Erworbenes Verhalten

Im Laufe ihres Lebens entwickeln Tiere und Menschen aufgrund von Erfahrungen bestimmte Verhaltensweisen. Ein Kleinkind zieht beim Wort „heiß“ reflexartig die Hand z. B. vom Ofen zurück, weil es sich mit Sicherheit schon einmal verbrannt hat. Dieses Verhalten wird, im Gegensatz zum angeborenen Verhalten, erlernt (erlerntes Verhalten).

Die Jungtiere von Säugetieren und Vögeln besitzen meist ein hohes Maß an Lernfähigkeit. Durch Spielen testen z. B. viele Säugetierjunge ihre Fähigkeiten und erwerben Erfahrungen, die ihr späteres Verhalten bestimmen.
Eine besondere Form des Lernens kann man bei den  Jungtieren einiger Nestflüchter beobachten. Diese folgen unmittelbar nach der Geburt bzw. dem Schlüpfen allen beweglichen Objekten. Wenn man z. B. frisch geschlüpfte Enten- oder Graugansküken von ihrer Mutter trennt, so folgen sie einer einfachen Entenattrappe, einer Person oder einem Kasten, der sich langsam fortbewegt und Geräusche von sich gibt. 

Dieser Lernvorgang, bei dem sich unter natürlichen Bedingungen die Bindung zur Mutter entwickelt, wird als Prägung bezeichnet. Eine Prägung kann nur während eines ganz bestimmten Abschnitts in der Entwicklung der Jungtiere (sensible Phase) stattfinden. Nur in diesem Abschnitt sind sie nämlich besonders empfänglich für bestimmte Umwelteinflüsse.
Das ist bei den Enten- und Graugansküken die Zeit unmittelbar nach der Geburt bzw. dem Schlüpfen. Sie dauert oft nur wenige Stunden bzw. Tage. Zwei Tage nach dem Schlüpfen ist diese Phase z. B. bei Graugansküken beendet. Wenn in dieser Zeit keine Prägung stattgefunden hat, fliehen die Küken vor allen Objekten, die sonst eine Nachfolgereaktion ausgelöst hätten. Ist eine Prägung erfolgt, kann sie in der Regel nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Prägung ist ein Lernvorgang, bei dem sich unter natürlichen Bedingungen die Bindung zur Mutter entwickelt. Eine Prägung kann auf ein bestimmtes Objekt  oder auf eine bestimmte Handlung erfolgen.

Ein weiterer Lernvorgang ist das Nachahmen. Dabei übernimmt das beobachtende Tier Teile oder die gesamte beobachtete Verhaltensweise von einem anderen Tier. Die Fähigkeit zur Nachahmung beruht auf dem Besitz von „Spiegel-Nervenzellen“ im Nervensystem. Diese Nervenzellen prägen sich das Verhalten ein, das bei einem anderen Artgenossen gesehen wurde. Dadurch ist das Tier in der Lage, das Beobachtete selbst durchzuführen. Forscher haben in Versuchen mit Affen festgestellt, dass die Nachahmung nur erfolgt, wenn eine Handlung von einem Artgenossen durchgeführt wurde.
Ein bekanntes Beispiel für Nachahmung sind die Kartoffeln und Weizen waschenden Rotgesichtmakaken von der japanischen Insel Koshima. Ein heranwachsendes Weibchen hatte die Entdeckung gemacht, dass sandige Kartoffeln durch Waschen im Meerwasser sauber und schmackhafter (salzig) wurden. Auch konnte der an der Wasseroberfläche schwimmende Weizen leichter aufgenommen werden. Seine Mutter und zwei Spielgefährten ahmten das Verhalten nach. Jahre später konnte man beobachten, dass fast alle Makaken der Gruppe (Jung und Alt) ihre Nahrung im Meerwasser wuschen.

Solche Nachahmungsvorgänge haben u. a. auch für die Mutter-Kind-Beziehung eine große Bedeutung. Säuglinge nehmen die von der Mutter empfangenen Signale (z. B. Lächeln, Laute) auf und senden diese an die Mutter zurück. Dabei lernt der Säugling nicht nur verschiedene Signalformen kennen, sondern auch, wann welches Signal die günstigste Wirkung hat. Die Mutter wiederum lernt, auf die Bedürfnisse des Säuglings richtig zu reagieren. Diese Fähigkeit zur Kommunikation zwischen Mutter und Kind wird nicht vererbt. Sie bildet sich während der intensiven Kontaktphase im Säuglingsalter heraus.
Forschungen haben gezeigt, dass Mütter, denen als Säugling die mütterliche Zuwendung fehlte, Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit ihren eigenen Säuglingen hatten.

Beim Nachahmen übernimmt der Beobachtende (Tier/Mensch) Verhaltensweisen des Handelnden (Tier/Mensch).

Um lernen zu können, müssen Lebewesen in der Lage sein, die aus der Umwelt aufgenommenen Informationen zu speichern (Gedächtnis) und bei Bedarf wieder abzurufen.
Die Qualität des Gedächtnisses, die Merkfähigkeit, ist individuell sehr unterschiedlich. Sie hängt u. a. von der Größe der Speicherbereiche im Nervensystem, der Menge der verknüpften Nervenzellen sowie dem Lerntraining ab. Neuere Untersuchungen haben bewiesen, dass aktives Lerntraining bei Tieren und Menschen die Vermehrung von Nervenzellen in der Hirnrinde zur Folge hat. Gleichzeitig festigen sich durch ständig wiederholte Lernvorgänge die synaptischen Verbindungen der Nervenzellen untereinander. Je häufiger eine solche Verbindung aktiviert wird, desto schneller und fehlerloser kann auf sie zurückgegriffen werden.

Probleme bereiten immer die Lerninhalte, die über eine längere Zeit nicht aktiviert wurden. Die synaptischen Verbindungen verändern sich und man kommt an die Lerninhalte nicht mehr heran.

Stand: 2010
Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

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