Unterernährung, langsame Herztätigkeit, niedriger Blutdruck, Unterleibsbeschwerden, Senkung der Stoffwechselrate, Zahnausfall, Störungen im Eiweiß- und Mineralhaushalt, speziell Kaliummangel, weitere Folgen. Viele Magersüchtige frieren schnell, die Ursachen hierfür liegt in der Störung der Temperaturregulation. (Das Frieren ist eine Energiesparmaßnahme des Körpers.)

Die Haut magersüchtiger Patienten wird oft sehr trocken und schuppig und verliert an Elastizität. Dadurch wirkt die Haut betroffener junger Mädchen oft greisenhaft. Nägel und Haare werden brüchig, manchmal kommt es zum Ausfall. An einigen Körperpartien kann man eine feine, flaumartige Behaarung feststellen. Weitere körperliche Folgen sind Muskelschwäche, Konzentrationsstörungen und übertriebene körperliche Aktivität (Hyperaktivität).

Psyche der Magersüchtigen: Das Essverhalten ist stark gestört, die Nahrungsaufnahme wird abgelehnt. Die Betroffenen sind süchtig danach, mager zu sein, und haben große Angst, dick zu sein (Gewichtsphobie). Sie essen nur ein Minimum, obwohl sie Hunger verspüren. Die aufgenommene Nahrung ist extrem kalorienarm. Die Gedanken Magersüchtiger kreisen ständig um Nahrung, Gewicht und Körperschema, wobei die Körperwahrnehmung total verzerrt ist: Selbst bei extremem Untergewicht wird der Körper als zu dick empfunden. Die extreme und lebensbedrohliche Abmagerung des Körpers wird von Magersüchtigen nicht erkannt. Ihnen fehlt jegliche Krankheitseinsicht und Leidensdruck.

Magersüchtige sind häufig sehr leistungsorientiert und -motiviert. Dies wird in einem extremen Perfektionismus deutlich. Es besteht eine stark ausgeprägte Impulskontrolle, d. h., Gefühle müssen beherrscht, besonders feindselige und böse Gefühle gänzlich unterdrückt werden.

Viele Erkrankte isolieren sich von ihrer Umwelt. Sie legen keinen Wert auf eine Partnerschaft oder sexuelle Kontakte, der eigene Körper interessiert sie in Bezug auf Sexualität oder die eigene körperliche Reifung nicht.

Der erste historisch dokumentierte Fall von Magersucht

König BELA IV. von Ungarn gelobte im 13. Jahrhundert nach dem Einfall der Mongolen, im Falle eines Sieges sein nächstes Kind Gott zu vermachen und einem Kloster zu übergeben. Dieses Kind war Prinzessin MARGARETHE von Ungarn. Sie wurde 1245 geboren und wie versprochen in einem Kloster großgezogen. Beschreibungen zufolge war MARGARETHE sehr strebsam und fromm. Als ihr Vater sie verheiraten wollte, tat sie alles, um dies zu verhindern. Sie kleidete sich so unattraktiv wie möglich, begann mit Fastenübungen, Schlafentzug und erschöpfender Arbeit. Bei Besuchen ihrer Familie verweigerte sie das Essen. MARGARETHE liebte es, für ihre Mitschwestern das Essen zuzubereiten, aß aber nie selbst mit, sondern zog sich währenddessen in die Kirche zum Beten zurück. Sie war sehr gehorsam und von klarem, wachem Verstand. Im Alter von 26 Jahren starb sie 1271 nach einem Fieber an den Folgen der Krankheit. Ihr Körper wurde als zerbrechlich beschrieben.

Essstörungen - Waage

Adipositas (Fettsucht)

Nicht genussvolles Essen kennzeichnet die Fettsucht (Adipositas), sondern anfallartiges Essen (regelrechte Fressanfälle). Das Essverhalten ist nicht normal, es wird gegessen, wenn es einem schlecht geht, wenn man Frust hat. Treten solche Zustände auf, ist nichts Essbares vor den Fettsüchtigen sicher, und die Mengen, die sie verschlingen, sind alles andere als normal. Während die meisten Fettsüchtigen fast alles essen, was da ist, gibt es auch einige Spezialisten. Diese haben bestimmte Vorlieben, z. B. Schokolade oder herzhafte Sachen. Gemeinsam aber ist allen: Schon während oder aber spätestens nach dem Anfall kommt der Frust schlimmer und heftiger als zuvor.

Einige Ursachen für Fettsucht

Da wären zunächst einige individuelle Gründe zu nennen, u. a.:

  • Minderwertigkeitsgefühle,
  • persönlicher Frust und Ärger,
  • Langeweile,
  • falsche oder zweifelhafte Idealvorstellungen,
  • unkontrolliertes Essverhalten,
  • fehlende oder mangelnde Selbstdisziplin und
  • zu hastiges Essen.

Dann kommen noch einige gesellschaftliche Gründe hinzu, u. a.:

  • anerzogene Essgewohnheiten, wie "der Teller muss leer gegessen werden" u. a. Dogmen;
  • Konfliktsituationen im Beruf, in der Freizeit, in der Familie, in der Partnerschaft, mit Kindern, finanzielle Probleme usw.;
  • Essen als Ersatz für emotionale und persönliche Zuwendung;
  • kein Rückhalt bei Spannungssituationen in der eigenen Familie;
  • Überangebot von Genussmitteln;
  • Reiz des Verbotenen.

Binge-Eating (Heißhungeressen)

Als Binge-Eating (Heißhungeressen) bezeichnet man das Herunterschlingen von sehr großen Nahrungsmengen in kürzester Zeit. Dabei handelt es sich um Heißhungerattacken.

Ursache ist auch hierfür wieder der Wunsch, eine schlanke Figur zu haben. Die Angst vor dem Dickwerden führt dazu, dass vor allem Mädchen versuchen abzunehmen. Deshalb werden diverse Diäten ausprobiert (bei Mädchen ca. 4-mal häufiger als bei Jungen).

Das Schlankheitsideal kann jedoch zum Auslöser für gesundheitsschädliche Essstörungen werden. Fast ein Drittel aller Mädchen wird von Heißhungerattacken geplagt, die dann mit Schuldgefühlen gebüßt werden.

Hilfe finden Betroffene in Beratungsstellen!

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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